Fall 9 Schulranzen und rucksäcke).

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Transkript:

Fall 9 (KG, Urteil vom 19.9.2013 2 U 8/09 Kart - Schulranzen und rucksäcke). S stellt Schulranzen der Marke Scout her und vertreibt diese im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems nur über Fachgeschäfte. Regelmäßig beliefert er das Großkaufhaus H. Im zugrundeliegenden Vertriebsvertrag ist vereinbart, dass H Scout- Ranzen nicht bei ebay vertreiben darf. Ähnliche Vereinbarungen unterhält S mit Händlern in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Gehen Sie bitte davon aus, dass vergleichbare Bindungen beim Vertrieb von Ledertaschen, Rucksäcken und Ranzen auch von anderen Herstellern praktiziert werden. H hält dieses Verbot für nichtig, zumal S selbst die Scout-Ranzen etwa an die Albrecht- Discount-Gruppe (Aldi) liefert. Hat er mit dieser Einschätzung Recht? 1

Fall 9 Schulranzen (1) Das zwischen S und H vereinbarte Verbot des Vertriebs über ebay könnte nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig sein. Voraussetzung: Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und keine Freistellung nach Abs. 3 I. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV 1. Vereinbarung zwischen Unternehmen (+) 2. Wettbewerbsbeschränkung a) Betroffener Markt aa) Sachlich Betroffen sind nur Schulranzen des S = produktinterner Wettbewerb. Die Vereinbarung wird auf dem Markt zwischen Hersteller und Händler getroffen, wirkt sich aber auf dem Endverbrauchermarkt, auf dem die Händler die Ranzen den Verbrauchern anbieten aus. Letzterer ist betroffen. bb) Räumlich Im Wesentlichen Deutschland. b) Konzertierung Händler wie H verlieren die Freiheit, die Schulranzen über ebay zu versteigern. 2

Fall 9 Schulranzen (2) c) Wettbewerbsbeschränkung (1) Die Konzertierung spricht für eine WB (Selbstständigkeitspostulat). Sie kann jedoch als vertikale WB isd. Art. 1 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO gemäß Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO freigestellt sein. (2) Eine Ausnahme könnte jedoch nach Art. 4 lit. c Vertikal-GVO bestehen. (aa) S betreibt hier ein selektives Vertriebssystem (Art. 1 Abs. 1 lit. e Vertikal-GVO). (bb) S schränkt die Freiheit des H beim Vertrieb an Endverbraucher ein. Problem: Der Betrieb selektiver Vertriebssysteme ist erlaubt (arg. e Art. 4 lit. b iii) Vertikal-GVO). Ausschlaggebend für ein selektives Vertriebssystem ist aber die Auswahl der Händler anhand festgelegter Merkmale (Art. 1 Abs. 1 lit. e Vertikal-GVO). Dies sind insbesondere Qualitätsmerkmale. 3

Fall 9 Schulranzen (3) Konsequenz: Diese Qualitätsmerkmale dürfen auch im Rahmen des Art. 4 lit. c Vertikal-GVO durchgesetzt werden und stellen keine Beschränkung i.s.d. Norm dar. => Art. 4 lit. c Vertikal-GVO ist nicht anwendbar auf die Durchsetzung der Selektionskriterien in einem selektiven Vertriebssystem (I/M/Ellger, Bd. 1, Art. 4 Rn. 91). So auch das KG allerdings nach altem GWB. Voraussetzung für die Durchsetzung des Selektionskriteriums: (1) Das Kriterium selbst muss rechtmäßig sein (Gegenbeispiel: Keine Beschränkung auf Händler, die sich in eine verbotene Preisbindung nach Art. 4 lit. a Vertikal-GVO fügen). (2) Die Durchsetzung des Selektionskriteriums muss dem Erforderlichkeitsprinzip entsprechen (Eignung, mildestes Mittel, Angemessenheit im engeren Sinne) Vorliegend: (1) Rechtmäßigkeit: Hier geht es S um Imagewahrung. Die Produkte sollen nicht als Massenprodukte vertrieben werden, sondern das Image einer gehobenen Markenware wahren. KG: Abhängig von den Einzelumständen kann der Vertrieb über ebay das Image eines Flohmarktes haben. Allerdings hängt dies von den Umständen des Einzelfalles ab. 4

