BGH, Urteil vom 14. August 1963, BGHSt 19, 135 Gisela
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- Monica Kirchner
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1 BGH, Urteil vom 14. August 1963, BGHSt 19, 135 Gisela Sachverhalt: Zwischen Anton und der, für ihr Alter sehr reifen, 16- jährigen Gisela besteht eine Liebesbeziehung. Da Giselas Eltern mit dieser Beziehung nicht einverstanden sind, verbieten sie ihrer Tochter den Kontakt zu Anton. Daraufhin beschließt Gisela, sich umzubringen und teilte dies auch Anton mit. Nachdem dieser Gisela nicht von ihrem Vorhaben abbringen kann, entschließt er sich gleichfalls, zusammen mit ihr aus dem Leben zu scheiden. Anton schlägt vor, für beide den Tod durch eine Vergiftung mit Auspuffabgasen herbeizuführen, womit sich Gisela einverstanden zeigt und ihren Todeswunsch erneut bekundet. Hierzu fahren beide mit Antons Auto in ein entlegenes Waldstück. Dort installiert Anton eine Schlauchkonstruktion am Auspuff, um die Abgase über das linke Fenster in das Innere des Autos zu leiten. Anschließend versperrt er die Fahrertür von außen und steigt über die Beifahrertür in den Wagen auf den Fahrersitz. Daraufhin verriegelt Gisela, die sich auf dem Beifahrersitz befindet, die Beifahrertür von innen. Nunmehr tritt Anton das Gaspedal bei laufendem Motor durch, bis er durch die einströmenden Abgase bewusstlos wird. Später werden Anton und Gisela im Zustand der Bewusstlosigkeit aufgefunden. Während Anton noch gerettet werden kann, verstirbt Gisela kurze Zeit später. Thema: Abgrenzung 216 StGB Beihilfe zur Selbsttötung Materialien: Arbeitsblatt Examinatorium Nr. 37
2 Lösungsübersicht: Strafbarkeit Antons gemäß 216 StGB I. Objektiver Tatbestand 1. Anderer Mensch (+) 2. Ausdrückliches ernstliches Tötungsverlangen (+) 3. Tötungshandlung (+) ( ) Problem: Straflose Beihilfe zur Selbsttötung oder täterschaftliche Fremdtötung? Problem des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes. II. Ergebnis (+) ( )
3 Lösungsvorschlag: Strafbarkeit Antons gemäß 216 StGB Indem Anton das Gaspedal bei laufendem Motor durchtrat und dadurch Auspuffgase in das Innere des Wagens leitete, könnte er sich wegen einer Tötung auf Verlangen gemäß 216 StGB strafbar gemacht haben. I. Objektiver Tatbestand 1. Anderer Mensch Gisela kam durch die Auspuffgase zu Tode. 2. Ausdrückliches ernstliches Tötungsverlangen Das Opfer muss seine Tötung ernstlich begehren und dieses Begehren unmissverständlich kundgetan haben. Zudem muss es nach Maßstäben der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit im Stande gewesen sein, die Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen. Den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, hat Gisela selbst getroffen. Zudem ließ sie sich nicht umstimmen und bekräftigte ihren Wunsch sogar noch einmal, als Anton die konkrete Tötungsart vorschlug. Obwohl sie erst 16 Jahre alt war, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst war, da sie für ihr Alter sehr reif war. Mithin äußerte sie ein ausdrückliches und ernstes Tötungsverlangen. 3. Tötungshandlung Das Installieren des Schlauches sowie das Durchtreten des Gaspedals durch Anton sind kausale Handlungen für Giselas Tod. Fraglich ist aber, ob diese Handlungen Täter- oder lediglich Teilnehmerhandlungen sind. Denn nur im ersten Fall käme eine Strafbarkeit gemäß 216 StGB in Betracht, andernfalls läge eine straflose Beihilfe zur Selbsttötung vor.
4 Nach dem BGH soll bei einem einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord der Überlebende nach 216 StGB zu bestrafen sein, wenn er das zum Tode führende Geschehen beherrscht hat. Andernfalls liege eine straflose Beihilfe zum Selbstmord vor. Das entscheidende Abgrenzungskriterium sei hierbei die Tatherrschaft im Zeitpunkt des Erfolgseintritts. Der subjektive Ansatzpunkt der Animustheorie könne auf 216 StGB nicht sinnvoll angewendet werden, da 216 StGB ohnehin eine Unterordnung des Willens des Täters unter den des Opfers voraussetze. Hiernach hätte Anton vorliegend Tatherrschaft gehabt, da er letztlich das zu Giselas Tod führende Geschehen beherrschte und sich Gisela in Antons Hände begab. Denn nach dem Gesamtplan sollte Antons Handeln bis zum Erfolgseintritt fortdauern. Diese Entscheidung ist natürlich angreifbar. Sie untergräbt die grundsätzliche Entscheidung, die Selbsttötung straffrei zu lassen und knüpft letztlich an willkürliche Kriterien an. Anders sieht es ein Ansatz in der Literatur, wonach eine straflose Beihilfe vorliegen soll, wenn dem Getöteten nach dem letzten Tatbeitrag des anderen noch die freie Entscheidung über Leben und Tod verbleibe. Hiernach käme es vorliegend darauf an, wer zuerst in Bewusstlosigkeit verfiel, da Gisela ab dem Zeitpunkt, in dem sie das Bewusstsein verlor, nicht mehr freiverantwortlich handeln und z.b. nicht mehr aussteigen konnte. Wenn Anton zu dieser Zeit noch bei Bewusstsein war, oblag ihm nun die alleinige Entscheidung darüber, ob er weiterhandelt oder die Handlung abbricht. Auch dieses Ergebnis ist jedoch angreifbar, weil es ebenso willkürlich ist darauf abzustellen, ob das Opfer Sekundenbruchteile vor dem Täter das Bewusstsein verliert oder nicht. Es kann bei der Befolgung des gemeinsamen Tatplanes also nicht darauf ankommen, wer zuerst das Bewusstsein verliert. Richtigerweise muss die Situation daher differenziert betrachtet werden. Hätte Anton auf ausdrückliches Verlangen nur die Gisela töten wollen, läge der klassische Fall des 216 StGB vor. Hier wollten sich jedoch beide gemeinsam töten, sodass ihnen die jeweiligen Tatbeiträge nach den Grundgedanken der Mittäterschaft gegenseitig zugerechnet werden können, was letztlich beide straflos stellt. Es kann nämlich weder darauf ankommen, wer auf das Gaspedal drückt noch wer zuerst das Bewusstsein verliert.
5 II. Ergebnis Anton hat daher vorliegend lediglich eine straflose Beihilfe zur Selbsttötung begangen. Er ist nicht gemäß 216 StGB strafbar.
Tötung auf Verlangen, 216 StGB
Arbeitsgemeinschaft im Strafrecht (BT) SoSe 2014 Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Laura Diebold http://www.strafecht-online.org
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