Gesundheitliche Konsequenzen von Armut und sozialer Ungleichheit

Ähnliche Dokumente
Armut ein wachsendes Krankheitsrisiko

Daten zum Rauchen in Deutschland

Armut, Gesundheit und Teilhabe in Deutschland

Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit. PD Dr. Thomas Lampert Robert Koch-Institut, Fachgebiet Soziale Determinanten der Gesundheit

Soziale Unterschiede in der Lebenserwartung

Arbeitskreis Armut und Gesundheit Niedersachsen Auswirkungen prekärer Lebenslagen auf die Gesundheit älterer Menschen. Hannover,

Welche Hinweise liefern aktuelle Daten und Fakten zur Männergesundheit?

Nationale und internationale Dimension des Adipositasproblems

Arbeitslosigkeit, berufliche Qualifikation und Gesundheit

Krankenhausfälle. Jahr 2015 (IST) männlich. weiblich. insgesamt

Klausur medizinische Terminologie und Epidemiologie 9:00 bis 11:00 Uhr im Hörsaal Rubenowstraße 2b

Armut und Gesundheit in München

Gesundheitliche Auswirkungen von Armut

Soziale Ungleichheit und Gesundheit Wissensstand und Herausforderungen

Perspektive Gesundheit Unmittelbare und langfristige Auswirkungen von Kinderarmut. PD Dr. Thomas Lampert Berlin, 18. Oktober 2018

Entwicklung sozialer Unterschiede. im Rauchverhalten

2.1.2 Arbeitslosigkeit

Vierter Gesundheitsbericht des Kantons Bern: Pressekonferenz vom 19. Februar 2010

Rauchverhalten von Erwachsenen in Deutschland: Aktuelle Ergebnisse und Trends

Gesundheit ist gewiss nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.

Erwerbsminderung: Gesundheitliche und soziale Risiken für Beschäftigte in Bremen Carola Bury, Referentin für Gesundheitspolitik

Soziale Lage und Gesundheit im Alter

Gesundheitliche Ungleichheit bei Kindern und Jugendlichen. Thomas Lampert

IV.3 Gesundheit. 3 Gesundheit. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. 3.1 Einleitung. Information und Technik Nordrhein-Westfalen

Was drückt im Büro? Fachtagung: Ein Tag für gesundes und erfolgreiches arbeiten im Büro Referentin: Diana Boden Hannover, 1.

Realangst oder Hysterie? Subjektive und objektive Statusgefährdungen

Gesundheit und soziale Lage von Kindern im Land Brandenburg

Tabakkonsum von Jugendlichen: Zur Bedeutung der sozialen Herkunft und der Schulbildung

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Sachsen

Soziale Ungleichheit der Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken in Deutschland

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Bremen

Verteilungs- und Bildungspolitik ist Gesundheitspolitik Prof. Dr. Rolf Rosenbrock BKK Thementag Gesundheit 13. September 2017 Frankfurter Kunstverein

Wider Erwarten gesund!

Gesund leben und arbeiten in Hamburg!

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Sachsen-Anhalt

Aktuelle Daten zum Passivrauchen

Zeitarbeit in Zahlen. Anke Siefer

Arbeitsgruppe 4 Arbeiten in der Produktion

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Baden-Württemberg

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Mecklenburg-Vorpommern

DAK-Gesundheitsreport 2012 für das Saarland

Gesundheit von Jungen Epidemiologische Daten zu Problemlagen und Ressourcen

Betriebliche Gesundheitsförderung. für ältere Beschäftigte. Olaf von dem Knesebeck. Institut für Medizinische Soziologie, Sozialmedizin

Gesundheitspotenziale von Frauen

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Niedersachsen

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Berlin

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Hamburg

DAK-Gesundheitsreport 2012 für Nordrhein-Westfalen

Gesundheit, Armut und soziale Ungleichheit. Empirische Arbeiten auf Grundlage der Daten des Mikrozensus

Alternsgerechte gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen

Gesundes Arbeiten von Mann und Frau Eine Auswertung von Arbeitsunfähigkeitsdaten. Aspekt der Erkrankungen von Männern und Frauen

Gesundes Arbeiten von Mann und Frau Eine Auswertung von Arbeitsunfähigkeitsdaten. Aspekt der Erkrankungen von Männern und Frauen

Gesundheit & Armut. Zahlen und Fakten für die Schweiz. Wally Achtermann Wissenschaftliche Grundlagen

