Einführung in die Ethik. Neil Roughley (WS 2006/07)

Ähnliche Dokumente
Einführung in die Ethik. Neil Roughley (WS 2006/07)

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier im Namen der Frankfurt School of Finance und Management begrüßen zu dürfen.

Immanuel Kant. *22. April 1724 in Königsberg +12. Februar 1804 in Königsberg

Prof. Dr. Simone Dietz, Wintersemester 2010/11 Vorlesung: Einführung in die Ethik

Einführung in die Ethik. Neil Roughley (WS 2006/07)

Einführung in die Ethik. Neil Roughley (WS 2006/07)

Freiheit und Selbstbestimmung Zur Philosophie Harry G. Frankfurts

Wirtschaftsmoralische Kompetenz

Geisteswissenschaft. Robin Materne. Utilitarismus. Essay

Ethik Zusammenfassung JII.1 #1

Partnerbeziehungen und Abhängigkeit ein heißes Eisen

Einführung in die Ethik. Neil Roughley (WS 2006/07)

Spieltheorie mit. sozialwissenschaftlichen Anwendungen

Einführung in die Logik

Wie sieht ein wertvolles Leben für Sie aus, was treibt Sie dahin? Seite 12

Leihmutterschaft ethische Überlegungen

Einführung in die Ethik. Neil Roughley (WS 2006/07)

moralisch gute Handlungen vs. moralisch richtige Handlungen

Lösungsvorschläge zu den Fragen und Aufgaben

Handeln aus normativen Gründen ein praktisches Pendant zu Wissen

Grundprobleme der Moralphilosophie

I. Elemente des Rechts. Begriffe Normen Rechte Institute Institutionen Kodifikationen

Instrumentalisierung und Würde

Würde als normativer Status

Einführung in die praktische Philosophie

Inhalt. Partizipation als Teilhabe an der Menschenwürde: Gibt es eine Würde ohne Autonomie? Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.

Protokoll zu Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten ( ,2)

Seminar: Ethiktypen

Physikalismus. Vorlesung: Was ist Naturalismus? FS 13 / Di / Markus Wild & Rebekka Hufendiek. Sitzung 7 ( )

Kants Ethik. Julian Fink Pflichtethik: Richtiges Handeln ist Handeln aus Pflicht

sich die Schuhe zubinden können den Weg zum Bahnhof kennen die Quadratwurzel aus 169 kennen

Über die Gründe, moralisch zu handeln. Eine Reflexion im Ausgang von Kant Peter Schaber (Universität Zürich)

Wie dürfen wir sterben?

Mit Kindern über den Glauben reden - Einführung

Martha C. Nussbaum: Emotionen als Urteil über Wert und Wichtigkeit

Gegenstände / Themen / Inhalte Arbeitstechniken / Arbeitsmethoden Kompetenzen. - philosophisches Gespräch

Griechisch: eutychia und eudaimonia. Lateinisch: fortuna und beatitudo. Englisch: luck und happiness

GRUNDBEGRIFFE DER SOZIOLOGIE. Markus Paulus. Radboud University Nijmegen DIPL.-PSYCH. (UNIV.), M.A.

Gier als wirtschaftsethisches Problem

Vorlesung Der Begriff der Person : WS 2008/09 PD Dr. Dirk Solies Begleitendes Thesenpapier nur für Studierende gedacht!

Wirkungsvoll schreiben : Tipps zu schwierigen Kundensituationen

Geisteswissenschaft. Carolin Wiechert. Was ist Sprache? Über Walter Benjamins Text Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen.

Soziale Arbeit am Limit - Über konzeptionelle Begrenzungen einer Profession

Womit beschäftigt sich Soziologie? (1) Verschiedene Antworten:

Emanzipation. Lebensführung

Ethik und Berufsethos im Unternehmen Hans Ulrich Gally Master of Advanced Studies in Applied Ethics, Uni Zürich

Philosophische Semantik. SS 2009 Manuel Bremer. Vorlesung 1. Einleitung und Überblick

Kants,Kritik der praktischen Vernunft'

Erläuterung zum Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch

Konsequentialismus, Deontologie und Absolutismus

Übersicht: Ausführung der Gesetze (=Verwaltung)

2. Du hast das Recht auf Förderung und Entfaltung Deiner Persönlichkeit

Der Sinn des Lebens Ein Beitrag zur Analytischen Religionsphilosophie

Ethik. Die Ethik oder Moralphilosophie befasst sich mit Aussagen über moralische Werte und moralische Handlungsnormen.

