Lehrstühle des Instituts für Sonderpädagogik. Die sonderpädagogischen Fachrichtungen. Ringvorlesung Universität Würzburg, WS 2012/13

Ähnliche Dokumente
Salutogenese eine Theorie für Gesundheit im Alter?

Ein Modell zur Gesundheits- und Krankheitsentwicklung Das Konzept der Salutogenese. Florian Schmidt, Marius Runkel, Alexander Hülsmann

NAC Event Hotel Monopol, Luzern

Psychische Gesundheit und Resilienz stärken

Leibniz Universität Hannover Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft

kultur- und sozialwissenschaften

Der Sprung ins kalte Wasser Schwimmtraining mit Life-Skills-Programmen

Veränderte Kindheit? Wie beeinflusst der aktuelle Lebensstil die psychische Gesundheit von Kindern?

Psychische Widerstandskraft (Resilienz) - Was hilft Menschen, Krisen zu bewältigen?

Grundbedingungen nach Jaspers (1965)

Seelische Gesundheit im höheren Lebensalter: Wie kann Leben gelingen?

Depression, Burnout. und stationäre ärztliche Versorgung von Erkrankten. Burnout I Depression Volkskrankheit Nr. 1? 1. Oktober 2014, Braunschweig

Psychisch gesund trotz Krise

Psychologische Schmerztherapie. Dr. Frank Kaspers

Einführung in die Gesundheitspsychologie

Gesund älter werden. Prävention und Gesundheitsförderung in der Langzeitversorgungung

Familien stärken- Förderung von Resilienz

Wahrnehmung von Resilienzfaktoren und deren Förderung in HzE

Universitätsklinikum Regensburg PSYCHOONKOLOGIE. Krebs und Psyche wie kann psychoonkologische Unterstützung helfen? Manja Girbig, Dipl.-Psych.

Möglichkeiten und Grenzen der Stressbewältigung. Prof. Dr. Matthias Jerusalem Humboldt-Universität zu Berlin

Ganzheitliches Gesundheitsmanagement

ERFOLGREICHE BURNOUT-PRÄVENTION IM UNTERNEHMEN 14. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGSF in Friedrichshafen

die gemeinde akademie gesundberaten?! Salutogenese und Beratung

Classroom Management. Prof. Dr. Gisela Steins Bildungswissenschaften im Master of Education Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie.

Wie können wir miteinander reden?

Fachtagung des Caritasverbands in Frankfurt

Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit

Möglichkeiten der Stress- und Burnoutbewältigung in der Prävention und Rehabilitation. Diplomarbeit von Sebastian Mösch

Anliegen. Was heißt Resilienz? Von den Stärken ausgehen: Erkenntnisse aus der Resilienzforschung und ihre Bedeutung für die Praxis.

Salutogenese oder: Was macht gesund? bzw. Wer bleibt gesund?

Seminar 12665: Einführung in die Psychologie des Gesundheitsverhaltens

MindStep-Gesundheitsbarometer

Praxis trifft Sportwissenschaft Sport mit Spaß Möglichkeiten & Grenzen von Emotionen im Sport. Dr. Peter Kovar

KRISE ALS CHANCE. Christine Calabrese Oberärztliche Leitung/ Akutambulanz (ZDK)

Salutogenese und Resilienz im Alter

Gesundes aufwachsen für Alle! Kinder und Familien in belasteten Lebenssituationen stärken

Klinische Psychologie

Wenn der Druck steigt. Körperliche und seelische Auswirkungen des Leistungsdrucks in der Schule auf Kinder und Jugendliche

Co-Therapie in der Eltern-Kind-Reha

Sportmedizinisches/Sportwissenschaftliches Seminar

Psychologie. Schmerzbewältigung

Pflegeheim Am Nollen Gengenbach

Resilienz. Ein anderer Blick auf Verlustreaktionen. Aeternitas - Service - Reihe: Trauer. Aeternitas - Service - Reihe: Trauer

Recovery. Chronische Erkrankungen überwinden!

