Absetzen oder nicht? Medikation bei geriatrischen Patienten und Patientinnen und bei Demenz

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Transkript:

Absetzen oder nicht? Medikation bei geriatrischen Patienten und Patientinnen und bei Demenz K. Hager Workshop bei der Veranstaltung Polymedikation - Die Kunst des Weglassens ; Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V. (LVG & AfS Nds. e. V.) Hannover, 17.09.2016 15.12.15

Das Absetzen von Medikamenten ist mindestens so wichtig wie korrekte Verordnung. (Füsgen, von Renteln-Kruse, Lehrbuch Geriatrie) Polypharmazie 5 Medikamente In vielen Studien erhalten alte, multimorbide Patienten ca. 6-8 verschiedene Medikamente Pflegeheimbewohner: Polypharmazie bei 69,7% (Querschnittsstudie Hoffmann F,, Schmiemann G: Renal insufficiency and medication in nursing home residents a cross-sectional study (IMREN). Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 92 8.)

26.09.2016

Polypharmazie ( 5 Medikamente) Fördern einer mangelhaften Therapietreue (Adhärenz) Kumulation des Risikos unerwünschter Arzneimittelwirkungen erhöhtes Risiko einer Hospitalisierung fehlerhafte Medikation unüberschaubare Interaktionen erhöhte Kosten Tab. aus: Burkhardt und Wehling, Hess. Ärzteblatt, 11/2010, 683-693

Gibt es auch eine Unterversorgung mit Medikamenten im Alter? Beispiel: Unterschätzen des Schmerzes Schmerzempfindung im Alter +/-, Schmerzinterpretation kann aber abweichen ( Im Krieg viel erlebt..., hohes Alter, da muss man Schmerzen haben ) Über 80-Jährige bekommen um ein Drittel weniger Opiate als Jüngere z.b. (Bernabei et al., JAMA 1998) Bedarfsmedikation angeordnet, alter Pat. wagt nicht, sie zu verlangen Beispiel: Demenzpatienten Pat. mit MMSE unter ca. 15 Punkten kaum mehr in der Lage, Schmerzen konkret anzugeben äußern ihre Schmerzen/Ängste usw. nicht mehr konkret, auf nonverbale Zeichen achten, ggf. Schmerzskalen einsetzen Nicht-demente Patienten erhalten beispielsweise nach einer Schenkelhalsfraktur mehr Schmerzmittel als demente Patienten (Morrison und Siu, Pain Symptom Management 2000, 19:240-8).

Anzahl der Medikamente im Zentrum für Medizin im Alter

Zeitraum der Rekrutierung der Patienten: 06.10.2014-01.12.2014

Medikation zum Zeitpunkt T2 mit Hilfe der Hausärzte durch Faxe erhoben insgesamt 98 Medikamentenpläne erhalten

Anzahl der verschiedenen Medikamentenwirkstoffe zu den Zeitpunkten T0, T1 und T2 (n=98) T0 T1: n.s.; T1 T2: n.s.; T0 T2: sign. Zeitpunkt: T0 T1 T2 Anzahl: 6,58 ±3,45 6,96 ±3,49 7,22 ±3,68 Minimum 0 0 0 Maximum 14 20 20

Polypharmazie und Anteil PRISCUS-Medikamente

Veränderungen der Wirkstoffanzahl

ENTLASSUNGSMEDIKATION UND HAUSARZTURTEIL

Priscus, Forta und andere

Potentiell inadäquate Medikation (PIM, PIP) für ältere Menschen (ausgewählte Untersuchungen) Untersuchung Beers, 1991 (USA) Beers, 1997 (USA) Zhan, 2001 (USA) Beers, 2003 (USA) HEDIS, 2006 (USA) Priscus-Liste, 2010 (Dt) Beers, 2012 (USA) Forta-Liste, 2012 (Dt.) und viele andere, z.b. Stopp/Start-Kriterien (Gallagher et al, Int J Clin Pharmacol Ther 2008)

Leitlinie Multimedikation http://www.pmvforschungsgruppe.de/pdf/03_publikationen/multimedikation_ll.pdf 26.09.2016

Beers-Liste 2012

Potentiell inadäquate Medikation für ältere Menschen die Pricus- Liste Dtsch Ärztebl Int 107 (2010) 543-551 PIM: Potentiell inadäquate Medikation internationale PIM-Listen, Literaturrecherche, PIM- Liste für Dt., Expertenbefragung