Privatsphäre heute und wie man sie schützen kann

Mobilität philosophisch betrachtet

WAS BEDEUTET ETHIK. ..IN DER FORSCHUNG?

Ethik heute. Bernhard Schleißheimer. Eine Antwort auf die Frage nach dem guten Leben. Königshausen & Neumann

Immanuel Kant: Kategorischer Imperativ

in jeder Frau: "Eine Frau erkennt die Hexe in sich selbst, sobald eine Stimme in ihrem Inneren eine kräftige Stimme hört, die ihr rät, das Gegenteil

Normative Grundlagen der Wirtschaftsethik

Normative und deskriptive Urteile und Humes Gesetz

MARX: PHILOSOPHISCHE INSPIRATIONEN

Sektion Theoretische Ethik Zwei Arten von Achtung Martina Herrmann,

2.1.3 Ethische Prinzipien in der Pflege

Verantwortliches Handeln als Kernaufgabe

Medienethik. Einführung II: Medienethik Seminar Medienethik (SoSe 2010)

Begriffsdefinitionen

Behinderung = Defekt? Die Chancen und Grenzen einer medizinischen Sichtweise auf Behinderung

Kontextuelle Ethik Spuren des Schönen und Guten im Alltag des Sorgens

Frege löst diese Probleme, indem er zusätzlich zum Bezug (Bedeutung) sprachlicher Ausdrücke den Sinn einführt.

Hybride Chimären Mensch-Tier-Mischwesen: Ethische Fragen. Univ. Prof. Dr. med. Dr. theol. Mag. pharm. Matthias Beck Universität Wien

5. Erörterung von Thesen

Beispiele für Themen für die Präsentationsprüfung im Fach Ethik

Theorie und Praxis des Handelns Moral, Handlung, Werte und Normen: Grundlagen der Ethik 9

Fragen der Ethik, Moritz Schlick Kapitel II: Warum handelt der Mensch?

Mori% Schlick FRAGEN DER ETHIK. Kapitel 5 Gibt es absolute Werte?

»NICHT FORT SOLLT IHR EUCH ENTWICKELN, SONDERN HINAUF!«

I. WAHRNEHMUNGEN DES HELFENS

DER NEUKANTIANISMUS. Theorien gegen die sich der Neukantianismus richtet

Nietzsche gegen die Lehrer der Selbstlosigkeit

Gottes Gnade genügt - 1 -

Ethik Klausur Nr. 2 Zusammenfassung

Vorlesung Christologie und Gotteslehre 1. Prof. Dr. Lucia Scherzberg Sommersemester 2010

Zehn Orientierungssätze auf der Grundlage des Dekalogs für die Katholischen Familienbildungsstätten im Bistum Trier

Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Der Vorrang des Wollens. Eine Studie zur Anthropologie. Frankfurt: Klostermann 2016, 316 S.

Alternative Lernformen «Leider gibt es an den Schulen eine Neo-Manie»

L E H R P L A N P H I L O S O P H I E

Ein gutes Gewissen für leidenschaftliche Autofahrer

2.2.1 Werteorientierung und Religiosität

Freud und Moral - Eine Darstellungen von Freuds Betrachtungen zum Ursprung der Moral

Ist Immanuel Kants deontologische Moralphilosophie oder John Stuart Mills Utilitarismus die überzeugendere Konzeptualisierung moralischen Handelns?

Seminar: Schönheit Erhabenheit Genie. Einführung in Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft

Leben dürfen sterben müssen. Oder manchmal eher umgekehrt? Dr. med. Roland Kunz Chefarzt Geriatrie und Palliative Care

VORLESUNG SOZIOLOGISCHE GRUNDBEGRIFFE SoSe Veranstaltung s.t Uhr GD HS 8 DER BEGRIFF DES SOZIALEN HANDELNS

Rede zum Thema. Patientenverfügung. gehalten vor dem XVI. Deutschen Bundestag Berlin, den 29. März Sperrfrist: Beginn der Rede!