Fall 9 Schulranzen (4) 2. Erforderlichkeit? Problem: Weil S als Hersteller einseitig gegenüber H auf Vertriebsbindungen bestehen kann, muss er die so eröffnete Gestaltungsmacht verhältnismäßig ausüben. Erforderlichkeits-/Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Wenn S eine Vertriebsstrategie vorgibt, muss die H auferlegte Bindung auch dazu geeignet sein, diese zu wahren. Dies ist nicht der Fall, wenn S selbst über Aldi vertreibt.! Denn dadurch wird das Image der Ranzen einer gehobenen Markenware stark beschädigt.! Die H auferlegte Bindung kann ein Image nicht dann herstellen, wenn S dieses selbst zerstört hat (so auch das KG). (cc) Zwischenergebnis: Ein Verstoß gegen Art. 4 lit. c Vertikal-GVO und eine Wettbewerbsbeschränkung liegen vor. Damit kommt auch keine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV in Betracht. 5

Fall 9 Schulranzen (5) (dd) Der Rechtsgedanke der Metro-Entscheidung (Lehre von den Nebenabreden) ist nicht anwendbar, weil die Bindung des H nicht unerlässlich für einen Markterschließungseffekt ist. d) Ein Bezwecken liegt vor. e) Zwischenstaatlichkeitsbezug ist gegeben (+) f) Spürbarkeit der Bindung im einzelnen Händlervertrag? Hier greift die Bündeltheorie des EuGH: Nicht nur der einzelne Vertriebsvertrag, sondern das Bündel aller gleichartigen Vertriebsverträge ist zu berücksichtigen, wenn (1) ein Markt mit erheblichen Zutrittsschranken vorliegt (2) und der einschlägige Vertrag zur Beschränkungswirkung dieses Bündels erheblich beiträgt. Nach den Angaben im SV ist dies zu untertellen und somit von Spürbarkeit auszugehen. Ergebnis: Ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV liegt vor. 6

Fall Badarmaturen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.11.2013 VI-U (Kart) 11/13 Badarmaturen) B stellt hochwertige Badarmaturen her und macht sich Sorgen, weil diese häufig von von ihm belieferten Großhändlern an Einzelhändler gelangen, die sie direkt über das Internet vermarkten. B möchte erreichen, dass die Armaturen nur von Fachhandelsgeschäften und Fachhandwerkern vertrieben werden. Denn diese können den Kunden die Unterschiede zu Billigarmaturen von Drittherstellern leichter erklären. Deshalb vereinbart B mit den Großhändlern sog. Fachhandelsvereinbarungen. Den Großhändlern räumt B dabei einen Sonderrabatt von 15 % auf den regulären Großhandelspreis ein, wenn sie die Armaturen an Fachhandelsgeschäfte und Fachhandwerker vertreiben. Gehen Sie bitte davon aus, dass der zwischenstaatliche Handel durch diese Praxis erheblich beschränkt ist! Großhändler X verlangt von B Unterlassung dieser Praxis. Zu Recht? 7

Fall Badarmaturen (1) X gegen B aus 33 Abs. 1 Satz 1 GWB ivm. Art. 101 AEUV. Zum Aufbau: 1. Aktivlegitimation nach 33 Abs. 1 Satz 3 bzw. Abs. 2 GWB, 2. Verstoß gegen Art. 101 AEUV und 3. Wiederholungsgefahr. 1. Aktivlegitimation Sonstiger Marktbeteiligter isd. 33 Abs. 1 Satz 3 GWB: Vor allem die Angehörigen der vor- und nachgelagerten Marktstufen. Hier: Abnehmer; ist erfasst. 2. Verstoß gegen Art. 101 AEUV a) Vereinbarung zwischen Unternehmen (+) b) Wettbewerbsbeschränkung aa) Betroffener Markt Markt für Badezimmerarmaturen des B auf der Großhandelsstufe (produktinterner Wettbewerb) bb) Konzertierung Freiheit, über das Internet anzubieten, wird zumindest gelähmt. Da die Großhändler bei einer Belieferung von Internetanbietern Nachteile haben, werden sie diese im Zweifel nicht oder nur zu ungünstigeren Bedingungen beliefern. => Der Internethandel mit den Armaturen des B wird wirtschaftlich unattraktiver 8

