ANETTE KRAMME MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES SPRECHERIN DER ARBEITSGRUPPE ARBEIT UND SOZIALES GABRIELE HILLER-OHM MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES MITGLIED DER ARBEITSGRUPPE ARBEIT UND SOZIALES Übersicht über den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen I. Regelsätze 1. Festlegung der Referenzhaushalte a) Welche Haushalte werden aus der Stichprobe heraus gerechnet? Haushalte, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel sowie nach dem Zweiten Buch bestreiten. (Neufassung 28 Abs. 3 SGB XII) Damit sind BezieherInnen ergänzender Leistungen (insbesondere AufstockerInnen nach dem SGB II) ebenso in den Referenzhaushalten enthalten wie verschämt Arme, die auf ihre Ansprüche aufgrund Unwissenheit oder Scham verzichten. Im Hinblick auf letztere Gruppe bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Der Regelsatz wird durch diese Vorgehensweise künstlich niedrig gerechnet. b) Welche Haushaltstypen werden als Referenzgruppen für die Ermittlung der Regelbedarfe herangezogen? Auf Grundlage von Sonderauswertungen werden die Verbrauchsausgaben von a) Einpersonenhaushalten und b) Paarhaushalten mit einem Kind untersucht, um so die Regelbedarfe zu ermitteln ( 28 Abs. 3 SGB XII). Hier ist sowohl unklar, wie der Bedarf von Paaren ohne Kind als auch der Bedarf von Kindern ermittelt werden soll. Notwendig wäre auf jeden Fall auch die Auswertung der Verbrauchsausgaben von Haushalten mit zwei Erwachsenen ohne Kind, um jeweils die Differenz der Bedarfe für die weitere erwachsene Person und das Kind zu ermitteln. Unklar bleibt auch, wie Kinderbedarfe abgeleitet werden. Die EVS kann Ausgaben für Kinder nicht statistisch einzeln erheben.
c) Festlegung des Perzentils Ein-Personenhaushalte: unterste 15% der Haushalte Familienhaushalte: unterste 20% der Haushalte Bislang sind die untersten 20% der Haushalte als Bezugsgruppe herangezogen worden. Durch die Absenkung auf 15 Prozent wird der Regelsatz künstlich niedrig gerechnet. Der Gesetzesentwurf enthält keine Begründung für die vorgenommene Differenzierung zwischen Alleinstehenden und Familien. Gerade in der Zusammenschau mit der Vorgehensweise nach Ziffer 1 a) ergeben sich verfassungsrechtliche Bedenken. Unter Umständen wird der Regelsatz evident zu niedrig angesetzt. 2. Festsetzung des regelsatzrelevanten Verbrauchs hier u.a. Streichung der Ausgaben für Tabak und Alkohol Die Streichung ist lebensfremd. Darüberhinaus trifft die Herausrechnung auch die Haushalte, die selbst keine diesbezüglichen Ausgaben tätigen. 3. Welche Altersstufen werden gebildet? Die Regelung entspricht der bisherigen Rechtslage. 4. Zusätzliche Bedarfe (SGB XII) bzw. abweichende Erbringung von Leistungen (SGB II) Neben den Regelbedarfen und den bereits bislang definierten zusätzlichen Leistungen (Erstausstattung der Wohnung; Erstausstattung für Bekleidung und bei Schwangerschaft und Geburt; mehrtägige Klassenfahrten) werden nunmehr eng definierte zusätzliche Bedarfe bzw. abweichende Leistungen erkannt: Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten. ( 24 Abs. 3 Nr. 3 SGB II bzw. 31 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII). Die Begründung, wonach diese Ausgaben aus dem Regelsatz heraus genommen werden sollten, da sie nicht bei allen LeistungsempfängerInnen getätigt werden, und daher im Bedarfsfall die veranschlagte Summe im Regelsatz nicht ausreicht, ist nachvollziehbar und richtig. Bei atypischen bzw. einmaligen Bedarfen fordern wir eine Harmonisierung des SGB II mit dem SGB XII. SEITE 2
