Unterlassungsdelikte

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Transkript:

Unterlassungsdelikte Bisher wurde stets gefragt, ob eine bestimmte Handlung verstanden als ein positives Tun strafbar ist. Dahinter steht das Verbot, ein bestimmtes Verhalten vorzunehmen. Es ist jedoch grundsätzlich auch möglich, sich durch schlichtes Nichtstun also durch Unterlassen strafbar zu machen, sofern man einem Gebot zuwider handelt. Man spricht dann von Unterlassungsdelikten im Gegensatz zu den Begehungsdelikten. Im Besonderen Teil des StGB gibt es einige wenige Delikte, die ausdrücklich ein solches Unterlassen in bestimmten Situationen unter Strafe stellen. Die wichtigsten sind 138 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) und 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung). Diese sog. echten Unterlassungsdelikte erschöpfen sich in der Nichtvornahme einer Handlung, die vom Gesetz gefordert wird; der Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs, der durch die gebotene Handlung hätte abgewendet werden sollen, wird nicht verlangt, vgl. 323 c. Im Gegensatz dazu legen die von 13 StGB geregelten unechten Unterlassungsdelikte dem Betreffenden die Pflicht auf, den Eintritt eines tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden. Die Regelung des 13 StGB lässt grundsätzlich eine Bestrafung aus jedem Delikt des Besonderen Teils zu, auch wenn der Betreffende nicht aktiv gehandelt hat, sondern ihm lediglich vorgeworfen werden kann, nicht gehandelt zu haben. In einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung kann zwar grundsätzlich verboten werden, bestimmte schädigende Handlungen vorzunehmen (Handlungsverbote), da dadurch die Freiheit nicht in einem erheblichen Maße eingeschränkt wird. Handlungspflichten können jedoch nur unter engen Voraussetzungen auferlegt werden, da ansonsten in die allgemeine Freiheit, zu tun und zu lassen, was man möchte, zu stark eingegriffen würde. Eine Bestrafung wegen eines Unterlassens ist deswegen nur in engen Ausnahmefällen möglich. 13 StGB verlangt daher als zusätzliche Voraussetzungen, dass der Betreffende rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt und dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Diese Einschränkungen modifizieren den Tatbestand eines Unterlassungsdelikts im Gegensatz zu dem eines Begehungsdelikts. Weitere Modifikationen ergeben sich aus der unterschiedlichen Struktur von Tun und Unterlassen. Vereinfacht sieht der objektive Tatbestand eines schlichten Begehungserfolgsdelikts folgendermaßen aus: Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs am Handlungsobjekt, Handlung, Kausalität zwischen Handlung und Erfolg sowie objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs. Auch beim objektiven Tatbestand eines vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts bedarf es zunächst des Eintritts des Erfolgs am Handlungsobjekt, insofern besteht also kein Unterschied. Anstelle einer Handlung tritt nun jedoch das Unterlassen einer bestimmten Handlung mit der Besonderheit, dass die unterlassene Handlung physischreal möglich gewesen sein muss. Dies erklärt sich dadurch, dass natürlich nur solche Handlungen verlangt werden und damit geboten sein können. 1

Zwischen dem Unterlassen und dem Erfolg muss nun ebenfalls Kausalität gegeben sein. Diese muss jedoch anders bestimmt werden, da die Formel für die Begehungsdelikte nicht passt. Ein Unterlassen ist daher kausal, wenn der Erfolg in seiner konkreten Gestalt nicht eingetreten wäre, wenn die unterlassene Handlung vorgenommen worden wäre (sog. hypothetische Kausalität). Der tatbestandliche Erfolg muss nun ebenso dem Unterlassenden objektiv zugerechnet werden, d.h. die erwartete Handlung hätte den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern müssen (so die h.m.; a.a.: Risikoverminderung ist ausreichend). Kontrollfrage hierbei: Hat sich im Erfolg die Gefahr verwirklicht, die durch das Untätig bleiben des Garanten geschaffen oder gesteigert worden ist und die nach dem Schutzzweck der Norm vermieden werden sollte? Zu diesen gegenüber den Begehungsdelikten teilweise abweichenden Tatbestandsmerkmalen treten wie gesagt die zusätzlichen Merkmale des 13 StGB. Unter dem Merkmal, rechtlich dafür einstehen..., dass der Erfolg nicht eintritt, versteht man die sog. Garantenpflicht. Sie ist das zentrale Tatbestandsmerkmal des unechten Unterlassungsdelikts. Durch dieses Merkmal wird die Bestrafung aus den einzelnen Deliktstatbeständen auf solche Personen eingeschränkt, die entweder eine besondere Schutzpflicht gegenüber einem Rechtsgut oder eine besondere Sicherungspflicht gegenüber einer Gefahrenquelle haben (ausführlicher s.u.). Als zweites Merkmal verlangt 13 I StGB, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Diese sog. Entsprechungsklausel ist lediglich bei Delikten von Bedeutung, die neben einer Erfolgsverursachung eine bestimmte Art und Weise dieser Erfolgsherbeiführung im Wege einer ausdrücklich konkretisierten Handlungsmodalität verlangen, bei denen es also auch auf das Wie der Verursachung ankommt (sog. verhaltensgebundene Delikte, z.b. 263 StGB: Täuschung ; 240: Gewalt und Drohung ). Bei den reinen Erfolgsdelikten (z.b. 212) hat die Entsprechungsklausel keine Bedeutung und bedarf auch keiner Erwähnung. Im subjektiven Tatbestand ist wie stets der Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestands zu prüfen. Als Besonderheit ist zu beachten, dass die Garantenpflicht ein normatives Tatbestandsmerkmal ist, so dass sich der Vorsatz des Täters auf die garantenpflichtbegründenden Umstände beziehen muss und der Täter in einer Parallelwertung in der Laiensphäre den sozialen Sinngehalt der sich daraus ergebenden Pflicht nachvollzogen haben muss. In der Rechtswidrigkeit gibt es die Besonderheit, dass es neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen noch den speziellen der sog. rechtfertigenden Pflichtenkollision gibt. Gemeint sind Fälle, in denen sich der Täter zwei Handlungspflichten gegenüber sieht, von denen er nur eine erfüllen kann; mehr als die Rettung eines Rechtsguts kann die Rechtsordnung nicht fordern, da sie sonst Unmögliches verlangen würde. Auf der Ebene der Schuld ist neben den allgemeinen Voraussetzungen noch zu prüfen, ob nicht eine Entschuldigung in Betracht kommt, weil die Handlung dem Betroffenen wegen der damit verbundenen Aufopferung eigener billigenswerter Interessen unzumutbar ist. 2

