Strafrecht Allgemeiner Teil I

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Strafrecht Allgemeiner Teil I Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht unter Einschluss des internationalen Strafrechts Prof. Dr. iur. Frank Meyer 15.09.2016 Seite 1 Lektion 1 - Strafanwendungsrecht 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 2 Wo gilt unser Strafrecht? 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 3 1

Begriff und Funktion Festlegung des (räumlichen und persönlichen) Anwendungsbereichs nationalen Strafrechts durch nationale Normen (materielle Komponente) Begründung nationaler Gerichtsbarkeit (prozessuale Komponente) sog. Doppelfunktion des internationalen Strafrechts 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 4 Legitimationsgrundlagen und -grenzen Festlegung wird vom nationalen Strafrecht selbst getroffen Klassische Grundannahme: Erstreckung originärer materieller Strafgewalt auf fremdes Hoheitsgebiet und eigene Bürger fällt als Ausdruck seiner Souveränität in die Kompetenz- Kompetenz des jeweiligen Staates (Binding) heute: kaum vereinbar mit modernem Völkerrecht und Verfassungsrecht 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 5 Legitimationsgrundlagen und -grenzen Völkerrechtliche Dimension Gefahr der Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten Gefahr der Kollision der Strafansprüche Völkerrechtliche Voraussetzungen und Grenzen nationalen Strafrechts traditionell: völkerrechtliches Interventionsverbot als Grenze der souveränen nationalen Strafgewalt Modernes Völkerrecht: Bedürfnis eines völkerrechtlichen Erlaubnissatzes (str.) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 6 2

Genuine links Territorialitätsprinzip (Inlandstaten) Flaggenprinzip (Gleichstellung von Schiffen und Luftfahrzeugen mit dem Hoheitsgebiet) Aktives Personalitätsprinzip (Begründung der Strafgewalt über Staatsangehörigkeit des Täters) Passives Personalitätsprinzip (Erstreckung der Strafgewalt auf Taten gegen eigene Staatsangehörige) Realprinzip, d.h. strafrechtlicher Schutz eigener (staatlicher) Rechtsgüter 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 7 Genuine links Stellvertretende Strafrechtspflege (Verfolgung aus internationaler Solidarität) Universalitätsprinzip (Begründung der Strafgewalt für bestimmte Straftaten zur Weltrechtspflege unabhängig von anderen Anknüpfungspunkten) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 8 Sog. Strafanwendungsrecht im StGB Art. 3 Verbrechen oder Vergehen im Inland (Territorialitätsprinzip) Art. 4 Verbrechen oder Vergehen im Ausland gegen den Staat (Real- oder Staatsschutzprinzip ) Art. 5 Straftaten gegen Unmündige im Ausland (autonomes Weltrechtsprinzip) Art. 6 Verfolgung von Auslandstaten gem. staatsvertraglicher Verpflichtung (völkervertragliches Weltrechtsprinzip) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 9 3

Sog. Strafanwendungsrecht im StGB Art. 7 Andere Auslandstaten (Mischung aus aktivem und passivem Personalitätsprinzip und stellvertretender Strafrechtspflege) Art. 264m Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen (völkerstrafrechtliches Weltrechtsprinzip) Spezialregelungen in BT-Normen, z. B. Art. 185 Abs. 5, Art. 240 Abs. 3, Art. 245 Abs. 1 StGB 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 10 Territorialitätsprinzip 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 11 Territorialitätsprinzip Art. 3 unterwirft alle Inlandstaten unbedingt dem StGB Wer sich im räumlichen Herrschaftsbereich einer politischen Gemeinschaft aufhält, muss sich auch an deren Normen halten Art. 8 StGB konkretisiert Begehungsort: Ort des Ausführungshandlung Ort des pflichtwidrigen Untätigbleibens Ort des Erfolgseintritts Für den Versuch vgl. Abs. 2 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 12 4

Territorium der Schweiz Begriff der «Schweiz» wird durch Staatsrecht bestimmt Luftraum über gesamtem Hoheitsgebiet (Land und Gewässer) bis Beginn des Weltraums (ab ca. 80-110 km Höhe) Gewässer (für Schweiz wenig relevant) Binnengewässer und Küstenmeer (12-Meilen- Zone) einschließlich Untergrund bzw. Meeresboden nicht: Anschlusszone (bis 24 Meilen), Wirtschaftszone (200 Meilen), Festlandssockel (bis zu 350 Meilen) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 13 Rechtszonen nach UN-Seerechtskonvention Quelle: Website d. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR); http://www.bgr.bund.de/en/themen/zusammenarbeit/technzusammenarb/bilder/unclos_abb1_maritime_souvre chte_g_en.html 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 14 Flaggenprinzip StGB gilt an Bord von Schiffen und Flugzeugen mit Schweizer Hoheitszeichen Schiff und Luftfahrzeug begründen aber kein exklusives Hoheitsgebiet im territorialen Sinn (keine territoires flottantes) Schliessung von Lücken bei Begründung von Strafgewalt und zur Behebung von Zweifelsfällen 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 15 5