Gesundheitliche und soziale Lage von pflegenden Angehörigen Ergebnisse der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell 2012 (GEDA 2012)

Die Ausbildung zum sozial verantwortlichen Arzt - die Bedeutung sozialer Faktoren. Olaf von dem Knesebeck

Quantifizierung aus Sicht der Gesundheitsberichterstattung

Armut und Gesundheit. Zur Diskussionsveranstaltung Arm = Krank? Gesundheitliche Ungleichheit im Land Bremen

ARBEITSPLATZ ABWASSERANLAGE PSYCHISCHE BELASTUNG VON BEDIENSTETEN

Arbeit, Migration und Gesundheit

Pakt für Prävention: Forum 3 Gesund leben und arbeiten in Hamburg!

Arbeitsbedingungen in NRW Fokus auf psychische Belastungen und Arbeitszeit

Soziale Ungleichheit und Erkrankungsrisiken - präventive Ansätze. Karin Siegrist

Mitarbeitergesundheit in kommunalen Einrichtungen

Primäre Prävention Was ist das und was soll das? Prof. Dr. Rolf Rosenbrock

Sitzung 11. Besprechung der Beispielklausur Fragen 26 & 27. Dr. Gerrit Bauer Zentralübung Sozialstrukturanalyse

Stressreport Deutschland 2012

Auswirkungen der demografischen Alterung auf das Gesundheitswesen:

Herausforderungen und Chancen beim Aufbau von Präventionsketten in Kommunen

Ziel Gesund leben und arbeiten

Wachsende Ungleichheit, steigendes Ungerechtigkeitsempfinden? Objektive Ungleichheiten und Gerechtigkeitsurteile der Bevölkerung,

Informatisierung und Digitale Spaltung

Verleihung des BKK Innovationspreises Gesundheit 2016 Armut und Gesundheit am 13. September 2017 in Frankfurt a. M.

Strategien für den Betrieb

Nachtarbeit und Überstunden machen krank! Ergebnisse einer Befragungsaktion bei Beschäftigten im Vertretungsbereich der Produktionsgewerkschaft

Muskel-Skelett-Erkrankungen im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen

Gesundheitliche Ungleichheit am Beispiel psychischer Erkrankungen

Einführung Belastung und Beanspruchung Wirkung

Soziale Ungleichheit und berufliche Wiedereingliederung nach Brust- oder Prostatakrebs

Das Präventionsgesetz als Chance?

Einführung in die Sozialepidemiologie

Fehlzeitenreport 2009

Welche Lebens- und Arbeitsverhältnisse führen zum vermehrten Auftreten psychischer Erkrankungen?

Gunter Neubauer und Reinhard Winter. Jungengesundheit in. Themen Praxis Probleme

Kanton St.Gallen Fachstelle für Statistik I_64. Quelle: Tabellen: Definition:

gesund pflegen Arbeitsprogramm Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Pflege

Zugangsmöglichkeiten zu Innovationen angesichts sozialer Ungleichheit

Ökonomische Anreize für Prävention und Gesundheitsförderung aus Sicht der Sozialpartner

Kanton St.Gallen Fachstelle für Statistik I_64. Quelle: Tabellen: Definition: Bedeutung:

Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Kontraktlogistik

Gesundheit in Stadt und Landkreis Würzburg

Wer raucht noch? Aktuelle Ergebnisse der GEDA-Studie 2014/2015 zum Rauchverhalten bei Erwachsenen in Deutschland

I kaun nimma Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Forum 4 Psychische Belastungen und Gefährdungsbeurteilung

Freiwilliges Engagement im Lebensverlauf Persönlichkeitsmerkmal oder Ausdruck sozialer Ungleichheit? Prof. Dr. Petra Böhnke

Die Erwerbsminderungsrente als arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Instrument

Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit bei Männern Elmar Brähler

Transkript:

Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Berlin Gesundheitliche Konsequenzen von Armut und sozialer Ungleichheit

Beitrag des RKI zum 3. Armuts- und Reichtumsbericht Themen: Gesundheitliche Auswirkungen von Einkommensungleichheit Stellenwert der Bildung für eine gesundheitsförderliche Lebensweise Einfluss der Arbeitswelt auf die Gesundheit Folgen der Arbeitslosigkeit für die Gesundheit Gesundheit von allein Erziehenden Sozial ungleiche Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen Gesundheit im höheren Lebensalter Migration und Gesundheit

