I. Sachverhalt. II. Fragen

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Transkript:

DNotI Deutsches Notarinstitut Fax-Abruf-Dienst Gutachten des Deutschen Notarinstituts Dokumentnummer: 14324# letzte Aktualisierung: 29. Oktober 2008 EGBGB Art. 25 Türkei: Pflichtteilsergänzung I. Sachverhalt Ein Ehepaar ist (als Miteigentümer zu je ½-Anteil) Eigentümer eines Grundstücks mit Haus. Beide haben (nur) die türkische Staatsbürgerschaft. Diese Immobilie soll an eine Tochter dieses Ehepaars übergeben werden. Es sind noch fünf andere Kinder da, die nach Angabe der Ehegatten im Laufe der Jahre bereits mit Geld abgefunden worden seien. Die Übernehmerin hat sich erheblich an der Tilgung eines in diese Immobilie investierten Darlehens beteiligt. Sie möchte wissen, ob sie eventuell aufgrund der Hausübergabe verpflichtet sein könnte, an ihre Geschwister noch etwas zu bezahlen. II. Fragen 1. Gilt für allfällige Pflichttteilsergänzungsansprüche hinsichtlich der geschenkten deutschen Immobilie deutsches oder türkisches Erbrecht? 2. Gibt es im türkischen Recht ein Pflichtteilsrecht der Geschwister der Übernehmerin, das sich eventuell gegen sie richten kann? 3. Welcher Zeitraum vor dem Erbfall ist bei Schenkungen von einem Pflichtteilsergänzungsanspruch erfasst? Ist eventuell ein Pflichtteilsverzicht der Geschwister der Übernehmerin möglich? Deutsches Notarinstitut Gerberstraße 19 97070 Würzburg Telefon (0931) 35576-0 Fax (0931) 35576-225 email: dnoti@dnoti.de internet: www.dnoti.de user/mr/pool/gutachten/14324.doc

Seite 2 2. Kann im Hausübergabevertrag umgekehrt eine Anrechnung auf das Pflichtteilsrecht der Übernehmerin angeordnet werden, um möglichst zu verhindern, dass umgekehrt sie einmal Pflichtteilsansprüche geltend macht? III. Zur Rechtslage 1. Anwendbares Recht a) Erbstatut Ausgleichspflichten unterliegen ebenso dem Erbstatut wie Pflichtteilsansprüche und Pflichtteilsergänzungsansprüche (MünchKomm-Birk, 4. Aufl. 2006, Art. 25 EGBGB Rn. 251). Gem. Art. 3 Abs. 2 EGBGB sind bei der Bestimmung des Erbstatuts dabei vorrangig vor den Bestimmungen des autonomen IPR Kollisionsnormen in internationalen Verträgen anzuwenden, die die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert hat. Im Verhältnis zur Türkei ergeben sich derartige Bestimmungen aus dem Anhang zum Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28.5.1929 (RGBl. 1930 II, 748). Kraft Bekanntmachung vom 26.2.1952 (BGBl II, S. 608) gilt dieser im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkischen Republik fort. 14 dieses Anhangs (Nachlassabkommen) bestimmt das auf die Erbfolge anwendbare Recht wie folgt: 14 Abs. 1 Die erbrechtlichen Verhältnisse bestimmen sich in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte. Abs. 2 Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre. (RGBl. 1930 II, 748, 761 im Internet auf der Homepage des DNotI: www.dnoti.de unter Links International/Europa/Türkei) Dementsprechend kommt es im vorliegenden Fall aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit der Eigentümer (nur) hinsichtlich ihres beweglichen Nachlassvermögens zur Geltung des türkischen Rechts. Anderes gilt jedoch für das in Deutschland belegene unbewegliche Vermögen. Insoweit gilt das deutsche Erbrecht. Hierdurch wird man

