Bessere Ärzte bessere Patienten: Gerd Gigerenzer

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Transkript:

In the 19 th century health was transformed by clear, clean water. In the 21 st century health will be transformed by clean, clear knowledge. Sir Muir Gray Bessere Ärzte bessere Patienten: Risikokommunikation in der Medizin Gerd Gigerenzer Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

Risikokommunikation Irreführend oder transparent? Überlebensraten Relative Risiken Bedingte Wahrscheinlichkeiten

"I had prostate cancer, five, six years ago. My chances of surviving prostate cancer and thank God I was cured of it, in the United States, 82 percent. My chances of surviving prostate cancer in England, only 44 percent under socialized medicine. Rudy Giuliani, New Hampshire radio advertisement, October 2007

Lead Time Bias Gigerenzer, Gaissmaier, Kurz-Milcke, Schwartz, & Woloshin 2007. Psychological Science in the Public Interest.

Overdiagnosis Gigerenzer, Gaissmaier, Kurz-Milcke, Schwartz, & Woloshin 2007. Psychological Science in the Public Interest.

Wie man Patienten hinters Licht führt!! Eines der angesehensten Krebszentren in den USA: M. D. Anderson!!

Do U.S. Physicians Understand 5-Year Survival Rates? 412 primary-care physicians (national sample) Survival rates: 83% judged mortality benefit as large Mortality rates: 28% judged mortality benefit as large Which proves that a cancer screening test saves lives? 1. Screen-detected cancers have better 5-year survival. 76% 2. More cancers are detected in screened populations. 47% 3. Mortality rates are lower among screened persons. 81% Wegwarth, Schwartz, Woloshin, Gaissmaier & Gigerenzer, Annals of Internal Medicine, 2012.

Verstehen deutsche Ärzte 5-Jahre-Überlebensraten? Teilnehmer: 65 Internisten 1. Beurteilen Sie das Krebs-Screening als nützlich? Mortalitätsraten: 5% ja Überlebensraten: 79% ja 2. Lead-time-bias? 2 von 65 Ärzten 3. Overdiagnosis? 0 von 65 Ärzten Wegwarth, Gaissmaier & Gigerenzer. Medical Decision Making 2011

Prostate Cancer Early Detec0on by PSA screening and digital rectal examina5on. Numbers are for men aged 50 years or older, not par5cipa5ng vs. par5cipa5ng in screening for 10 years. 1,000 men without screening: 1,000 men with screening: P P P P P P P P P P P P P P P P X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X P Men dying from prostate cancer: 8 8 Men dying from any cause: 200 200 X Men that were diagnosed and treated for prostate cancer unnecessarily: Men without cancer that got a false alarm and a biopsy: 20 180 Source: Djulbegovic, Beyth, Neuberger et al. 2010. Bri$sh Medical Journal. Men that are unharmed and alive: 800 600

Wer schätzt den Nutzen der Krebsfrüherkennung am besten ein? Gigerenzer 2013. Risiko: Wie man bessere Entscheidungen trifft. Bertelsmann

Peto 2001

Bildung ist die beste Waffe gegen Krebs Etwa 50% aller Krebserkrankungen haben ihre Ursachen im Verhalten. 1. Zigarettenrauchen: 20-30% 2. Fettleibigkeit, Ernährung, Mangel an Bewegung: 10-20% 3. Alkohol: 10% (Männer), 3% (Frauen) 4. CT Scans (Computertomographie) : 2% World Cancer Research Fund / American Institute for Cancer Research 2007

Risikokommunikation Irreführend oder transparent? Überlebensraten Relative Risiken Mortalitätsraten Bedingte Wahrscheinlichkeiten

Von Prozenten zur Panik U.K. Committee on Safety of Medicines 100%! Gigerenzer, Gaissmaier, Kurz-Milcke, Schwartz, & Woloshin 2007. Psychological Science in the Public Interest.

Im Klartext: Reduktion von 2,8 auf 1,5 pro 100 Patienten

TRANSPARENZ: FAKTEN BOX Brustkrebs-Früherkennung durch Mammographie über 10 Jahre OHNE Screening je 1.000 Frauen 50+ MIT Screening Nutzen? Krebssterblichkeit 25 25 Brustkrebssterblichkeit 5 4 Schaden? Falsch-Positive/Biopsie -- 50-200 Unnötige Behandlung -- 2-10 Quellen: Gøtzsche PC & Nielsen M 2006. Cochrane Database Syst Re; Woloshin S & Schwarz LM 2009. Journal of the National Cancer Institute 101(17) www.harding-center.de

Zur Kritik der Ärztekammer Berlin am Beschluss des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages zur Einführung eines Mammographie Screenings erklärt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: Bei Frauen dieser Altersgruppe [50-69 Jahre], die an Screening Programmen teilnehmen, zeigt sich eine bis zu 35% reduzierte Brustkrebssterblichkeit.

Irreführende Information zum Transparente und vollständige Nutzen und Schaden des Screenings Information seit 2010 bis 2009

Risikokommunikation Irreführend oder transparent? Überlebensraten Mortalitätsraten Relative Risiken Absolute Risiken NNT Bedingte Wahrscheinlichkeiten

160 GYNÄKOLOGEN SCHÄTZEN DIE WAHRSCHEINLICHKEIT VON BRUSTKREBS NACH EINEM POSITIVEN SCREENING MAMMOGRAMM 90 81 Schätzungen in % 10 1 Vor dem Training Gigerenzer et al. 2007 Psychological Science in the Public Interest

VERSTÄNDNIS STATT VERWIRRUNG Natürliche Häufigkeiten statt bedingte Wahrscheinlichkeiten 90 81 Schätzungen in % 10 1 Vor dem Training Nach dem Training Gigerenzer et al. 2007 Psychological Science in the Public Interest

Natürliche Häufigkeit Bedingte Wahrscheinlichkeit 1.000 Frauen 8 Krebs 992 Kein Krebs 7 positiv 1 negativ 70 positiv 922 negativ p(krebs positiv) 7 = 7 + 70 p(krebs positiv) =.008 x.90.008 x.90 +.992 x.07 Gigerenzer & Hoffrage Psychological Review 1995, 1999

Risikokommunikation Irreführend oder transparent? Überlebensraten Mortalitätsraten Relative Risiken Absolute Risiken NNT Bedingte Wahrscheinlichkeiten Natürliche Häufigkeiten

Die Dritte Revolution Patientenorientierte Forschungsfinanzierung + Transparente Berichterstattung in medizinischen Fachzeitschriften + Transparente Berichterstattung in Patientenbroschüren + Transparente Berichterstattung in den Medien + Minimale Interessenkonflikte + Fehlerkultur statt defensiver Medizin + Ärzte, die statistische Evidenz verstehen = Medizin für den Patienten 2013

Bessere Ärzte. Experten sind oft Teil des Problems und nicht die Lösung. Medizinische Fakultäten sollten lehren wie man Evidenz versteht und kommuniziert. Bessere Patienten. Sapere aude! Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Bessere Bildung. Jeder kann den Umgang mit Risiko und Ungewissheit lernen. Statistisches Denken sollte Kern der schulischen Bildung werden. Gigerenzer & Muir Gray 2013 (Hg.). Bessere Ärzte, bessere Patienten, bessere Medizin. Berlin: MWV.