Paradoxie der Entzauberung Max Webers Sicht auf die Entstehung der Moderne
Inhalt 1. Vorbemerkung 2. Von der Magie zur (Erlösungs-) Religion 3. Übergang zum modernen Zeitalter 4. Entzauberung der Religion durch Wissenschaft und Entzauberung der Wissenschaft durch Religion
Vorbemerkung Die ganze Welt wurde beseelt, und die Wissenschaft, die soviel später kam, hatte genug zu tun, um einen Teil der Welt wieder zu entseelen, ist auch noch heute mit dieser Aufgabe nicht fertig geworden Der Mann Moses und die monotheistische Religion
Veränderung des Rahmens (nach Charles Taylor) Transzendenter Rahmen poröses Selbst, unabgeschlossen Gott als Lenker von Natur und Gesellschaft Höchstes Gut Vereinigung mit Gott Immanenter Rahmen abgepuffertes Selbst, verinnerlicht und diszipliniert Universum nach anonymen Gesetzen Gesellschaft der Individuen als höchstes Gut Religiös verzaubert Religiös entzaubert
2. Von der Magie zur (Erlösungs)- Religion a. Die Verdoppelung der Welt: Die Dinge sind nicht nur, sondern sie bedeuten auch etwas: Verzauberung der Welt b. In dieser doppelten Welt sind Natur- und Ausgleichskausalität eine Einheit c. Die Kräfte der Hinterwelt können für die Zwecke der Welt manipuliert werden: Zwang und Bestechung
Zwei Folgerungen: a. Entstehen von übernatürlichen und außeralltäglichen Mächten, deren Beziehungen zu den Menschen zu ordnen nun das Reich des religiösen Handelns ausmacht b. Ursprüngliche Diesseitigkeit dieses Handelns
Allgemeine Entwicklungstendenz a. Statt bloßer Verdoppelung Kluft zwischen Welt und Hinterwelt ( Überwelt ), Immanenz und Transzendenz b. Statt Einheit von Natur- und Ausgleichskausalität Trennung zwischen natürlichem und religiösem Gesetz c. Statt Zwang und Bestechung Bitte, Opfer und Verehrung (Kultus)
Entscheidender Wendepunkt Ausbildung von Erlösungsreligionen a. Theozentrisch: Persönlicher überweltlicher Schöpfergott b. Kosmozentrisch: Unpersönliche unerschaffene ewige Ordnung
Theoretischer Ansatz Interessen (materielle und ideelle), nicht: Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen. Aber: die Weltbilder, welche durch Ideen geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte. Nach dem Weltbild richtete es sich ja: wovon und wozu man erlöst sein wollte und - nicht zu vergessen: - konnte
Grundlegende religiöse Weltverhältnisse Weltbejahung - Weltverneinung (-ablehnung) Weltabwendung - Weltzuwendung Flucht - Schickung Überwindung -Beherrschung
3. Der asketische Protestantismus und die religiöse Entzauberung der Welt Ursprüngliche Studien von 1904 und 1905 unter dem Titel: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, revidiert 1920 a. Wie Ideen in der Geschichte wirken können b. Ein einseitiges, spiritualistisches Erklärungsmodell
Die Christentümer Vorreformatorisches - nachreformatorisches Christentum Katholizismus -Anglikanismus -Protestantismus Luthertum - asketischer Protestantismus Calvinismus - Täufertum
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Vergleich Konfuzianismus- Puritanismus Stufe der Rationalisierung einer Religion anhand von zwei Maßstäben: a. Grad, in welchem sie die Magie abgestreift hat b. Grad systematischer Einheitlichkeit, in welche das Verhältnis von Gott und Welt und demgemäß die eigene ethische Beziehung zur Welt von ihr gebracht worden ist.
In der ersten Hinsicht stellt der asketische Protestantismus eine letzte Stufe dar, denn er hat der Magie am vollständigsten den Garaus gemacht Die gänzliche Entzauberung der Welt war nur hier in allen Konsequenzen durchgeführt
Dies: Der absolute (im Luthertum noch keineswegs in allen Konsequenzen vollzogene) Fortfall kirchlichsakramentalen Heils, war gegenüber dem Katholizismus das absolut Entscheidende. Jener große religionsgeschichtliche Prozeß der Entzauberung der Welt, welcher mit der altjüdischen Prophetie einsetzte und, im Verein mit dem hellenischen wissenschaftlichen Denken, alle magischen Mittel der Heilssuche als Aberglaube und Frevel verwarf, fand hier seinen Abschluß
Daraus folgt: Entzauberung ist nicht gleich Säkularisierung, sondern das gerade Gegenteil, nämlich die Radikalisierung des Gott-Mensch- Verhältnisses durch Destruktion aller intermediärer Instanzen Zugleich Radikalisierung eines theozentrischen Weltbildes. Entzaubert wird die Welt, nicht Gott.
3. Übergang zum modernen Zeitalter Webers These lautet dann allerdings: Das theozentrische Weltbild und die damit verbundene religiöse Brüderlichkeitsethik treten in eine immer schärfere Spannung zum Reich des denkenden Erkennens: a. Ungebrochene Einheit in der Magie b. Weitgehende gegenseitige Anerkennung in den Buchreligionen und ihren Lehren
Aber: Wo immer aber rational empirisches Erkennen die Entzauberung der Welt und deren Verwandlung in einen kausalen Mechanismus konsequent vollzogen hat, tritt die Spannung zu dem ethischen Postulat: daß die Welt ein gottgeordneter, also ethisch sinnvoll orientierter Kosmos sei, endgültig hervor
Was heißt modernes Zeitalter? a. Disparatheit der letzten Formungen der Weltbilder (theozentrisch-anthropozentrisch) b. Verschärfter Konflikt zwischen den Wertsphären und Lebensordnungen, insbesondere zwischen Religion und Wissenschaft, aber auch Religion und Politik
Paradoxien der Entzauberung a. Die religiöse Entzauberung fördert die wissenschaftliche Entzauberung, die sich verselbständigt und die Religion ins Irrationale oder Antirationale abdrängt Kritik der Religion durch Wissenschaft
b. Die Religion greift den selbstgenügsamen Intellekt an und betont die Sinnlosigkeit der rein innerweltlichen Selbstvervollkommnung Kritik der Wissenschaft durch Religion
Was folgt für die Stellung der Religion? 1. Religion verschwindet nicht, sie wird aber zu einer Option und zur Selbstreflexion gezwungen 2. Religion rückt institutionell gesehen in die zweite Reihe 3. Der moderne Staat als säkularer Staat muss auch die Wiederkehr der Götter säkular verwalten
Fazit 1: Systematisch Weber in Wissenschaft als Beruf : Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf.
Fazit 2: Persönlich Weber religiös unmusikalisch, aber deshalb weder irreligiös noch antireligiös: Darin besteht das Grandiose z. B. am Calvinismus, daß er diese im religiösen Sinn im Grunde kleinlich wirkenden Versuche, Gott in die Karten zu gucken, abschreibt und seine unerforschlichen Rathschlüsse nicht durch Menschenweisheit zu begründen und zu - entschuldigen versucht. Es steht geschrieben - damit basta.