Seite 3 zu einer Nachlassspaltung kommen. Folge einer derartigen Nachlassspaltung ist es, dass zwei völlig unabhängig voneinander zu beurteilende Nachlässe vorliegen. Es würden sich dann also auch die Ausgleichspflichten sowie Pflichtteilsergänzungsansprüche für diese beiden Spaltnachlässe jeweils unabhängig voneinander beurteilen und berechnen. Da sich hier die möglichen Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche auf in Deutschland belegenen Grundbesitz beziehen, findet insoweit also grundsätzlich das deutsche Recht Anwendung. Allerdings beabsichtigen die türkischen Staatsangehörigen zu Lebzeiten das deutsche Immobiliarvermögen auf eine Tochter zu übertragen. Dies hätte zur Folge, dass zum Todeszeitpunkt in ihrem Vermögen kein deutsches Grundvermögen mehr vorhanden wäre. Hier ist daher fraglich, ob über die erbrechtlichen Folgen der Schenkung dann ausschließlich das türkische Recht als (ab dem Zeitpunkt der Schenkung) geltendes Erbstatut entscheiden soll oder noch das deutsche Recht als dasjenige Recht, welchem die zugewandten Vermögenswerte angehört hätten, wenn die Zuwendung unterblieben wäre. Im ersten Fall würde sich die Erbfolge ausschließlich nach türkischem Recht richten, im zweiten würde für die Auswirkung der Schenkung über das deutsche Immobiliarvermögen weiter deutsches Recht gelten. b) Qualifikation und anwendbares Recht der Pflichtteilsergänzungsansprüche Das Pflichtteilsrecht einschließlich Pflichtteilsergänzungsrecht folgt anerkanntermaßen dem Erbstatut (vgl. stattealler Palandt/Heldrich, BGB, 67. Aufl. 2008, Art. 25 EGBGB Rn. 10). Unklar kann das anwendbare Recht aber dann sein, wenn insoweit mehrere Rechtsordnungen in Frage kommen, sei es aufgrund Nachlassspaltung, sei es aufgrund eines Statutenwechsels nach der Schenkung. In der Literatur diskutiert wird insoweit überwiegend die Frage, ob, vor allen in Fällen des Wechsels der Staatsangehörigkeit, in zeitlicher Hinsicht auf das hypothetische Erbstatut im Zeitpunkt der Schenkung oder auf das tatsächliche Erbstatut ankommt: Nach h. M. richtet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach dem Erbstatut und nicht dem hypothetischen Erbstatut zur Zeit der Vornahme der den Pflichtteil beeinträchtigenden Schenkung (MünchKomm-Birk, Art. 25 EGBGB Rn. 229). Es gebe grundsätzlich keinen Vertrauensschutz hinsichtlich der Anwendung eines bestimmten Erbstatuts. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch entstehe erst nach dem Tod des Erblassers und gewähre dem Pflichtteilsberechtigten gerade keinen Schutz zum Zeitpunkt der beeinträchtigten Schenkung. Dies müsse auch für die Bestimmung des anwendbaren Rechts gelten. Daher sei nicht auf einen früheren Zeitpunkt als auf den Erbfall abzustellen (MünchKomm-Birk, a. a. O.; ebenso Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn. 199; Haas, in: Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008, 3 Rn. 19).

Seite 4 Fraglich ist, ob diese Anknüpfung in zeitlicher Hinsicht bedeutet, dass ein aufgrund Nachlassspaltung im Zeitpunkt der Schenkung anwendbares Erbrecht im Hinblick auf die Pflichtteilsergänzung nicht anwendbar bleibt, wenn es später faktisch nicht mehr zu einer Nachlassspaltung kommt. Dies ist nach wie vor sehr umstritten. Während nach einer Ansicht für die Pflichtteilsergänzung eine fiktive Nachlassspaltung anzunehmen ist, so dass dasjenige Erbrecht anwendbar ist, dem die Gegenstände im Fall des Unterbleibens der Schenkung zugehören würden (Henle, Kollisionsrechtliche Nachlassspaltung im deutsch-französischen Rechtsverkehr 1975, S. 99; Süß, in Mayer/Süß/Tanck, Pflichtteilsrecht, 2003, 15 Rn. 288, Derstadt, Die Notwendigkeit der Anpassung bei Nachlassspaltung im internationalen Erbrecht, S. 158 f.; Steiner, Testamentsgestaltung bei kollisionsrechtlicher Nachlassspaltung, 2002, S. 153 ff.), stellt eine andere Ansicht allein darauf ab, ob es im Zeitpunkt des Erbfalles noch zu einer Nachlassspaltung kommt (etwa Bestelmeyer, ZEV 2004, 359 ff. m.w.n.). Folgt man der Auffassung, die eine fiktive Nachlassspaltung nicht für beachtlich erklärt, sondern nur eine tatsächliche, wäre türkisches Recht maßgeblich. 2. Pflichtteilsrecht und Pflichtteilsergänzung nach türkischem Erbrecht a) Noterbrecht Anders als im deutschen Recht ist das Pflichtteilsrecht im türkischen Recht nicht ein auf Geldzahlung gerichteter Anspruch gegen den testamentarischen Erben, sondern ein echtes Noterbrecht. Es handelt sich um eine den Noterben vorbehaltene quotale Beteiligung am Vermögen des Erblassers, die durch die Noterben mittels gerichtlicher Klage geltend gemacht werden kann und zu einer echten Miterbenstellung führt. Die Pflichtteilsquote beträgt für einen Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (siehe Art. 506 türkisches ZGB). Die Geschwister der Übernehmerin könnten daher im Wege einer Pflichtteilsklage ihre Erbenstellung geltend machen. b) Pflichtteilsergänzung bei Schenkungen im letzten Lebensjahr des Erblassers Allerdings führen lebzeitige Schenkungen des Erblassers gem. Art. 565 ZGB grundsätzlich nur dann zur Pflichtteilsergänzung, wenn diese vom Erblasser in seinem letzten Lebensjahr vorgenommen worden sind (siehe Art. 507 Ziffer 3 ZGB). Ausgenommen sind i. Ü. solche Vermögensübertragungen, die vom Erblasser offensichtlich zum Zwecke der Umgehung der Verfügungsbeschränkungen vorgenommen worden sind (Art. 565 Ziffer 4 ZGB); diese unterliegen ohne eine