Fall Badarmaturen (2) cc) Wettbewerbsbeschränkung (1) Aus der Freiheitsbeschränkung resultiert grundsätzlich eine Wettbewerbsbeschränkung. Diese könnte jedoch freigestellt sein. (2) Grundsätzlich: Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO als vertikale Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 1 Abs. 1 lit. b Vertikal-GVO. (2) Problem: Besteht eine Ausnahme nach Art. 4 lit. b bzw. lit. c Vertikal-GVO? Verhältnis beider ungeklärt. Teilweise vertreten: Für selektive Vertriebssysteme sei Art. 4 lit. c Vertikal-GVO spezieller. Passt aber nicht zur Rückausnahme nach Art. 4 lit. b iii Vertikal-GVO => Konsequenz: Beide prüfen! (3) Art. 4 lit. b Vertikal-GVO? (3.1) Beschränkung der Kundengruppe (+) (3.2) Rückausnahme nach i) Beschränkung des aktiven Verkaufs? Aktiver Verkauf bedeutet die direkte Ansprache des Publikums durch den Abnehmer (Vertikal-Leitlinien Europäische Kommission Rn. 51), und zwar durch Anwerben von Kunden im betreffenden Gebiet sowie durch das Unterhalten von Niederlassungen oder Auslieferungslagern. Vertrieb über eine Website, auf die die Nachfrager zugreifen müssen, ist passiver Verkauf (Vertikalleitlinien Rn. 52). 9

Fall Badarmaturen (3) (3.3.) Rückausnahme nach ii) (Verbot der Sprunglieferung) kommt nicht in Betracht. (3.4.) Rückausnahme lit. iii) Beschränkung der Querlieferung in selektiven Systemen? Hier geht es nicht um Querlieferungen auf der Großhandelsstufe, sd. um Lieferbeschränkungen auf der Endhandelsstufe. (3.5.) Rückausnahme lit. iv) kommt nicht in Betracht. => Verbot nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO (4) Art. 4 lit. c Vertikal-GVO tritt hinter der spezielleren Regelung zur Marktaufteilung (lit. b) zurück. (4) Ausnahme nach Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall darüber hinaus? Erforderlich: Eine Verbesserung der Warenverteilung. Nein: EuGH, Urteil vom 13.10.2011 C 439/09 Pierre Fabre. Ein Hersteller hat kein schützenswertes Interesse daran, seinen Händlern den Invernetvertrieb zu verbieten, da dieser eine besonders deutliche Form des Preiswettbewerbs darstellt. 10

Fall Badarmaturen (4) Etwas differenzierter: BGH, Urteil v. 4.11.2003 KZR 2/02 Parfumdepositär. Ist der Hersteller darauf angewiesen, dass die Ware den Kunden unmittelbar präsentiert wird (Duftprobe beim Parfum), kann er Händler ausschließen, die nur über das Internet vertreiben, weil diese von den Leistungen der Händler mit Ladenlokal partizipieren (Trittbrettfahrereffekt) Dieser zweite Fall könnte hier einschlägig sein. Jedoch bleibt unklar, ob die Beratung über die Armaturen so zwingend notwendig ist wie die Duftprobe beim Parfum. Unklarheiten gehen im Bereich des Art. 101 Abs. 3 AEUV aber zu Lasten dd) Bezwecken, Spürbarkeit und Zwischenstaatlichkeitsbezug (+) 3. Wiederholungsgefahr 4. Ergebnis: Der Anspruch besteht 11