5. Anpassungsmechanismus Kurzfristig: Jährliche Anpassung zum 1. Juli aufgrund eines Index, der gebildet wird aus 70 Prozent regelbedarfsrelevanten Gütern und Dienstleistungen und 30 Prozent bundesdurchschnittliche Nettolöhne. Maßgeblich ist jeweils die Veränderungsrate vom Vorjahr zum Vorvorjahr. (Neufassung 28a SGB XII) Die Sicherung des aktuellen Bedarfes von LeistungsempfängerInnen wird so nicht erreicht, da a) die durchschnittlichen Nettolöhne nichts über das Verbrauchsverhalten der LeistungsempfängerInnen aussagen (insbesondere vor dem Hintergrund eines sich ausbreitenden Niedriglohnsektors) und b) ein time lag von einem Jahr auch bei den regelbedarfsrelevanten Gütern und Dienstleistungen besteht. Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken. Langfristig: Laufende Wirtschaftsrechnung (Neufassung 28a SGB XII, Begründung) Die Regelung ist sinnvoll. Sie entspricht dem Antrag der SPD-Bundestagsfraktion, der Position der Länder sowie einem Prüfauftrag des SPD-geführten BMAS. Nach mündlicher Auskunft des Statischen Bundesamtes wird dies erst nach der nächsten EVS möglich sein (also ab 2014), um eine Vergleichbarkeit der Studien herbei zu führen.. 6. Festsetzung der Regelsätze im SGB XII Der Referentenentwurf benennt in 29 zwei unterschiedliche Varianten: Variante 1: Neufestsetzung durch die Länder im Rahmen einer Verordnung (geltendes Recht) Variante 2: Neufestsetzung durch die Länder nur, wenn abweichende Regelsätze festgelegt werden Variante 2 wird von den A-Ländern bevorzugt SEITE 3
II. Leistungen für Bildung und Teilhabe von Kindern 1. Grundsätzliches Der 4 Abs. 2 SGB regelt die Verpflichtung der Träger der Grundsicherung, die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern zu garantieren, sehr restriktiv, wie insbesondere in der Begründung deutlich wird: Damit ist kein Sicherstellungsauftrag der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende verbunden. Die Aufgabe der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende beschränkt sich darauf, den Zugang zu vorhandenen Angeboten der gesellschaftlichen Teilhabe im sozialen und kulturellen Bereich zu eröffnen, damit Kinder und Jugendliche, die auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen sind, nicht ausgegrenzt werden. Die Bereitstellung einer Angebotsstruktur obliegt dagegen auch weiterhin den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Rahmen der Daseinsvorsorge. Der Lösungsansatz kann an sich nur über die Schulen/Kitas unter Einbeziehung der Jugendämter erfolgen, da bildungsferne Eltern nicht nur im Kreise der SGB II bzw. SGB XII- EmpfängerInnen vorzufinden sind. 2. Anspruchsberechtigter Personenkreis a) Einkommen: Leistungen für Bildung und Teilhabe nach 28 SGB II bzw. 34 SGB XII sollen nicht nur Kindern erhalten, die in Bedarfsgemeinschaften des SGB II bzw. SGB XII leben, sondern auch Kinder, die mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese auf Grund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind. ( 7 Abs. 2 Satz SGB II) Sinnvoll wäre es, dass alle Kinder, deren Eltern den Kinderzuschlag erhalten, anspruchsberechtigt sind. Nach des Gesetzesbegründung ist dies aber nicht gemeint: Nur Kindern von GeringverdienerInnen, bei denen der Wert der Bildungsund Teilhabeleistungen Bedürftigkeit nach dem SGB II bzw. SGB XII auslöst, sollen diese Leistungen erhalten. Dies ist keine akzeptable Regelung, zumal auch die Kinder, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten,hiervon ausgeschlossen sind. Und: Auch der Anspruch auf das Schulbedarfspaket, das bislang allen Kindern in Haushalten, die den Kinderzuschlag erhalten haben, gewährt wurde, wird gestrichen. (Streichung des 6a Absatz 4a des Bundeskindergeldgesetzes) SEITE 4