Ethisches Argumentieren Ein Grundkurs

Ethik als Fachdisziplin

Vortrag: Immanuel Kants System der Philosophie

Transkript:

Einführung in die Ethik Neil Roughley (WS 2006/07)

Einführung in die Ethik 11 Normative Ethik 5: Kant II

Kant: Sekundärliteratur O. Höffe, Kants kategorischer Imperativ als Kriterium des Sittlichen, in: ders., Ethik und Politik, Frankfurt: Suhrkamp 1979, Kap. 3 B. Williams, Ethics and the Limits of Philosophy, London: Fontana 1983, Kap. 4 E. Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, Frankfurt: Suhrkamp 1993, Vorlesungen 6 & 7 S. Darwall, Philosophical Ethics, Westview Press: Boulder, Colorada 1998, Kap. 14 & 15 M. Timmons, Moral Theory, Oxford: Rowman & Littlefield 2002, Kap. 7 D. Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, Berlin/New York: de Gruyter 2003, Kap. 4.1 & 4.3

KI 1 und KI 2 KI 1 Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde KI 2 Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest

KI 1 : Mangelnde Verallgemeinerbarkeit Frage: Kann man wollen, dass alle so handeln? Disqualifizierende Antwort: Nein 1) Verallgemeinerung ist gar nicht denkbar: Unmöglich, Handlung als allgemeine Praxis zu denken > vollkommene (ausnahmlose) Pflicht 2) Verallgemeinerung ist nicht willbar : Unmöglich, Handlung als allgemeine Praxis zu wollen > unvollkommene Pflicht (Ausnahmen erlaubt)

KI 1 : Allgemeine Undenkbarkeit 1. Explikation Verallgemeinerung der Handlung h* unmöglich - z.b. unehrliches Versprechen/Lügen Verallgemeinerung von h* > Verletzung notwendiger Bedingungen ihrer Ausführung h* nur möglich, wenn es bestimmte Institution des Versprechens, des Behauptens gibt Würde nur noch h* statt h ausgeführt, wäre sie nicht als die Handlung h* verstehbar Test zur Aufdeckung parasitärer Handlungen ( Trittbrettfahrens )

KI 1 : Allgemeine Undenkbarkeit 2. Zutreffend? 2 Probleme: 1) < Handlungsbeschreibung / Formulierung der Maxime a. Unehrliche Versprechen abzugeben : trifft zu b. Unehrliche Versprechen abzugeben, wenn ich in einer Notlage bin : trifft nicht zu Wie festzulegen? 2) Vgl. Raub: Hängt zwar von allgemeiner Aufrechterhaltung der Institution des Privateigentums ab Aber: Was heißt hier Verallgemeinerung? Dass alle nur noch (!) damit beschäftigt sind, Andere auszurauben?

KI 1 : Allgemeine Undenkbarkeit 3. Moralisch problematisch? Abhängigkeit d. Möglichkeit von h* von allgemeiner Praxis: Moralisches Hauptproblem? Warum? Vgl. unproblematische Fälle: i) Fiktionales Reden: gegenüber normalem Behaupten parasitär ii) Drohung und Erpressung: nicht möglich, wenn nie ernst gemeint wären

KI 1 : Allgemeine Unwillbarkeit Verallgemeinerung > Widerspruch im Wollen Wollen der Verallgemeinerung = Wollen d. Negation des Ziels, h* auszuführen z.b. 1) Lügenhaftes Versprechen Ziel: Vertrauen der Anderen auszunützen Allg. Fehlen des Vertrauens im Versprechen > Unerreichbarkeit dieses Ziels Lügeverbot nur unvollkommen?

KI 1 : Allgemeine Unwillbarkeit z.b. 2) Unterlassene Hilfeleistung Kant: kann nicht allgemein gewollt werden Aber: Widerspruch im Wollen? Ziel: in Ruhe gelassen zu werden: > nicht unmöglich, wenn niemand mehr Notleidenden hilft Gefährdet: anderes Ziel: selber u.u. Unterstützung zu bekommen: Ziel, das nicht jede(r) haben muss (vgl. Kontraktualismuskritik)

KI 1 : Anscheinend nicht verboten Mord Schwere Körperverletzung Vorlesungssaalzertrümmerung

Alternative Konzeption mangelnder Verallgemeinerbarkeit Frage: Was wäre, wenn alle so handeln würden? Disqualifizierende Antwort: Das würde ich ausgehend von meinen faktischen Wünschen nicht wollen < Ablehnung d. Konsequenzen für mich Goldene Regel: Was Du nicht willst, das man Dir tue, das füg auch keinem Anderen zu Konsequenz: Pflichten personrelativ