Einkommensunterschiede in der Mortalität Datenbasis: SOEP 1995-2005 Männer Frauen 4,0 3,0 Relatives Mortalitätsrisiko 2,0 1,0 2.7 2.0 1.7 1.4 Ref. 2.4 1.5 1.4 1.1 Ref. 0,5 0-60% 60-80% 80-100% 100-150% >150% 0-60% 60-80% 80-100% 100-150% >150% Einkommen

Einkommensunterschiede in der Lebenserwartung Datenbasis: SOEP und Periodensterbetafeln 1995-2005 Lebenserwartung Gesunde Lebenserwartung bei Geburt bei Geburt Männer Frauen Männer Frauen Einkommen 0-60% 70,1 76,9 56,8 60,8 60-80% 73,4 81,9 61,2 66,2 80-100% 75,2 82,0 64,5 67,1 100-150% 77,2 84,4 66,8 69,1 150% u.m. 80,9 85,3 71,1 71,0 Differenz 10,8 8,4 14,3 10,2

Diagnosespezifische Erwerbsunfähigkeit nach beruflicher Qualifikation Datenbasis: Deutsche Rentenversicherung 1999 (Dragano et al. 2008) Ergebnisse logistischer Regressionen: Odds ratios und 95%-Konfindenzintervalle Herz-Kreislauf- Muskel-Skelett- Psychiatrische Krankheiten Krankheiten Krankheiten (ICD 390-459) (ICD 710-739) ICD (290-319) Männer Fachhoch- / Hochschule Referenz Referenz Referenz Abitur 2,24 (1,54-2,21) 2,95 (2,10-4,15) 1,85 (1,54-2,21) Berufsausbildung 3,20 (2,71-3,77) 3,81 (3,00-4,88) 1,86 (1,65-2,10) Keine Berufsausbildung 3,51 (2,88-4,27) 4,60 (3,51-6,02) 2,68 (2,28-3,14) Frauen Fachhoch- / Hochschule Referenz Referenz Referenz Abitur 1,54 (0,95-2,48) 2,22 (1,49-3,32) 1,19 (0,99-1,42) Berufsausbildung 2,20 (1,51-3,19) 2,53 (1,81-3,45) 1,16 (1,01-1,33) Keine Berufsausbildung 2,81 (1,88-4,20) 3,38 (2,37-4,81) 1,49 (1,27-1,75)

Statusspezifische Arbeitsbelastungen Datenbasis: u.a. BIBB-BAuA-Erwerbstätigenbefragungen 2005/06 Unfall- und Verletzungsgefahren Umgebungsbelastungen (Lärm, Nässe, Kälte etc.) Körperliche Belastungen (Heben, Tragen von Lasten etc.) Belastungen durch Arbeitsabläufe (Nacht-, Schichtarbeit, Zeitdruck, monotone Arbeitsabläufe) Belastungen durch mangelnde Unterstützung (Vorgesetzten-, Kollegenverhalten, Mobbing etc.) Berufliche Gratifikationskrisen Unzufriedenheit und Sorgen um Arbeitsplatz

Rauchverhalten nach Sozialstatus Datenbasis: Telefonischer Gesundheitssurvey 2006 70 Sozialstatus: Niedrig Mittel Hoch 60 55,8 50 51,1 Prozent 40 30 43,6 30,3 37,2 29,9 44,2 35,9 41,6 30,1 26,5 20 17,7 21,0 20,9 10 12,8 11,9 11,5 10,5 0 18-39 J. 40-59 J. 60+ J. 18-39 J. 40-59 J. 60+ J. Männer Frauen

Verhaltensbezogene Gesundheitsrisiken nach Sozialstatus Datenbasis: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 Ergebnisse binär logistischer Regressionen: Altersadjustierte Odds Ratios (OR) und 95%-Konfidenzintervalle (95%-KI) Rauchen Sportliche Inaktivität Adipositas Männer OR 95%-KI OR 95%-KI OR 95%-KI Hoher Sozialstatus Ref. Ref. Ref. Mittlere Sozialstatus 1,70 1,43-2,02 1,67 1,41-1,98 1,68 1,35-2,10 Niedriger Sozialstatus 1,90 1,58-2,29 2,39 1,99-2,87 1,79 1,41-2,26 Frauen Hoher Sozialstatus Ref. Ref. Ref. Mittlere Sozialstatus 1,44 1,17-1,77 1,51 1,25-1,83 2,12 1,60-2,83 Niedriger Sozialstatus 1,73 1,39-2,14 2,26 1,85-2,74 3,43 2,58-4,58