Die Delphi-Methode Holt, Stefanie; Schmiedl, Sven; Thürmann, Petra A. Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen: Die PRISCUS-Liste Dtsch Arztebl Int 2010; 107(31-32): 543-51; DOI: 10.3238/arztebl.2010.0543

Pricus-Liste für den Schreibtisch (http://www.aokgesundheitspartner.de/imp eria/md/gpp/bund/arztund praxis/prodialog/2012/prisc usliste_gpp.pdf)

Forta-Liste 2012 http://www.umm.uni-heidelberg.de/ag/forta/forta_liste_deutsch.pdf

Forta-Liste 2012

Forta-Liste 2012 Arterielle Hypertonie

Forta-Liste 2012 Demenz 26.09.2016 Titel der Präsentation (eingeben unter Ansicht / Master / Folienmaster) Seite 24

Häufigkeit von PIM

Priscus-Medikamente und Alter http://www.aok-gesundheitspartner.de/imperia/md/gpp/bund/arzneimittel/bewertung/wido_pm_priscus.pdf

Analyse der von der Krankenhausapotheke gelieferten Medikamenten vom 01.01.2013 bis 31.12.2013 Hager et al., Poster beim Gerontologie und Geriatrie Kongress 2014, Halle (Saale), 24.-27.09.2014.

Analyse der von der Krankenhausapotheke gelieferten Medikamenten vom 01.01.2013 bis 31.12.2013 Hager et al., Poster beim Gerontologie und Geriatrie Kongress 2014, Halle (Saale), 24.-27.09.2014.

Welche PIM wurden bestellt? Acetyldigoxin Amitriptylin Baclofen Bromazepam Clemastin Clomipramin Clonidin Clozapin Diazepam Digoxin Dimenhydrinat Dimetinden Doxazosin Etoricoxib Flunitrazepam Fluoxetin Novodigal Amineurin Lioresal Bromazanil Tavegil Anafranil Clonidin, Catapresan Leponex Lanicor Arlevert, Vomex Fenistil Doxazosin, Doxacor Arcoxia Flunitrazepam, Rohypnol Fluctin Haloperidol* (> 2 mg) Haldol, Haloperidol Indometacin Indo..., Indometacin Lorazepam (> 2 mg/d) Tavor Maprotilin Maprotilin, Ludiomil Metildigoxin Lanitop Naftidrofuryl Dusodril Nitrazepam Imeson, Mogadan Nitrofurantoin Nitrofurantoin Pentoxifyllin Trental Sotalol Sotalex. Thioridazin Melleril Tolterodin (nicht retardiert) Detrusitol, Tolterodin Trimipramin Stangyl Zolpidem (> 5 mg/d) Stilnox Zopiclon (> 3,75 mg/d)

Welche PIM wurden nicht bestellt? Acemetacin* Alprazolam Brotizolam (> 0,125 mg/d) Chinidin Chloralhydrat Chlordiazepoxid Chlorphenamin Clobazam Dickflüssiges Paraffin Dihydroergocryptin Dihydroergotoxin Dikaliumclorazepat Diphenhydramin Doxepin Doxylamin Ergotamin Flecainid Fluphenazin Flurazepam Hydroxyzin Imipramin Ketoprofen* Levomepromazin Lormetazepam (> 0,5 mg/d) Medazepam* Meloxicam* Cordichin z.b. Betadorm, Vivinox Doxepin, Aponal z.b. Wick MediNait, Hoggar Ergo Kranit Tambocor Lyogen, Fluphenazin Flurazepam, Staurodorm, Dalmadorm Atarax Tofranil Gabrilen Levomepromazin Noctamid Methyldopa Nicergolin Nifedipin (nichtretardiert) Olanzapin (> 10 mg) Oxazepam (> 60 mg/d) Oxybutynin Paraffin Perphenazin Pethidin Phenobarbital* Phenylbutazon Piracetam Piroxicam Prasugrel Prazepam Prazosin Reserpin Solifenacin Temazepam Terazosin Tetrazepam Ticlopidin Tranylcypromin Triazolam Triprolidin Zaleplon (> 5 mg/d) Presinol Nicergolin Adalat Kps Decentan Ambene Nootrop, Normabrain Pirobeta Efient Demetrin Vesicur Planum, Remestan Tera, Heitrin, Flotrin Jatrosom Rhinopront Sonata

Häufigste Priscus- Medikamente http://www.aokgesundheitspartner.de/imperia/md/gpp/bund /arzneimittel/bewertung/wido_pm_priscus.p df

Zusammenfassung PIM Priscus und Forta spiegeln methodenbedingt nicht alle PIM wider. Die Listen sind eine Hilfe bei der Medikation im Alter, aber keine Bibel. Was es bringt sich sehr genau daran zu halten, ist unklar. in der Klinik werden PIM eher reduziert. Häufigkeit der Anwendung unterdurchschnittlich.

