Qualität von Kindertageseinrichtungen

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2 Qualität von Kindertageseinrichtungen Die effektive Förderung kindlicher Entwicklungsprozesse in Kindertageseinrichtungen ist ein zentrales Anliegen geworden. In diesem Abschnitt soll geklärt werden, welche Bedingungen notwendig sind, um die emotionale, soziale und intellektuelle Entwicklung der Kinder umfassend zu unterstützen (Roßbach & Blossfeld, 2008). Diese Überlegungen befassen sich mit der pädagogischen Qualität von Einrichtungen im Elementarbereich. Doch was genau kann unter pädagogischer Qualität verstanden werden und wovon hängt sie ab? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Zunächst wird erläutert, welches Verständnis von pädagogischer Qualität dieser Arbeit zugrunde gelegt wird. Anschließend folgt eine Beschreibung der zentralen Kriterien pädagogischer Qualität von Kindertageseinrichtungen. Das Kapitel schließt mit der Befundlage zu Zusammenhängen zwischen den Qualitätskriterien. 2.1 Zum Qualitätsbegriff Aktuell findet eine anhaltende Auseinandersetzung mit der Erfassung und Entwicklung von Qualität statt, sowie insgesamt mit der Frage: Wie gut sind unsere Kindergärten? (Tietze, 1998). Was unter Qualität von Kindertageseinrichtungen verstanden wird, hat sich einhergehend mit der Formulierung der Bildungsfunktion verändert, wobei in Abhängigkeit von der/dem BertrachterIn variieren kann, was die Güte von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung ausmacht (Fthenakis, 2010; Fthenakis & Textor, 1998; Tietze, 1998, 2008). Ein Konsens erscheint diesbezüglich jedoch unerlässlich, um einheitlich bestimmen zu können, was unter guter Qualität verstanden werden soll (Tietze, 2008). In der frühen Bildung können zwei konzeptionelle Richtungen unterschieden werden, die jeweils von einer anderen Perspektive auf den Qualitätsbegriff blicken. Das erste, relativistische Verständnis (Dahlberg, Moss, Pence, 1999, S 116 ff.), integriert verschiedene Perspektiven und beschreibt den Qualitätsbegriff als fortwährenden Prozess des Aushandelns und der Verständigung der Bedürfnisse und Wertesysteme zwischen den beteiligten Akteuren (Dahlberg et al., 1999; Katz, 1996a, b). Im zweiten strukturell-prozessualen Verständnis steht die Perspektive des Kindes im Vordergrund der Sicht auf Qualität (Fthenakis & Textor, 1998). Dieses zweite Konzept beschreibt die Entwicklung des Qualitätsbegriffs auf der Basis von Erfahrungen in der Praxis, kombiniert mit Befunden aus der 31 M. Plöger-Werner, Epistemologische Überzeugungen von Erzieherinnen und Erziehern, DOI 10.1007/978-3-658-09749-3_2, Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

Forschung (Roßbach, 2004, S. 14; Tietze, 1998). Wenngleich beispielsweise für den Träger andere Qualitätsaspekte von Bedeutung sind als für das pädagogische Personal, sollte nach dem zweiten Verständnis die Qualität dessen vorrangiges Interesse haben, was die förderliche Entwicklung der Kinder selbst betrifft (Tietze, 2008). Dieses Verständnis wird mit dem Begriff der pädagogischen Qualität umschrieben (Tietze, 1998). Sie ist nach Tietze dann gegeben, wenn die jeweiligen pädagogischen Orientierungen, Strukturen und Prozesse das körperliche, emotionale, soziale und intellektuelle Wohlbefinden und die Entwicklung und Bildung der Kinder in diesen Bereichen aktuell wie auch auf Zukunft gerichtet fördern und die Familien in ihrer Betreuungs- und Erziehungsaufgabe unterstützen. (Tietze, 2008, S. 17). Im Sinne eines mehrdimensionalen Konstrukts wird dabei zwischen pädagogischen Strukturen, Prozessen und Orientierungen differenziert (Tietze, 1998). Dieses Verständnis hat sich auch auf Bundesebene mit der Nationalen Qualitätsinitiative durchgesetzt (z. B. Tietze & Viernickel, 2003) und ist die Basis von nationalen und internationalen empirischen Untersuchungen (Kuger & Kluczniok, 2008; NICHD, 2002a; Tietze et al., 2013). Für die vorliegende Arbeit wird das Verständnis pädagogischer Qualität der Nationalen Qualitätsinitiative (Tietze & Viernickel, 2003), welches auf den Arbeiten von Tietze (Tietze, 1998, Tietze et al., 2005) aufbaut und sich damit dem zweiten Verständnis zuordnen lässt, zugrunde gelegt. Unterschieden wird vor diesem Hintergrund zwischen drei zentralen Dimensionen pädagogischer Qualität, die sich direkt oder indirekt auf die Entwicklung der Kinder auswirken können (siehe Abbildung 1). Inputfaktoren sind dabei die Orientierungen der pädagogischen Fachkräfte sowie die institutionellen und personalen Strukturen, die im Sinne von distalen Bedingungen eher indirekt bedeutsam sind für die Entwicklung der Kinder. Die proximale Bedingung für Qualität im Sinne des Outputs ist das konkrete Prozessgeschehen in der Einrichtung. Ausgehend von diesen Dimensionen pädagogischer Qualität werden Effekte auf die kindliche Entwicklung erwartet, wobei die Beziehung nicht deterministisch aufgefasst wird (Tietze, 2008). Bildung bleibt auch in dieser Konzeptualisierung ein durch Selbstbeteiligung des Individuums charakterisierter Prozess, der zudem durch andere pädagogische Erfahrungsfelder (besonders der Familie des Kindes) maßgeblich mitbestimmt wird. (Tietze, 2008, S. 19). Von einer kurzfristigen, mittelfristigen oder langfristigen Einflussnahme der pädagogischen Qualität wird jedoch ausgegangen (Tietze, 2008, S. 19). Hinzu kommen Kontextbedingungen, von denen ebenfalls eine die Qualität fördernde Wirkung ausgehen kann. Dies sind z. B. Fortbildungsangebote von Trägern oder die Fachberatung (BMFSFJ, 2006, S. 203). 32

Abbildung 1: Rahmen für die Betrachtung pädagogischer Qualität von Kindertageseinrichtungen und Auswirkung auf die kindliche Entwicklung (nach BMFSFJ, 2006, S. 415) Dimensionen pädagogischer Qualität Outcome Strukturqualität Orientierungsqualität Prozessqualität Kindliche Entwicklung Kontextbedingungen Die drei Dimensionen des zugrunde gelegten Verständnisses pädagogischer Qualität sollen im Folgenden erläutert werden. Die Prozessqualität bezieht sich auf die Gesamtheit der Interaktionsprozesse im täglichen Geschehen der Kindertageseinrichtung und wird auch als realisierte Pädagogik bezeichnet (Tietze, 2008, S. 18). Sämtliche Interaktionen zwischen den pädagogischen Fachkräften und den Kindern, aber auch zwischen den Kindern untereinander sowie die Interaktionen zwischen den Fachkräften sowie im Austausch mit den Eltern, dem jeweiligen Träger oder externen Personen bzw. Diensten, werden auf dieser Dimension berücksichtigt. Im Mittelpunkt stehen die Anregungen, die die Kinder in den einzelnen Bildungs- und Entwicklungsbereichen erhalten. (Tietze, 2008, S. 18). Der Qualität pädagogischer Prozesse wird sowohl bereichsübergreifend als auch bereichsspezifisch (hier: bezogen auf Interaktionen innerhalb spezieller Bereiche, wie z. B. Sprache) eine große Bedeutung für kindliche Entwicklungsgewinne zugeschrieben (siehe ausführlich auch Kapitel 4), wobei diese wiederum von Aspekten der Struktur- und Orientierungsqualität beeinflusst werden. Der Prozessqualität kommt damit eine besondere Schlüsselrolle für die kindliche Entwicklung zu. Die Feststellung der Prozessqualität im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen erfolgt zumeist mithilfe von Beobachtungsinstrumenten (Tietze, 2008, S.24). Die Prozessqualität ist damit die am aufwändigsten zu erfassende Dimension, gleichzeitig jedoch als Outputfaktor auch besonders bedeutsam für die kindliche Entwicklung (Tietze 2008). 33

Die Strukturqualität umfasst überwiegend stabile Rahmenbedingungen einer Einrichtung, innerhalb derer die pädagogischen Handlungen stattfinden. Hierzu gehören nach Tietze (1998) sowohl räumliche Bedingungen wie z. B. die Ausstattung und Größe der Einrichtung, die den Platz innerhalb der Räumlichkeiten und auf dem Außengelände umfassen, als auch die Gruppengröße, die Raumgestaltung und die Materialausstattung. Auch personale Bedingungen, wie z. B. der Personalschlüssel, das Ausbildungsniveau des Personals und die Vorund Nachbereitungszeiten aber auch Öffnungszeiten und Gruppenzusammensetzung sind zur Strukturqualität zu zählen (BMFSFJ, 2006, S. 200). In den meisten Untersuchungen werden zudem der Betreuungsschlüssel, die Anzahl der Kinder in der Gruppe, die Gruppenzusammensetzung, das durchschnittliche Alter der Kinder, die Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund, der Betreuungsumfang sowie der formale Bildungsabschluss, die Qualifikation und die Berufserfahrung des pädagogischen Personals erfasst (Tietze et al., 2005, 2013). Merkmale, die dieser Dimension zugeordnet werden, sind zumeist politisch festgelegt und unterliegen auch überwiegend der politischen Regulierung (Tietze, 1998, S. 22). Die Messung der Strukturmerkmale erfolgt in der Regel ohne größeren Erhebungsaufwand über Auskünfte der Fachkräfte und/oder der Einrichtungsleitungen (Tietze et al., 2005). Die Orientierungsqualität beinhaltet kognitive Merkmale des pädagogischen Personals. Es handelt sich um normative Orientierungen, Leitvorstellungen, Überzeugungen und Werte, unter denen das konkrete pädagogische Handeln (Prozessqualität) erfolgt bzw. erfolgen soll. (BMFSFJ, 2006, S. 200) Vor dem Hintergrund ergeben sich eine Vielzahl von Merkmalen, die es hinsichtlich der Bedeutung für die pädagogischen Prozesse und die kindliche Entwicklung zu berücksichtigen gilt (Roßbach, Kluczniok & Isenmann, 2008, S. 80). In aktuellen Studien werden insbesondere allgemeine Erziehungseinstellungen (Tietze et al., 2005), Fördereinstellungen (Kluczniok, Anders & Ebert, 2011; Tietze et al., 2005; Wehner & Kratzmann, 2013), kindorientierte Überzeugungen (Akin, 2013; Berk, 1985; NICHD, 2000a; Pianta et al., 2005), interkulturelle Orientierungen (Kratzmann, Smidt, Pohlmann-Rother & Kuger, 2013), Überzeugungen zur naturwissenschaftlichen Förderung in der Kindertageseinrichtung (Torquati, Cutler, Gilkerson & Sarver, 2013), normative Erziehungsziele (Kuger & Kluczniok, 2008; Tietze, 1998), Entwicklungserwartungen (Tietze et al., 2005), Auffassungen über die Aufgaben und Funktionen der Kindertageseinrichtung (z. B. Honig, Joos & Schreiber, 2004; Mischo, Wahl, Hendler & Strohmer, 2012a), Fachwissen (Hendler, Mischo, Wahl & Strohmer, 2011; Sylva et al., 2004c; Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford & Taggart, 2010), Auffassungen zum Lernen von Kindern (Mischo et al., 2012a) und Orientierungen an wissenschaftlichen (objektiven) versus subjektiven Theorien (Mischo, 34

Wahl, Strohmer & Hendler, 2012c, Mischo, Wahl, Strohmer & Wolf, 2014) berücksichtigt. Die pädagogischen Orientierungen werden überwiegend über Ratingskalen oder mittels Interviews erhoben. Neben den Strukturmerkmalen werden auch die pädagogischen Orientierungen der an den Bildungsprozessen der Kinder beteiligten Personen als zeitlich relativ stabil eingeschätzt und gelten als relevant für die realisierte Pädagogik (Tietze, 1998, S. 22). Dass sich diese Orientierungen vor allem im beruflichen Sozialisationsprozess auch verändern können, zeigt eine zunehmende Zahl an Studien (Dippelhofer-Stiem, 2000, 2006). Diese drei Bereiche der pädagogischen Qualität werden in der Forschung differenziert in ihrer Güte eingeschätzt und ihre Bedeutung für die kindliche Entwicklung untersucht. 2.2 Zusammenhänge zwischen den zentralen Qualitätskriterien Es wird von Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Qualitätsdimensionen ausgegangen und zunehmend auch in großen Längsschnittstudien (z. B. Kuger & Kluczniok, 2008; NICHD, 2000a, b, 2001a, b, 2002a; Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford & Taggart, 2004a) untersucht, welche Bedingungen der pädagogischen Strukturen und Orientierungen es sind, die zu einem qualitativ hochwertigen Prozessgeschehen führen und darüber hinaus die Entwicklungserfolge der Kinder fördern. Trotz heterogener Operationalisierungen des Konstrukts (Hayes, Palmer & Zaslow, 1990, Tietze, 1998; Vandell & Wolfe, 2000), integrieren aktuelle Ansätze und Forschungsprojekte neben Struktur- und Prozessmerkmalen zunehmend auch verschiedene pädagogische Orientierungen, der am Erziehungs- und Bildungsprozess der Kinder beteiligten Betreuungspersonen (Tietze, Hundertmark-Mayser & Roßbach, 1999; Tietze et al., 2005). Nationale und internationale Forschungsergebnisse belegen die Bedeutung von Struktur- und Orientierungsaspekten für die bereichsübergreifende und bereichsspezifische Prozessqualität, auch wenn die Untersuchungen sich teilweise hinsichtlich der erhobenen Merkmale für die Orientierungs- und Strukturqualität und der verwendeten Instrumente zur Erfassung der pädagogischen Prozesse (siehe ausführlich in Abschnitt 4.1) unterscheiden. Für eine höhere Prozessqualität erwiesen sich zusammenfassend die folgenden Strukturmerkmale als bedeutsam: eine geringe Gruppengröße (NICHD, 2000a; Tietze et al., 2013), altershomogene Gruppen (Tietze et al., 2013), ein höheres Durchschnittsalter der Kinder in der Gruppe (Kuger & Kluczniok, 2008, S. 169), offene Gruppenarbeit (Tietze et al., 2013), ein hohes Ausbildungsniveau (NICHD, 35

2002a; Pianta et al., 2005; Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford & Taggart, 2004b), ein höherer formaler Bildungsabschluss (NICHD, 2000a), geringe Berufserfahrung (Kuger & Kluczniok, 2008), große Berufserfahrung (NICHD, 2000a), hohe Zufriedenheit des pädagogischen Personals (Kuger & Kluczniok, 2008), ein geringer Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund (Kuger & Kluczniok, 2008; Tietze et al., 2013), ein hoher Grad an Extraversion des pädagogischen Personals 10 (Tietze et al., 2013) und ein guter Erzieher-Kind- Schlüssel (NICHD, 2000a, 2002a; Pianta et al., 2005; Tietze, 1998). In Bezug auf einige der in diesen Forschungsprojekten erhobenen Strukturmerkmale lassen sich Unterschiede in den Befunden feststellen. So gilt zum Beispiel der Erzieher-Kind-Schlüssel in einigen Studien als bedeutsam, in anderen konnten lediglich Tendenzen festgestellt werden (Kuger & Kluczniok, 2008; Tietze et al., 2013). Gleiches gilt für die Zugehörigkeit zum Bundesland (Kuger & Kluczniok, 2008; Tietze, 1998; Tietze et al., 2013) bzw. in einer amerikanischen Studie zum Bundesstaat (Pianta et al., 2005) und für die Bedeutung der Gruppengröße (Tietze et al., 2013). Auch das Ausbildungsniveau erwies sich nicht in allen Untersuchungen als bedeutsam für die Qualität der pädagogischen Handlungen (Early et al., 2007; Tietze et al., 2013). Pianta und KollegInnen (2005) konnten in der US-amerikanischen Multi-State