Coping und Resilienz bei Kindern

Stärkung der psychischen Widerstandskräfte und ihre Auswirkungen auf körperliche Erkrankung

Psychotherapie der Depression

Soziale Wahrnehmung. Präsentation: Antje Manz Judith Vollmer. Dienstag, Gliederung

1. Welche Fragen bewegen Eltern (früher und heute?)

Bernhard J. Schmidt Klartext kompakt. Das Asperger Syndrom für Eltern Bernhard J. Schmidt Klartext kompakt. Das Asperger Syndrom für Lehrer

Arbeitsgruppe 9. Was ist Gesundheitsförderung und wie macht man es gut. Grundbegriffe und Qualitätskriterien in der Gesundheitsförderung

Vortrag Resilienz das Bindeglied zwischen Gesundheit und Leistung. von Dipl.-Psych. Markus Schmitt

Dennis Danielmeyer Vortrag 8. Oktober 2016 in Nürnberg

Pflegeprozess. Instrument professioneller Pflege

Leben mit einer chronischen Erkrankung Wie gehen Angehörige damit um? Ignorieren bis zu in Watte packen?

Welche Rolle spielt die Ergotherapie in Public Health? Julie Page & Birgit Stüve Zürcher Hochschule Winterthur Forschung & Entwicklung

WIRkung entfalten - Selbstwirksamkeit stärken

Resilienz und systemisches Arbeiten in der psychosozialen Praxis

Was ist Stress. was ist Burnout?

Psycho-Onkologie: Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung nach der Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung

Sucht und Trauma. Die schwarzen Brüder

Resilienz Die Widerstandsfähigkeit der Seele von Anja Mahne (PSKB)

Lehrbuch der Gesundheitspsychologie

Bildungsthemen der Kinder: Entwicklungspsychologische Grundlagen

GK Psychologie. 2-stündig 1 Klausur pro Halbjahr m:s 50 :50. Stundenprotokoll

Ziele. Stressmodell. Eine Situation, die für mich aktuell Stress bedeutet... Das Stress-Modell. Drei Grundbedingungen für die Entstehung von Stress

Piagets Stufenmodell der Entwicklung

Kognitionstraining: Kognitive Umstrukturierung

Inhalt. 1 Einführung in die Psychologie 1. 2 Allgemeine Psychologie 21. Vorwort

Achterbahn der Gefühle

Salutogenese und Veränderungsprozesse Was erhält gesund, wenn sich doch alles ändert?

Depression als Risikofaktor für Adipositas und Kachexie

Lebensqualität bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Wie können Sie Ihre Kompetenz zu Bewältigung steigern?

Dipl.-Psych. Jens Hohmeier Psychologischer Psychotherapeut Psychotherapeutische Ambulanz für Studierende Humboldtallee Göttingen

Psychischer Stress Das teure Tabu

Sicherheitswahrnehmung aus Sicht der Psychologie Harald Arnold

Die Rolle der Pflege in der Beratung und Prävention

Salutogenese in der Altenpflege Österreichischer Kongress für Führungskräfte in der Altenarbeit 15. bis 17. September 2010 Wien

Kinder als Angehörige psychisch Kranker

Fragebogen zur Einleitung oder Verlängerung einer ambulanten Psychotherapie

Diagnostik von Traumafolgestörungen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

"Können Sie mir helfen?"

Verhaltensauffällige Kinder. Fördermaßnahmen und Fördermethoden in der Schule

Arbeitsbedingungen in NRW Fokus auf psychische Belastungen und Arbeitszeit

Kritische Lebensereignisse und Gesundheit im Alter

Inhalt. 1 Basiswissen

Eustress und Dysstress

Frühjahr 2015 Realschule

Umgang mit Schmerzen Sibylle Hauser MSc

Die Verstärker-Verlust-Theorie nach Lewinsohn M. Backenstraß

Einführung in die Pädagogische Psychologie (06/07) Dipl.-Psych. M. Burkhardt 1

Junge und alte Wilde

RESILIENZ Was unsere Seele stark macht. Machen Sie sich Ihre inneren Kräfte mehr bewusst! Reiten Sie auf den Wellen des Lebens!

Bindungsstörung bei psychisch kranken Eltern

Ernährung, Bewegung und Körpergewicht:

Erfahrungswissenschaft und die Theorie. * Marc Hassenzahl // Erlebnis und Interaktion // Folkwang Universität der Künste

Beifach Psychologie im B. A. Universität Mannheim Referentin: Tina Penga (Studiengangsmanagerin - Fachbereich Psychologie)

Übersicht über das Bachelorstudium

Transkript:

Lehrstühle des Instituts für Sonderpädagogik Die sonderpädagogischen Fachrichtungen Ringvorlesung Universität Würzburg, WS 2012/13 Einführung in die Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Biopsychosoziales Modell (Engel, 1977) Weiterentwickeltes Salutogenese-Modell Risikowahrnehmung und Health-Belief- Modell Eigenverantwortung und Resilienz

