Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG)



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Transkript:

Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG) I. Bedeutung und Funktion des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG Im Verhältnis zu den grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 5 und 8 GG fungiert die Vereinigungsfreiheit als so genannte Hilfsfreiheit. Sie erlaubt es, die gebildete Meinung (Art. 5 GG), die (gegebenenfalls) in der Gruppe nach außen getragen wird (Art. 8 GG), auch organisatorisch zu verfestigen (Art. 9 GG). Allerdings erschöpft sich die Funktion des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG nicht in dieser Hilfsfunktion, sondern schließt auch den Schutz von Vereinigungen, die ganz andere Zwecke verfolgen, etwa Handelsgesellschaften und Turnvereine, mit ein. Die Bedeutung des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG liegt also darin, als freiheitssicherndes Konstruktionsprinzip die freie soziale Gruppenbildung zu schützen. II. Schutzbereich 1. Vereinigungsbegriff Zentraler Gegenstand des Schutzbereichs ist der Terminus der Vereinigung (Art. 9 Abs. 2 GG), der als Oberbegriff für Vereine und Gesellschaften fungiert. Nach überwiegender Auffassung wird der Inhalt des grundgesetzlichen Vereinigungsbegriffs zutreffend durch 2 VereinsG beschrieben (nicht definiert!). Danach kann als Vereinigung jeder Zusammenschluss verstanden werden, zu dem sich eine Mehrheit natürlicher und juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammenschließt und einer organisierten Willensbildung unterwirft. Die Vereinigung muss demnach zunächst von mehreren Personen gebildet werden. Hierbei ist grundsätzlich die Rechtsform des Zusammenschlusses gleichgültig, sofern nur zwei Personen sich zusammenschließen (str.). An die organisierte Willensbildung als weiteres Element des Vereinigungsbegriffs werden nur geringe Anforderungen gestellt. Es ist nicht notwendig, dass die Vereinigung regelmäßige Versammlungen abhält oder Organe herausbildet. Erforderlich ist lediglich irgendein organisatorisches Band. Zudem muss gewährleistet sein, dass eine wie auch immer geartete organisierte Gesamtwillensbildung möglich ist. Drittens bedarf es eines gemeinsamen Zwecks. Dieses Kriterium ist dadurch

2 geprägt, dass jeder Zweck, den die Vereinigung verfolgt, grundsätzlich gleichrangig ist. Jedoch muss der Zweck gemeinsam verfolgt werden. D. h., dass negativ abgegrenzt ein Zusammenfinden von mehreren Personen dann nicht als Vereinigung i. S. d. Art. 9 GG verstanden werden kann, wenn sich der gemeinsame Zweck lediglich in der zwangsläufigen Notwendigkeit einer Abstimmung des Verhaltens erschöpft (z. B. bei Miteigentum oder Wohnungseigentümergemeinschaften). Eine Vereinigung ist viertens für längere Zeit tätig, wenn sie nach einer bestimmten zeitlichen Periode enden soll oder auf Dauer angelegt ist. Jedenfalls bedarf es einer zeitlichen Stabilität. Das nächste Kriterium der Freiwilligkeit grenzt die Vereinigung von Zwangsverbänden ab, die nicht von Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG geschützt werden. Schließlich bedarf es noch eines privatrechtlichen Charakters. Demnach werden auf Hoheitsakte zurückgehende, öffentlich-rechtliche Zusammenschlüsse nicht von der Gewährleistung des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG erfasst (z. B. IHK, Ärztekammer). 2. Geschützte Tätigkeit Als geschützte Tätigkeit sieht der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG das Bilden einer Vereinigung vor. Geschützt ist zunächst jedwedes Tätigwerden der Vereinsmitglieder, das sich sowohl auf die Gründungsphase (Entscheidung über Zeit, Ort, Zweck und Rechtsform der Vereinigung) oder den Fortbestand der Vereinigung (z. B. Aufnahme von Mitgliedern, Mitgliederwerbung) bezieht. Zudem werden alle laufenden Geschäfte vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG erfasst ebenso wie die Willensbildung der Vereinigung und schließlich auch ihre Auflösung. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass nur dann die Betätigung der Vereinsmitglieder geschützt ist, wenn sie einen vereinsmäßigen Bezug besitzt. Kann die entsprechende Tätigkeit auch von Einzelpersonen in gleicher Weise vorgenommen werden, ist Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG nicht einschlägig. Damit wird gewährleistet, dass Handlungen, nur weil sie durch Vereinigungen vorgenommen werden, nicht (hinsichtlich der Schrankenregelungen) privilegiert werden. Die Vereinigungsfreiheit ist schließlich auch als negative Vereinigungsfreiheit geschützt. D. h., dass nicht nur das Zusammenschließen in einer Vereinigung geschützt ist, sondern zudem das Sich-Nicht-Vereinigen mit anderen Personen. Schutz vor Zwangsmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Vereinigungen wird jedoch von Art. 9 GG nicht gewährt (str.).