Soziale Effekte der Praxisgebühr Datenbasis: WIdO-Monitor 2004 Haben Sie wegen der Praxisgebühr auf einen Arztbesuch verzichtet oder diesen verschoben? Haushaltsnettoeinkommen < 1.000 Euro 8,2% 19,2% 1.000 < 2.000 Euro 13,3% 2.000 < 3.000 Euro 9,4% > 3.000 Euro 8,2%

Soziale Effekte der Praxisgebühr Datenbasis: WIdO-Monitor 2004 und 2005 Haben Sie wegen der Praxisgebühr auf einen Arztbesuch verzichtet oder diesen verschoben? Haushaltsnettoeinkommen < 1.000 Euro 8,2% 19,2% 1.000 < 2.000 Euro 2.000 < 3.000 Euro > 3.000 Euro 9,3% 9,4% 10,4% 8,2% 8,6% 13,3% im Jahr 2004 im Jahr 2005

Gesundheitsprobleme arbeitsloser Männer und Frauen Datenbasis: Telefonischer Gesundheitssurvey 2006 25 20 Allgemeine Gesundheit (schlecht oder sehr schlecht) Alltägliche Tätigkeiten (erheblich eingeschränkt) 16,3 16,7 15 14,0 Prozent 10 8,2 8,4 5,5 5 2,8 3,2 2,2 4,4 4,2 0 0,2 Nicht arbeitslos < 12 Monate > 12 Monate Nicht arbeitslos < 12 Monate > 12 Monate Männer Frauen

Krankenhausfälle bei arbeitslosen im Vergleich zu pflicht- und freiwillig versicherten Männern Datenbasis: BKK-Statistik 2007 Krankenhausfälle nach ICD-Hauptgruppen bei arbeitslosen Versicherten im Vergleich zu pflicht- und freiwillig versichert Beschäftigten (Fälle je 1.000 Versicherte) Ausgewählte Krankheiten Freiwillig Versicherte Pflichtversicherte Arbeitslose Psychische Erkrankungen 3,7 8,8 62,2 Muskel-Skelett-Krankheiten 10,2 13,7 20,8 Herz-Kreislauf-Krankheiten 12,5 13,7 24,6 Krebserkrankungen 9,9 10,0 15,9 Krankheiten des Verdauungssystems 12,4 14,7 25,1 Verletzungen und Vergiftungen 8,5 12,7 22,3 Arbeitslos = Empfänger von ALG I und ALG II

Verursachungs- und Selektionseffekt der Arbeitslosigkeit Datenbasis: Telefonischer Gesundheitssurvey 2003 Gesundheit hat sich durch die Arbeitslosigkeit verschlechtert ( Verursachungseffekt ) Männer (>12 Monate arbeitslos) 28,9% Frauen (> 12 Monate arbeitslos) 21,2% Schlechte Gesundheit ist mit ein Grund für die Arbeitslosigkeit ( Selektionseffekt ) Männer (> 12 Monate arbeitslos) 30,3% Frauen (> 12 Monate arbeitslos) 11,8%

Selektionseffekt der Arbeitslosigkeit Datenbasis: Sozio-oekonomisches Panel 2001-2006 Risiko den Arbeitsplatz zu verlieren Männer Frauen Gesundheitszustand: schlecht oder sehr schlecht 2,72*** 1,74** Gesundheitszustand: zufriedenstellend bis sehr gut Ref. Ref. Chance auf Wiederbeschäftigung Männer Frauen Gesundheitszustand: schlecht oder sehr schlecht 0,74** 0,75** Gesundheitszustand: zufriedenstellend bis sehr gut Ref. Ref.

Fazit Ergebnisse zeigen erhebliche soziale Ungleichheiten in der Gesundheit und Lebenserwartung auf Gesundheitsprobleme und risiken kumulieren in Gruppen, die dauerhaft verminderte Lebens- und Teilhabechancen haben Gesundheitliche Ungleichheiten sind auf ein komplexes Zusammenspiel von materiellen, psycho-sozialen und verhaltensbezogenen Mechanismen zurückzuführen Neben Verursachungs- sind Selektionseffekte zu berücksichtigen Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheit wird nur durch eine Kombination aus strukturorientierten und individuumszentrierten Interventionen zu erreichen sein

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Korrespondenzadresse: Fachgebeit Gesundheitsberichterstattung General-Pape-Str. 62-66 10407 Berlin E-mail: t.lampert@rki.de Internet: www.rki.de