b) Altersgrenzen Bedarfe für Bildung werden bei Personen anerkannt, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen und keine Ausbildungsvergütung erhalten (Schülerinnen und Schüler) ( 28 Abs. 1 SGB II bzw. 34 Abs. 1 SGB XII). Der Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ( 28 Abs. 6 SGB II bzw. 34 Abs. 6 SGB XII) wird hingegen auf das 18. Lebensjahr begrenzt. 3. Umfang der Leistungen a) Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten ( 28 Abs. 2 SGB II bzw. 34 Abs. 2 SGB XII) Während mehrtätige Klassenfahrten auch bislang anerkannt worden sind, werden nunmehr auch eintägige Schulausflüge in die Regelung mit einbezogen. b) Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf ( Schulbedarfspaket ) ( 28 Abs. 3 SGB II und 34 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII). Die bisherige Leistung von 100 EUR pro Schuljahr soll zukünftig im Umfang von 70 EUR zu Schuljahresbeginn und von 30 EUR zu Beginn des zweiten Halbjahres erfolgen. Diese Aufteilung ist sachlich nachzuvollziehen, allerdings wird die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, wonach dieser Satz exakt nachzuweisen ist, nicht erfüllt. Beim statischen Bundesamt ist kein Datenmaterial vorhanden. c) Lernförderung ( 28 Abs. 4 SGB II bzw. 34 Abs. 4 SGB XII) Anerkannt wird ein Bedarf auf Lernförderung, wenn das wesentliche Lernziel (Gesetzesbegründung) nicht erreicht wird; dieses besteht in der Versetzungsempfehlung bzw. einem ausreichenden Leistungsniveau, nicht aber dem Erreichen einer besseren Schulartempfehlung. Schulische Angebote haben Vorrang gegenüber außerschulischer, insbesondere gewerblich geleisteter Nachhilfe. Die Regelung dürfte sich als streitbefangen erweisen, da die Voraussetzungen für die Lernförderung nicht genau geregelt werden. Die Finanzierung von privater Nachhilfe wird überdies nicht rückgängig zu machen sein. Unser Ansatz ist ein anderer: Rechtsanspruch auf einen Ganztagesschulplatz, Rechtsanspruch auf Ausbau der Zahl der Kinderkrippenplätze etc. SEITE 5
d) Mittagsverpflegung ( 28 Abs. 5 SGB II bzw. 34 Abs. 5 SGB XII) Wird in schulischer Verantwortung bzw. in Kindertagesstätten ein gemeinsames Mittagessen angeboten, so wird der Bedarf anhand der durchschnittlichen Tage, an denen ein Kind in diesem Bundesland die Einrichtung besucht, anerkannt. Für die ersparten häuslichen Ausgaben für ein Mittagessen wird je Schultag ein Betrag von einem Euro berücksichtigt. Die Regelung ist bürokratisch ausgestaltet. Es erfolgt kein Ausbau der Leistungen, da hiervon nur Kinder profitieren, wenn auch tatsächlich ein Mittagessen angeboten wird. e) Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ( 28 Abs. 6 SGB II bzw. 34 Abs. 6 SGB XII) Hier wird abschließend aufgelistet, wonach ein Bedarf in Höhe von 120,-- EUR (laut Homepage des BMAS) für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, Musikunterricht, vergleichbare Kurse der kulturellen Bildung oder die Teilnahme an Freizeiten berücksichtigt wird. Diese Regelung ist in mehrfacher Weise zu kritisieren: Die finanzielle Höhe ist relativ gering. Die ausschließliche Orientierung auf vereins- bzw. kursförmige Veranstaltungen wird den kulturellen Ansprüchen vieler Jugendlicher nicht gerecht werden. U.U. ist die Pauschalierung sinnvoller, da ein hoher Verwaltungsaufwand bei den Agenturen für Arbeit entsteht. f) Ausschluss von Leistungen Bei den Leistungen der 28 SGB II und 34 SGB XII handelt es sich um abschließende Aufzählungen, so dass ausschließlich diese zu gewähren sind. In der allgemeinen Begründung zum 28 SGB II wird deutlich, welche Leistungen nicht erfasst sind: So ist insbesondere die Anschaffung von Schulbüchern vom Regelbedarf umfasst, soweit die Länder nicht ohnehin Lehrmittelfreiheit gewähren. Auch die Fahrtkosten zur Schule sind von dem Regelbedarf erfasst. Diese restriktive Regelung ist mit dem Urteil des BVerfG nicht zu vereinbaren und zeigt die Notwendigkeit, im Rahmen einer Nationalen Bildungsinitiative hier zu einheitlichen und qualitativ hochwertigen Standards zu gelangen. SEITE 6