Garantenpflicht, 13 Traditionell werden die einzelnen Garantenstellungen nach ihren Entstehungsgründen eingeteilt (sog. formelle Rechtspflichttheorie). Danach können sie sich aus Gesetz, Vertrag, vorangegangenem Tun (Ingerenz), sowie Gefahrengemeinschaft und enger Lebensbeziehung ergeben. Diese Rechtsquellen beschreiben jedoch die Reichweite der einzelnen konkreten Pflichten nur unzureichend. Bsp.: Die Ehe als klassische Garantenstellung aus Gesetz verpflichtet sicher dazu, Gefahren von dem anderen Ehegatten abzuwenden, jedoch wohl nicht, Straftaten des jeweils anderen zu verhindern. Die Benennung einer Rechtsquelle ist also nur ein formales Kriterium, begründet jedoch die Pflicht selbst nicht. Des Weiteren gibt es Gesetze die ein Handlungspflicht normieren, wie z.b. 323c, eine Erfolgsabwendungspflicht wird dadurch gerade aber nicht begründet. Wegen dieses Mangels wurde eine andere Einteilung entwickelt, die sog. Funktionenlehre: Man unterscheidet zwischen Beschützergaranten, die die Pflicht haben, ein bestimmtes Rechtsgut vor Gefahren zu schützen, und Überwachergaranten, die bestimmte Gefahrenquellen sichern müssen, damit durch diese keine Schäden entstehen. Diese moderne materielle Einteilung hat den Vorteil, dass sie den Blick für die Tragweite der einzelnen Garantenstellung schärft, jedoch den Nachteil, dass sie den konkreten rechtlichen Aspekt, der eine Pflicht entstehen lässt, ausblendet. Gedanklich ist es daher vorteilhaft, folgendermaßen vorzugehen: Zunächst prüft man, ob es einen Entstehungsgrund für eine Garantenstellung gibt. Dieser Grund ist quasi ein Indiz für eine eventuell bestehende Garantenstellung; dann prüft man die Reichweite der sich daraus ergebenden Pflichten, indem man fragt, ob es sich um eine Beschützer- oder Überwachergarantenstellung handelt und wie weit diese Schutz- bzw. Sicherungspflicht im konkreten Fall reicht. Im Einzelnen ist vor allem wegen der unpräzisen Gesetzesfassung vieles zum Teil heftig umstritten. 3

Aufbau vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt: 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand - Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs am Handlungsobjekt - Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung objektiv erforderlichen und rechtlich gebotenen Handlung bei physisch-realer Handlungsmöglichkeit - (Quasi-) Kausalität zwischen Unterlassen und Erfolg - Objektive Zurechenbarkeit des Erfolgs - Garantenpflicht - Ggf. Entsprechungsklausel b) Subjektiver Tatbestand Vorsatz und ggf. besondere subjektive Tatbestandsmerkmale 2. Rechtswidrigkeit Insbesondere die rechtfertigende Pflichtenkollision 3. Schuld Fall 1 Insbesondere Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Das nichteheliche Kind der Ehefrau T fällt in einen Teich. Um weiteren Streitereien der Eheleute ein Ende zu bereiten, springt T nicht in den Teich, um ihr Kind zu retten, was ihr leicht möglich gewesen wäre. Das Kind ertrinkt. Strafbarkeit von T? Mordmerkmale sind nicht zu prüfen. I. 212 I, 13 I StGB der T T könnte sich wegen eines Totschlags gemäß 212 I, 13 I StGB strafbar gemacht haben, indem sie es unterlassen hat, ihr Kind aus dem Teich zu ziehen. 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand Ein Mensch, das Kind der T, ist tot. T hat die zur Rettung objektiv erforderliche und rechtlich gebotene Handlung, das Hinterher-Springen, unterlassen, obwohl ihr diese physisch-real möglich war. Dieses Unterlassen war für den Ertrinkungstod des Kindes auch ursächlich, da der Erfolg ausgeblieben wäre, wenn T die Handlung vorgenommen hätte. Der Tod war ihr auch objektiv zurechenbar. 4

Ferner müsste sie rechtlich dafür einzustehen haben, dass der Erfolg nicht eintritt, also eine Garantenstellung besessen haben. Eine solche Pflicht könnte sich aus der Sorgepflicht gemäß 1631 BGB ergeben; diese umfasst auch gerade die Obhut des Kindes, so dass die T Beschützergarantin für das Leben ihres Kindes ist. b) Subjektiver Tatbestand T wusste auch um die Umstände des objektiven Tatbestands und wollte gerade den Tod des Kindes, so dass sie absichtlich handelte. 2. Ihr Unterlassen war auch rechtswidrig und schuldhaft, insbesondere war ihr die Vornahme der gebotenen Handlung auch zumutbar. 3. Ergebnis: T hat sich wegen eines Totschlags durch Unterlassen gemäß 212 I, 13 I StGB strafbar gemacht. Fall 2 O droht zu ertrinken. T wirft ihm einen an einem Seil befestigten Rettungsring zu. Bevor der Ring in die Reichweite des O gelangt, besinnt er sich anders und zieht ihn wieder aus dem Wasser. O ertrinkt. Strafbarkeit des T? 323 c ist nicht zu prüfen. I. 212 I StGB T könnte sich wegen Totschlags gemäß 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er O den Rettungsring entzog. 1. Tatbestandsmäßigkeit O, ein Mensch, ist tot. Dies hat T auch verursacht, indem er ihm den Rettungsring weggezogen hat, kurz bevor O diesen ergreifen konnte. Fraglich ist jedoch, ob man in diesem Fall von einem aktiven Tun ausgehen kann. Da der T eigene Rettungshandlungen wieder rückgängig gemacht hat, könnte er möglicherweise genauso zu behandeln sein wie jemand, der von vornherein die Rettungshandlung unterlassen hat. Wie die Konstellationen des Abbruchs eines rettenden Kausalverlaufs zu behandeln sind, ist umstritten. a) Nach der h.m. kommt es für die Frage der Abgrenzung von aktivem Tun und Unterlassen auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit an. Demnach müsste man in diesem Fall von einem Unterlassen ausgehen, da insgesamt betrachtet der T die Rettung des O unterlassen hat; seine Rettungshandlung und der Rücktritt von diesem Rettungsversuch sind wertend als ein reines Unterlassen der Rettung anzusehen. Solange dem Opfer also noch keine realisierbare Rettungsmöglichkeit eröffnet wurde (der rettende Kausalverlauf die Sphäre des Opfers noch nicht erreicht hat), wird der Abbruch rettender Handlungen als Unterlassen beurteilt. b) Die a.a. nimmt ein positives Tun an, sofern der Betreffende den Erfolg durch aktiven Einsatz von Energie verursacht. Demnach ist hier von einem solchem Tun auszugehen, da T mit dem Wegziehen des Rettungsrings Energie eingesetzt hat und dies auch den Erfolg verursacht hat, da ohne diese Handlung O sich hätte retten können und somit der Erfolg ausgeblieben wäre. 5