Das Bild kann zurzeit nicht angezeigt werden. 15.09.2016 Flaggenprinzip Flugzeuge (Art. 97 ff. LuftfahrtG) Schweizer Staatsflugzeuge u. im im schweizerischen Luftfahrzeugregister eingetragene Luftfahrzeuge, vgl. Art. 52, 55 LFG Luftfahrzeuge jeder Art (Flugzeuge, Hubschrauber, Fesselballon etc.) Schiffe (Art. 4 Abs. 2-4 SeeschifffahrtsG) Schweizerisches Seeschiff i.s.d. Art. 2 Abs. 1 Seeschifffahrtsgesetz See- und Binnenschiffe einschliesslich Zubehör (z.b. Rettungsboot) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 16 Beispielsfall 1 Anneliese wurde in Berlin für einen in Zürich verübten Raub an einem Deutschen zu 9 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Kann sie in der Schweiz ein zweites Mal für den Raub verurteilt werden, wenn sie die Strafe in Deutschland bereits abgesessen hat? 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 17 Auslandstaten Weltkarte 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 18 6

Art. 4 Real- und Staatsschutzprinzip Erfasst Angriffe auf den Staat und seine Einrichtungen sowie die Landesverteidigung im Ausland Schutzumfang wird durch Verweisung auf 13. Titel d. StGB geregelt (Art. 265-278 StGB) Staatsangehörigkeit irrelevant Tatortstrafbarkeit irrelevant 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 19 Art. 4 Real- und Staatsschutzprinzip Genehmigungspflicht gem. Art. 66 StBOG (Strafbehördenorganisationsgesetz) für politische Straftaten bei Bundesstrafverfahren: 1 Die Verfolgung politischer Straftaten bedarf einer Ermächtigung durch den Bundesrat. Zur Wahrung der Interessen des Landes kann er sie verweigern. 2 Bis zum Entscheid des Bundesrates trifft die Bundesanwaltschaft sichernde Massnahmen. 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 20 Art. 5 Autonomes Weltrechtsprinzip Begehung einer schweren Sexualstraftat an Unmündigen im Ausland; Katalogtaten: Abs. 1 lit. a-c Präsenz des Täters in der Schweiz Unmöglichkeit der Auslieferung Unabhängig von der Strafbarkeit nach dem Recht des Tatortstaates Ratio: Bekämpfung der (faktischen) Straflosigkeit von Sextouristen (wg. Verfolgungshemmnissen im Tatortstaat) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 21 7

Art. 6 völkervertragliches Weltrechtsprinzip Ausdehnung auf Auslandstaten aufgrund staatsvertraglicher Verpflichtungen Strafbefugnis nur ausgelöst, wenn und soweit sich aus konkretem Abkommen tatsächlich eine obligatorische Strafverfolgungspflicht von Auslandstaten ergibt Limitierung der Strafhöhe gem. des Rechts des Tatortstaats, Art. 6 Abs. 2 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 22 Art. 6 völkervertragliches «Weltrechtsprinzip» Voraussetzungen Tat am Begehungsort ebenfalls strafbar; Ausnahme: Begehungsort unterliegt keiner Strafgewalt Präsenz des Täters in der Schweiz Auslieferung nicht möglich P: Anwendbarkeit der Einschränkungen in Abs. 2-4, wenn internationales Abkommen diese nicht vorsieht 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 23 Art. 264m Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht Ausdehnung der Strafgewalt auf Auslandstaten nach dem zwölften Titel bis, dem zwölften Titel ter oder nach Artikel 264k Völkerstraftaten: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen Strafbarkeit am Begehungsort unbeachtlich Voraussetzungen Täter hält sich im Inland auf weder Auslieferung noch Überstellung an internationales Tribunal möglich 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 24 8

Art. 7 Andere Auslandstaten Art. 7 vereint drei unterschiedliche Prinzipien in einheitlichem rechtlichem Rahmen: aktives Personalitätsprinzip: Straftaten von Schweizern im Ausland (lex ossibus inhaerent) passives Personalitätsprinzip: Straftaten gegen Schweizer im Ausland stellvertretende Strafrechtspflege: Straftaten von Personen im Ausland, die nicht ausgeliefert werden können 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 25 Art. 7 Voraussetzungen Strafbarkeit am Begehungsort; Ausnahme: Begehungsort unterliegt keiner Strafgewalt Präsenz des Täters in der Schweiz und Nicht- Auslieferung (Art. 25 Abs. 2 BV!) bei gleichzeitiger Auslieferungsfähigkeit der Tat; insb. Art. 3, 35 IRSG Limitierung der Strafhöhe gem. Recht des Begehungsortes, Art. 7 Abs. 3 (Schlechterstellungsverbot) 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 26 Art. 7 Sind weder Täter noch Opfer Schweizer (Abs. 2) muss: Auslieferungsbegehen vorliegen und aus Gründen, die nicht in der Art der Tat liegen, abgewiesen werden oder ein von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtetes, besonders schweres Verbrechen vorliegen Ratio der Geltungserstreckung in Abs. 2: internationale Solidarität; Vermeidung ungewollter Straflosigkeit 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil I, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer LL.M. Seite 27 9

