42. FIW Seminar Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts Reformimpulse für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht ein Streitgespräch zu den Themen des Arbeitskreises Kartellsanktionenrecht Dr. Konrad Ost Leiter der Grundsatzabteilung 2.7.2014 Prof. Dr. Gerhard Dannecker Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg www.bundeskartellamt.de
Disclaimer 2 Der Beitrag von Dr. Ost gibt allein seine persönliche Auffassung wieder. Diese muss nicht notwendigerweise mit der des Bundeskartellamtes übereinstimmen.
Übersicht 3 1. Ausgangslage 2. Themen des AK Sanktionenrecht Verfahren und Sanktionen 3. Vorgaben EU 4. Grundrechtsstandards insbes. jur. Personen 5. Entscheidungsfindung (Überprüfung/De Novo/reine Anklage) Unterpunkt Rolle BKartA 6. Verfahrensprinzipien Inbegriff der HV, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Beweiserhebunsgfreiheiten 7. Pflichten und Obligenheiten des Verdächtigen (Schweigerecht, Rügepflichten)
Folie Dr. Ost 1. Ausgangslage 4 Dauer der Kartellverfahren insgesamt Dauer behördliches Verfahren Gründe Dauer des Zwischenverfahrens Dauer des gerichtlichen Verfahrens Einbindung in das ECN System der parallelen Zuständigkeit Interne Harmonisierung Abweichungen EU / DE
5 Folie Dr. Ost 2. Themen des AK Sanktionenrecht Verfahren und Sanktionen Ziel des Arbeitskreises Sanktionenrecht Konstituierung 2013 Abschlussbericht geplant 2015 Mitglieder: Prof. G. Dannecker, Heidelberg, StrafR, und RA C. Dannecker, Würzburg, Verfassungsrecht Prof. Ackermann, München, PrivR und EuR Prof. Gärditz, Bonn, ÖffR Bis Mitte 2014 Verfahrensrecht, danach Sanktionenrecht (insbes. Adressat und Sanktionsmittel)
Folie Dr. Ost 2.Themen des AK SanktionenR (2) 6 Gestaltungsspielräume weniger Mündlichkeit weniger Formalismen Präklusionen Fokussierung durch Überprüfung statt Neuaufguss Mehr Wirtschaftslenkungsrecht denn Strafrecht (Karsten Schmidt/Ackermann)? Zwischen Luxemburg und Düsseldorf
7 Folie Prof. Dannecker Strafverfahren versus Verwaltungsverfahren EGMR Menarini KatellOWi als Sanktion strafrechtl. Charakters, keine bloße Wirtschaftslenkung Geltung strafrechtlicher Garantien unabhängig von der Verfahrensform Wahrheitsfindung Ne bis in idem Unschuldsvermutung Schuldgrundsatz Recht auf Verteidigung Fair trial Konfrontationsrecht full jurisdiction
Folie Prof. Dannecker / Dr. Ost Umsetzungsmöglichkeiten 8 Beibehaltung des OWi-Verfahrens De novo-verfahren Anpassung an Besonderheiten des Kartellsanktionenrechts Verwaltungsverfahren Rechtmäßigkeitskontrolle der Behördenentscheidung Implementierung der spezifisch strafrechtlichen Garantien
Folie Dr. Ost 3. Vorgaben EU 9 VO 1/2003: wenig verfahrensrechtliche Harmonisierung Rechtsprechung des EuGH Verfahrensrecht : VEBIC etc. Grundrechtsschutz
Folie Dr. Ost 3. Vorgaben EU (2) 10 System der parallelen Zuständigkeiten Fallverteilung zwischen KOM und Bundeskartellamt erscheint bisweilen aus Sicht des Rechtsunterworfenen zufällig und bis Entscheidung abänderbar soft convergence [Sanktionen: 10% Rahmen (aber Auslegung)] Selbstbelastung, legal privilege?; Leniency, Verfahrensorganisation Verordnung 2?