c) Diskussion: Die letztgenannte Ansicht hat zwar den Vorteil, dass sie gegenüber der h.m. eine klare Abgrenzung ermöglicht, während das Kriterium des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit eher diffus und unbestimmt ist; demgegenüber hat die h.m. jedoch den Vorteil, dass sie gerade keine starre Abgrenzung vornimmt und dadurch in extremen Fällen wie diesem eine sachgerechte Einzelfalllösung ermöglicht. In dieser Konstellation hat nicht der Energieeinsatz (das Zurückziehen des Seils) dazu geführt, dass die Lage für das Rechtsgut verschlechtert wurde und schließlich der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist. Dieser Kausalverlauf war schon vorher angelegt und wurde durch den Energieeinsatz nicht verstärkt (es wurde allenfalls Hoffnung beim Ertrinkenden geweckt). Lediglich die Ausgangssituation wurde wieder hergestellt. Der Täter kann aber dann nicht anders behandelt werden als jemand, der von vornherein nicht tätig geworden ist, eine Behandlung als Begehungstäter wäre nicht sachgerecht. Nur dann, wenn dem zu Rettenden eine realisierbare Rettungsmöglichkeit eröffnet wird, (wenn der O also bereits nach dem Seil gegriffen hätte, und dann der T dieses zurückgezogen hätte), müsste man von einem aktivem Tun ausgehen. 2. Ergebnis: Der h.m wird gefolgt, da nur sie unerwünschte Ergebnisse vermeiden kann, so dass sich T nicht wegen Totschlags durch positives Tun strafbar gemacht hat. Wie sich gezeigt hat, kann die wegen der vollkommen unterschiedlichen Struktur von Tun und Unterlassen vermeintlich klare Frage nach der Grenzziehung zwischen diesen beiden Grundformen menschlichen Verhaltens in Extremfällen schwierig sein. II. 212 I, 13 I StGB T hat sich mangels einer Garantenpflicht auch nicht wegen eines Totschlags durch Unterlassen gemäß 212 I, 13 I StGB strafbar gemacht, indem er den O nicht gerettet hat. Insbesondere ergibt sich keine Garantenstellung aus vorangegangenem Tun (sog. Ingerenz), da sein Vorverhalten das Zuwerfen des Rettungsrings nicht vorwerfbar und auch keine Steigerung der Gefahr für den O bedeutet hat. Es bleibt eine hier nicht gefragte Strafbarkeit aus 323 c. Abschlussbemerkung: Die oben diskutierte Frage nach der Abgrenzung von Tun und Unterlassen ist im Ergebnis von erheblicher Bedeutung. Nach der hier dargestellten Lösung der h.m. hat sich T lediglich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht und wird daher zu einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr verurteilt (vgl. 323c StGB). Hätte man mit der a.a. ein positives Tun des T angenommen, hätte er sich wegen Totschlags zu verantworten und würde zu einer Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren verurteilt werden (vgl. 212 I, 38 II StGB). Fahrlässigkeit 6

Die Fahrlässigkeit lässt sich negativ beschreiben als eine ungewollte Verwirklichung eines Delikts. Für den Aufbau hat dies zunächst die Konsequenz, dass zwischen einem objektiven und einem subjektiven Tatbestand nicht unterschieden werden muss, da das Kernstück eines gewöhnlichen subjektiven Tatbestands, der Vorsatz, gerade fehlt. Dieses Wesenselement hat jedoch noch andere Folgen: Bei Fahrlässigkeitsdelikten gibt es keinen Versuch und keine Teilnahme. Das ergibt sich daraus, dass es ohne einen Verwirklichungswillen, also einen Vorsatz, weder einen Tatentschluss i.s.d. 22 StGB geben kann, noch einen Anstiftung oder Beihilfe gemäß 26, 27 StGB, da diese Beteiligungsformen nur vorsätzlich verwirklicht werden können. Der Tatbestand eines fahrlässigen Erfolgsdelikts (wie z.b. 222, 229 StGB) setzt nun zunächst voraus, dass der Betreffende den tatbestandsmäßigen Erfolg verursacht hat. Damit ist jedoch das Unrecht noch nicht zureichend beschrieben, denn: Sinnvollerweise steht hinter einer Vorschrift wie 222 StGB nicht die Norm: Verursache nicht den Tod eines anderen!, sondern: Wende die im konkreten Fall erforderliche Sorgfalt an, um die Tötung anderer zu vermeiden! Für das Unrecht eines Fahrlässigkeitsdelikts ist somit prägend, dass der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dabei ist so vorzugehen, dass man zunächst den genauen Inhalt der erforderlichen Sorgfalt bestimmt, deren Art und Maß sich an einem besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und der sozialen Rolle des Handelnden im Rahmen einer ex - ante -Betrachtung orientiert. Dieses Verhalten ist nun mit dem des Täters zu vergleichen, das dann sorgfaltswidrig ist, wenn es hinter den herausgearbeiteten Anforderungen zurück bleibt, da dann ein rechtlich relevantes Risiko für ein Rechtsgut geschaffen wurde. Die Erfolgsverursachung und die Verletzung der Sorgfaltspflicht stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Gerade die festgestellte Verletzung der Sorgfalt muss der maßgebliche Grund für den tatbestandsmäßigen Erfolg sein, d. h. der Erfolg muss objektiv zurechenbar sein. (1) Die Erfolgsverursachung muss damit objektiv vorhersehbar gewesen sein. (2) Der notwendige Pflichtwidrigkeitszusammenhang muss vorliegen; dies ist nicht der Fall, wenn der Erfolg auch bei rechtlich vollkommen fehlerfreiem Verhalten eingetreten wäre. (3) Auch auf Grund des Eigenverantwortlichkeitsprinzips kann eine Zurechnung ausgeschlossen sein. (4) Schließlich ergibt sich noch eine weitere Einschränkung der Fahrlässigkeitshaftung: Der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs muss auf der Verwirklichung eines Risikos beruhen, die nach dem Schutzzweck der verletzten Sorgfaltsnorm gerade verhütet werden soll. In der Rechtswidrigkeit sind bei den Fahrlässigkeitsdelikten im Prinzip die gleichen Rechtfertigungsgründe denkbar, wie bei Vorsatzdelikten. Von Bedeutung sind hier insbesondere die 32, 34 StGB, 228 und 904 BGB sowie die mutmaßliche Einwilligung. Beispiel für 32 (BGHSt 27, 313): Der Täter benützt in einer Notwehrsituation eine Pistole als Schlagwaffe, dabei löst sich eine Kugel und führt zu einer schweren Verletzung; die Körperverletzung (durch die Kugel) wurde fahrlässig verursacht, ist jedoch als ungewollte Auswirkung einer Verteidigungsmaß- 7