Beispielsfall 2 Beschaffenheit aus Marmor 17 x 16,5 x 10 cm Quelle:http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2012/08/28/Schweiz/ Stein-des-Anstosses-Tuerkische-Botschaft-schaltet-sich-im-Fall-Varone-ein 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 28 Türkische Strafnorm / Übersetzung Madde 68 «Kültür ve tabiat varlıklarını bu Kanuna aykırı olarak yurt dışına çıkaran kişi, beş yıldan oniki yıla kadar hapis ve beşbin güne kadar adlî para cezası ile cezalandırılır.» Art. 68 «Wer Kultur- oder Naturgüter im Sinne dieses Gesetzes rechtswidrig ins Ausland ausführt, wird mit Freiheitsstrafe von 5 bis 12 Jahren und mit einer Geldstrafe bis zu 5000 Tagessätzen verurteilt.» 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 29 Schweizerische Strafnorm Art. 24 Vergehen (KGTG) 1 Sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit höherer Strafe bedroht ist, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder Busse bis zu 100 000 Franken bestraft, wer vorsätzlich: a. gestohlene oder gegen den Willen der Eigentümerin oder des Eigentümers abhanden gekommene Kulturgüter einführt, verkauft, vertreibt, vermittelt, erwirbt oder ausführt; b. sich Grabungsfunde im Sinne von Artikel 724 des Zivilgesetzbuches11 aneignet; c. Kulturgüter rechtswidrig einführt oder bei der Ein- oder Durchfuhr unrichtig deklariert; d. im Bundesverzeichnis erfasste Kulturgüter rechtswidrig ausführt oder bei der Ausfuhr unrichtig deklariert; 2 Handelt die Täterin oder der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Busse bis zu 20000 Franken. 3 Handelt die Täterin oder der Täter gewerbsmässig, so ist die Strafe Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Busse bis zu 200 000 Franken. 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 30 10

Persönliche Geltung (freiwillige Vertiefung) Art. 9 nimmt Personen von Anwendung des StGB aus, «soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.» Immunitäten von Diplomaten und Staatsoberhäuptern befreien nicht von materieller Geltung des StGB Bezeichnung als Extraterritoriale irreführend Immunität begründet Prozesshindernis und befreit nur von Gerichtsbarkeit 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 31 Immunitäten (Freiwillige Vertiefung) Staatsoberhäupter und hohe Staatsorgane (Minister) sind für hoheitliches und privates Handeln von Gerichtsbarkeit anderer Staaten befreit Völkergewohnheitsrecht Funktionelle und persönliche (endet mit dem Amt!) Immunität Diplomaten und konsularisches Personal sind für Handlungen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vor Gerichtsbarkeit der Empfangsstaaten geschützt Funktionelle Immunität; gilt über Dienstzeit hinaus WÜK; WÜD 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 32 Immunitäten (Freiwillige Vertiefung) Parlamentarier und Bundesräte nicht von Geltung schweizerischen Rechts ausgenommen für Äusserungen bei Verhandlungen ihrer Organe greift zum Schutz ihrer Tätigkeit ein persönlicher Strafausschliessungsgrund (Indemnität) gegenüber sonstiger Strafverfolgung begründet Stellung eine besondere Prozessvoraussetzung Verfolgung während Amtszeit wegen Handlungen in Zusammenhang mit amtlicher Stellung oder Tätigkeit von Genehmigung parlamentarischer Gremien abhängig; vgl. Fall «Blocher» 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 33 11

Hausaufgaben und Nachbereitung Lesen Sie Art. 3-8 und 264m StGB gründlich! Lesen Sie gründlich Art. 1, 2, 47 StGB, Art. 5, 7, 8, 9 BV und Art. 7 EMRK! 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 34 Kontrollfragen Wonach entscheidet sich, ob ein Delikt in der Schweiz begangen wurde? Welche unterschiedlichen Formen kennt das Personalitätsprinzip? Was besagen diese? An welche Stelle im StGB sind diese geregelt? Welche Delikte unterfallen dem Weltrechtsprinzip nach Art. 6 StGB und wieso nur diese? Nach welchem Prinzip soll hemmungsloser Sextourismus im Ausland nach Schweizer Recht bestraft werden können? Wo ist die geregelt? Welches Voraussetzungen hat diese Norm? 15.09.2016 Strafrecht Allgemeiner Teil, Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Frank Meyer Seite 35 12