Personrelativität von Pflichten bei der Goldenen Regel Frage: Darf ich am späten Abend laute Musik machen? Antwort: Hängt von meinen Wünschen, inkl. Ihrer Stärke, ab: - Würde es mich stören, wenn Andere ihre Musik laut hörten > Verbot - Würde es mich nicht stören > Erlaubnis

Personrelativität von Pflichten bei der Goldenen Regel Abhängigkeit der Antwort von Formulierung vom Inhalt meines Wollens: Würde es mich stören, wenn Andere zu später Stunde - Rockgruppe R laut hören? A: Vielleicht nicht - Lärm machen (z.b. beim Staubsaugen)? B: Vielleicht eher

KI 1 : Sinn und Scheitern Kants Ziel: Personunabhängigkeit von Pflichten zu etablieren ( Unparteilichkeit ) > Ausschluss des faktischen Wollens Einzelner aus dem KI 1 Effekt: Loslösung des Kriteriums von dem, was Sinn der Moral zu sein scheint: Schutz unserer Interessen, v.a. unserer Verletzbarkeiten < spezifisch menschlicher Lebensform

KI 1 /KI 2 Andere Möglichkeit, Goldene Regel zu verbessern: Anstatt sie zu logisieren (Suche nach Widerspruch ) (KI 1 ) Abstrakteres Verständnis dessen, was man nicht will, dass einem getan wird : Behandlung, die eigenes Wollen nicht berücksichtigt - und zwar als Einschränkung der Zielsetzung der Anderen > KI 2

KI 2 Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest

KI 2 Instrumentalisiere andere Personen nicht! = Betrachte die Fähigkeit Anderer, eigene Zwecke zu setzen, als einschränkende Bedingung Deiner eigenen Zwecksetzung Oder: Gehe nicht darüber hinweg, was Personen, die von Deiner Handlung betroffen wären, wollen bzw. wollen würden, wenn Sie die Möglichkeit hätten, dazu Stellung zu nehmen

KI 2 als normatives Testverfahren 1. Lügenhaftes Versprechen/Lügen Unmöglich für Angelogene, meiner Art, mit ihr umzugehen, zuzustimmen < Unwissen über mein Zweck 2. Zwang Unmöglich für Angelogene, meiner Art, mit ihr umzugehen, zuzustimmen Auch wenn sie meinen Zweck gut fände: Zwang schließt Zustimmung aus

KI 2 und moralische Gründe KI 2 : Fähigkeit Anderer, selber Zwecke zu setzen > schränkt legitime Handlungsgründe ein > Frage für den Handelnden: Sind meine Gründe solche, die betroffene Personen akzeptieren können? Vgl. Goldene Regel: Würde ich meine Gründe akzeptieren, wenn Andere sie vorbrächten? Vgl. KI 1 : Kann eine Welt gedacht oder gewollt werden, in der alle Personen meine Handlungsgründe übernähmen?* (* unabhängig davon, was Personen sonst wollen)

Grundlage von KI 2 Personen existieren als Zwecke an sich selbst Als solche haben sie absoluten Wert oder Würde Demgegenüber haben Sachen bloß einen Preis

Vgl. Begründungen von KI 1 und KI 2 KI 1 : Handelnde Wesen: an Gründen orientiert Wenn M für sich Grund hat, Z zu vermeiden, hat er ggn Anderen gleichen Grund KI 1 fordert zur Verallgemeinerung ohne inkonsistentes Wollen auf Ziel: inkonsistente Selbstprivilegierung als unbegründet zurückzuweisen < Aufhebung der Kluft zwischen Gründen für mich und Gründen für Andere

Vgl. Begründungen von KI 1 und KI 2 KI 2 : Pseudo-Begründung 1. Ein Mensch stellt sich sein Dasein notwendig als Zweck an sich vor: So behandelt zu werden ist ein subjektiver Zweck (Ein Mensch kann nicht umhin zu fordern, dass seine Willensbildung von Anderen beachtet werde) 2. Das trifft auf alle Personen zu (Alle fordern voneinander, dass ihre jeweilige Willensbildung von den Anderen geachtet werde) 3. Daher ist, so behandelt zu werden, nicht bloß ein subjektiver, sondern ein objektiver Zweck (Daher sollen wir alle die Willensbildung der Anderen als einschränkende Bedingung unseres Wollens betrachten)