nahme von 32 gedeckt, da sich hierbei lediglich das typischen Risiko der berechtigt gewählten Verteidigungsart verwirklicht. Beispiel für 34: Wer eine schwer verletzte Person ins Krankenhaus fährt, wobei jede Sekunde zählt, und dabei fahrlässig andere Verkehrsteilnehmer verletzt, z.b. durch riskante Überholmanöver, kann durch 34 gerechtfertigt sein. Beispiel für eine mutmaßliche Einwilligung (spielt vor allem bei ärztlichen Tätigkeiten eine Rolle): Der Arzt, der ein schwer verletztes Opfer auf der Straße ohne zureichendes Instrumentarium Not operieren muss, führt etwaige gesundheitliche Schäden fahrlässig herbei; diese Herbeiführung war jedoch von einer mutmaßlichen Einwilligung gedeckt, wenn nur durch die Notoperation das Leben zu erhalten war. Dabei gilt die Besonderheit, dass subjektive Rechtfertigungselemente i.d.r. nicht erforderlich sind, denn der Verteidigungswille kann sich bei 32 nicht auf ungewollte Auswirkungen beziehen. Es reicht also aus, dass der Täter in Kenntnis einer Notwehrsituation handelt. (Fehlt ihm aber diese Kenntnis, bleibt nur der Handlungsunwert übrig, so dass eine Bestrafung wegen Versuchs in Betracht kommen würde; einen fahrlässigen Versuch gibt es jedoch nicht, so dass die Strafbarkeit entfällt allerdings sind derartige Konstellationen nicht sehr praxisrelevant). In der Deliktsstufe der Schuld kommt neben den allgemeinen Schuldausschließungsgründen die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (RGSt 30, 25) als Fall ausgeschlossener Schuld hinzu. Die engen Grenzen des für Vorsatztaten geltenden 35 werden dadurch erweitert. Auch 17 kommt in Betracht, obwohl im Normalfall der Tatbestandsvorsatz hierbei Voraussetzung ist. Allerdings bereitet dies bei der bewussten Fahrlässigkeit keinerlei Probleme, da hier der Täter die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung immerhin erkennt; glaubt er, dass sein Verhalten durch 34 gedeckt ist, überdehnt er diesen jedoch, ist 17 einschlägig (Beispiel: Betrunkener Arzt glaubt, zu seiner nicht schwer erkrankten Patientin mit dem Auto fahren zu dürfen und verursacht einen Unfall, auf dessen Ausbleiben er vertraut hatte). Bei der unbewussten Fahrlässigkeit wird die Ansicht vertreten, dass ein 17 generell nicht möglich sei, da dem Täter die Möglichkeit einer TB- Verwirklichung gerade nicht vor Augen steht. Eine andere Ansicht erkennt die Möglichkeit des 17 an (Beispiel: Der Täter fährt im Stadtverkehr, ohne dies zu bemerken, 70 km/h statt 50 km/h, er hält diese Geschwindigkeit auch für erlaubt und verursacht eine Unfall; dieser Unfall wurde im Verbotsirrtum herbeigeführt, so dass bei Vermeidbarkeit ein Strafmilderung möglich ist (bei vorsätzlicher Überschreitung wäre 17 auch einschlägig, so dass dies auch für die Fahrlässigkeit gelten muss). Derartige Konstellationen können m. E. aber auch im Rahmen des individuellen Unvermögens behandelt werden. Von großer Bedeutung bei Fahrlässigkeitsdelikten ist die positive Feststellung, dass der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für den individuellen Täter auch subjektiv erkennbar und vermeidbar war (gemäß seiner persönlichen Fähigkeiten und dem Maß seines individuellen Könnens). Erst diese Feststellung begründet endgültig den Fahrlässigkeitsvorwurf. Das individuelle Unvermögen spielt damit im Rahmen der Fahrlässigkeit eine große Rolle. 8

Dabei muss jedoch auch das sog. Übernahmeverschulden berücksichtigt werden. Wer weiß, dass er z.b. wegen Sehschwäche am Verkehr nicht ordnungsgemäß teilnehmen kann, muss auf die Fahrt verzichten und kann sich nicht durch das individuelle Unvermögen exkulpieren; die Fahrlässigkeit liegt dann schon in der Übernahme der Fahrt. Aufbau des fahrlässigen Erfolgsdelikts: 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs b) Kausalität zwischen Handlung und Erfolg c) Verletzung einer objektiv erforderlichen Sorgfaltspflicht (differenzierte Maßfigur) bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges d) Objektive Zurechnung des Erfolgseintritts: - Pflichtwidrigkeitszusammenhang - Schutzzweck der Norm - Eigenverantwortlichkeitsprinzip 2. Rechtswidrigkeit 3. Schuld - Subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts (individuelles Leistungsvermögen) - Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Neben fahrlässigen Erfolgsdelikten gibt es auch fahrlässige Tätigkeitsdelikte, bei denen sich die Tatbestandsverwirklichung in dessen Erkennbarkeit erschöpft (vgl. z.b. 163, 316 II StGB). Als Erscheinungsformen der Fahrlässigkeit wird schließlich noch zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit unterschieden, je nachdem, ob der Täter die Verwirklichung des Tatbestands für möglich hält, jedoch pflichtwidrig darauf vertraut, dass er nicht verwirklicht werde, oder ob er dies nicht für möglich hält. Schließlich wird in manchen Deliktsbeschreibungen Leichtfertigkeit (Achtung: nicht mit leichter Fahrlässigkeit verwechseln!) des Handelns verlangt. Das ist eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, bei der der Täter die sich ihm aufdrängende Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit außer Acht lässt, z.b. 251. Fall 1 9