Antidementiva Cholinesterasehemmer (ChEI) (Memantine)

Antidementiva in PIM-Listen Forta-Liste - Demenz Priscus-Liste Therapiealternativen bei Antidementiva

Hinweise aus dem Alltag zum Absetzen von Antidementiva Bohlken et al., 2015 GP: General Physician; SP: Specialist Physician

Wirkung der ChEI zeitlich nicht begrenzt Hager et al., 2014, Neuropsychiatric Disease and Treatment, 2014:10 391 401

Meta-Analyse zum Absetzen von ChEI bei Alzheimer- Patienten (O Regan et al., J Clin Psychiatry, 76/11 (2015) e1424-e1431) 26.09.2016

Meta-Analyse zum Absetzen von ChEI bei Alzheimer- Patienten (O Regan et al., J Clin Psychiatry, 76/11 (2015) e1424-e1431) 26.09.2016

Kontrolliertes Absetzen von Donepezil Howard et al. 2012, NEJM 366; 893-903

Donepezil nach Jahren absetzen oder nicht? Howard et al. 2012, NEJM 366; 893-903

S3-Leitlinie Demenzen 2016 zum Absetzen von Cholinesterasehemmer? z.b. http://www.dgn.org/images/red_leitlinien/ll_2015/pdfs_download/demenz/rev_s3-leiltlinie-demenzen.pdf 26.09.2016

Frau, geb. 1936, 75 Jahre geduldiger Ehemann seit mehreren Jahren in der Gedächtnissprechstunde bekannt kam bereits mit sehr schlechter Testung weitere Erkrankungen: Diabetes mellitus arterieller Hypertonus substituierte Hypothyreose Pollakisurie bei verengter Harnröhre

Frau, geb. 1936, 75 Jahre geduldiger Ehemann äußerlich wenig beeinträchtigt, bei kurzem, floskelhaften Wortwechsel kaum auffällig, wirkt freundlich, leicht leitbar Pflegestufe I, Pflegedienst kommt 1x/Tag geht jeden Tag mit ihrem Mann 2 ½ Stunden spazieren, fährt mit ihrem Mann öfter in Urlaub (Ostsee) Ehemann muss alles machen, z.b. Begleitung zur Toilette in der Wohnung, die sie nicht mehr findet Ehemann sehr geduldig, zuletzt aber doch etwas angestrengt

Frau, geb. 1936, 75 Jahre geduldiger Ehemann Test Datum 24.02. 09 25.06. 09 01.03. 10 04.08. 10 02.05. 12 Referenzbereich MWT-B (praemorbider IQ) n.m. n.m. --- --- --- 91-109 KAI (Informationsverarbeitung, IQ) 102 86 --- 80 --- 91-109 Uhrzeichentest (Score) n.m. --- --- --- --- Score 1 Zahlensymboltest (geteilte Aufmerksamkeit,... Zeichen) n.m. --- --- --- --- von möglichen 67 Zeichen Zahlenverbindungstest (IQ, ab 60 J. gilt 2 min. als Bearbeitungszeit) 5 min 3 min n.m. n.m. --- altersabhängig Benton-Test (räumlich-konstruktiv, richtige Wiedergaben) n.m. --- --- --- --- 10 von 10 Syndrom-Kurztest SKT (Kurzzeitgedächtnis, Fehlerpunkte) 25 25 --- --- --- 4-6 Fehlerpunkte SPM (logisch analytisches Denken, richtige Lösungen) n.m. --- --- --- --- 12 Aufgaben ( Standard C ) MMSE (Punkte) 14 14 15 12 7 24-30 Punkte DemTect (Punkte) n.m. n.m. --- --- --- 13-18 Punkte D 2 (Aufmerksamkeit/Belastung) --- --- --- --- --- Prozentrang, altersabhän. Word fluency Test (Worte) 1 --- --- --- --- Norm 42 Wörter Basisaktivitäten, ADL (Toilette, Hygiene, Ankleiden, Essen, Beweglichkeit) Instrumentelle ADL (Telefon, schreiben, Amtsgesch., Geld, Einkauf, Hobbies) 90 --- --- --- --- --- --- --- --- --- 0-24 Punkte, höchste P. = viel Hilfe 0-30 Punkte, höchste P. = viel Hilfe

