Bildung und Sport PI-Symposium Spuren hinterlassen..., 27. & 28.10.2015 Schriftliche Workshopdokumentation Workshop Nr.: 27 Thema: Diagnose- und Fördermodelle für einen langfristigen Kompetenzaufbau am Beispiel von Argumentieren, Modellieren und Problemlösen Referierende: Frau Prof. Dr. Regina Bruder Diese Dokumentation ist im Rahmen eines Kooperationsprojekts des Pädagogischen Instituts mit der KSFH München und der LMU München entstanden. Die nachfolgenden Aufzeichnungen geben den Eindruck der AutorInnen wieder und sind nicht mit den Referierenden der Workshops abgestimmt. AutorInnen: Friedericke Minuth& Florian Augustin
1. Wissenschaftlicher Hintergrund zum Workshop Frau Prof. Dr. Regina Bruder von der TU Darmstadt begleitet das noch laufende Projekt LEMAMOP (Lerngelegenheiten für mathematisches Argumentieren, Modellieren und Problemlösen). Dessen grundlegende Idee ist die Förderung des schrittweisen Erwerbs von intelligentem Wissen für einen langfristigen, nachhaltigen Aufbau der zentralen Kompetenzen mathematisches Argumentieren, Modellieren und Problemlösen. Dabei soll ein solides mathematischen Grundwissens aufgebaut werden (vgl. Bruder et al. 2014). Auch das Projekt MABIKOM (mathematische binnendifferenzierende Kompetenzentwicklung), das 2008 vom Land Niedersachsen initiiert wurde, begleitete sie wissenschaftlich. Die in diesem Projekt angesprochene Differenzierung ist nötig, da Schüler_innen auf sehr verschiedene Arten lernen, wie beispielsweise die Metaanalyse von Gayle H. Gregory, die verschiedene Lerntypen beschreibt, untermauert (vgl. Gregory 2005). 2. Wesentliche Thesen und Ergebnisse des Workshops Schulabsolvent_innen haben oft großen Mangel an mathematischen Fähigkeiten. Ein Lösungsmodell dazu bietet LEMAMOP: Der Beginn des Workshops behandelte Probleme im Bereich der Kompetenzen von Schüler_innen, die vor allem im mathematischen Bereich liegen. Viele Universitäten bemängeln fehlende mathematische Grundfähigkeiten ihrer Studienbeginner_innen, wie z.b. die Fläche eines Rechtecks auszurechnen, wenn Länge und Breite gegeben sind. Auch die Abbruchrate der Studierenden in den MINT- Studienfächern ist sehr hoch. Im April 2010 initiierte die IHK Braunschweig sogar das Projekt Notstand in Mathematik. Ursache für diesen Notstand sind nicht, wie oftmals beklagt wird, die Taschenrechner, sondern andere Phänomene, wie fehlende Vernetzung innerhalb des Faches und zwischen den Fächern. Schüler_innen versuchen Aufgaben nur mit dem neuen Stoff zu lösen, den sie gerade gelernt haben, und denken dabei nicht mit gesundem Menschenverstand nach, ob es auch einen besseren und einfacheren Lösungsweg gibt. Dieses Phänomen wird dadurch begünstigt, dass häufig nur für den Leistungsnachweis gelehrt und gelernt wird und nicht, um Kompetenzen aufzubauen. Zudem werden oft Differenzen zwischen den einzelnen Schüler_innen zu wenig berücksichtigt. Lösungsansätze für diese Problematik bietet LEMAMOP. Das Projekt beinhaltet explizite Trainings zu Argumentieren, Modellieren und Problemlösen mit jeweils vier Stunden pro Klassenstufe. In drei Stunden wird binnendifferenziert in das Thema eingeführt und trainiert. In der vierten Stunde reflektieren die Schüler_innen durch das Anfertigen eines Lernprotokolls und einen Kompetenzcheck. Dabei bauen die Stunden vertikal aufeinander auf und bisherige Inhalte werden reflektiert oder auf neue Inhalte transferiert. Diese Lernspirale wird in den nachfolgenden Klassenstufen weitergeführt. Der Einstieg ist jederzeit möglich. Dabei gibt es verschiedene Zielkategorien: Intelligentes Wissen Handlungskompetenz Metakompetenz/ Einstellung Problemlösen Heurismen Heurismen erkennen und selbst anwenden Argumentieren Mathematische Argumente, Schlussweisungen Modellieren Mathematisierungsmuster, Weltwissen Argumente unterscheiden und zusammenfügen, Schlüsse erkennen und korrigieren Passung herstellen und Ergebnisse interpretieren, Modelle beurteilen Phasenmodell, strukturiertes Vorgehen, Anstrengungsbereitschaft Begründungstypen, kritische Haltung Modellierungsphasen, verschiedene Perspektiven und Konsequenzen 2