T nähert sich mit seinem Pkw einer Kreuzung. Da er gerade gebannt auf die im Radio laufende Schlusskonferenz der Fußballbundesliga lauscht, übersieht er den von rechts kommenden Fahrradfahrer O und berührt ihn mit seinem rechten Kotflügel. O stürzt schwer und stirbt noch am Unfallort. Strafbarkeit des T? Straßenverkehrsdelikte ( 142, 315b ff. StGB) sind nicht zu prüfen. 222 StGB T könnte sich wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht haben, indem er den von rechts kommenden Radfahrer O mit seinem Pkw angefahren hat. 1. Tatbestandsmäßigkeit Indem er O angefahren hat, hat T dessen Tod verursacht. T müsste dabei die objektiv erforderliche Sorgfalt verletzt haben. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergeben sich aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters in der Situation des Handelnden zu stellen sind. In der konkreten Situation hätte eine gewissenhafter und besonnener Fahrer gem. 8 I, II StVO dem von rechts kommenden O die Vorfahrt gelassen. Dies hat T nicht beachtet, da er durch die Radioübertragung abgelenkt war. Somit hat er die erforderliche Sorgfalt verletzt. Der Todeseintritt ist T auch objektiv zurechenbar. Der Erfolgseintritt war objektiv vorhersehbar. Ohne die Pflichtverletzung hätte T den O vorgelassen und es wäre nicht zu dem Unfall mit dem tödlichen Erfolg gekommen, so dass sich die durch T rechtlich missbilligte geschaffene Gefahr im konkreten Erfolgseintritt realisiert hat. Die aufmerksame Beachtung der Vorfahrtsregel dient auch gerade der Vermeidung solcher Unfälle, so dass dies auch den Schutzzeck der Norm berührt. T hat somit den Tatbestand des 222 StGB verwirklicht. 2. Die Handlung des T war auch rechtswidrig. 3. Schuld Der Eintritt des Erfolgs, der Tod des O, war für T auch subjektiv vorhersehbar und vermeidbar, da er bei der ihm möglichen, notwendigen Aufmerksamkeit die Vorfahrt des O hätte beachten können. 4. Ergebnis: T hat sich somit wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht, indem er den O unter Missachtung dessen Vorfahrtrechts angefahren hat. Fall 2 (BGHSt 11, 1) 10

T, der Fahrer eines Lkw, will den Fahrradfahrer O überholen und hält dabei den gebotenen Seitenabstand nicht ein, indem er bis auf 75 cm an ihm heranfährt. Während des Überholvorgangs gerät der stark angetrunkene O, weil er infolge einer alkoholbedingten Kurzschlussreaktion sein Fahrrad nach links zieht, unter die Hinterreifen des Anhängers. Es wird festgestellt, dass der Unfall sich wahrscheinlich auch dann ereignet hätte, wenn T einen nach der StVO ausreichenden Seitenabstand eingehalten hätte. Strafbarkeit des T? Straßenverkehrsdelikte ( 142, 315b ff. StGB) sind nicht zu prüfen. 222 StGB T könnte sich wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht haben, indem er den O mit nur 75 cm Seitenabstand überholt hat. 1. Tatbestandsmäßigkeit O, ein Mensch, ist getötet worden. Dafür war der Überholvorgang von T auch ursächlich, da dieser nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das alkoholbedingte Kurzschlussverhalten des O und damit der Erfolg - der Tod des O - entfiele. Der T müsste dabei sorgfaltswidrig gehandelt haben. In der konkreten Situation hätte eine gewissenhafter und besonnener Fahrer nach 5 IV 2 StVO einen ausreichenden Seitenabstand also etwa 1,5 bis 2 m eingehalten. Demgegenüber hat der T mit nur 75 cm Abstand überholt, so dass er die erforderliche objektive Sorgfalt verletzt hat. Der Erfolgseintritt war dabei auch objektiv vorhersehbar. Diese Pflichtverletzung muss nun aber auch der maßgebliche Grund sein, dass der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist (Pflichtwidrigkeitszusammenhang), da ansonsten der Erfolg dem T nicht objektiv zurechenbar ist. Dies könnte hier fraglich sein, da sich der Unfall wahrscheinlich auch ereignet hätte, wenn T sorgfältig, d.h. mit genügendem Sicherheitsabstand, überholt hätte; das ist jedoch nicht sicher. Problem: rechtmäßiges Alternativverhalten. a) Nach der h.m. ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang nur gegeben, wenn der Erfolg bei Einhaltung der Sorgfalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (sog. Vermeidbarkeitstheorie). Die objektive Zurechnung entfällt demnach schon, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, daß der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten trotzdem eingetreten wäre. So ist der Fall hier, da sich der Unfall auf Grund der Alkoholisierung des R wahrscheinlich ebenso ereignet hätte. Der Erfolg beruht also nicht (allein) auf der pflichtwidrigen Gefahrschaffung durch T. Es fehlt der notwendige Pflichtwidrigkeitszusammenhang. b) Die a.a. verlangt für den Pflichtwidrigkeitszusammenhang nur, dass das Verhalten des Täters das Risiko für das Rechtsgut über das erlaubte Maß hinaus erhöht hat (sog. Risikoerhöhungslehre). Die objektive Zurechnung entfällt demnach nur, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann ein- 11