Seite 5 Zeitbeschränkung der Herabsetzung (vgl. Kiliç, in: Süß/Haas, Erbrecht in Europa, 2. Aufl. 2008, Länderteil Türkei, Rn. 65-71). c) Maßgebliche Vorschriften Die maßgeblichen Vorschriften des ZGB in n. F. lauten: Drittes Buch. Das Erbrecht Erste Abteilung. Die Erben 1. Titel. Die gesetzlichen Erben A. Verwandte I. Nachkommen Art. 495 Die Erben ersten Grades sind die Nachkommen des Verstorbenen. Die Kinder sind Erben zu gleichen Teilen. Kinder, die vor dem Verstorbenen gestorben sind, werden durch ihre Nachkommen vertreten, welche in jeder Stufe durch Rechtsnachfolge Erben geworden sind. II. Mutter und Vater Art. 496 Erben des Verstorbenen, so dieser keine Nachkommen hat, sind die Eltern, Vater und Mutter, die vor dem Verstorbenen gestorben sind, werden durch ihre Nachkommen vertreten, die in jeder Stufe durch Rechtsnachfolge Erben geworden sind. Gibt es von einer Seite keine Erben, so geht die gesamte Erbschaft auf die Erben der anderen Seite über. (...) Zweiter Abschnitt. Die Verfügungsfreiheit A. Verfügbarer Teil 1. Umfang Art. 505 Wer Nachkommen, Eltern, Geschwister oder den Ehegatten als seine nächsten Erben hinterlässt, kann bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen von Todes wegen verfügen. Wer keine der genannten Erben hinterlässt, kann über sein ganzes Vermögen von Todes wegen verfügen. II. Pflichtteil Art. 506 Der Pflichtteil beträgt 1. für einen Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches, 2. für jedes der Eltern ein Viertel, 3. für jedes der Geschwister ein Achtel, 3. für den überlebenden Ehegatten den ganzen Anteil des gesetzlichen Erbanspruches, wenn neben ihm Nachkommen oder Eltern als gesetzliche Erben vorhanden sind, und in den anderen Fällen drei Viertel,.

Seite 6 III. Berechnung des verfügbaren Teils 1. Schuldenabzug Art. 507 Der verfügbare Teil berechnet sich nach dem Stande des Vermögens zur Zeit des Todes des Erblassers. Bei der Berechnung sind die Schulden des Erblassers, die Auslagen für das Begräbnis, für die Siegelung und Inventaraufnahme sowie die Ansprüche der Hausgenossen und die der Unterhaltsberechtigten des Erblassers auf Unterhalt während drei Monaten von der Erbschaft abzuziehen. 2. Zuwendungen unter Lebenden Art. 508 Die Zuwendungen unter Lebenden werden insoweit zum Vermögen hinzugerechnet, als sie der Herabsetzungsklage unterstellt sind. (...) B. Herabsetzungsklage I. Voraussetzungen 1. Im allgemeinen Art. 560 Hat der Erblasser seine Verfügungsbefugnis überschritten, so können die Erben, die nicht dem Werte nach ihren Pflichtteil erhalten, die Herabsetzung der Verfügung auf das erlaubte Maß verlangen. Enthält die Verfügung Bestimmungen über die Teile der gesetzlichen Erben, so sind sie, wenn kein anderer Wille des Erblassers aus der Verfügung ersichtlich ist, als bloße Teilungsvorschriften aufzufassen. ( ) Art. 565 Der Herabsetzung unterliegen wie die Verfügungen von Todes wegen: 1. die Zuwendungen auf Anrechnung auf den Erbteil, als Heiratsgut, Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind, 2. Zuwendungen an den Erbberechtigten vor dem Tode mit dem Zwecke der Abgeltung, 3. die Schenkungen, die der Erblasser frei widerrufen konnte, oder die er während des letzten Jahres vor seinem Tode ausgerichtet hat, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, 4. die Entäußerung von Vermögenswerten, die der Erblasser offensichtlich zum Zwecke der Umgehung der Verfügungsbeschränkungen vorgenommen hat.