Das individuelle biopsychosoziale Modell RISIKEN RESSOURCEN BIO PSYCHO SOZIAL Health-Belief- Modell Resilienz- Modell Salutogenese- Modell

früher: biomedizinisches Modell für Diagnose und Therapie einer Krankheit (biologische Variablen) Heute kontinuierliche Dimension mit den Endpunkten Krankheit - Gesundheit Erweiterung der Einflussfaktoren auf Gesundheit und Krankheit Individueller Lebensstil Stress chronische Krankheiten Erkenntnis, dass Krankheit verhaltensabhängig ist Metamodell für Gesundheit & Rahmenmodell für Psychotherapie Prävention Gesundheitsförderung Public Health

Einbeziehung gesundheitlicher Risikofaktoren und Ressourcen (Haisch et al., 2006) Drei unabhängige bipolare Dimensionen: Biologie Krank Gesund Psychologie Krank Gesund Soziales Krank Gesund Dynamischer Wechsel auf allen drei Dimensionen Exploration von Problemkontext und Ressourcen Operationalisierung im Therapieplan

Theorien der Sozialpsychologie hilfreich zum Erklären der Metafaktoren Biologie, Psychologie und Soziologie Definition Sozialpsychologie: Teilgebiet der Psychologie und Soziologie, das die Auswirkungen der tatsächlichen oder vorgestellten Gegenwart anderer Menschen auf das Erleben und Verhalten des Individuums erforscht (Gordon Allport 1968) Axiom 1: Menschen konstruieren ihre eigene Realität Axiom 2: Das gesamte Erleben und Verhalten wird von sozialen Beziehungen beeinflusst. Theorie sozialer Vergleichsprozesse > Biologie Attributionstheorien > Psychologie Einstellungs- und Verhaltenstheorien -> Soziologie

Sozialpsychologie - Metafaktor Biologie: Theorie sozialer Vergleichsprozesse Keine Möglichkeit Krankheitsprozess zu erklären wegen unsicherer Meinung Vergleich mit anderen Personen z.b. Entdeckung eines Brustknotens Zuerst wird Entdeckung mit Vergleichspersonen besprochen dann Bildung einer festen Meinung und Handeln (Arzt aufsuchen oder nicht)

Sozialpsychologie - Metafaktor Psychologie: Attributionstheorien intern vs extern: Ursache für Ereignis wird Person oder Umwelt zugeschrieben stabil vs variabel: Ursache wird als unveränderbar oder als veränderbar eingeschätzt kontrollierbar vs unkontrollierbar: Ursache wird als beeinflussbar oder als nicht beeinflussbar eingeschätzt global vs spezifisch: Ursache gilt generell oder nur für bestimmte Situationen Auswirkung auf Motivation und Verhalten

Sozialpsychologie - Metafaktor Psychologie: Fundamentaler Attributionsfehler: Tendenz Verhalten anderer Personen auf internale Ursachen zurückzuführen, eigenes Verhalten externalen Ursachen zuzuschreiben Bei depressiver Symptomatik: eigene Erfolge übersehen, external attribuieren, Misserfolge auf internale Ursachen zurückführen. Neigung internal, stabil, global und unkontrollierbar zu attribuieren.

Sozialpsychologie - Metafaktor Soziologie: Einstellungs- und Verhaltenstheorien normative Überzeugungen (Peergroup) werden als subjektive normative Standards übernommen beeinflussen Verhaltensabsicht und Verhalten z.b. Fortführung des Nikotinkonsums Jugendlicher

Beispiel eines individuellen biopsychosozialen Patientenmodells als Handlungsleitfaden zur Gesundheitsförderung:

Medizinsoziologe Aaron Antonovsky, 1979 Komplementärer Begriff zur Pathogenese Gesundheit ist ein Prozess und kein Zustand Starkes Kohärenzgefühl befähigt adäquate Widerstandsreserven zu mobilisieren Kohärenzgefühl (sense of coherence) = Ausmaß dess Vertrauens, dass Stimuli strukturiert, vorhersehbar, erklärbar sind Verstehbarkeit (sense of comprehensibility) Ressourcen für die Anforderungen da sind Handhabbarkeit (sense of manageability) Anstrengung und Engagement lohnt Bedeutsamkeit, Sinnhaftigkeit (sense of meaningfullness) COPING bei hohem Kohärenzgefühl

