Agnes OTZELBERGER PS Öst. Politik und EU 0348363 406491 Essay PELINKA, Anton: Das politische System Österreichs. In: ISMAYR, Wolfgang (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen, Leske+Budrich, 3. Auflage, 2003, S. 521-552. WiSe 2004/05 18. Oktober 2004
Im kommenden Jahr, dem Jahr 2005, feiert die Zweite Republik Österreichs ihren sechzigsten Geburtstag. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es nun also her, dass man der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ein Ende setzte, dass man aus einer Diktatur wieder eine Demokratie machte, wodurch dem Volk wieder Grundrechte und die Möglichkeit politischer Partizipation zugestanden wurden. Der Politologe Anton Pelinka geht in seinem Text Das Politische System Österreichs, in dem er dieses in seinem 2003 aktuellen Zustand beschreibt, öfters auf die Entwicklung der politischen Kultur und die Formen politischer Partizipation im Lauf der Zweiten Republik ein und zieht diesbezüglich eine positive Bilanz: Die Demokratie hat sich stabilisiert. 1 Im Hinblick auf die Tatsache, dass Österreich nun zweifellos eine demokratische Republik ist, - ihr Recht geht laut Artikel 1 der Bundesverfassung vom Volk aus -, dass jeder volljährige österreichische Staatsbürger wählen darf, der Schutz der universellen Gleichheit und der Grund- und Menschenrechte durch den Staat gewährleistet ist und (zumindest gewisse) Voraussetzungen gegenseitiger Machteinschränkung und kontrolle durch verschiedene Träger politischer Verantwortung erfüllt sind, kann man den Inhalt dieser Aussage als logisch, wahr und gegeben annehmen. Doch bei näherer Betrachtung zwingen sich einige Fragen auf. Die soeben genannten Indikatoren von Demokratie bestanden bereits mit der Gründung der Zweiten Republik. Die Aussage aber, dass sich bis zu dem Zeitpunkt der Verfassung dieses Textes etwas stabilisiert hat, impliziert, dass seit 1945 ein Prozess stattgefunden hat, der bis 2003 abgeschlossen war. Was hat sich also in den vergangenen rund sechzig Jahren inwiefern und warum stabilisiert? Kann es sein, dass Pelinka also einen anderen, entweder einen spezifischeren oder sogar einen weiter gefassten Demokratiebegriff verwendet? Und, wenn man den Begriff als Leser nun anders auffasst, kann man dann tatsächlich als gegeben und wahr annehmen, dass diese Demokratie sich stabilisiert hat? Verfolgt man Pelinkas Ausführungen bezüglich politischer Kultur quer durch den Text, taucht immer wieder der Begriff Konkordanzdemokratie als spezifisch österreichisches Merkmal auf. In Zusammenhang mit seiner Feststellung, dass sich die Demokratie stabilisiert habe, bringt er folgendes ein: Die Kultur der 1 Pelinka, Anton: Das politische System Österreichs. In: Ismayr, Wolfgang (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen, Leske+Budrich, 3. Auflage, 2003, S. 543. 1
Konkordanzdemokratie [ ] kann zu einer Kultur der Konkurrenzdemokratie [ ] weiterentwickelt werden. In diesem Sinne kann man also davon ausgehen, dass Pelinka eine spezifischere Demokratie meint, und dass er die Qualität einer solchen daran misst, in welchem Ausmaß an der Spitze ein offener Machtkonflikt herrscht, der, wie der Politologe in einem Politikwissenschafts-Lehrbuch erklärt, die Mitwirkung des Volkes an den Vorgängen, die in jedem politischen System zentral sind Machtzuweisung, Machtkontrolle und Machtablösung 2 erlaubt. In Österreich hat diesbezüglich im Laufe der letzten Jahrzehnte sicherlich ein nicht unbeachtlicher Prozess stattgefunden. Im Bereich der Parteienlandschaft zum Beispiel, war das österreichische politische System bis in die frühen Achtziger hinein von einem hohen Konzentrationsgrad geprägt: Die unter anderem durch die lange Aufrechterhaltung und Abgrenzung von sozialen Milieus überdurchschnittlich hohe Parteineigung betraf nur zwei Parteien, die Österreichische Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei. Dass den Wählern dadurch keine große Auswahl an Möglichkeiten geboten war, ist evident. Erst durch das verstärkte Auftreten neuer Akteure ab den Achtziger Jahren, durch Parteien wie die Freiheitlichen, die Grünen oder das Liberale Forum, konnte diese starre Struktur gelockert werden, die öffentlichen Diskurse entwickelten sich entlang neuer Konfliktlinien, es gab mehr Konfrontation und man konnte nach und nach immer überzeugender von einem Mehrparteiensystem sprechen. Auch die Sozialpartnerschaft, ein weiterer wichtiger Faktor für das Muster der Konkordanzdemokratie, hat besonders seit dem Regierungswechsel zu schwarz-blau im Frühjahr 2000 an Bedeutung verloren. Was sich nun also abzeichnet, ist eine verstärkt konfliktorientierte Politik, was im Sinne Anton Pelinkas anscheinend die Stabilität einer Demokratie bezeichnet. Dennoch finde ich das unzureichend. Schließlich taucht bereits ein Problem auf, wenn man bei dem Begriff der Konkurrenzdemokratie bleibt. Im Versuch, eine solche erklärend zu beschreiben, spricht Pelinka in seinem Lehrbuch von der Notwendigkeit eines breiten Konsenses in der Basis, damit an der Spitze mehr Raum für Konflikt geschaffen ist. 3 Wenn sich nun also, wie der Autor meint, das Muster der Konkordanz zu dem der Konkurrenz weiterentwickeln kann, lässt er meiner Meinung nach außer Acht, dass die Basis, also die österreichische Bevölkerung, keineswegs einen derart ausgeprägten Konsens aufweist. In vielen, grundsätzlichen Fragen zeigen sich eindeutig divergierende Tendenzen, und gerade die politischen 2 Pelinka, Anton: Grundzüge der Politikwissenschaft. Wien, Böhlau, 2000, S.26. 2
Handlungsakte der Regierung wirken in meinen Augen eher in Richtung einer Fragmentierung der Gesellschaft. Die Signale, die derzeit von oben auf die österreichische Bevölkerung einwirken, fördern die Steigerung eines Konkurrenzdenkens innerhalb derselben, sei es jetzt im Sektor der Bildung wo man offensichtlich immer besser, schneller und bald wahrscheinlich auch um einiges reicher sein muss, um das eigene Durchkommen und Überleben abzusichern, oder in der Arbeitswelt, wo schlicht und einfach das selbe gilt. Von diesem Standpunkt aus betrachtet hat sich die Demokratie im Sinne Pelinkas eigentlich weder stabilisiert noch wird sie das meiner Ansicht nach tun, wenn die Regierung weiterhin ihren jetzigen Kurs verfolgt. Ich fasse nun den Begriff der Demokratiestabilität von vornherein etwas weiter und beziehe ihn (auch) auf verschiedene Formen politischer Partizipation und folglich als Beurteilungsmaßstab für und Stabilität auch deren Inanspruchnahme, also beispielsweise die Wahlbeteiligung. Kann man anhand der Tatsache, dass diese in den letzten Jahren durch eine zunehmende Politikverdrossenheit und die daraus resultierende Weigerung von immer mehr österreichischen Staatsbürgern, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, erschreckend zurückgegangen ist, wirklich behaupten, dass eine Effektivität und somit Stabilität unserer Demokratie gegeben sind? Um die Frage der Effektivität und Stabilität weiter zu erläutern, muss außerdem bemerkt werden, dass ein weiterer wichtiger Punkt, der in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen hat, bei Pelinkas Urteil über die Demokratie nicht in Rechnung gestellt wird: die EU. Nicht ohne Grund werden in letzter Zeit immer mehr Stimmen laut, die von einem europäischen Demokratiedefizit sprechen. Durch das politische System der EU und ihre Methode im Bereich der Rechtssetzung überwiegen erstens die repräsentativen Elemente beim Zustandekommen von Normen, die ob nun merklich oder latent - in das Leben jedes einzelnen EU-Bürgers eingreifen. Zweitens ist, abgesehen vom EU- Parlament, auch die Entscheidung über die Träger der politischen Verantwortung weit vom Einflussbereich der Wählerstimmen entfernt. Die bereits erwähnte Mitwirkung des Volkes an den Vorgängen, die in jedem politischen System zentral sind Machtzuweisung, Machtkontrolle und Machtablösung ist im Fall der EU kaum gegeben. Es ist klar, dass bei der EU mit ihren 25 Mitgliedsländern und somit einer 3 Pelinka, Anton: Grundzüge der Politikwissenschaft. Wien, Böhlau, 2000, S.28. 3
Unzahl mitunter völlig verschiedener Auffassungen und Denkkulturen kein Konsens in der Basis vorherrscht und dass somit vorerst nicht darüber diskutiert werden kann, inwiefern die Demokratie innerhalb der EU von einer konsensorientierten zu einer konfliktorientierten werden kann. Doch das sind Fragen, die weit in ein anderes Terrain, die EU-Finalitätsdebatte, hineinreichen. Vielmehr geht es nun um das österreichische politische System, welches wie das eines jeden EU-Mitglieds eng in das der EU eingebunden ist. Kommt man nun wieder auf den Grundsatz zurück, dass das Recht vom Volk ausgeht, gerät man aufgrund der Tatsache, dass bereits ein beachtlicher Anteil der in Österreich geltenden und neu hinzukommenden Rechtsmaterie Gemeinschaftsrecht ist, in ein demokratiepolitisches Dilemma. Durch die Gemeinschaftsmethode entstandene Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen sind kaum noch auf den einzelnen Bürger eines EU-Landes rückführbar. Das Europäische Parlament, das einzig direkt gewählte Organ innerhalb der Union hat äußerst eingeschränkte Kompetenzen, zumindest solange bis die geplante Verfassung zum Tragen kommt, und selbst dann wird es mit der Demokratie schwierig bleiben. Ohne nun die Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union kritisieren zu wollen, muss gesagt werden, dass es wichtig ist, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass weder Demokratie noch Demokratiedefizit leere Worte sind und Aufmerksamkeit und Vorsicht gefragt sind. Österreich ist zweifelsohne keines der Länder, in denen Menschen um ihre Grundrechte und um das Recht der politischen Partizipation kämpfen müssen. Demokratie und Stabilität sind selbstverständlich. Doch eben aufgrund dieser Selbstverständlichkeit muss man vielleicht besonders darauf achten, dass die mitunter vielschichtigen Bedeutungen solcher Begriffe in ihrer Selbstverständlichkeit nicht untergehen, sondern laufend überprüft und hinterfragt werden. Gerade deswegen sollte man nicht unreflektiert lassen, was banal klingt, aber viel tiefer geht als eine komplizierte Analyse oder verwirrendes Zahlenmaterial. Eine Aussage wie Die Demokratie hat sich stabilisiert 4 ist nur eines von unzähligen Beispielen dafür. 4 Pelinka, Anton: Das politische System Österreichs. In: Ismayr, Wolfgang (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen, Leske+Budrich, 3. Auflage, 2003, S. 543. 4
Primärliteratur: Pelinka, Anton: Das politische System Österreichs. In: Ismayr, Wolfgang (Hg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen, Leske+Budrich, 3. Auflage, 2003, S. 521-552. Sekundärliteratur: Pelinka, Anton: Grundzüge der Politikwissenschaft. Wien, Böhlau, 2000, S 26-28. 5