Die Totentanzskulpturen des "Mengele Hochaltars" von Jean Tinguely

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Transkript:

Medien Sarah Schneider Die Totentanzskulpturen des "Mengele Hochaltars" von Jean Tinguely Studienarbeit

Inhaltsverzeichnis 1. Methodologische Vorüberlegung 02 2. Über den Ursprung des Totentanzes in der Bildenden Kunst 03 2.1 Der Totentanz in mittelalterlicher Zeit 03 2.2 Exkurs: Der Tod von Basel 04 3. Der Mengele Totentanz von Jean Tinguely 05 3.1 Die eigenständigen Totentanzskulpturen 06 3.1.1 Die Spinne 06 3.1.2 Der Krebs 08 3.1.3 Die Aggression 09 3.2 Überlegungen zur Verbildlichung und Auffassung des Todes 10 4. Die kunsthistorische Einordnung des Mengele Totentanzes 11 4.1 Die Metaphorik des Todes im Gesamtwerk Jean Tinguelys 12 4.2 Todesevokationen in der zeitgenössischen Kunst 12 5. Literaturverzeichnis 14

1. Methodologische Vorüberlegung Jetzt hat Basel wieder einen Totentanz einen Totentanzaltar. Jean Tinguely hat ihn geschaffen, und er ist so faszinierend schön und abstoßend zugleich, dass er alle Aussichten hat, eine große europäische Sehenswürdigkeit zu werden. 1 So der Philologe Gert Kaiser über die 1986 entstandene Werkgruppe Mengele Totentanz, bestehend aus 14 eigenständigen Plastiken 2, des Objektkünstlers Jean Tinguely (1925-1991), die sich heute im Museum Tinguely in Basel befindet. In diesem von der Kunstgeschichte oft vernachlässigten Spätwerk, offenbart sich eines der großen Themen im Oeuvre des der französischen Kunstbewegung der Nouveaux Realistes angehörigen und dem Dadaismus verhafteten Künstlers das Motiv des Todes. Aus den Überresten eines abgebrannten Bauerhofes und maschinellen Versatzstücken fertigte Jean Tinguely einen makabren Figurentanz an, welcher sich in die Bildtradition mittelalterlicher Totentänze einreiht und durch den Verweis auf den KZ-Arzt Josef Mengele sowohl die Betroffenheit über die Ausmerzung menschlichen Lebens widerspiegelt wie auch eine unmittelbare Todesbedrohung darstellt. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, wie Jean Tinguely den Tod innerhalb dieser Werkgruppe inszeniert und welche Auffassung von Tod dieser zu Grunde liegt. Hierbei werden nach einer knappen Übersicht mittelalterlicher Darstellungen von Totentänzen in einem ersten Analyseabschnitt exemplarisch drei eigenständige Skulpturen, Die Spinne, Der Krebs und Die Aggression, formal beschrieben und in einem nachstehenden Untersuchungsteil auf ihren inhaltlichen Aspekt hin betrachtet, um sie abschließend innerhalb des Schaffens dieses Künstlers und der zeitgenössischen Kunst zu verorten. Die Arbeit stützt sich demnach im Wesentlichen auf eine Analyse des Kunstwerkes selbst. Im Hinblick auf den 1 Kaiser, Gert: In Basel lebte ich mit dem Totentanz, in: Jean Tinguely, Basel {: Galerie Beyeler} 1987, Basel 1987, (ohne Paginierung). 2 Plastik wird im Folgenden mit dem Begriff der Skulptur als Synonym für Figur im Allgemeinen verwand, da sich die künstlerischen Objekte Jean Tinguelys einer spezifischen Zuordnung zumeist entziehen, bzw. dies im Rahmen dieser Untersuchung nicht von Bedeutung ist. 2

soziologisch kulturellen Hintergrund der Todesmetaphorik in der Kunst basiert sie zudem auf Barbara Weyandts 2002 erschienener Arbeit Maschinerie des Todes Der Mengele Totentanz von Jean Tinguely. Eine moderne Dans macabre und ihr Beitrag zur Erinnerungskultur sowie auf Michael Bringmanns Abhandlung Der Tod macht alle gleich Zu Form und Funktion des Totentanzes. 2. Über den Ursprung des Totentanzes in der Bildenden Kunst Das mittelalterliche Phänomen des Makabren setzt nachweislich im 14. Jahrhundert mit der verheerenden Pestwelle ein und breitet sich bis in das 16. Jahrhundert aus. Seine Entstehung und Wurzeln liegen jedoch, gleichwohl umfassender Nachforschungen, bis heute im Dunkeln verborgen, wobei die kunsthistorische Forschung davon ausgeht, dass die Ursprünge der Totentanzthematik aus der deutschen oder französischen Bildtradition hervorgegangen sind. 2.1 Der Totentanz in mittelalterlicher Zeit Die bis in die heutige Zeit erhaltenen oder durch Reproduktion beglaubigten und überlieferten Reigen stammen aus der Zeit zwischen 1400 und 1540. Hierzu zählen Der Totentanz von La Chaise-Dieu, ein ausdruckstarkes Fresko und Der Pariser Totentanz, welcher einst die Arkaden des Ossariums auf dem Friedhof des Franziskanerklosters Aux SS. Innocents in Paris ausgestaltete, uns aber nur in Holzschnitten überliefert ist, sowie die Totentänze der Lübeck- Revaler Tradition, Der Totentanz von Lübeck, welcher sich in der Marienkirche befand, und der vermutlich diesem zugehörige Revaler Totentanz. In all diesen mittelalterlichen Rundtänzen eröffnet sich eine allumfassende Bildtradition, welche Jacques Heeres in seiner Schrift über die Festkultur im 3