Antonovsky: Anpassung an Stresssituationen ressourcenorientierte Erweiterung des Modells durch Franke (1997) Gesundheitsfördernde Kognitionen, Emotionen, Verhaltensweisen Humor, Optimismus Fähigkeit zu verzeihen, zu genießen sich etwas Gutes tun benennt konkrete Variablen, mit denen gearbeitet werden kann bezieht sich auf psychologische Risikofaktoren und Ressourcen

Konzept der Risikowahrnehmung allg. Bedrohung vs persönliche Gefährdung (Vulnerabilität) Tendenz zum unrealistischen Optimismus (Weinstein, 1982) beim Vergleichsprozess mit anderen Menschen Gefühl selbst weniger gefährdet zu sein Eigenes Erkrankungsrisiko wird unterschätzt reduziert Angst, beruhigt schwächt präventive Handlungsbereitschaft Schwarzer (1993) erweitert das Konzept: defensiver (unrealistischer) Optimismus: leichtfertiges Nichtwahr-haben-Wollen von Risiken, Gesundheitsgefährdungen funktionaler Optimismus: leichte Überschätzung der Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen, Handlungsmöglichkeiten

Konzept der Risikowahrnehmung Allg. Tendenz zur Überbetonung des Erfreulichen (Matlin, 2004) Erfreuliche Ereignisse werden genauer wahrgenommen, bleiben besser im Gedächtnis, werden exakter reproduziert als unerfreuliche oder neutrale. Menschen fällt es leichter positive Urteile abzugeben über Personen, Ereignisse, Situationen, Gegenstände Überbewertung eigener Möglichkeiten Unterbewertung eigener Risiken, Misserfolge Überbewertung des Erfreulichen auch bei der eigenen Gruppe, sie wird positiver als der Gruppendurchschnitt eingeschätzt

Health-Belief-Modell (Rosenstock, 1974) Befolgung einer präventiven Maßnahme nur, wenn man sich persönlich gefährdet sieht - perceived susceptibility ernsthafte Konsequenzen erwartet - perceived severity von deren Effektivität überzeugt ist perceived benefits keine Ausführungshindernisse bestehen perveived barriers Anstoß zu präventiven Handlungen durch Wahrnehmung von Symptomen aufklärerische Botschaften Wahrgenommene Schwere & wahrgenommene Gefährdung bestimmen den Überzeugungsgrad persönlich bedroht zu sein. Ist durch Kommunikation beeinflussbar

Health-Belief-Modell (Rosenstock, 1974) Ob Patient von Wirksamkeit einer präventiven Maßnahme überzeugt ist, hängt ab von Wirksamkeit wie spezifisch und verfügbar wie viel Aufwand relativ zum Ertrag erforderlich Wirksamkeitserfahrungen regulieren die Bewertung der Maßnahme & des erforderlichen Aufwands und Ertrags. FAZIT: HBM geeignet zur angemessenen Gestaltung einer Gesundheitskommunikation, dient eng begrenzte Wirkung von Aufklärung im Bereich Prävention zu zeigen, Aufklärung allein wirkt nicht präventiv. Modell erläutert, welche Maßnahmen zusätzlich erforderlich sind. Modell ist empirisch bestätigt.

Eigenverantwortung klassischer Patient: Verantwortung beim Arzt lassen andere fordern Gleichstellung, wollen mitreden Welchen Vorteil hat gesundheitsschädliches Verhalten? Entspannung durch Rauchen Geselligkeit durch Alkoholkonsum Bewältigung von Einsamkeit durch Essen Prüfen, welche gesundheitsfördernden Alternativen es gibt Hinderliche Ursachenzuschreibungen (Attributionstheorien) verändern Wichtig: positive Vorbilder von Gleichbetroffenen Weg frei für gesundheitsbezogene Verhaltensweisen Wichtige Ressource: Kontrolle über die eigene Gesundheit

Resilienz Individuelle Widerstandsfähigkeit gegenüber Gesundheitsrisiken aus der Umgebung Fähigkeit Verlockungen auszuschlagen (Torte für Diabetiker) mindert Wirkung von Risikofaktoren puffert Entstehung psychischer Störungen ab Zentrale Resilienzfaktoren Bindung Konsistente Erziehung Positive Verhaltensmodelle Biologische Faktoren: gute Gene wirken protektiv

Das Bio-psycho-soziale Rahmenmodell RISIKEN RESSOURCEN BIO PSYCHO SOZIAL Health-Belief- Modell Resilienz- Modell Salutogenese- Modell

Hurrelmann & Kolip (2002) schlagen vor: Bio-psycho-sozio-ökologisches Modell Berücksichtigt zusätzlich ökologische Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit.