Peter Stemmers Verteidigung des moralischen Kontraktualismus

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Transkript:

Peter Stemmers Verteidigung des moralischen Kontraktualismus Fabian Hundertmark Matrikel-Nummer: 1769284 31. Juli 2006 1 Aufgabe Peter Stemmer erläutert und verteidigt den moralischen Kontraktualismus gegen zwei Einwände. Rekonstruieren Sie bitte Stemmers Reaktion auf die beiden Einwände und diskutieren Sie daraufhin die Frage, inwiefern seine Reaktionen zu einem überzeugenden Ergebnis führen (oder auch nicht führen). 2 Was werde ich tun? Im folgenden Text soll es um Peter Stemmers Verteidigung des moralischen Kontraktualismus gehen. Ich werde zuerst zeigen, was der moralische Kontraktualismus ist. Dann, wie die zwei elementare Einwände lauten, die gegen ihn vorgebracht werden und als drittes, wie Peter Stemmer dem moralischen Kontraktualismus gegen diese Einwände verteidigt. Am Schluss werde ich kritisch beurteilen, ob diese Verteidigung den Kontraktualismus wirklich den Einwänden entgeht und ob durch Stemmers Modifikationen neue Probleme entstanden sind. 3 Was ist der moralische Kontraktualismus? 3.1 Kontraktualismus allgemein Der Kontraktualismus ist eine Möglichkeit, die Legitimität bestimmer gesellschaftlicher Institutionen zu begründen und zu zeigen, wie sie entstanden sind. So verwendet zum Beispiel Thomas Hobbes den Kontraktualismus, um zu erklären, wie und warum ein Staat entsteht und was daraus für die Mitglieder eben jenes Staates folgt. 1 Die Idee des Kontraktualismus ist etwa die folgende: Es gibt einen Urzustand, in dem die zu erklärende gesellschaftliche Institution (Staat, Moral etc.) noch nicht vorhanden ist. Dieser Zustand 1 siehe: Hobbes, Thomas: Leviathan. Zweiter Teil: Vom Staat 1

ist für die Menschen schlecht oder wenigstens suboptimal. Deshalb schließen alle Menschen miteinander einen Vertrag, der genau diese Institution entstehen lässt. 3.2 Moralischer Kontraktualismus Der moralische Kontraktualismus geht davon aus, dass moralische Normen durch einen solchen Vertrag entstanden sind. Schenkt man dieser Theorie Glauben, gab es eine Zeit, in der keine Moral existiert hat. In dieser Zeit gab es kein gut und böse und selbst das Töten eines Menschen wäre moralisch gesehen neutral. Dieser Zustand wäre für die Menschen natürlich ein schlechter, da jeder in ständiger Angst leben müsse, von anderen betrogen, bestohlen oder umgebracht zu werden. Deshalb würden sich die Menschen in einem solchen Zustand dazu entscheiden, miteinander einen Vertrag zu schließen. Dieser würde zum einen moralische Normen festlegen, zum anderen die Menschen verpflichten sich an diese zu halten. Die moralische Norm niemanden zu töten ist demnach eine moralische Regel, weil folgende Präferenzlage herrscht: Die Menschen wollen lieber auf das Recht verzichten andere Menschen zu töten, als in der Gefahr zu leben, selbst getötet zu werden. 2 Deshalb stehen sie einem Vertrag, der allen Menschen das Töten verbietet, positiv gegenüber. Peter Stemmer sieht folgende Vorzüge im moralischen Kontraktualismus: 3 1. Der moralische Kontraktualismus sieht in der Moral etwas vom Menschen geschaffenes. Man braucht also nicht eine göttliche Macht oder ähnliches um die Moral zu begründen. 2. Der moralische Kontraktualismus zeigt, dass die Moral im Interesse des einzelnen liegt. (Siehe oben) 3. Der moralische Kontraktualismus zeigt, dass die moralische Verpflichtungen vertraglich und damit bindend sind. 4. Der moralische Kontraktualismus macht es möglich, zwischen legitimer und illegitimer Moral zu unterscheiden. Eine Moral ist also legitim, wenn sie durch einen Vertrag entstanden ist. 4 Einwände Doch hat der moralische Kontraktualismus, wie er oben aufgeführt wird, zwei entscheidende Probleme. Diese haben damit zu tun, dass jeder Vertrag bestimmte Voraussetzungen hat. Zwei von diesen Voraussetzungen sind beim moralischen Kontraktualismus, in der Form wie ich ihn oben dargestellt habe, nicht erfüllt. 2 vgl. Stemmer, Peter: Moralischer Kontraktualismus. Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002). S. 15 3 vgl. ebenda. S. 3 2

4.1 Schließung eines Vertrags Ein jeder Vertrag muss geschlossen worden sein. Wenn man zum Beispiel ein Haus kauft, schließt man einen Vertrag mit dem Verkäufer. Dieser tritt in ihm die Eigentumsrechte ab und man selbst verpflichtet sich, das Geld für das Haus zu zahlen. Diese Schließung kann im Normalfall schriftlich oder mündlich erfolgen. 4 Im Falle der Moral ist aber davon auszugehen, dass ein solcher Vertrag nie geschlossen worden ist, da keine Beweise für eine solche Schließung vorliegen und ein solcher Vertrag sicherlich bekannt wäre. Da ein Vertrag, der nie geschlossen worden ist auch niemanden verpflichten kann, wäre auch die Pflicht sich an Moral zu halten durch den Kontraktualismus nicht erklärt. 5 Hinzu kommt noch, dass ein solche Vertrag heutzutage sicherlich keinen mehr binden könnte. 6 4.2 Gründe, sich an einen Vertrag zu halten Außerdem muss es mindestens einen Grund für die Vertragsschließenden geben, sich an den Vertrag zu halten. Wenn wir wieder den Fall des Hauskaufs betrachten, finden wir, sowohl für den Käufer, als auch für Verkäufer, die rechtlichen Konsequenzen und die Moral als solche Gründe. Der Käufer des Hauses, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit bezahlen, da es erstens gegen seine Moral verstoßen würde es nicht zu tun und zweitens würde er Angst vor rechtlichen Konsequenzen haben. Es müsste also auch für den Vertrag über die Moral Gründe geben, aus dem sich die Vertragsschließenden an ihn halten. Diese Gründe können nicht wie beim Hauskauf die rechtlichen Konsequenzen oder die Moral sein. Auch wenn Moral und Gesetz häufig übereinstimmen, so wird man im allgemeinen nicht bestraft, wenn man sich nicht an die Moral hält. So ist es zum Beispiel eine moralische Pflicht, sich an Versprechen zu halten. Gibt man jedoch ein Versprechen und hält es nicht ein, so wird man nicht rechtlich bestraft. Davon auszugehen, dass die Moral einen daran hindert, einen Vertrag, der Moral erst entstehen lässt, zu brechen, würde in einen infiniten Regress führen. 7 Es wäre also schon das vorausgesetzt, was erst entstehen soll. 5 Antworten Es wird klar, dass der moralische Kontraktualismus in seiner ursprünglichen Form nicht zu halten ist. Deswegen nimmt Peter Stemmer zwei Änderungen vor, um ihn gegen diese beiden Einwände zu verteidigen. 4 Microsoft Encarta Enzyklopädie 2004 (Daraus der Artikel: Vertrag) 5 vgl. Stemmer, Peter: Moralischer Kontraktualismus. Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002). S. 4 6 ebenda. S. 11 7 ebenda. 3

5.1 Keine Schließung eines Vertrags Peter Stemmer hat also nun das Problem vor sich, dass ein Vertrag, welcher die Moral geschaffen hat, nie geschlossen wurde und, dass ein solcher Vertrag heute niemanden mehr zu irgendetwas verpflichten könnte. Dieses Problem umgeht er, indem er gar nicht erst behauptet, dass der Vertrag, welcher die Moral generiert ein faktisch geschlossener ist. Vielmehr stellt er die These auf, dass (wie oben erwähnt) die Menschen gute Gründe haben, sich eine Moral zu wünschen, und somit zumindest denkbar ist, dass alle Menschen einen solchen Vertrag unterschreiben würden. 8 So kann man behaupten, dass die allermeisten Menschen sich lieber an Versprechen halten und dafür die Sicherheit haben, dass es andere auch tun, als selbst die Freiheit zu haben, Versprechen zu brechen, sich dann aber auch nicht auf Versprechen von anderen verlassen zu können. Vergleichbares gilt für das Töten von Menschen: Die meisten würden lieber auf die Freiheit verzichten andere zu töten, als in Angst zu leben, von anderen getötet zu werden. Es ist zu beachten, dass eine solche Präferenzlage überzeitlich gelten könnte und nicht nur für einen bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte. So hat Stemmer nicht nur das Problem des faktischen Vertrages beseitigt, sondern auch gezeigt, dass Moral auch auf Menschen von heute Auswirkungen hat. 5.2 Grund, sich an einen Vertrag zu halten: Sanktionssystem Nun, da Peter Stemmer davon ausgeht, dass der Vertrag, der die Moral kontituieren soll, nur seiner Präferenzlage nach einem wirklichen Vertrag gleicht, hat er noch immer das Problem, dass unklar ist, was die Menschen denn bewegen soll, sich an einen solchen Vertrag zu halten. Da die Moral und rechtliche Konsequenzen für diese Aufgabe nicht in Frage kommen, wird sie, laut Stemmer, von gesellschaftlichen Konsequenzen übernommen. Diese treten in Form eines Sanktionssystems auf, das in zwei Fällen in Kraft tritt: Zum einen, wenn eine moralische Norm übertreten wird. Zum anderen, wenn andere Leute eine solche Übertretung nicht sanktionieren. 9 Ein solches Sanktionssystem würde dann zum Beispiel wie folgt arbeiten: Es gibt die Präferenzlage, dass sich Menschen lieber an Versprechen halten, als sich nicht auf Versprechen von anderen verlassen zu können. Es ist also allgemeine Praxis, dass sich Menschen an gegebene Verprechen halten. Hält sich die Person A aber nicht an diese Praxis und macht Versprechen, die sie nicht einhält, um kurzfristige Vorteile zu erhalten, wird A von seinen Mitmenschen sanktioniert. Man ärgert sich, teilt es A mit, redet mit anderen über diese geradezu unverschämte Unzuverlässigkeit von A und geht A schließlich aus dem Weg. Diese Sanktion trifft A ungemein, selbst wenn A kein eigenes Moralempfinden hat. A merkt, dass sie Nachteile durch ihre Handlungsweise hat und wird diese wahrscheinlich ändern. Nehmen wir den gleich Fall, betrachten aber diesmal eine andere Person (B), die Person A nicht sanktioniert. Sie gibt sich zum Beispiel weiter mit A ab, oder verteidigt die Person A sogar in 8 ebenda. S. 13f. 9 ebenda. S. 8 4

ihrer Handlungsweise. Es ist in diesem Fall nicht unwahrscheinlich, dass B auch zum Opfer solcher sozialer Sanktionen werden würde. Letzteres tun die Menschen, um das Funktonieren des Sanktionssystems sicherzustellen. Denn wenn niemand sanktionieren würde, so gäbe es keinen Grund mehr sich an die moralischen Normen zu halten. Interessant ist es, zu sehen, dass es auch für Menschen die keine Moral im Sinne eines schlechten Gewissens oder ähnliches besitzen, sinnvoll ist, sich an die Moral zu halten. Niemand möchte Sanktionen ausgesetzt sein und somit ist es eine rein pragmatische Überlegung, dass es gut ist moralische Normen zu befolgen. 5.3 Peter Stemmers moralischer Kontraktualismus Peter Stemmers moralischer Kontraktualismus sieht die Moral nicht als verpflichtend an, weil sie aus einem Vertrag entstanden ist, sondern weil sie durch eine Präferenzlage entstanden ist, die der eines Vertrages gleicht. Die Menschen halten sich an sie, nicht weil ein solcher Vertragsbruch gegen ihre moralischen Überzeugungen verstoßen würde, sondern weil ein Sanktionssystem dafür sorgt, dass es lohnender ist, sich an die Moral zu halten, als Nachteile erleiden zu müssen. 6 Sind die Probleme gelöst? Es ist leicht, zu sehen, dass die urspünglichen Probleme des Kontraktualismus gelöst sind: 6.1 Einwand: Schließung eines Vertrags Stemmer sieht den Vertrag nicht mehr als real geschlossenen an, sondern nur als ein Hilfsmittel, welches zeigt, dass die Interessenlage der Menschen bei der Moral eine ist, wie man sie auch bei Vertägen finden kann. Die Nichtexistenz eines solchen Vertrages in der Realität hat also keine Auswirkungen mehr auf Stemmers Kontraktualismus. 6.2 Einwand: Gründe, sich an einen Vertrag zu halten Stemmer sieht nicht mehr die Moral und auch kein Rechtssystem als Grund an, warum sich Menschen an die Moral halten, sondern ein Sanktionssystem, welches von den Menschen selber konstruiert wurde. Ein solches Sanktionssystem lässt sich durchaus in der Realität beobachten. Hier stößt der moralische Kontraktualismus also nicht mehr auf das Problem des unendlichen Regresses. 7 Gibt es neue Probleme? Die beiden zentralen Einwände gegen den moralischen Kontraktualismus sind zwar durch Stemmers Modifikation beseitigt. Doch hilft diese Modifikation der Theorie weiter oder ergeben sich neue Probleme? 5

7.1 Moral von Person zu Person verschieden? Sieht man nun, welche Änderungen Stemmer macht, zeigt sich, dass die Verpflichtung, sich an die Moral zu halten, nicht wirklich stark ist. So kann einerseits die Präferenzlage der einzelnen Menschen gegen die Moral verstoßen, andererseits ist es auch möglich, dass die Sanktionen für einzelne Menschen keinen hinreichenden Grund darstellen, sich an die Moral zu halten: Andere Präferenzlage Stellen wir uns zum Beispiel eine Person vor, die ihren Mitmenschen Versprechen nur gibt, um dadurch Vorteile zu erhalten, sich aber dementsprechend auch nicht auf Versprechen anderer Leute verlässt. Diese Person würde vielleicht wollen, dass alle anderen ihre Versprechen halten. Wenn sie dies aber dafür selber tun müsste, dann würde sie lieber ganz auf Versprechen verzichten. In einem solchen Fall liegt eine Präferenzlage vor, die der geltenden Moral entgegenläuft. Sanktionen kein hinreichender Grund Stellen wir uns noch zusätzlich vor, dass diese Person eine ist, die nie lange an einem Ort und mit denselben Menschen zusammen bleibt. Eine solche Person hätte auch kein Problem mit den Sanktionen, da immer noch Orte übrig bleiben, in denen die Menschen ihr Vertrauen entgegen bringen würden. Für diese Person besteht kein Grund, sich an die geltende Moral zu halten. Im Gegenteil: Man müsste sogar sagen, dass die moralische Norm sich an Versprechen zu halten, für diese Person erpresserisch sei, da eine solche Norm nicht ihren Interessen entsprechen würde. Eine Moral, die durch Stemmers Theorie konstituiert wird, kann also keinen Absolutheitsanspruch haben. Das hat folgende Konsequenzen: Es lässt sich erklären, wie es sein kann, dass in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche moralische Normen gelten. Dies lässt sich auf verschiedene Präferenzlagen der Menschen zurückführen. Man kann sich auch innerhalb einer Kultur nicht sicher sein, dass für andere Menschen die gleichen moralischen Normen gelten, wie für einen selbst. Es entsteht die Frage, ob es gerechtfertigt ist, anderen Menschen die eigene Moral aufzuzwingen, wie es durch die gesellschaftlichen Sanktionen und, da das Recht an die Moral angepasst ist, durch das Gesetz geschieht. Es kann sich natürlich rausstellen, dass diese Frage wiederum zurück auf die eigene Moral verweist. Es könnte für Menschen, die kein Problem damit haben selbst in ihrer Moral beeinflusst zu werden, also moralisch in Ordnung sein, anderen Menschen ihre eigene Moral aufzuzwingen. Diese Konseqzenzen lassen Stemmers moralischen Kontraktualismus nicht zwangsläufig scheitern. Es muss nur überlegt werden, ob diese Konsequenzen gewollt sind und ob sie zu unseren Beobachtungen über Moral passen. 6

7.2 Ist das Kontraktualismus? Eine Frage, die sich aufgrund der fundamentalen Änderungen ergibt ist die, ob Peter Stemmers Version überhaupt noch eine Form des Kontraktualismus ist. Das Wort Kontraktualismus hat den Wortstamm Kontrakt, was nichts anderes ist als das deutsche Wort Vertrag in lateinischer Sprache. 10 Es handelt sich also bei dem Kontraktualismus um eine Theorie in dessen Mittelpunkt der Vertrag steht. Dieser Vertrag ist aber in Stemmers Version nicht mehr als solcher vorhanden. Er wird nur noch genutzt, um die gegebene Präferenzlage aufzuzeigen. Peter Stemmer entscheidet sich dennoch dazu aufgrund der weitgehenden und zentralen Übereinstimmungen 11 seine Theorie als eine kontraktualistische zu bezeichnen. Diese Übereinstimmungen lassen sich am besten zeigen, wenn man die Vorteile des ursprünglichen moralischen Kontraktualismus mit Stemmers Version vergleicht: 12 1. Stemmers moralischer Kontraktualismus zeigt noch immer, dass der Kontraktualismus etwas von Menschen geschaffenes ist. Dies wird besonders deutlich in den gesellschaftlichen Sanktionen, die dazu da sind, die Moral zu erhalten. 2. Stemmers moralischer Kontraktualismus zeigt auch, dass die Moral im Sinne des Einzelnen ist. Besonders deutlich wird das, da die Präferenzlagen der Menschen nun viel deutlicher in den Mittelpunkt treten. 3. Stemmers moralischer Kontraktualismus sieht die Moral nicht mehr als bindend an, weil sie aus einem Vertrag entstanden ist, sondern weil sie den Interessen der Menschen entspricht. Dies Verpflichtung geht aber nur so weit, wie sich die Interessen der Menschen wirklich mit der Moral schneiden. 13 4. Stemmers moralischer Kontraktualismus macht es möglich, zwischen legitmier und illegitimer moralischer Ordnung zu unterscheiden. Eine legitime Ordnung ist dann gegeben, wenn die moralischen Normen den Interessen der Menschen entsprechen. 14 Auch hier ist Stemmer gezwungen, einen anderen Weg zu gehen, als der ursprüngliche moralische Kontraktualismus. Wie wir sehen, werden zwar, laut Stemmer, die Vorteile des moralischen Kontraktualismus beibehalten. Doch werden sie (besonders die letzten beiden) auf andere Art und Weise erreicht. Obwohl ich nicht bestreiten möchte, dass es große Ähnlichkeiten zwischen dem moralischen Kontraktualismus und Stemmers Theorie gibt, halte ich es für sinnvoll, einen anderen Namen zu verwenden, da der Kontrakt in Stemmers Theorie eine sehr untergeordnete, verzichtbare Rolle hat. Aufgrund gleicher Vorzüge den selben Namen zu verwenden ist, verfehlt. Die hat Auswirkungen darauf, wie Stemmers Theorie zu sehen ist: Würde man ihren Namen ändern, so kann man sie nicht als Versuch werten, den moralischen Kontraktualismus zu retten, sondern als eine neue Theorie auf der Basis des moralischen Kontraktualismus. 10 Brockhaus in Text und Bild 2006. (Daraus der Artikel: Kontrakt) 11 Stemmer, Peter: Moralischer Kontraktualismus. Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002). S. 10 12 vgl. ebenda. S. 20f. 13 siehe Moral von Person zu Person verschieden? 14 siehe Moral von Person zu Person verschieden? 7

8 Quellen Brockhaus in Text und Bild 2006. (Daraus der Artikel: Kontrakt) Microsoft Encarta Enzyklopädie 2004 (Daraus der Artikel: Vertrag) Stemmer, Peter: Moralischer Kontraktualismus. Zeitschrift für philosophische Forschung 56 (2002). S. 1-21. 8