Fall Pierre Fabre (EuGH WuW 2012, 93 Pierre Fabre) Der Kosmetikhersteller K gehört der französischen Pierre Fabre-Gruppe an und sieht in den Verträgen mit seinen Händlern vor, dass die eigenen Kosmetika und Körperpflegeprodukte stets nur in Anwesenheit einer Person mit französischem Apothekerdiplom vertrieben werden dürfen. Für den Fall der Zuwiderhandlung sieht der Händlervertrag eine Vertragsstrafe von 100.000 pro Einzelfall vor. Der Deutsche H bezieht als Händler die Produkte aufgrund eines solchen Händlervertrags von K und vertreibt sie unter anderem in seinem Kosmetikgeschäft. Als K jedoch darauf aufmerksam wird, dass H seine Produkte auch im Internet anbietet, verlangt er Zahlung der Vertragssstrafe. Die Parteien haben deutsches Recht gewählt. 339 BGB. 1 Verspricht der Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so ist die Strafe verwirkt, wenn er in Verzug kommt. 2 Besteht die geschuldete Leistung in einem Unterlassen, so tritt die Verwirkung mit der Zuwiderhandlung ein. 12

Lösungsskizze: Pierre Fabre (1) In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen H auf Zahlung der Vertragsstrafe aus 339 Satz 2 BGB. 1) Setzt voraus: Wirksame Vereinbarung einer Vertragsstrafe und Verwirkung durch Zuwiderhandlung 2) Diese Vereinbarung kann jedoch gegen Art. 101 Abs. 2 AEUV verstoßen. 3) Fraglich ist, ob ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegt. a) Vereinbarung zwischen Unternehmen (+) b) Wettbewerbsbeschränkung aa) Betroffener Markt sachlich: Produktpalette des K (Produktinterner Wettbewerb) räumlich: hier nicht ganz klar. Durch das Händlernetz bestimmt. Teile von Deutschland und Frankreich. bb) Freiheitsbeschränkung: Hier eine Ausschließlichkeitsbindung in Form einer Verwendungsbeschränkung: Händler darf die von K empfangene Ware nur in bestimmter Art und Weise veräußern. cc) Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO? aaa) Keine Bedenken nach Art. 2 und 3 Vertikal- GVO bbb) Aber Art. 4 lit. b GVO: Beschränkung der Kundengruppe denkbar. Problem: Liegt die Rückausnahme nach Ar. 4 lit. b i Vertikal-GVO vor? 13

Lösungsskizze: Pierre Fabre (2) Fortsetzung: Rückausnahme nach Art. 4 lit. b i Vertikal-GVO wegen Beschränkung des aktiven Verkaufs? Nein: Der Internetverkauf ist grundsätzlich passiver Verkauf angesehen, wenn die Website nicht gezielt auf den Verkauf genau auf diesen Marktbereich zielt. ccc) Art. 4 lit. c GVO: Kein Beschränkung von Einzelhändlern. cc) Freistellung im Einzelfall nach Art. 101 III AEUV? aaa) Verbesserung der Warenverteilung? Dazu jetzt insbesondere: EuGH - Pierre Fabre, Tz. 41 ff.: Kein generelles Verbot des Internetvertriebs von Parfums möglich, wenn der Händler ein Ladenlokal hat. Aber: Imageschutz des Herstellers bei Hochpreisware? EuGH Tz. 46 ist kein Grund für ein generelles Verbot. Kritik: Geht mglw. zu weit und stimmt nicht mit Pronuptia-Entscheidung überein. Hersteller muss sich vor Trittbrettfahrern schützen können. Verbot von Internetvertrieb durch Anbieter, die kein Ladenlokal unterhalten (vgl. Skript: Fall Parfum-Depsitäre). Hier nicht berührt. Daher bereits Zweifel an Verbeserung der Warenverteilung. 14

Lösungsskizze: Pierre Fabre (3) ccc) Beteiligung der Marktgegenseite: Die Untersagung des Internetvertriebs verhindert vor allem effizienten Preiswettbewerb. Zwar hat der Verbraucher den Vorteil, über die Produkte beraten zu werden. Auf diesen muss er jedoch auch verzichten können. Trennlinie dürfte dort liegen, wo ein Händler Parfums ausschließlich über das Internet vertreibt. Ihn darf der Hersteller ausschließen (vgl. Skript, Fall Parfum-Depositäre). Generell darf der Internetvertrieb jedoch nicht untersagt werden. Zusatzüberlegung Problem: Diskriminierung nach 20 Abs. 1 und 2 GWB? a) Vorrang des europäischen Rechts? nein: Art. 3 Abs. 2 Satz 2!!! b) Aber hier wohl kein legitimer Diskriminierungsgrund wegen Grundsatzentscheidung in Art. 4 lit. b (i) Vertikal-GVO 15

Fall 10 Falltext (1) (OLG Düsseldorf, 9.1.2015 VI-Kart 1/14, BB 2015, 593 HRS; im Folgenden zitiert nach Juris-Randnummern (JR-Rn.) HRS betreibt ein Hotelportal im Internet. Kunden können auf der Website von HRS Angebote verschiedener Hotels vergleichen und in ganz Europa Hotelzimmer unmittelbar über HRS bei den Hoteliers buchen. HRS finanziert sich durch eine Provision, die der jeweilige Hotelier zahlt. Für die buchenden Kunden sind die Dienste von HRS kostenfrei. In den Verträgen mit den Hoteliers vereinbart HRS ferner eine sog. Bestpreisklausel. Darin verpflichtet sich der jeweilige Hotelier dazu, die Zimmer über die HRS-Plattform zu dem jeweils günstigsten Entgelt anzubieten, das er einem anderen Vertriebspartner on- oder offline gewährt bzw. das er selbst beim Eigenvertrieb von den Hotelgästen fordert. HRS argumentiert darauf wie folgt: Die Bestpreisklausel schade dem Wettbewerb nicht, da die Kunden sich auch über Metasuchmaschinen orientierten könnten, die Hotelangebote heraussuchten und miteinander verglichen. Diese Maschinen finanzieren sich gewöhnlich über Werbeanzeigen. 16

Fall 10 Falltext (2) Im Übrigen müssten Off-Line-Buchungen im relevanten Markt berücksichtigt werden, also Buchungen über Telefon, E-Mail oder Reservierungsformulare. Ferner sei die Bestpreisklausel unerlässlich, um den Trittbrettfahrereffekt zu bekämpfen, der darin bestehe, dass Kunden das Portal von HRS zur Suche nutzten, dann aber direkt beim Hotelier buchten. Das Bundeskartellamt verlangt von HRS Unterlassung dieser Praxis. Zu Recht? 17

Lösung Fall 10: HRS (1) In Betracht kommt eine Untersagungsverfügung des BKA nach 32 Abs. 1 GWB, wenn die Vereinbarung der Bestpreisklausel durch HRS mit den Hotels gegen Art. 101 AEUV verstößt. 1. Vereinbarung zwischen Unternehmen liegt vor Die Bestpreisklausel ist Nebenabrede zu dem Vertrag zwischen HRS und den Hoteliers über die Vermittlung von Hotelkunden. 2. Wettbewerbsbeschränkung (a) Betroffener Markt (aa) Sachlich: (aaa) Markt zwischen Portalen und Hoteliers (Vermittlungsmarkt; OLG JR-Rn. 28 ff.) Problem: Müssen hier auch Offline-Buchungen berücksichtigt werden? OLG JR-Rn.37 f.: Ja, denn eine Marktabgrenzung nach der Vertriebsform kommt regelmäßig nicht in Betracht. Vertriebsformen sind nur unterschiedliche Konzepte der Kundengewinnung! 18

Lösung Fall 10: HRS (2) Problem: Sind die Betreiber von Metasuchmaschinen Anbieter, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen? Nein, sie bieten den Hotels keine Vermittlungsleistung gegen Entgelt an (OLG Jur-Rn. 44 ff.). (bbb) Der Markt zwischen Hotelkunden und Hoteliers (Markt für Hotelzimmer): Hier buchen die Kunden Hotelzimmer von den Hoteliers. (ccc) Ein Markt zwischen Hotelkunden und HRS besteht nicht, da die Kunden HRS keine Gegenleistung schulden. (bb) Räumlich: Deutschland (OLG Jur-Rn.61). 19

Lösung Fall 10: HRS (3) (a) Konzertierung eines zuvor freien Verhaltensparameters? OLG Jur-Rn. 63: Verhaltensbindung im Vertikalverhältnis. Kritik Oe: Nicht ausreichend differenzierend zwischen den beiden Märkten (aaa) Vermittlungsmarkt: Lähmung der Bereitschaft der Portalbetreiber zur Senkung der Provisionen gegenüber Hoteliers. Denn niedrige Angebote der Hoteliers erhalten sie durch die Meistbegünstigungsklausel auch ohne Provisionssenkung (OLG Jur.Rn. 75 ff.). (bbb) Hotelmarkt: Eingriff in die Preisbildungsfreiheit der Hoteliers. Wenn diese jede Preissenkung gegenüber anderen Portalen auch an HRS weitergeben müssen, steigt die Kostenlast und sinkt der Anreiz für Preissenkungen. c) Wettbewerbsbeschränkung (1) Der Konzertierungseffekt und die mit ihm verbundene Freiheitsbeschränkung sprechen für eine Wettbewerbsbeschränkung (Selbstständigkeitspostulat). 20

Lösung Fall 10: HRS (4) (2) Weitere wettbewerbsbeschränkende Wirkungen: (a) Preislähmung im Provisionswettbewerb und im Wettbewerb um Hotelzimmer (siehe bereits oben) (b) Marktabschottung auf dem Markt für Hotelvermittlung; ein Newcomer kann nicht durch besonders günstige Preise auf sich aufmerksam machen, weil die Hoteliers niedrige Preise sogleich an andere Portale weitergeben können (OLG Jurs-Rn. 81 ff.). (3) Wettbewerbsstärkung durch Offline-Buchungen? Nein: Hotels müssten niedrige Preise an HRS weitergeben, unabhängig von Buchungsform. Offline existiert kein unabhängiger Wettbewerb. (4) Wettbewerbsverbesserung durch Metasuchmaschinen? OLG Jur-Rn. 92 ff. kein Wettbewerbsdruck auf HRS. Dafür spricht (Oe): Die Suchmaschinen weisen meist nur auf Angebote hin, für die die Bestpreisklausel gilt: Sie verändern die Einheitspreise nicht, sondern spiegeln diese wieder. Auch (Oe): Die Hotels haben keine Verträge mit den Suchmaschinenbetreibern und können deren Verhalten daher nicht in ihrem Sinne beeinflussen => Metasuchmaschinen sind nicht i.s. einer Produkt-Markt-Strategie steuerbar. 21

Lösung Fall 10: HRS (5) aa) Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO?! Liegt eine vertikale WB isd. Art. 1 lit. a und b Vertikal-GVO vor? OLG Jur Rn. 123 ff. offen gelassen, da Voraussetzungen des Art. 3 Vertikal-GVO nicht vorlagen.! Vertikalvereinbarung liegt vor (lit. a); vertikale Wettbewerbsbeschränkung (lit. b)? Eingriff in die Preisgestaltungsfreiheit der Portale (Vermittlungsmarkt) und der Hoteliers (Hotelmarkt). Art. 4 lit. a Vertikal-GVO verbietet nur die Festpreisbindung des Abnehmers der Kaufsache, deren Preis gebunden werden soll (Art. 1 Abs. 1 lit. h Vertikal- GVO). Hier nicht anwendbar, weil Verkäufer (Lieferant = Hoteliers) gebunden werden. Konsequenz: Es bleibt bei der grundsätzlichen Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO. 22

Lösung Fall 10: HRS (6) (bb) Aber: Mglw. beinhaltet die Bestpreisklausel nicht nur eine nach Art. 2 Abs. 1 Unterabsatz 1 VertikalGVO freigestellte vertikale WB, sondern auch horizontale WBen zwischen HRS und den konkurrierenden Portalen sowie den Hoteliers untereinander aa) Vermittlungsmarkt aaa) Die Portale konkurrieren untereinander um die Hoteliers und sind davon abhängig, dass diese ihre Zimmer möglichst günstig auf den Verkaufsplätzen der Plattform anbieten. Denn nur dann ist die Plattform attraktiv. bbb) Bei freiem Wettbewerb erfolgt die Konkurrenz dadurch, dass die Portale den Hoteliers im Hinblick auf die Höhe der Provisionsforderung entgegenkommen, die pro Vermittlung erhoben wird. 23

Lösung Fall 10: HRS (7) ccc) Denn sinkt die Höhe der Provision, erfährt der Hotelier einen Kostenvorteil, der ihm einen Anreiz liefert, auf der Plattform des Betreibers zu günstigeren Bedingungen anzubieten. ddd) Besteht eine Bestpreisklausel, sinkt der Anreiz zu niedrigeren Provisionen. Denn ein Plattformbetreiber wie HRS profitiert von der Senkung der Provisionsforderungen durch seine Konkurrenten, ohne dass er selbst bei den eigenen Provisionen nachgeben muss. Denn die niedrigen Provisionen der Konkurrenten verleiten die Hoteliers zur Preissenkung, die über die Bestpreisklausel auch an HRS weitergegeben werden müssen. Den Konkurrenten nimmt die Bestpreisklausel daher den Anreiz zur Senkung der eigenen Provision, weil hier die Wettbewerber mit profitieren (positive externe Effekte). 24

Lösung Fall 10: HRS (8) eee) Dies trifft gerade Newcomer auf dem Markt, die durch niedrige Preise beim Marktzugang auf sich aufmerksam machen wollen. Dies ist nicht möglich, weil die Hoteliers die niedrigen Preise auch bei der etablierten Konkurrenz anbieten müssen (Marktzutrittsschranke) bb) Hotelmarkt Bestpreisklausel führt auch dazu, dass Preissenkungen gegenüber den Hotelkunden für Hoteliers teuer werden. Denn diese müssen auf allen Plattformen durchgeführt werden, für die Bestpreisklauseln vereinbart wurden. Lähmung des Preiswettbewerbs zwischen den Hoteliers. c) Rechtsgedanke der Metro-Rechtsprechung bzw. Lehre von den Nebenabreden? Verhinderung des Trittbrettfahrereffekts? Unerlässlichkeit? Dies kann durch Kundenbindung in anderer Weise überwunden werden: Teilnahme an Preisausschreiben bei Buchung, Treuerabatte usw. Das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV bleibt daher anwendbar. 25

Lösung Fall 10: HRS (9) d) Eine Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV? Kommt nicht in Betracht, weil hier eine Kernbeschränkung Preiskartell vorliegt und somit der Restwettbewerb ausgeschlossen würde. Anders OLG Jur.Rn. 130: Schon keine messbaren Effizienzvorteile. Bekämpfung des Trittbrettfahrereffekts (positive externe Effekte) genügt nicht. e) Sonstige Tatbestandsmerkmale Die Vereinbarung bezweckt die Wettbewerbsbeschränkung in einem objektiven Sinn. Sie berührt zumindest potenziell den zwischenstaatlichen Wettbewerb, da auch Portale aus anderen Mitgliedstaaten der EU bzw. Hotels betroffen sein können. Von der Spürbarkeit ist für die weitere Prüfung auszugehen. f) Ergebnis: Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV liegt vor. Das BKA kann eine Untersagungsverfügung nach 32 Abs. 1 GWB erlassen. 26