3 3. Träger des Grundrechts Die Vereinigungsfreiheit ist als Deutschen-Grundrecht ausgestaltet, wobei sich der Begriff des Deutschen an Art. 116 GG orientiert. EU-Ausländer können entweder nach einer Ansicht direkt auf Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG zurückgreifen oder genießen nach anderer Auffassung einen Schutz durch Art. 2 Abs. 1 GG mit den Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG. Alle übrigen Ausländer besitzen ein Recht zur Vereinigungsfreiheit lediglich nach Art. 2 Abs. 1 GG. Umstritten ist ebenfalls die Frage, ob in Art. 9 Abs.1 u. 2 GG ein Kollektivgrundrecht ruht, das die Vereinigung als solche schützt. Rechtsprechung und Teile der Lehre nehmen dies an, um Schutzdefizite zu vermeiden. Geschützt ist nach dieser Auffassung jedenfalls die Existenzsicherung und auch die Funktionsfähigkeit der Vereinigung. Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG setzt des Weiteren keine Grundrechtsmündigkeit voraus und kann daher auch von Minderjährigen in Anspruch genommen werden. Juristische Personen genießen die Vorzüge des Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG im Rahmen der Anforderungen des Art. 19 Abs. 3 GG. III. Eingriffe 1. Beeinträchtigungen Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit sind sowohl als klassische Eingriffe als auch in sonstiger Form vorstellbar. So beschreibt das Verbot einer Vereinigung oder die Untersagung eines Vereinigungsbeitritts klassische Eingriffe, während staatliche Überwachungen oder Warnungen vor einzelnen Vereinigungen als sonstige Eingriffe zu qualifizieren sind. 2. Ausgestaltungen Keine Eingriffe sind demgegenüber in der Regel gesetzliche Ausgestaltungen und Bereitstellungen von Vereinigungstypen, da diese eine Erweiterung der Handlungsoptionen von Vereinigungen liefern. Allerdings muss der Gesetzgeber bei der Normierung darauf achten, einen Ausgleich zwischen der freien Assoziation und Selbstbestimmung der Vereinigung einerseits und der Notwendigkeit eines geordneten Zusammenlebens und schutzbedürftiger sonstiger Belange andererseits herzustellen. Bei Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) darf dabei die gesetzliche Ausgestaltung besonders detailliert und umfangreich

4 ausfallen, weil bei diesen Vereinigungen das personale Element deutlich zurücktritt und deshalb die Mitgliedschaft in der Regel nicht Bestandteil der Lebensgestaltung des Einzelnen ist. Somit wird Art. 9 Abs. 1 GG nur an der Peripherie tangiert (str.). IV. Rechtfertigung Obschon der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 GG anderes vermuten lässt, enthält die Vorschrift für bestimmte Vereinigungstypen keinen Schutzbereichsausschluss, sondern einen Einschränkungsvorbehalt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine Vereinigung, welche die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllt, nicht automatisch kraft Verfassungsrechts verboten, sondern erst nach der konstitutiven Entscheidung einer staatlichen Stelle. Voraussetzung eines Vereinsverbots ist, dass entweder (1) Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung den allgemeinen Strafgesetzen, die sich also nicht speziell gegen Vereinigungen richten, zuwiderlaufen oder (2) die Vereinigung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, die in Anlehnung an Art. 20 Abs. 3 GG zu verstehen ist (str.), oder (3) gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Dabei setzt ein Sich- Richten ein aktives, aggressiv-kämpferisches Verhalten voraus, wobei dem Unterfangen keine (potentielle) Erfolgschance nachgewiesen werden muss. Bloße Kritik reicht nicht aus, um sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung zu richten. Grundsätzlich muss die Vereinigung selbst die Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 GG erfüllen, um verboten zu werden. Das Verhalten von einzelnen Mitgliedern ist ihr nur zuzurechnen, wenn die Vereinigung dieses Verhalten billigt oder veranlasst hat. Ausnahmsweise muss sie auch dann für ein Mitgliederverhalten einstehen, wenn die agierenden Mitglieder vorgeben, im Namen der Vereinigung tätig zu sein, und die Vereinigung trotz Kenntnis der Sachlage diesem Gebaren nicht widerspricht. Schließlich muss ein Verbot einer Vereinigung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit beurteilt werden (str.).

5 Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erlaubt es, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG auch mildere Maßnahmen zu ergreifen. Mildere Maßnahmen können zudem auf kollidierendes Verfassungsrecht gestützt werden. Letzteres vermag jedoch kein Vereinigungsverbot zu rechtfertigen. Art. 9 Abs. 2 GG ist insofern abschließend. V. Konkurrenzen Die Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG bzw. des Art. 21 GG sind spezieller, wenn die Vereinigungsfreiheit von Religionsgemeinschaften oder Parteien in Frage steht. Literaturempfehlung: * Günther/Franz, Grundfälle zu Art. 9 GG, JuS 2006, S. 788 ff. Kunig, Vereinsverbot, Parteiverbot, Jura 1995, S. 384 ff. Murswiek, Grundfälle zur Vereinigungsfreiheit Art 9 I, II GG, JuS 1992, S. 116 ff. von Mutius, Die Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 1 GG, Jura 1984, S. 193 ff. Nolte/Planker, Vereinigungsfreiheit und Vereinsbetätigung, Jura 1993, S. 635 ff. * Die Literaturauswahl ersetzt nicht das Lesen eines Lehrbuchs.