Frau, geb. 1936, 75 Jahre 02.05.2012, MMST 7 Punkte 04.08.2010, MMST 12 Punkte

Frau, geb. 1936, 75 Jahre geduldiger Ehemann Uhrzeichentest vom 04.08.2010

Frau, geb. 1936, 75 Jahre geduldiger Ehemann Dg. Alzheimer-Demenz Medikamente Exelon 9,5 mg Pflaster, Exelon absetzen? Erhöhung auf 13,3 mg-pflaster? Kombination mit Axura 20 mg 1xtäglich? sonst stabil eingestellt mit: L-Thyroxin 75 µg orales Antidiabetikum Blutdruckmittel: Ramipril 47 Absetzen des Exelons? Wie würden Sie entscheiden?

Verschlechterung ein Hinweis auf Unwirksamkeit? Diese Problematik ist in der progredienten Natur der Erkrankung begründet, welche eine Wirkungsabschätzung beim Einzelnen problematisch macht, da Wirkung eines Medikaments auch bei Symptomprogredienz vorliegen kann. Eine Entscheidung, ob eine Behandlung bei einem individuellen Demenzkranken wirksam ist oder nicht, kann daher nicht getroffen werden. Aufgrund der fehlenden Nachweismöglichkeit von mangelnder Wirkung bei einem Individuum kann aber eine begründete Entscheidung zum Absetzen des Medikaments wegen fehlender Wirkung nicht getroffen werden. S3-Leitlinie Demenzen, 2016

Expertenmeinung: Discontinuing cholinesterase inhibitors: results of a survey of Canadian dementia experts (International Psychogeriatric Association 2010, doi:10.1017/s1041610210001535) 26.09.2016

Fazit: Absetzen von Antidementiva Antidementiva von Forta und Priscus nicht als potentiell inadäquate Medikation (PIM) eingestuft Etwas zu verordnen ist vermutlich besser als nichts zu tun (Howard et al., 2012). Das Absetzen von Antidementiva kann im Verlauf negative Auswirkungen auf Kognition und Verhalten haben (O Regan et al., 2015), besprechen und dokumentieren Kasuistiken beschreiben ein mit dem Absetzen von Donepezil zeitlich eng korreliertes Delir (z.b. Bidzan und Bidzan, 2012, Neurol. Sci, 33:1459-1461) Keine beeinträchtigenden UAW wegen Antidementiva akzeptieren individuelle Abwägung

Neuroleptika

Forta-Liste - DEMENZ ASSOZIIERTE PARANOIDE SYMPTOME, HALLUZINATIONEN Neuroleptika in PIM-Listen Forta-Liste - DEMENZ ASSOZIIERTE UNRUHE, AGITIERTHEIT, (AGGRESSIVITÄT) Priscus-Liste (empfohlene Alternativpräparate)

Wie würden Sie entscheiden? Patient mit aggressivem Verhalten im Pflegeheim ein anderer dementer Patient kommt in sein Zimmer ( das ist doch mein Zimmer ) und wird mit einem Stuhl erschlagen ( Einbrecher ) der aggressive Patient erhielt Olanzapin bei aggressivem Verhalten bei Demenz richtig oder falsch? S3-Leitlinie Demenzen 2016

Neuroleptika Hinweise aus der Literatur Psychosen bei M. Parkinson Absetzen der Neuroleptika: hohes Risiko einer erneuten Psychose (Fernandez et al., Movement Disorders, 2005, 20/1: 104-105) Neuroleptika im Rahmen eines postoperativen Delirs Von 59 Patienten, die atypische Neuroleptika im Rahmen eines postoperativen Delirs auf der Intensivstation erhielten, wurden 47% damit auf die Normalstation verlegt und davon 71,4% damit auch entlassen. (Jasiac et al., Journal of Pharmacy Practice, 2012, 24/3: 253-256)

Effects of antipsychotic withdrawal in elderly nursing home residents (Thapa et al., J Am Geriatr Soc. 1994 Mar;42(3):280-6) prospektive Längsschnittstudie 12 Pflegeheime 271 Bewohner mit Neuroleptikatherapie, unterteilt in 207 mit Fortsetzen der Therapie und 64 mit Absetzen der Neuroleptikabehandlung div. Messinstrumente (Nursing Home Behavior Problem Scale, items from the Brief Psychiatric Rating Scale, subset of the Brief Psychiatric Rating Scale, Activities of Daily Living, Mini-Mental State Examination, Geriatric Depression Scale, and Abnormal Involuntary Movements Scale) Die Häufigkeit von Verhaltensproblemen stieg bei Absetzen von Neuroleptika nicht an. Die beobachteten psychiatrischen Symptome nahmen um 21% ab (P = 0.003), vor allem durch eine Besserung der affektiven Symptome (P = 0.0002). keine Verschlechterung in den gemessenen Parametern Fazit: Beenden von Neuroleptika führte zu einem verbesserten Affekt ohne erkennbare Nebenwirkungen 26.09.2016

Antipsychotic Discontinuation in Patients with Dementia: A Systematic Review and Meta-Analysis of Published Randomized Controlled Studies (Pan et al., Dement Geriatr Cogn Disord 2014;37:125 140) 15.12.15 Folie 56

Antipsychotic Discontinuation in Patients with Dementia: A Systematic Review and Meta-Analysis of Published Randomized Controlled Studies (Pan et al., Dement Geriatr Cogn Disord 2014;37:125 140) 15.12.15 Folie 57

Absetzen von Neuroleptika Atypische Neuroleptika werden von Priscus nicht als PIM eingestuft, von Forta aber als problematisch angesehen. Beim Absetzen von Neuroleptika bei chronischen Psychosen ist mit dem Risiko eines Rezidivs zu rechnen, ggf. Psychiater zuziehen. Bei Neuroleptika-Behandlung bei Pflegeheimbewohnern kann eine Dosisreduktion bzw. ein Auslassversuch unternommen werden. Bei Demenzpatienten vorsichtige Dosisreduktion mit dem Risiko der Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten, evtl. geringere Moprtalität Bei körperlich begründeten, akut aufgetretenen Delirien, wie sie in der Geriatrie oft vorkommen (z.b. Hyponatriämie), die mit Neuroleptika behandelt wurden, sollte nach Beseitigung der Ursache ein Absetzversuch unternommen werden. Bei leichten Verhaltensauffälligkeiten (BPSD) ggf. auch nicht-medikamentöse Maßnahmen

Antidepressiva

Antidepressiva in den PIM-Listen Priscus-Liste als Ersatz empfohlene Antidepressiva

Forta-Liste Antidepressiva in den PIM-Listen

Mann, 75 Jahre, Akademiker von eher psychotherapeutisch tätigen Psychiaterin zugewiesen zur stationären Einstellung seit geraumer Zeit Freudlosigkeit, kein Antrieb, besonders morgens, kann nichts mit sich anfangen, nachmittags besser, Schlafstörungen bisherige Medikation nicht zufriedenstellend: Mirtazapin 0-0-0-45 mg Melperon 0-0-25-50 mg Umstellung auf Mirtazapin 0-0-0-15 mg Melperon 0-0-0-50 mg Escitalopram 10 ½-0-0-0 Einbestellung nach zwei Wochen, Schlaf etwas besser Wie hätten sie entschieden? Was ist falsch?

Ansetzen von Antidepressiva Informieren Sie über das Risiko eines Suizides beim Ansetzen von Antidepressiva? Dokumentieren Sie das? Ein Suizid ist ein nicht natürlicher Todesfall und zieht eine Todesursachenermittlung nach sich. Falls Sie der behandelnde Arzt sind, wird die Kriminalpolizei bei einem Suizid bei Ihnen anrufen. Ehrgeiz der Ermittlungsbehörden? Dokumentieren Sie die Abwesenheit von Suizidalität bei Folgebesuchen?

Mann, 75 Jahre, Akademiker S3-Leitlinie Unipolare Depression, 2015

S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression, 2. Auflage Erscheinungsdatum 11/2015 letzte Bearbeitung 03/2016 65

Medikamentöse Therapie leichter Depressionen Barbui et al., The British Journal of Psychiatry (2011) 198, 11 16

Absetzen von Antidepressiva nach einer schweren Depression 21 ältere Patienten 2 Jahre Einnahme von Antidepressiva ohne Rezidiv Nach dem Absetzen war die Wahrscheinlichkeit in den folgenden 2 Jahren ein Rezidiv zu erleiden 61% Das Ansprechen auf eine erneute antidepressive Therapie war aber hoch. Flit und Rifat, Am J Psychiatry 1999; 156:943 945

S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression, 2. Auflage Erscheinungsdatum 11/2015 letzte Bearbeitung 03/2016 26.09.2016

Antidepressiva - Absetz- oder Entzugssyndrom betrifft prinzipiell alle Antidepressiva tritt nach einigen Tagen auf und kann Wochen anhalten weniger wahrscheinlich bei Medikamenten mit langer Halbwertszeit (z.b. Fluoxetin, ist aber PIM) z B. Meta-Analyse, Fava et al., Psychother Psychosom 2015;84:72 81

SSRI-Absetz- bzw. Entzugssyndrom Fava et al., 2015

Fazit: Absetzen von Antidepressiva Citalopram, Escitalopram, Sertralin und Mirtazapin werden von Priscus und Forta nicht als PIM eingestuft, an Interaktionen (Cyp450) denken Nach leichten Depressionen hat die medikamentöse Therapie gegenüber Placebo keinen eindeutigen Vorteil. Ein Absetzversuch kann daher versucht werden, vor allem wenn sich die auslösenden Elemente verändert haben. Bei zu frühem Absetzen von Antidepressiva bei mittelschwerer bis schwerer Depression ist mit einem hohen Risiko von Rezidiven zu rechnen. Bei einer mittelschweren bis schweren Depression 4-9 Monate geben. Beim Absetzen von Antidepressiva (bes. SSRI) über 4 Wochen ausschleichen Bei schwerem Absetzsyndrom ggf, wieder ansetzen und langsamer ausschleichen (z.b. Wilson und Lader, A review of the management of antidepressant discontinuation symptoms, 2015). Patienten über Absetzsyndrom informieren Bei mittelschweren und schweren Depressionen (Geronto)Psychiater zuziehen.

Antidepressiva absetzen Quelle: http://www.bpac.org.nz/bpj/2010/ap ril/docs/bpj_27_stop_guide_pages_1 0-23.pdf

noch zu den Antidepressiva z.b. auch Tramadol Quelle http://www.pmvforschungsgruppe.de/pdf/03_publikationen/multimedikation_ll.pdf 26.09.2016

Wer beeinflusst die Medikation?

Wer beeinflusst die Medikation der Patienten in der Klinik? Zuweisender Hausarzt/zuweisende Klinik Patient/Angehöriger Stationsarzt Supervision durch OA/CA bei Aufnahme wöchentliche (Kurven)Visiten durch OA/CA und andere

Wie kann man die Zahl der Medikamente im Alter reduzieren? regelmäßig die Medikamentenliste prüfen! Schulung der Patienten/der Angehörigen? Klinikdirektiven? Schulung der Ärzte! Algorithmen zum Absetzen von Medikamente? klinischer Pharmakologe, Pharmacological Stewardship?

Key concepts The majority of older people who require drug therapy take multiple medicines Withdrawing medicines may be the best clinical decision Factors to consider when deciding if a medicine can be stopped include - the wishes of the patient - clinical indication and benefit, - appropriateness, - duration of use, - adherence and the prescribing cascade Only stop or reduce one medicine at a time Tapering the dose helps reduce the likelihood of an adverse withdrawal event http://www.bpac.org.nz/bpj/2010/april/docs/bpj_27_stop_guide_pages _10-23.pdf

PIM Algorithmus zum Kürzen langer Verordnungslisten zit. n. Arzneimitteltelegramm 44 (2010) 95-96 Originalquelle: Garfinkel und Mangin, Arch. Intern. Med. 170 (2010) 1648

Algorithmus zum Kürzen langer Verordnungslisten Keinem der Patienten ging es nach eigenem Ermessen nach dem Absetzen schlechter (definiert als Abfall des Likert Scores um mindestens zwei Punkte). 88% der Patienten berichteten, dass es ihnen allgemein besser gehe, 67% berichteten über eine deutliche Verbesserung (mindestens zwei Punkte Verbesserung auf der Likert-Skala). 56 Patienten gaben eine Verbesserung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit an, bei dreien kam es zu eindrucksvollen Verbesserungen im Minimal mental state examination score (von 14 auf 24; von 14 auf 23; von 14 auf 30). zit. n. Arzneimitteltelegramm 44 (2010) 95-96 Originalquelle: Garfinkel und Mangin, Arch. Intern. Med. 170 (2010) 1648

Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit Prof. Dr. med. K. Hager Zentrum für Medizin im Alter Diakovere Henriettenstift Schwemannstraße 19 30559 Hannover Tel.: 0511-289-3222 (Sekr.) E-Mail: klaus.hager@diakovere.de