Pre-Kindergarten Study des National Center for Early Development ans Learning (NCEDL) zudem ermitteln, dass sich eine geringere Prozessqualität eher dann zeigt, wenn die Kinder unter der Armutsgrenze liegen. Einige Studien berichten darüber hinaus Unterschiede bezüglich der Relevanz der Strukturmerkmale in Abhängigkeit einer bereichsübergreifenden versus bereichsspezifischen Betrachtung der Prozesse (Kuger & Kluczniok, 2008; Tietze et al., 2013). Kuger und Kluczniok (2008) berichten im Rahmen der Längsschnittstudie Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vorschul- und Schulalter (BIKS) beispielsweise den Einfluss von höherer Zufriedenheit des pädagogischen Personals und einer geringen Berufserfahrung lediglich für die bereichsübergreifende Prozessqualität, nicht jedoch für die bereichsspezifischen (hier: auf Literacy und Mathematik bezogenen) Prozesse. Zur Berufserfahrung zeigen sich damit widersprüchliche Befunde, denn in der Study of Early Child Care (SECC) des National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) waren höhere Werte der bereichsübergreifenden Prozessqualität assoziiert mit längerer Berufserfahrung (NICHD, 2000a). Insgesamt erklären die Strukturmerkmale in den Untersuchungen einen bedeutsamen Anteil der Varianz der gezeigten Prozessqualität (z. B. rund 25% bei Tietze et al., 2013). 10 Dieses Merkmal wird in der NUBBEK-Studie zu den Strukturmerkmalen gezählt, genauer zur Personalen Dimension der pädagogischen Strukturen. 36

Berichtet werden auch Zusammenhänge zwischen Orientierungsmerkmalen des pädagogischen Personals und der Prozessqualität. Je nach Untersuchung weicht dabei ab, welche Orientierungsmerkmale (z. B. welche Ziele oder Einstellungen) erhoben werden und mit welchem (Fragebogen-)Instrument die Messung erfolgt. Insgesamt sind es noch immer wenige Untersuchungen, die Orientierungsmerkmale umfassend mit berücksichtigen (Kuger & Kluczniok, 2008). Die wenigen Befunde zeigen jedoch die prädiktive Bedeutung von konservativen Erziehungseinstellungen, einem partnerschaftlichen Rollenverständnis (Kuger & Kluczniok, 2008) und von Fördereinstellungen (Kluczniok et al., 2011) für die bereichsspezifische Prozessqualität. Kuger und Kluczniok (2008) erfassen zudem die bereichsübergreifende Prozessqualität, können jedoch keine statistisch bedeutsamen Effekte ausgehend von den Orientierungsmerkmalen feststellen. In mehreren Untersuchungen sind zudem kindorientierte bzw. moderne Überzeugungen 11 des pädagogischen Personals von Bedeutung für die Qualität der pädagogischen Prozesse (Berk, 1985; NICHD, 2000a; Pianta et al., 2005). Zusammenhänge zwischen interkulturellen Orientierungen von ErzieherInnen und den beobachteten pädagogischen Interaktionen werden im Rahmen der BIKS-Studie zudem von Kratzmann et al. (2013) berichtet. Das Effective Provision of Preschool Education (EPPE)-Projekt (Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford, Taggart & Elliot, 2003a; Sylva et al., 2010) zeigte durch zusätzliche Fallanalysen solcher Einrichtungen, die eine besonders gute Qualität aufwiesen, welche relevanten Aspekte in diesen Einrichtungen besonders ausgeprägt vorlagen. Hier wurden in Bezug auf die pädagogischen Orientierungen das didaktisch/curriculare Fachwissen und das Fachwissen über kindliche Lernprozesse der pädagogischen Fachkräfte hervorgehoben (Siraj-Blatchford, Sylva, Muttock, Gilden & Bell, 2002; Sylva et al., 2004c, S. 160). Wenngleich diese Studien Wirkungen zeigen, konnte in Untersuchungen der European Child Care and Education (ECCE)-Studie kein Zusammenhang zwischen Merkmalen der Orientierungsqualität (hier: zu kindorientierten Einstellungen sowie zu Vorstellungen zur Entwicklung von Kindern) und der Prozessqualität ermittelt werden (Tietze, 1998; Tietze et al., 2005). Insgesamt klären Merkmale der pädagogischen Orientierungen einen eher geringen Teil der Varianz der Prozessqualität auf (z. B. zwischen 2,1% und 3,9% bei Tietze et al., 2013, S. 81). 