Seite 7 3. Erb- oder Pflichtteilsverzicht a) Erb- und Pflichtteilsverzicht nach türkischem Recht Der Erbverzicht ist auch im türkischen Recht vorgesehen (Art. 528 ZGB) und erfolgt durch mit dem Erblasser abzuschließenden Erbverzichtsvertrag. Folge ist, dass der Verzichtende weder gesetzliche Erb- noch Pflichtteilsrechte geltend machen kann (Kiliç, a. a. O., S. 1547). b) Form des Pflichtteilsverzichts Die Form des Pflichtteilsverzichts richtet sich aus deutscher Sicht weder nach dem Haager Testamentsformübereinkommen, noch nach Art. 26 Abs. 4 EGBGB, sondern nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB (Palandt/Heldrich, a. a. O., Art. 26 EGBGB Rn. 5). Auch das deutsch-türkische Nachlassabkommen findet insoweit keine Anwendung (Staudinger/Dörner, a. a. O., Vorbem. zu Art. 25 f. EGBGB Rn. 184). Nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB genügt die Einhaltung der Ortsform bzw. der Form, die das Geschäftsrecht vorschreibt. Sofern also die Form des deutschen Rechts für einen Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht als Ortsform eingehalten wird, ist der Erbverzicht formwirksam zustande gekommen. Das Gleiche gilt aus der Sicht des türkischen Rechts, das in Art. 22 bzw. Art. 6 IPRG für die Einhaltung der Form u. a. auf das Ortsrecht abstellt. Ein in Deutschland geschlossener Erbverzichtsvertrag würde demnach wohl auch in der Türkei als formwirksam angesehen werden. 4. Behandlung der Anrechnung auf den Pflichtteil a) Qualifikation und anwendbares Recht Die kollisionsrechtliche Behandlung von Vorempfängen ist auch bezüglich der Ausgleichung und Anrechnung umstritten. Einerseits wird vertreten, dass über die Ausgleichung das Recht derjenigen Masse entscheiden soll, welcher die zugewandten Vermögenswerte angehört hätten, wenn die Zuwendung unterblieben wäre (Staudinger/Firsching, 12. Aufl. 1991, Vorb. zu Art. 24 26 Rn. 368 ff). Es erscheint aber zufällig danach zu unterscheiden, woher der Erblasser die Mittel genommen hat. Nach anderer Ansicht soll daher die Ausgleichung ohne Rücksicht auf Natur und Herkunft des zugewandten Gegenstandes für jede Masse getrennt nach ihrem Recht durchgeführt werden. Die Ausgleichung soll dann in ihrer Höhe im Verhältnis zum Gesamtnachlass bestimmt werden (Soergel/Schurig, 12. Aufl. 1996, Art. 25 EGBGB Rn. 100; Münch- Komm-Birk, Art. 25 EGBGB, Rn. 143). Nach wieder anderer Ansicht sind gleichzeitig

Seite 8 das für bewegliches und das für unbewegliches Vermögen geltende Erbstatut heranzuziehen (Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB, Rn. 784 ff.). U. E. erscheint es nachvollziehbar, zunächst bezüglich jeder Nachlassmasse zu untersuchen, inwieweit Ausgleichungspflichten bestehen. Da eine strenge rechtliche Trennung sich bei Betrachtung des gesamten Nachlasses nachteilig für einzelne Erben auswirken kann, z.b. wenn der Nachlassteil für die Ausgleichung in einer Nachlassmasse nicht ausrecht, ist jedenfalls eine Korrektur erforderlich. Solche Ergebnisse sind wohl am ehesten materiell im Wege der Anpassung unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses zu korrigieren (MünchKomm-Birk, Art. 25 EGBGB, Rn. 143), wobei hier nicht im Einzelnen vorhergesehen werden kann, wie ein Gericht den Streit entscheiden würde. b) Anrechnung auf den Pflichtteil nach türkischem Erbrecht Auch das türkische Recht kennt die Anrechnung von Vorempfängen auf den Pflichtteil, Art. 669 türk. ZGB. Hierzu steht uns allerdings leider weder der Gesetzestext in deutscher Übersetzung noch Sekundärliteratur zur Verfügung.