Es gibt unterschiedliche Lernstile, die im Unterricht berücksichtigt werden müssen: Da Schüler_innen unterschiedlich lernen, hat ein und derselbe Unterricht auf Jede_n eine andere Wirkung. Die Metaanalyse von G. Gregory beschreibt diese Heterogenität durch die Einteilung in vier verschiedenen Lerntypen. Im Folgenden werden die vier Lerntypen vorgestellt. Die Beach Balls sind experimentier- und entdeckungsfreudig. Sie arbeiten am besten praktisch, selbstbestimmt und in Konkurrenzsituationen. Ihrer kreativen und intuitiven Art fällt es schwer, sich zu entscheiden und monotone Aufgaben zu verrichten. Auch haben sie Probleme mit Zeit- und Prozessmanagement und Durchhaltevermögen. Brainstorming, Problemlösen und Experimentieren sind deshalb Beispiele für Unterrichtsstrategien, bei denen sich die Beach Balls entfalten können. Die Puppies sind affektive und sensible Schüler_innen, die gerne in Gruppen arbeiten und dies am besten in konkurrenzloser Atmosphäre tun. Daher ist kooperatives Lernen in Gruppen genau das richtige für sie. Detailorientiert und gründlich zu sein, stellt für sie eine große Herausforderung dar. Auch korrigiert zu werden oder negative Rückmeldung zu bekommen fällt den Puppies schwer. Quasi das Gegenstück dazu sind die Microscopes. Sie arbeiten am besten allein durch einen Vortrag oder selbstständiges Arbeiten. Kritisches Denken und Gründlichkeit gehört zu ihren Vorzügen. Jedoch müssen sie lernen von Perfektion abzulassen und neue Dinge auszuprobieren. Zuletzt werden die Clipboards genannt, die einen Sinn für Details und Genauigkeit haben. Dies hindert sie daran, das große Ganze zu sehen. Mit offenen Aufgaben können sie nicht viel anfangen, da sie Struktur und Details bei Anweisungen benötigen, wie bei konkreten Beispielen. In einer ruhigen Lernumgebung entfalten sie sich am besten. Diese Einteilung ist unabhängig von der Intelligenz der Schüler_innen. Sie soll auch nicht als diagnostisches Instrument dienen, da sich Schüler_innen kaum genau einem Lernstil zuordnen lassen können. Die Idee ist, durch Variation der Aufgaben und Darstellungen alle verschiedenen Lerntypen anzusprechen. Durch diese verschiedenen Zugänge zum Unterrichtsgegenstand lernen Schüler_innen auch mit Methoden umzugehen, die nicht ihrem Lerntyp entsprechen. Lehrkrafthandlungen können nachhaltiges Lernen bewirken. Dabei sollte intelligentes Wissen in einem Wissensspeicher dokumentiert werden: Zu einem langfristigen Kompetenzaufbau gehört ein mathematischer Blick auf die Umwelt. Ein gutes Beispiel dazu sind Schilder im Supermarkt. Schüler_innen überprüfen diese Angebote mit einem kritischen Blick und fragen sich, ob der Preis stimmen kann. Ein weiterer Teil des langfristigen Kompetenzaufbaus ist es, den Mehrwert von Mathematik zu verstehen. Dies wird beispielsweise erreicht, indem Schüler reflektieren, was sie aufgrund von Mathematik besser oder genauer verstehen und wo sie ihnen im Alltag hilft. Nachhaltig lernen in Mathematik bedeutet, an bisheriges Wissen und Können anzuknüpfen, verschiedene Erkenntnisebenen zu durchlaufen sowie Methoden und Argumentationen zu liefern, die mathematischer Natur sind. Ein Wissensspeicher für intelligentes Wissen dokumentiert dabei Grundwissen und Grundkönnen. Dies können von Schüler_innen selbst gestaltete Ordner sein, die Definitionen, Regelsätze und auch Strategien enthalten, quasi eine Vorstufe zur Formelsammlung. Wichtig ist der Einbezug der Schüler_innen beim Auswählen von Inhalten für diesen Speicher. So übernehmen sie Verantwortung über das eigene Lernen und erkennen den roten Faden. In Form einer Mindmap lassen sich Verknüpfungen und Strukturen gut erkennen. Regelmäßige Kopfübungen als wöchentliches Ritual dienen ebenfalls dem intelligenten Wissensaufbau, da sie Grundvorstellungen und Grundverständnisse wach halten. Dabei werden ca. einmal die Woche für zehn Minuten zu Beginn der Stunde im Kopf lösbare Basisaufgaben präsentiert, welche die Schüler_innen ohne Taschenrechner zu lösen haben. Die Lösungen dieser maximal zehn Aufgaben notieren sich die Schüler_innen. Indem über einen bestimmten Zeitraum 3