11 Kindorientierte bzw. moderne Überzeugungen beschreiben die Eigenständigkeit des Kindes im Lernprozess und betonen die Bedeutung gemeinsamer Interaktionen für den Lernprozess der Kinder (Pianta et al., 2005, S. 157). 37

Der Forschungsstand verdeutlicht, dass die Merkmale der Prozess-, Struktur-, und Orientierungsqualität eng miteinander in Beziehung stehen, wobei nicht in allen größer angelegten Untersuchungen auch Orientierungsmerkmale mit erhoben wurden und die Befundlage insgesamt nicht eindeutig ist. Während von einer Vielzahl der Strukturmerkmale Effekte ausgehen, ist dies für Orientierungsmerkmale nicht in allen Untersuchungen der Fall (Tietze, 1998; Tietze et al., 2005). Die berichtete Varianzaufklärung für Struktur- und Orientierungsmerkmale liegt in deutschen Untersuchungen je nach Betrachtung der bereichsübergreifenden oder bereichsspezifischen Prozessqualität bei Tietze et al. (2013, S. 84) zwischen 11 Prozent und 32 Prozent und bei Kuger und Kluczniok (2008, S. 169) zwischen 26 und 32 Prozent. In der NICHD-Studie können rund 25 Prozent der Varianz durch die Struktur- und Orientierungsmerkmale erklärt werden (NICHD, 2000a, S. 131) und bei Pianta und KollegInnen im Rahmen der Multi-State Study 17 Prozent (Pianta et al., 2005, S. 156). 2.3 Zusammenfassung Der Qualitätsbegriff wird in der frühen Bildung aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Die theoretische Konzeption, die auch die Basis aktueller Forschungsbemühungen ist, stellt das körperliche, emotionale, soziale und intellektuelle Wohlbefinden des Kindes (Tietze, 2008, S. 17) in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dieses Verständnis von pädagogischer Qualität wird der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt und unterscheidet zwischen Merkmalen pädagogischer Prozesse, Strukturen und Orientierungen. Insgesamt wird auf der Grundlage dieses Verständnisses untersucht, welche Bedingungen pädagogischer Strukturen und Orientierungen es sind, die zu qualitativ hochwertigen Handlungen führen und darüber hinaus die Entwicklungsprozesse von Kindern fördern. Die Relevanz der pädagogischen Strukturen für die Prozessqualität wird durchgängig in Studien belegt, wobei je nach Untersuchung variiert, welche Faktoren sich als einflussreich herausstellen. Die Ergebnisse von Kuger und Kluczniok (2008) zeigen darüber hinaus, dass die Strukturmerkmale eher mit der bereichsübergreifenden Förderung im Zusammenhang stehen und die Orientierungsmerkmale eher mit der bereichsspezifischen Förderung im Kindergarten. Insgesamt sprechen die Befunde jedoch dafür, dass jeweils deutlich mehr als ein einzelner Faktor das Prozessgeschehen erklärt und, dass eine Verbesserung der Strukturmerkmale alleine nicht ausreichen kann, um die Prozesse zu optimieren (Kuger & Kluczniok, 2008; Tietze et al., 2013). Zudem sind die strukturellen Aspekte in der pädagogischen Praxis vom Personal nur eingeschränkt zu beeinflussen. 38

Einige Untersuchungen zeigen darüber hinaus Effekte von Orientierungsmerkmalen des pädagogischen Personals. Diesbezüglich besteht weiterer Forschungsbedarf, um Erkenntnisse darüber zu erlangen, welche Merkmale pädagogischer Orientierungen in welcher Art und Weise wirken. 39

http://www.springer.com/978-3-658-09748-6