Haftung des Verwalters gemäß 49 Abs. 2 WEG: Welche Maßstäbe legen die Gerichte an? 1
Überblick 49 Abs. 2 WEG: Dem Verwalter können Prozesskosten auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft, auch wenn er nicht Partei des Rechtsstreits ist. 280 BGB (sinngemäß): Verletzt der Schuldner vorsätzlich oder fahrlässig eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. - 49 II WEG wurzelt in Rechtsprechung zu 47 WEG af., verlangt aber abweichend grobes Verschulden - Norm soll Regressprozess entbehrlich machen - 49 II WEG führt zu überschießenden Ergebnissen, weil Kostengrundentscheidung von Amts wegen erfolgt und damit auch in Fällen, in denen Regressgläubiger auf Haftung verzichten würde 2
49 II WEG im System der prozessualen Kostenerstattung Prinzipien der Kostenverteilung ( 91ff ZPO): - verschuldensunabhängiges Veranlassungsprinzip - Anknüpfung an einfach feststellbare Prozesstatsachen (Unterliegen/Obsiegen) - Kostenverteilung zwischen Parteien 49 Abs. 2 WEG bricht mit diesen Prinzipien, denn: - verlangt Verschulden - knüpft an vorprozessuale Pflichtverletzung an - ermöglicht Kostenbelastung auch (und gerade), wenn Verwalter nicht Partei ist. Dies führt zu Anwendungsproblemen. 3
49 II WEG und materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch 1. Der reduzierte Verschuldensmaßstab aus 49 II WEG gilt für den materiell-rechtlichen Anspruch gegen den Verwalter (insb. aus 280 BGB) nicht (BGH V ZB 164/09, streitig). 2. Wendet das Gericht aus welchem Grund auch immer 49 II WEG nicht zu Lasten des Verwalters an, steht dies einer Klage aus dem materiellen Anspruch nicht entgegen (BGH V ZB 164/09, streitig). 3. Eine Verurteilung des Verwalters in die Prozesskosten nimmt einer identischen Klage aus dem materiellen Anspruch das Rechtsschutzbedürfnis (BGH V ZB 164/09). 4
Voraussetzungen 1. Veranlassung - H.M.: Erforderlich ist ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch (BGH V ZB 164/09) - Dies eröffnet den Rückgriff auf zivilrechtliche Prinzipien (Kausalitätslehre, Mitverschulden) 2. Grobes Verschulden - Über abstrakte Definition herrscht Einigkeit: Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ( Verwalter hat dasjenige nicht beachtet, was jedem hätte einleuchten müssen ) - Verlangt eine Bewertung durch den Tatrichter - Rechtsprechung bemüht sich nicht um theoretische Konkretisierung des Begriffs 5
Grobes Verschulden 1. Verwalter muss eine Selbstverständlichkeit missachtet haben. 2. Dies ist bei einem Verstoß gegen das Organisationsrecht (WEG, GO, TE, Verwaltervertrag) gegeben, wenn - das Regelwerk gar nicht konsultiert wird; - das Regelwerk zwar konsultiert wird, Verwalter aber ein Missverständnis unterläuft, wie es einem juristischen Laien keinesfalls unterlaufen darf (Auswertung von Rechtsprechung/Literatur nicht erforderlich); - kennt Verwalter Meinungsstand zur Auslegung des Gesetzes, so muss er hm folgen. 6
Beispiele aus der Rechtsprechung 7
Einberufungsfehler LG Düsseldorf ZWE 2015, 190: Einladung zur Wiederbestellung Verwalterin, beschlossen wird Bestellung anderer Person 49 II WEG (+) 23 II WEG: Zur Gültigkeit eines Beschlusses ist erforderlich, daß der Gegenstand bei der Einberufung bezeichnet ist. AG Hamburg-Wandsbeck ZMR 2015, 78: Verwalter lädt für denselben Tag zu Versammlung und Zweitversammlung 49 II WEG (+) 25 IV 1, 24 IV 2 WEG: Ist eine Versammlung nicht beschlußfähig, so beruft der Verwalter eine neue Versammlung mit dem gleichen Gegenstand ein. ( ) Die Frist der Einberufung soll, sofern nicht ein Fall besonderer Dringlichkeit vorliegt, mindestens 2 Wochen betragen. 8
Zähl-und Verkündungsfehler AG Neuss ZMR 2008, 498: Verwalter stimmt mit ihm erteilten Vollmachten für seine Entlastung 49 II WEG (+) 181 BGB: Ein Vertreter kann ( ) im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen ( ) LG Berlin GE 2010, 991: Verwalter zählt Stimme mit, die Eigentümer beim Verlassen des Saals für zukünftige TOPs abgegeben hat 49 II WEG (+) 23 I WEG: Angelegenheiten, über die ( ) die Wohnungseigentümer durch Beschluß entscheiden können, werden durch Beschlußfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet. 9
Zähl-und Verkündungsfehler LG Bamberg ZWE 2015, 378: Die Wohnungseigentümer beschließen mehrheitlich gegen zwei Neinstimmen eine bauliche Veränderung; der Verwalter hatte auf das Einstimmigkeitsprinzip hingewiesen 49 II WEG (+) 22 I WEG (Auszug): Bauliche Veränderungen können beschlossen werden, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte durch die Maßnahmen über das in 14 Nr. 1 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. - Pflichtverletzung? - Falls ja: Grobes Verschulden? - Falls ja: Entfällt Kostenhaftung wegen des Hinweises (Kausalität/Mitverschulden)? 10
Fehlende Beschlusskompetenz AG Nürtingen ZWE 2013, 184: Angefochten wird der Beschluss Die Unterhaltung und Instandsetzung der Fenster wird den Eigentümern der jeweiligen Wohnung übertragen. 49 II WEG (+) 5 II WEG (Auszug): Teile des Gebäudes, die für dessen Bestand oder Sicherheit erforderlich sind, sind nicht Gegenstand des Sondereigentums. 21 I 1, V Nr. 2 WEG (Auszug): Die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums steht den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu. Zur Verwaltung gehört die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums. 16 IV WEG (Auszug): Die Wohnungseigentümer können im Einzelfall zur Instandsetzung im Sinne des 21 V Nr. 2 durch Beschluss die Kostenverteilung abweichend von Absatz 2 regeln. 11
Sonstige materielle Beschlussfehler AG Velbert ZMR 2009, 565: Beschlossen wird die Sanierung des Flachdachs, es liegen nicht mehrere Vergleichsangebote vor 49 II WEG (+) 21 III WEG (Auszug): (Die) Wohnungseigentümer (können) eine der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Eigentums entsprechende ordnungsmäßige Verwaltung durch Stimmenmehrheit beschließen. LG Dessau-Rosslau ZMR 2014, 471: Der Verwalter legt eine Betriebskostenabrechnung als Jahresabrechnung vor, der Genehmigungsbeschluss wird angefochten 49 II WEG (+) 28 III WEG: Der Verwalter hat nach Ablauf des Kalenderjahrs eine Abrechnung aufzustellen. 12
Ergebnisse 1. Die Auslegung von 49 II WEG durch die Rechtsprechung erfolgt nicht nach einheitlichen Kriterien. 2. Grobes Verschulden setzt einen Verstoß gegen Selbstverständlichkeiten der WEG-Verwaltung voraus, der vorliegt, wenn der Verwalter den Wortlaut des Organisationsrechts missachtet. 3. Die bei 49 II WEG erforderliche Prüfung eines materiell-rechtlichen Erstattungsanspruchs gegen einen Dritten sprengt den Rahmen der Kostengrundentscheidung als Nebenverfahren und sollte aus diesem Grund gestrichen werden. 13