erlanger examenskurs Strafrecht SS 2007 Prof. Dr. Hans Kudlich

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erlanger examenskurs Strafrecht SS 2007 Prof. Dr. Hans Kudlich Einheit 2: Tötungsdelikte II D. Lösung zu den Zusatzfällen Fall 1 (zeitliche Grenzen des Lebensschutzes - nach BGHSt 31, 348 ff.) M war im 9. Monat schwanger, ohne dies zu wissen. Auch der wegen Bauchschmerzen herbeigerufene Dr. A erkannte die Schwangerschaft nicht und verabreichte, kurz bevor die Eröffnungswehen einsetzten, gegen die Beschwerden eine Buscopan-Spritze. Diese wirkte wehenhemmend, weshalb das Kind während der überlangen Geburt an einem Sauerstoffmangel starb. Strafbarkeit des A? 222 TB: Tod eines Menschen Nach allg. Ansicht beginnt der strafrechtliche Lebensschutz mit dem Beginn der Geburt. Geburtsbeginn? BGH: Eintritt der Ausstoßungsversuche = Eröffnungswehen a.a.: Erst die den Eröffnungswehen nachfolgenden sog. Treibund Presswehen kennzeichnen den Geburtsbeginn Der Tötungserfolg trat an einem Menschen ein. Jedoch: Nach h.m. ist die Rechtsgutsqualität zum Zeitpunkt der Wirkung des schädigenden Verhaltens entscheidend. (Schutzobjekt des 217 ist im Gegensatz zu 218 ff. der Mensch Menschsein beginnt im Zeitpunkt der Geburt.) Verabreichung des wehenhemmenden Präparats vor Beginn der Eröffnungswehen, d.h. Leibesfrucht war insoweit nicht taugliches Tatobjekt i.s.d. 222 Strafbarkeit des A gem. 222 (-) Fall 2 (Selbstmordteilnahme und Tötung in mittelbarer Täterschaft - nach BGH JZ 1987, 474) Die untreue T wollte sich ihres Ehemanns O entledigen. Dazu spiegelte sie ihm vor, mit ihm gemeinsam aus dem Leben scheiden zu wollen, indem beide von einem tödlichen Gift trinken sollten. O, der wegen der massiven Eheprobleme deprimiert war, zeigte sich einverstanden, da dann beide für immer zusammen bleiben würden. Nachdem O den tödlichen Schluck genommen und T die Flasche gereicht hatte, schüttelte diese aber nur den Kopf und trank - wie von Anfang an geplant - nichts von dem Gift. Strafbarkeit der T? 212 I, 211, 25 I Alt. 2 TB: Tötung eines Menschen? hier eigentlich Selbsttötung; fraglich aber, ob nicht Tötung in mittelbarer Täterschaft. D.h.: Keine Fremdtötung, wenn sich der Suizid aus dem freiverantwortlichen Willen des Selbstmörders ergibt. Die Kriterien hierfür sind str.: H.M.: Einwilligungsprinzip (es gelten die Kriterien der rechtfertigenden Einwilligung) Kein freiverantwortlicher Tötungsentschluss, soweit von Anfang an geplante Täuschung vorliegt (a.a.: kein rechtsgutsbezogener Irrtum) [nach BGH im Originalfall jedenfalls deshalb, weil T auch äußeren Ablauf des Geschehens vorhergeplant und gesteuert hatte, m.e. als Argument zw.] A.A.: Verantwortungsprinzip (es gelten die Exkulpationsregeln der 20, 35 StGB entsprechend; für Jugendliche wohl 3 JGG (str.)) Wohl noch freiverantwortlicher Tötungsentschluss Rspr.: Kriterien der Tatherrschaft Kein freiverantworlicher Tötungsentschluss (A hatte die Tatherrschaft inne, da sie den gesamten Geschehnisablauf gezielt steuerte) Vorsatz (+) Mordmerkmal sonstige niedrige Beweggründe (+) RW, SCH: (+) Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 1 Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 2