getreten wäre, wenn sich der Täter sorgfaltsgemäß verhalten hätte (die konkrete Möglichkeit reicht also nicht aus). In diesem Fall wäre der Erfolg damit zurechenbar, da nicht sicher feststeht, dass bei ausreichendem Seitenabstand der Unfall auch eingetreten wäre. c) Diskussion: Für die Risikoerhöhungslehre spricht, dass Sorgfaltsregeln stets und gerade auch dann angewendet werden müssen, wenn sie das Risiko für die Verletzung eines Rechtsguts nur erhöhen. Die hinter 222 StGB stehende Verhaltensnorm ist verletzt; das geschaffene Risiko kann nicht in ein erlaubtes und unerlaubtes gespalten werden. Dagegen spricht jedoch, dass ein Verbot nur sinnvoll ist, wenn feststeht, dass es Verletzungen tatsächlich vermieden hätte. Die Risikoerhöhungslehre würde jedoch einen Erfolg schon dann zurechnen, wenn dieser Zusammenhang nicht bewiesen ist; damit widerspricht sie dem Grundsatz in dubio pro reo und interpretiert Verletzungsdelikte in Gefährdungsdelikte um, da bei einer schlichten Risikosteigerung lediglich eine Gefährdung des Schutzguts sicher auf der Sorgfaltsverletzung beruht, die Verletzung aber gerade nicht zweifelsfrei. Das ist mit den Grundgedanken des Gesetzes nicht vereinbar. Somit ist mit der Vermeidbarkeitstheorie der Pflichtwidrigkeitszusammenhang im vorliegenden Fall zu verneinen. 2. Ergebnis: T hat sich somit nicht wegen fahrlässiger Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht. Fall 3 (nach BGHSt 32, 262) Albert konsumiert seit Jahren harte Drogen. Seit er den ebenfalls drogenabhängigen Harry vor einigen Jahren bei einem gemeinsamen (erfolglosen) Entzugsversuch kennen gelernt hat, ist er mit ihm befreundet. Eines Abends erzählt ihm Harry von seiner Notlage: Er habe zwar genug Stoff für zwei, aber niemand verkaufe ihm Spritzen. Daraufhin besorgt Albert gebrauchte Mehrwegspritzen aus seinem eigenen Bestand. Harry kocht das Heroin auf und füllt ihn in zwei Spritzen. Jeder spritzt sich das Heroin selbst. Kurz darauf werden beide bewusstlos. Als die beiden gefunden wurden, war Harry bereits tot. Die Injektion hatte zu Atemstillstand und Herzkreislaufversagen geführt. Die Blutalkoholkonzentration von Harry lag im Zeitpunkt seines Todes bei 1,03. Hat sich Albert wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht? Strafbarkeit des A wegen 222 StGB A könnte sich gem. 222 strafbar gemacht haben, indem er dem H eine Spritze besorgte und H nach dem Schuss mit dieser Spritze verstarb. I. Tatbestand 1. Erfolgsverursachung 12

H ist tot, der Erfolg damit eingetreten. Fraglich ist, ob der Erfolg auf eine kausale Handlung des A zurückgeht. Nach der Bedingungstheorie ist eine Handlung dann kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Wenn A nicht die Spritzen besorgt hätte, hätte sich H nicht das Heroin spritzen können. Durch seine Beteiligung am gemeinschaftlichen Heroinverbrauch und das Beschaffen der Spritzen hat A Ursachen für den Tod des H gesetzt. 2. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung Diese ist darin zu sehen, dass A dem H eine Spritze besorgt hat, obwohl objektiv vorhersehbar war, dass er H damit in Lebensgefahr brachte. Ein besonnener und gewissenhafter Mensch in der gleichen Situation aus dem Verkehrskreis des Täters hätte keine Spritzen besorgt, da er die damit verbundenen Gefahren kennt und auch weiß, dass das Spritzen von Heroin gegen das BtMG verstößt. 3. Objektive Zurechnung Zu prüfen ist aber, ob der Erfolg dem A auch objektiv zugerechnet werden kann. Die Handlung des A (das Besorgen der Spritze), die für sich gesehen nicht gefährlich war, eröffnete jedoch immerhin die Möglichkeit zum gefährlichen Tun. Hier hat sich A aber lediglich an der vorsätzlichen Selbstgefährdung des H beteiligt, der diese auch eigenverantwortlich und gewollt herbeiführte. Der Schutzzweck der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte beinhaltet insbesondere den Schutz des Rechtsgutsträgers vor Eingriffen Dritter und nicht vor einer Selbstgefährdung. Nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit fängt die Strafbarkeit erst dort an, wo der sich Beteiligende kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfassen kann als der sich selbst Gefährdende. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung unterbricht demnach den Zurechnungszusammenhang. Der Todeserfolg kann dem A nicht objektiv zugerechnet werden. III. Ergebnis: A hat sich nicht wegen einer fahrlässigen Tötung gem. 222 strafbar gemacht. Exkurs: Fall der Abgabe von Heroin durch einen Dealer an einen bei dessen Verbrauch verstorbenen Drogenabhängigen (BGHSt 37,179 ff.): Nach den Grundsätzen zur sog. bewussten Selbstgefährdung darf im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ein Verletzungserfolg, insbesondere auch der Tod eines Menschen, einem Dritten, der dafür mitursächlich gewe- 13

sen ist, im Sinne aktiven Tuns dann nicht zugerechnet werden, wenn er die Folge einer bewussten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung des Selbstgefährdungsakts erschöpft hat. Etwas anderes könne nur bei Garantenpflichten des Täters für Leib oder Leben des Selbstschädigers oder überlegenem Sachwissen gelten. Dazu der BGH in einem Fall des Verkaufs von Heroin mit einem besonders hohen Reinheitsgrad, bei dem die A die gesunden Abnehmer auf dessen Gefährlichkeit hingewiesen und mit den Worten gewarnt hatte nicht spritzen, sondern nur sniefen, aber trotzdem ein sniefender Konsument verstarb: Wann ein solches Sachwissen als überlegen zu erachten ist, hängt von den Umständen des Falles ab (...) Die Erfassung des Risikos durch den im Umgang mit Drogen nicht unerfahrenen K hing maßgeblich vom Wissen um die Stärke des Stoffes ab. Darauf aber hatte die A hingewiesen und so ihr überlegenes Sachwissen in dem wesentlichen Punkt an das Opfer vermittelt. Danach erschöpfte sich der Beitrag der A unter dem Aspekt des 222 StGB in der Förderung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers. Vgl. zur ähnlichen Frage der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem HIV-Infizierten in Kenntnis der Infizierung BayObLG, NJW 1990, 131. Fall 4 Der PKW-Fahrer A will aus einem Grundstück ausfahren. Er muss hierzu einen 2,5 m breiten Gehweg überqueren, bevor er auf die Fahrbahn gelangt. Weil die Grundstücksausfahrt aber links und rechts mit einer hohen Mauer versehen ist, kann er den Gehweg nicht vollständig einsehen. Er bemerkt daher den verkehrswidrig von rechts kommenden auf dem Gehweg (nicht für Radfahrer ausgewiesen) fahrenden Radfahrer R nicht und fährt zügig bis zum Rand der Fahrbahn. R kann nicht mehr rechtzeitig bremsen, stößt gegen das Fahrzeug des A und wird von der Wucht des Anstoßes über die Motorhaube des PKW s geschleudert. R erleidet eine schwere Gehirnerschütterung und stellt fristgemäß Strafantrag. Ist A strafbar? Strafbarkeit des A gemäß 229 StGB A könnte sich gem. 229 strafbar gemacht haben, indem er aus dem Grundstück herausfuhr, ohne sich zu überzeugen, dass der Gehweg wirklich frei war. I. Tatbestand 1. Tatbestandsmäßiger Erfolg R hat durch den Zusammenprall mit dem Auto des A eine schwere Gehirnerschütterung erlitten, so dass durch das Verhalten des A eine körperliche Misshandlung und eine Gesundheitsschädigung verursacht wurden. 2. A müsste gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen haben. Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergeben sich aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an ei- 14

