Den Lebenslauf verstehen wir mit Niklas Luhmann als allgemeinstes Medium des Erziehungssystems, mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen; als eine Beschreibung, die während des Lebens angefertigt und bei Bedarf revidiert wird - und die die vergangenheitsabhängige, aber noch unbestimmte Zukunft einschließt; als eine Integrationsleistung von Nichtselbstverständlichkeiten
Lebenslauf I Niklas Luhmann fasst den Lebenslauf als eine rhetorische Leistung auf, als eine Erzählung, dessen Komponenten aus Wendepunkten bestehen, an denen etwas geschehen ist, was nicht hätte geschehen müssen.
Die Geburt wird von Niklas Luhmann bereits als ein extrem unwahrscheinlicher Zufall verstanden: Das Muster wiederholt sich von Ereignis zu Ereignis immer gewinnt etwas Bestimmtes Form. Man erhält einen Namen, lernt seine Eltern kennen (oder auch nicht), lässt sich durch dieses oder jenes beeindrucken, arbeitet sich spielend in die Welt hinein, beginnt eine Karriere mit der Erfahrung von Erfolgen und Misserfolgen und schiebt mit all dem eine noch nicht bestimmte Zukunft vor sich her.
Lebenslauf und Gedächtnis Ob aufgeschrieben oder nicht, man vergisst und erinnert, füllt und entleert ein Gedächtnis, um Kapazitäten für neue Operationen und vor allem für Unvorhersagbares zu gewinnen. Gedächtnis als selektives Erinnern und Vergessen
Lebenslauf II Vor allem die Vergangenheit ist nicht ein für allemal gegeben. Vielmehr führt der Lebenslauf mit neuen Lagen immer auch zu einer Neubeschreibung der Vergangenheit: Nach der Scheidung findet man sich wieder als jemand, der das erreicht hatte, was er gewünscht hatte, und dann einsehen musste, dass es nicht so gut war, wie er gedacht hatte.
Lebenslauf III Der aus Wendepunkten bestehende Lebenslauf ist einerseits ein Medium im Sinne eines Kombinationsprogramms von Möglichkeiten und andererseits eine von Moment zu Moment fortschreitende Festlegung von Formen, die den Lebenslauf vom jeweiligen Stand aus reproduzieren, indem sie ihm weitere Möglichkeiten eröffnen oder verschließen.
Lebenslauf IV Der Lebenslauf ist eine Form für die unaufhebbare Kontingenz der Geschehnisse des Lebens. Wie kann das allgemeinste Medium der Personwahrnehmung, der Lebenslauf, so zugeschnitten werden, dass es Erziehung als Medium der Bildung spezifischer Formen dienen kann?
Erziehung Erziehung ist eine Zumutung und Bildung ein Angebot: Das auch die eigenen Kinder dynamische, sich selbst organisierende Systeme sind, die über sich selbst disponieren, führt zu Überraschungen Überraschungen, die sich je individuell ausprägen in Richtungen der Erwartungsbestätigung oder enttäuschung, immer bezogen auf die Absichten, die dem Willen zum formgebenden, formprägenden Einfluss zugrunde liegen.
Pädagogisches Wissen I Konsequenzen: Mit der Übernahme der Unterscheidung Medium/Form in die Theorie des Erziehungssystems könnte das Erziehungssystem dann nicht mehr teleologisch und auch nicht mehr adaptionistisch begriffen werden. Statt dessen findet es sich der eigenen Autonomie ausgesetzt und damit auf Selbstorganisation, Selbstbeschreibung verwiesen
Pädagogisches Wissen II Ferner ergeben sich Konsequenzen für das, was man an pädagogischem Wissen erwarten kann: Es fehlen die Voraussetzungen für eine quasi technologische Wissensanwendung allein schon deshalb, weil das Interaktionssystem, das die Erziehung durchführt, gar nicht die Zeit lässt, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Anwendung von Wissen gegeben sind oder nicht.
Pädagogisches Wissen III Das ist kein abschätziger Kommentar, sondern nur ein erneuter Hinweis darauf, dass der Erziehung ein anderes Medium zugrunde liegt als der Wissenschaft und dass die festen Koppelungen, die sie anstrebt, nicht in technisch anwendbarem Wissen liegen, sondern in den Formen der Lebensläufe, an denen sie mitwirkt.
Entwickeln Sie eine biografische Verlaufskurve unter Einbeziehung einer Zukunftsperspektive W O H L B E F I N D E N 100% 60% 40% 20% 5 10 15 20 25 30 35 Zeit/Alter