dasselbe Themengebiet in einer Frage abgefragt wird, erkennen die Schüler_innen ihre eigene Stärken und Schwächen und können sich in den Themengebieten, in denen Förderbedarfe bestehen, Nachholmaterial von der Lehrkraft holen. Dieses Material ist beispielsweise auf www.bettermarks.de oder auf Matheflyer zu finden. Die Blütenaufgabe ist ein gutes Beispiel für Binnendifferenzierung bei MABIKOM: Das Unterrichtskonzept von MABIKOM enthält ein Lernprotokoll als Hilfsmittel für die Kompetenzdiagnose, das das Verständnis durch eine Reflexion über das Thema fördert und eine Checkliste, in der Schüler_innen selbst ihre eigenen Basiskompetenzen einschätzen können. Das Lernprotokoll bietet eine Lerngelegenheit zur Feststellung des aktuellen Verstehensniveaus nach den ersten Stunden zur neuen Unterrichtseinheit. Mit spezifischen Aufgabestellungen wird das Grundverständnis überprüft und gleichzeitig gefördert. Dazu beantworten die Schüler_innen schriftlich in Einzelarbeit die sogenannten Reflexionsfragen zum neuen Thema. Dies geschieht ohne Benotung. Ein typisches Lernprotokoll beinhaltet das Erläutern des Einstiegsbeispiels, das Lösen einer Grundaufgabe und ihrer Umkehrung, das Herstellen von Sinn- und Sachbezug, sowie die Benennung typischer Fehler. MABIKOM beschäftigt sich auch mit der Binnendifferenzierung. Diese ist nötig, da Schüler_innen unterschiedliche Arbeitstempi, Festigungsbedarfe und kognitive Leistungsvermögen vorweisen. Dieser Heterogenität kann mit verschiedenen Aufgabentypen begegnet werden. Eine davon ist die sogenannte Blütenaufgabe. Diese besteht aus drei bis fünf Teilaufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad in einem gemeinsamen Kontext. Dies erleichtert eine konzentrierte Bearbeitung und die Besprechung der Teilaufgaben. Das Niveau der ersten Teilaufgabe sollte so gewählt sein, dass sie Jede/r lösen kann. Die letzte Teilaufgabe sollte hingegen so schwer sein, dass auch die besten Schüler_innen herausgefordert sind und ihre Potentiale voll ausschöpfen können. Dabei ist vorher mit den Schüler_innen zu klären, dass nicht alle Aufgaben bearbeitet werden müssen. Die schwierigsten Aufgaben, die nicht alle lösen können, sondern nur für die Förderung der Leistungsspitze gestellt werden, dürfen auch kein Schulaufgabenstoff sein. Wenn dies klargestellt ist, fühlen sich Leistungsschwächere nicht unter Druck. Eine passende Metapher lässt sich aus dem Sportunterricht hinzuziehen: "Die Sandgrube für den Weitsprung in Leitathletik ist so lang, dass auch noch der beste Springer darin landet. Warum sollte es bei Mathematikaufgaben anders sein?" 3. Erlebte Wirksamkeitsfaktoren im Workshop Neben der Präsentation des Inputs regte die Referentin zur Selbsteinschätzung an. Dies wurde beispielsweise dahingehend gemacht, ob und wie die Inhalte des Workshops konkret umzusetzen seien. Zur Verinnerlichung des Inputs gab es einen Austausch in Kleingruppen. Dabei überlegten sich die Teilnehmenden typische Antworten eines Lerntyps auf die Frage Wird man durch Rennen im Regen weniger nass?. Die Ergebnisse wurden teilweise schauspielerisch in der Art des jeweiligen Lerntyps vorgetragen. In der letzten Phase des Workshops standen verschiedenste Materialien von LEMAMOP bereit, damit sich die Teilnehmenden ein eigenes Bild davon machen konnten. Einige Thesen regten auch zum kritischen Nachdenken an, wie die, dass der Kompetenzbegriff der Bewertungskultur, die an den bayerischen Gymnasien herrscht, entgegensteht. 4. Offene Fragen Da der Workshop zeitlich begrenzt war, wurden einige Themen nur kurz angerissen. Offen blieben die Fragen, inwiefern die vorgestellten Modelle auch auf andere Fächer übertragen werden können, was von dem neu Gehörten mit den eigenen Klassen umgesetzt werden möchte und welche theoretischen Inhalte weiter verfolgt werden. 4
5. Weiterführende Literatur Behling, B. & Bruder, R. (2014): Binnendifferenziertes Aufgabenmaterial für den Mathematikunterricht der Sek I. Braunschweig: Schroedel Bruder, R.; Krüger, U.-H.; Bergmann, L. (2014): LEMAMOP - ein Kompetenzentwicklungsmodell für Argumentieren, Modellieren und Problemlösen wird umgesetzt. In: Beiträge zum Mathematikunterricht. Band 1. Münster: WTM, S.261-264. Gregory, G.H. (2005): Differentiating Instruction With Style. Aligning Teacher and Learner Intelligences for Maximum Achievement, Thousand Oaks: Corwin Press. Wehrse, T. (2014): Schulversuch MABIKOM. In: Der Mathematikunterricht. Band 60,3, Seelze: Friedrich, S.447-976. Wehrse, T. (2014): Das Übungskonzept von MABIKOM. Gefälligkeitsübersetzung: The exercise concept of MABIKOM. In: Der Mathematikunterricht, Band 60, 3. Seelze: Friedrich, S. 36-45. 5