nen besonnenen und gewissenhaften Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters in der Situation des Handelnden zu stellen sind. Der Vertrauensgrundsatz besagt insbesondere für den Straßenverkehr: Ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, kann - sofern nicht besondere Umstände dagegen sprechen - damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, vgl. BGHSt 13, 169, 172. R verstößt gegen die Fahrbahnbenutzungspflicht für Fahrräder aus 2 I 1 StVO. Aber: Besondere Umstände, die gegen die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes sprechen, können zu einem die Erwartbarkeit des Verkehrsverstoßes oder ein eigener Sorgfaltspflichtverstoß des Täters sein. Diese Umstände liegen hier vor. (1) Die Benutzung des Gehwegs durch Radfahrer ist derart häufig, dass ein gewissenhafter Fahrer damit rechnen muss. (2) Zudem gilt für A 10 StVO Einfahren und Anfahren Wer aus einem Grundstück auf die Fahrbahn einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen. A ist zügig bis zum Rand der Fahrbahn gefahren, ohne sich einweisen zu lassen und hat damit gegen 10 StVO verstoßen. Wenn ein Kraftfahrer aus einer Grundstücksausfahrt kommend einen Gehweg überquert, trifft ihn gegenüber Verkehrsteilnehmern auf dem Gehweg eine erhöhte Sorgfaltspflicht, von der er nicht deshalb befreit ist, weil sich diese Verkehrsteilnehmer verbotswidrigerweise auf dem Gehweg befinden (hier: ein erwachsener Radfahrer). (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1996, 119). Das (allenfalls zivilrechtlich beachtliche) Mitverschulden des R führt also nicht zum Entfallen der Pflichtwidrigkeit auf Seiten des A. 2. Objektive Zurechnung ist zu bejahen: a) Der Erfolgseintritt war objektiv voraussehbar. Objektiv voraussehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den jeweils gegebenen Umständen auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde. Es kommt also nicht auf das tatsächliche Erkennen einer Gefahr an, sondern nur auf dessen Möglichkeit. Für Pkw-Fahrer ist der Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer und dessen Körperverletzung gerade beim Überqueren von Gehwegen trotz der Sicht behindernden hohen Mauer objektiv vorhersehbar. 15

b) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang wäre unterbrochen, wenn der Zusammenstoß auch bei pflichtgemäßem Verhalten passiert wäre. Dafür finden sich keine Anhaltspunkte. c) 10 StVO, gegen dessen Gebot verstoßen wurde, soll gerade der Verhinderung des eingetretenen Erfolgs dienen. II. Rechtswidrigkeit liegt vor. III. Schuld Der Unfall war für A auch nach seinen konkreten Fähigkeiten vorhersehbar und vermeidbar, er hätte langsam ausfahren und gegebenenfalls rechtzeitig bremsen können. IV. Ergebnis: A ist strafbar wegen einer fahrlässigen Körperverletzung gem. 229 StGB. Der nach 230 StGB erforderliche Strafantrag durch R wurde laut Sachverhalt fristgemäß gestellt. Fall 5 Krankenpfleger A studiert Medizin und steht bereits kurz vor seinem Staatsexamen. Im Nachtdienst im Krankenhaus findet er für den Patienten P eine schriftliche ärztliche Anweisung vor, welche die Injektion eines Herzstärkungsmittels vorsieht. Wegen eines Schreibfehlers ist auf der Anweisung jedoch von 4,5 mg statt von 1,5 mg die Rede. A injiziert P die auf der Anweisung angegebene Dosis. Diese größere Dosis, die in Ausnahmefällen medizinisch vertretbar ist, wirkt jedoch bei der Konstitution und dem Leiden des P tödlich. Im Verfahren wird später festgestellt, dass A aufgrund seines Medizinstudiums hätte erkennen können, dass die Dosis für P viel zu hoch war. Strafbarkeit des A? Strafbarkeit des A gemäß 222 StGB I. Tatbestand 1. Erfolg: P ist wegen der überdosierten Injektion durch A gestorben. 2. Objektive Pflichtverletzung Die verletzte Sorgfaltspflicht ergibt sich grundsätzlich aus den Regeln der ärztlichen Kunst. Fraglich ist, ob A aufgrund Sonderwissens und Sonderfähigkeiten erweiterte Pflichten treffen, die über das Maß für Jedermann hinausgehen (ein besonnener und gewissenhafter Durchschnittsmensch hätte die Überdosierung nicht erkennen können, so dass die Frage, ob Sonderwissen Berücksichtigung findet, hier entscheidend ist!). A ist zwar als Krankenpfleger beschäftigt, aber auch angehender Mediziner im fortgeschrittenen Stadium, so dass er über Fachwissen verfügt. Mit diesem Fachwissen wäre eine sorgfältige Überprüfung der Folgen der Injektion zu erwarten gewesen. Zwar wird individuelles Können eigentlich erst bei der Schuld berücksichtigt. Dies würde jedoch zum dem untragbaren Ergebnis führen, dass A trotz seines Sonderwissens keine objektive Pflichtverletzung vorgeworfen werden könnte. Die differenzierte Maßfigur ist als dahingehend abzuwandeln, dass Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt sich jeweils aus 16