Fall 3 (Selbstmord und Unterlassungsdelikte - nach BGHSt 32, 367 ff.) Witwe U war schwer krank und sah nach dem Tod ihres Mannes keinen Sinn mehr im Leben. Ihrem Hausarzt T gegenüber äußerte sie sich mehrfach dahingehend, dass auch sie sterben und nicht gerettet werden wolle. Als T wieder zu ihr kam, fand er U bewusstlos auf der Couch mit einem Zettel An meinen Arzt - bitte kein Krankenhaus - Erlösung. Da T davon aus ging, U jedenfalls nicht ohne schwere Dauerschäden retten zu können, unternahm er nichts zu ihrer Rettung. Strafbarkeit des T? 1. 212, 216, 13 I? TB: Erfolgseintritt (+), U ist tot Privilegierung gem. 216 (+) Hier lag ein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen der U vor, keine lebensrettenden Maßnahmen im Falle eines Suizids einzuleiten. Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung objektiv gebotenen und möglichen Handlung? Rspr.: Wer als Garant trotz Möglichkeit der Erfolgsabwendung einen Selbstmord nicht verhindert, soll dann Täter eines Tötungsdelikts sein, wenn der Selbstmörder schon handlungsunfähig geworden ist, d.h. das Geschehen nicht mehr beherrscht ( Wechsel der Tatherrschaft ab Bewusstlosigkeit). hier (+) H.L.: Das Zulassen eines Selbstmords durch einen Garanten ist niemals als Tötungsdelikt strafbar, es sei denn, der Suizid beruht nicht auf einem freiverantwortlichen Willen des Opfers. Die Kriterien, wann ein freiverantwortlicher Suizid vorliegt sind str.: e.a.: Analoge Anwendung der Exkulpationsregeln ( 20, 35 StGB; bei Jugendlichen wohl 3 JGG, str.) a.a.: Einwilligungslösung, d.h. ein freiverantwortlicher Wille liegt vor, wenn dieser sich bei entspr. Anwendung der Kriterien der rechtfertigenden Einwilligung als bewusste und wirksame Willensäußerung darstellt. (vgl. 228) hier (-) Hypothetische Kausalität wohl (+), da davon auszugehen ist, dass durch die Einleitung von Rettungsmaßnahmen der konkrete Erfolg entfallen wäre. Der Erfolg ist T auch objektiv zurechenbar. Garantenstellung Die Garantenstellung ergibt sich grds. aus dem durch die Übernahme der ärztlichen Behandlung entstandenen Arzt-Patienten- Verhältnis. Hier auch kein Enden der Garantenbeziehung durch das Verbot einer Rettung seitens der Patientin aber: nach Ansicht des BGH hier Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens als garantenstellungsbegrenzendes Element: Vorliegen einer eine rechtlich bedeutsamen Konfliktsituation des T (Lebensrettung Achtung der Selbstbestimmung in außergewöhnlicher Situation; keine Lebensverlängerung um jeden Preis) 2. 323c TB: Unglücksfall? (+/ ) h.l.: In Fällen des Suizids liegt ein Unglücksfall isd 323c nicht vor, solange der Selbstmordversuch auf einem freiverantwortlichen Entschluß des Selbstmörders beruht. 323c ( ) Rspr.: Die durch einen Selbstmordversuch herbeigeführte Gefahrenlage stellt einen Unglücksfall, d.h. ein plötzliches Ereignis, das erheblichen Schaden an Menschen oder Sachen zu verursachen droht, dar. Unterlassung der möglichen und zumutbaren Hilfe Im vorliegenden Fall scheitert die Strafbarkeit gem. 323c nach der Rspr. an der wegen des Gewissenskonflikts (s.o.) Unzumutbarkeit der Hilfeleistung (a.a. vertretbar) Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 3 Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 4

Fall 4 (Konsequenzen aus der Straflosigkeit des Selbstmords für die fahrlässige Tötung - nach BGHSt 24, 342) Der Polizeibeamte T unternahm mit seiner depressiven und selbstmordgefährdeten Frau F eine Zechtour. Im Auto legte er (der einen Blutalkoholgehalt von 2,5 3,85 hatte) seine geladene Dienstpistole auf das Armaturenbrett. In einem unbemerkten Moment nahm F (die einen Blutalkoholgehalt von 2 2,2 hatte) die Pistole und erschoss sich. Strafbarkeit des T? 222 TB: Erfolgseintritt: Tod eines Menschen (+) Kausalität (+) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung (+) Pflichtwidrigkeitszusammenhang (+) Schutzzweck der Norm (-) Vergleich Beihilfe/fahrlässige Tötung: Wer mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mit verursacht, kann nicht bestraft werden, weil der Selbstmord keine Straftat ist. Dabei nimmt der Gehilfe den Tod des anderen zumindest billigend in Kauf. Wer hingegen den Selbstmord eines anderen fahrlässig mit verursacht, nimmt den Tod eines anderen gerade nicht billigend in Kauf. Eine Bestrafung wäre daher im Vergleich ungerecht und liefe der Intention des Gesetzgebers klar zuwider. T ist nicht gem. 222 strafbar. Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 5 Fall 5 (Täuschung durch das Opfer einer Selbsttötung nach BGH NJW 2003, 2326; vgl. auch OLG Nürnberg NJW 2003,454) Der 22-jährige T wird dem schwerstbehinderten, fast vollständig gelähmten O als Zivildienstleistender zur Ganztagsbetreuung zugewiesen. O, verfügt über einen herausragenden Intellekt. O möchte sterben und zwar mit Hilfe des recht naiven und dienstbeflissenen T. Eines Tages bittet O den T, ihm einen Müllsack anzuziehen er würde gern Plastik auf der Haut spüren. Zögernd folgt O der Aufforderung. Ein paar Tage später wiederholt sich dies und O bittet, in Müllsäcke verpackt und mit zugeklebtem Mund in einen Müllcontainer gelegt zu werden. Das gefalle ihm besonders, er habe dies schon öfter gemacht und es sei schon abgesprochen, wer ihn einige Stunden später heraushole. Tatsächlich hatte er allen anderen Pflegern glaubhaft gemacht, er verreise. O folgt der Aufforderung und räumt auch noch weisungsgemäß den Rollstuhl und das Zimmer des O auf und verlässt durch einen Seiteneingang ungesehen die Pflegeeinrichtung. Im Müllraum herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. O, der wie T weiß behinderungsbedingt nur 10% der Atmungskapazität eines Gesunden besitzt und zeitweise auf Beatmungsgeräte angewiesen ist, erstickt unterkühlungsbedingt. T hatte die Gefahren erkannt, aber auf die Erfahrung des O vertraut und geglaubt, dieser werde in keiner Weise zu Schaden kommen. Strafbarkeit des T? 1. 212: kein Vorsatz des T 2. 222 TB: Handlung, Erfolg, Kausalität (+) obj. Zurechenbarkeit? (Anmerkung: das Problem kann auch als Frage nach der Tatherrschaft im Rahmen der Handlung geprüft werden) Selbstverantwortungsprinzip: Gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen unterfallen (auch bei Beteiligung Dritter) nicht den 212 ff, 223 ff., wenn sich nur das bewusst eingegangene Risiko realisiert. - Maßgebendes Kriterium ist Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme (Tatherrschaft als Gefährdungsherrschaft) - hier: eigenhändige Handlungen nur von T nur dann bloße Beteiligung an Selbstgefährdung, wenn Opfer durch Irrtumsherrschaft alleinige Tatherrschaft ausübt - T überblickt die Tatumstände und die ihnen innewohnenden Gefahren voll keine alleinige Tatherrschaft des O - Glaube an guten Ausgang gerade charakteristisch für bewusste Fahrlässigkeit, kein Ausschluss der Tatherrschaft Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 6

Regressverbot? - Tötet sich das voll zurechenbar handelnde Opfer selbst, so kann kein dahinter stehender Beteiligter wegen eigener (Haupt-)Tat belangt werden. Konsequenz: Bei beiderseitigem Vorsatz: Haupttat ist als Selbsttötung tatbestandslos Teilnahme ist nicht strafbar Bei Fahrlässigkeit des Hintermannes: Erst-recht- Schluss: Wenn schon vorsätzliches Handeln nicht strafbar, dann auch fahrlässiges nicht - hier aber: kein eigenhändiges Vorgehen des M, nur der F Regressverbot nicht einschlägig Lehren von der Risikoübernahme, von quasi-mittäterschaftlicher Tatherrschaft und vom Vorrang des Willens zur Selbstgefährdung - pro: moribunder Schwerstbehinderter kann ohne strafrechtliche Verstrickung Dritter selbstbestimmt aus dem Leben scheiden - contra (BGH, wohl h.l.): Schutz menschlichen Lebens hochrangiges Gut der grundgesetzlichen Werteordnung aktive Sterbehilfe verboten ( 216), höchstens durch Gesetzgeber änderbar. Beide Ansichten vertretbar; wenn bis hierher Strafbarkeit angenommen:: Voraussetzungen indirekter Sterbehilfe hier (-) obj. Vorhersehbarkeit, Pflichtwidrigkeitszush., Schutzzweckzush.: (+) RW, Sch: (+), insbesondere auch individuelle Vorhersehbarkeit 3. 223, 221: kein Vorsatz T glaubt: keine Schädigung des O und sichere rechtzeitige Hilfe durch andere Person wenn erforderlich (bereits abgesprochen) E. Fälle zur eigenständigen häuslichen Nachbereitung Fall a (Bedingter Tötungsvorsatz bei objektiv lebensgefährlichem Einsatz einer Waffe nach BGH NStZ-RR 2000, 327) A und B wollen an die Tageseinnahmen des O. Sie kommen überein, O wenn nötig mit Messerstichen gefügig zu machen. Sie sind sich dabei einig, O notfalls in die Gefahr des Todes zu bringen, finden sich mit der Todesgefahr ab, glauben aber an einen glücklichen Ausgang. A und B dringen in die Wohnung des O ein, sehen dessen Geldbeutel und nehmen diesen an sich. Das bemerkt O und die drei geraten in ein Handgemenge. Dabei sticht mindestens einer der beiden wer ist nicht mehr zu ermitteln mit einem Messer heftig auf den Hals des O ein. Dieser stürzt hilferufend aus der Wohnung, woraufhin A und B keine Möglichkeit mehr sehen, an weiteres Geld zu kommen, und fliehen. O wird trotz lebensgefährlicher Verletzungen gerettet. Strafbarkeit von A und B? 1. A und B: 212, 211, 22, 25 II VP: keine Vollendung Strafbarkeit: 23 I 1. Alt., 12 I TB: Todeserfolg mindestens bedingt (dol. evtl.) ins Auge gefasst? obj. lebensgefährlicher Messereinsatz allein kein ausreichendes Indiz aber beide wollten auch um den Preis des Lebens des O an dessen Tageseinnahmen ( Schicksal des O ist ihnen mindestens gleichgültig) und fassten lebensgefährdenden Messereinsatz ins Auge (+); wer ohne eine Vorstellung, wie der Tod abgewendet werden könnte ( blind ) auf einen guten Ausgang vertraut, handelt nicht nur bewusst fahrlässig Plan hatten beide und gemeinsam, nicht nur der Stechende, kein Exzess Vorstellung von Handlung und Kausalverlauf: (+) Habgier ( 211 I, II 1. Grp. 4. Var.): (+) UA: einer stach, wer ist unklar doppeltes in dubio pro reo oder gegenseitige Zurechnung nach 25 II? Mittäter müssen nicht notwendig eigenhändigen Tatbeitrag zum Kerngeschehen leisten Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 7 Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 8

dies gilt auch für Tötungsdelikte hier sogar Anwesenheit am Tatort und plangemäße aktive Einwirkung auf O 25 II (+) Stechen war sogar bereits Tathandlung unm. Ans. (+) RW, SCH: (+) Rücktritt ( 24 I) : (-), da fehlgeschlagener Versuch 2. A und B: 249, 250 II Nr.1, Nr.3 b, 25 II: TB: Wegnahme des Geldbeutels noch kein neuer Gewahrsam vor Einwirkung auf O (sonst 252!), da Geldbeutel nach Verkehrsanschauung noch im Einflussbereich des O (keine Gewahrsamsenklave) neuer Gewahrsam spätestens mit Flucht (+) Gewalt gegen Person: Messerstiche (+) Gewalt als Mittel der Wegnahme (+) Messer mindestens gefährl. Werkzeug i.s.d. 250 II Nr.1 (+) Todesgefahr i.s.d. 250 II Nr.3b (+) Vorsatz: (+) Absicht rw. Zueignung: (+) 3. A und B: 223, 224 I Nr.2, Nr.4 u. Nr.5, 25 II (+) 4. A und B: 123, 25 II (+) 4. Konkurrenzen: Wegnahme mit Gewalt und Körperverletzung haben je eigenständigen Unrechtsgehalt Vollendung der Körperverletzung neben Versuch der Tötung separat auszusprechen Tatsächliche Wegnahme neben Habgier (Motiv) eigenständiger Unrechtsgehalt Tateinheit ( 52) zwischen allen: einheitliches Geschehen Examenskurs Strafrecht BT Tötungsdelikte II Zusatzfälle, S. 9