11 Folie Dr. Ost 4. Grundrechtsstandards insbes. jur. Personen Bedeutung in der Praxis Nemo tenetur (dazu sogleich) Verteidigerprivileg Administrative Bußgeldfestsetzung Verfahrensprinzipien [Sanktionen]
12 Folie Prof. Dannecker Grundrechtsstandards, insbes. jur. Personen Grundrechtecharta Anerkennung des Grundrechtsschutzes auch für juristische Personen Parallelität von nationalem und europäischem Grundrechtsschutz (Akerberg Fransson) Begrenzung des nationalen Grundrechtsschutzes durch Effektivität des Unionsrechts? Schenker-Entscheidung als Sonderfall
13 BVerfG Folie Prof. Dannecker Grundrechtsstandards, insbes. jur. Personen Traditionell: Durchgriffslehre Schutz der hinter jur. Personen stehenden Individuen Aber: Stiftungen sind grundrechtsfähig Persönlichkeitsrecht juristischer Personen Neuere Sicht: grundrechtstypische Gefährdungslage (Art. 19 Abs. 3 GG) Uneingeschränkte Geltung von Verfahrensgarantien Rechtliches Gehör Ne bis in idem Unschuldsvermutung
14 Folie Dr. Ost 4. Grundrechte: Informationsbeschaffung Auskunftspflichten (nemo tenetur?) Lage in EU Deutschland verfassungsrechtliche Ebene BVerfG 1997 Deutschland- einfaches Recht Referentenentwurf 8. GWB-Novelle
15 Folie Prof. Dannecker Grundrechte Informationsbeschaffung Nemo tenetur se ipsum accusare Prozessuales Grundrecht (EGMR) Kernbereich Keine Aussagepflichten als Beschuldigter zu Zwecken des Schuldnachweises Keine Verwertbarkeit Abwägbare Randbereiche Vorlage von vorhandenen Unterlagen Verwertung von Ergebnissen außerstrafr. Erklärungspflichten Vernehmung natürlicher Personen Vorlage von Umsatzzahlen zur Bußgeldbemessung(?)
Folie Dr. Ost 5. Entscheidungsfindung 16 De Novo/ Überprüfung /reine Anklage Prüfungstiefe Tatsachen Bußgeldbemessung Rolle BKartA im gerichtlichen Verfahren
17 Folie Prof. Dannecker Entscheidungsfindung Straf- oder Verwaltungsverfahren? Richtervorbehalt (Art. 92 GG) im Strafrecht, aber nicht im Ordnungswidrigkeitenrecht Full jurisdiction! (Aspekt der Gewaltenteilung) Bußgeldbemessung vom Gericht in eigener gerichtlicher Verantwortung zu verantworten, nicht nur zu überprüfen (mehr als Art. 19 Abs. 4 GG!) Kein gerichtlicher Überprüfung entzogenes Sanktionszumessungsermessen kein behördlicher Beurteilungsspielraum volle Tatsachenverantwortung des Gerichts strafrechtliche Beweislastverteilung Verzicht auf Staatsanwaltschaft? Ersetzbar durch Kartellbehörde
Folie Dr. Ost 6. Verfahrensprinzipien 18 Inbegriff der HV Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Beweiserhebungsfreiheiten
Folie Prof. Dannecker Verfahrensprinzipien 19 Inbegriff der Hauptverhandlung Full jurisdiction Rechtliches Gehör (Abgrenzung des Wesentlichen wegen Aktenflut): Was ist Gegenstand der Verhandlung? Konfrontationsrecht Mündlichkeit Kein Verfassungssatz Unmittelbarkeit, formelle und materielle Kein Verfassungssatz Kein Vorrang des Personal- vor dem Urkundenbeweis Aber: Pflicht zur Wahrheitsermittlung
Folie Prof. Dannecker Beweiserhebungsfreiheit 20 Beweiserhebungsfreiheit Aber: bei Belastungszeugen Konfrontationsrecht
7. Pflichten und Obliegenheiten des Verdächtigen 21 Schweigerecht (s.o.) Rügeobliegenheiten ja, aber Substantiierungslast bei Rüge als Beweislastproblem Weitreichende Ablehnungsmöglichkeiten bei Beweisanträgen im OWi-Verfahren
Folie Dr. Ost Fazit: Lösungswege 22 Kleine Schritte im strafrechtlichen System großer Schritt: eigenständiges Kartellverfahrensrecht (mit Vorreitercharakter für Wirtschaftsstrafprozessrecht) Zukunft: große europäische oder große deutsche Lösung? Fazit: Stärkere legislative europäische Harmonisierung sinnvoll Umsetzungsspielräume nutzen
Fazit Prof. Dannecker 23 Vorzugswürdig: Verzicht auf europäischen Weg! da Effektivität auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit kein Konfrontationsrecht keine full jurisdiction Mitwirkung gegen den Kern von nemo tenetur Zeit- und Schriftsatzbegrenzung