den Anforderungen ergeben, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters in der Situation des Handelnden zu stellen sind. A muss sich demnach sein Sonderwissen zurechnen lassen, so dass ihm eine objektive Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. 3. Objektive Zurechnung a) Objektive Vorhersehbarkeit Auch hier sind die gegenüber normalen Krankenhauspersonal gesteigerten Kenntnisse zu berücksichtigen: Selbst wenn die Dosierung ausnahmsweise medizinisch vertretbar war, hätte jedermann mit entsprechenden Kenntnissen erkennen können, dass die Injektion im konkreten Fall bei P tödlich wirken kann. II. Rechtswidrigkeit liegt vor. III. Schuld Die subjektive Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung war für den schuldfähigen A laut Sachverhalt gegeben und würde nur dann entfallen, wenn A nicht die seinem Studienfortschritt entsprechenden Kenntnisse (also kein Sonderwissen) gehabt hätte. Die subjektive Pflichtwidrigkeit entfällt nicht dadurch, dass A auf die ärztliche Anweisung vertrauen durfte. Er hätte sein Sonderwissen trotzdem einsetzen müssen und den Tod des P vermeiden können. IV. Ergebnis: A ist strafbar gem. 222 StGB. Fall 6 T nähert sich mit seinem Pkw in einer einsamen Gegend dem auf dem Bürgersteig gehenden O. Dieser ist für T nicht erkennbar verhaltensgestört. Als sich T fast auf der Höhe von O befindet, läuft dieser plötzlich und ohne vernünftigen Grund auf die Straße. T kann nicht mehr ausweichen und verletzt den O. T steigt aus und erkennt, dass O dringend ärztlicher Hilfe bedarf. Aus Angst, seinen gerade erst wiederbekommenen Führerschein erneut zu verlieren, fährt er jedoch weiter, obwohl er weiß, dass O von anderer Seite keine Hilfe bekommen wird. Dabei nimmt er dessen Tod billigend in Kauf. O stirbt. Hätte T was ihm möglich war sofort einen Notarzt gerufen, hätte O überlebt. Strafbarkeit des T? Straßenverkehrsdelikte ( 142, 315b ff. StGB), 323 c und Aussetzung ( 221 StGB) sind nicht zu prüfen. Vorbemerkungen: Als denkbare strafrechtliche Verhaltensweisen kommen hier das Anfahren und das Unterlassen, den Notarzt zu rufen, in Betracht. Das Anfahren könnte wohl nur eine fahrlässige Tötung sein, das Unterlassen ein Totschlag durch Unterlassen und eine unterlassene Hilfeleistung. Beginnen sollte man mit dem Anfahren, da sich eine Garantenstellung hier nur aus dem Vorverhalten (Ingerenz) ergeben könnte, und es geschickter ist, wenn man dieses Vorverhalten vorab geprüft hat. 17

I. 222 StGB T könnte sich wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht haben, indem er den O mit seinem Pkw überfuhr. 1. Tatbestandsmäßigkeit Indem T den O mit seinem Pkw angefahren hat, hat er dessen Tod verursacht. Dabei müsste er die objektiv erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Ein konkreter Verstoß gegen Vorschriften der StVO sind dem T nicht anzulasten. Auch ein Verstoß gegen die Grundregel des 1 StVO ist nicht erkennbar, da der selbst verkehrsgerecht fahrende T darauf vertrauen durfte, dass sich auch andere Verkehrsteilnehmer wie der O verkehrsrichtig verhalten und nicht unvermittelt auf die Straße laufen, sofern sich aus erkennbaren Umständen nichts anderes ergibt. Solche Umstände wie z.b. die Verhaltensstörungen des O waren jedoch für einen umsichtigen und besonnenen Menschen in der Position des T nicht erkennbar, so dass ihm keine Verletzung der objektiv erforderlichen Sorgfalt vorzuwerfen ist. 2. Ergebnis: T hat sich durch das Anfahren des O nicht wegen fahrlässiger Tötung gemäß 222 StGB strafbar gemacht. Dieser Vertrauensgrundsatz, ohne den ein reibungsloser Ablauf des ständig zunehmenden Straßenverkehrs nicht denkbar wäre, ist von großer Wichtigkeit; II. 212 I, 13 I StGB T könnte sich wegen Totschlags durch Unterlassen gemäß 212 I, 13 I StGB strafbar gemacht haben, indem er den O, ohne zu helfen, liegen gelassen hat. 1. Tatbestandsmäßigkeit a) Objektiver Tatbestand O, ein Mensch, ist tot. Hätte T den Notarzt gerufen, hätte O überlebt, so dass das Unterlassen dieser physisch-real möglichen und rechtlich gebotenen Rettungshandlung für den Erfolg auch kausal war und der Erfolg dem T auch objektiv zurechenbar ist. T müsste ferner eine Garantenstellung gehabt haben; eine solche könnte sich hier aus vorangegangenem gefährdendem Verhalten (Ingerenz) ergeben, so dass T als ein Überwachergarant im Hinblick auf die von ihm geschaffene Lebensgefahr für O durch den Unfall behandelt werden müsste. Fraglich ist jedoch, ob T eine solche besondere Rechtspflicht traf, da sein Vorverhalten rechtmäßig war. Die h.m. verlangt ein im Hinblick auf die Gefahr pflichtwidriges Vorverhalten, weil nur ein solches eine besondere Verantwortung für das Rechtsgut zu begründen vermag. Danach wäre eine Garantenpflicht für T abzulehnen, da er sich wie oben geprüft sorgfaltsgemäß verhalten hat. Eine a.a. lässt die Verursachung jeder adäquaten Gefahr ausreichen. Demnach läge hier eine Garantenpflicht aus Ingerenz vor. Dafür spricht, dass grundsätzlich jedermann für unerwünschte Folgen seines Tuns verantwortlich ist, dar- 18

aus resultierende Gefahren also abwenden muss. Schließlich ist die per se gefährliche Teilnahme am Straßenverkehr nur erlaubt, wenn sich diese typischen Gefahren nicht realisieren. Dagegen spricht jedoch, dass eine solche Verantwortung nur entstehen kann, wenn einem die Gefahrschaffung vorgeworfen werden kann; reine Kausalität begründet keine menschliche Verantwortung. Die a.a. führt zu einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit. Schließlich ist nicht einzusehen, dass der T, der sich vollkommen korrekt verhalten hat, stärker verantwortlich sein soll als jeder beliebige Dritte, der in der konkreten Notsituation helfen könnte. Die h.m. ist somit vorzugswürdig. 2. Ergebnis: T hat sich mangels Garantenpflicht nicht wegen eines Totschlags durch Unterlassen gemäß 212 I, 13 I StGB strafbar gemacht. Die hier vereinfacht wiedergegebene Diskussion um die Voraussetzungen der Ingerenz ist hoch umstritten. Neben diesen beiden Grundansichten gibt es auch vereinzelte Stimmen, die diese Garantenstellung ganz ablehnen; diese Meinung muss m.e. jedoch in einer Klausur nicht dargestellt werden. 19