FASD-Zentrum, Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie, Charité.William Hoggarth, Gin Lane,1751 Das fetale Alkoholsyndrom (FAS) und seine lebenslangen Folgen 26. Niedersächsische Suchtkonferenz Zum Wohl?-Von wegen Hannover Mittwoch, 30. November 2016 H.L.Spohr
Risiken für die Kindesentwicklung durch Alkohol Bis 1973 kannten wir keine Risiken! Im Gegenteil: Alkohol in der Schwangerschaft wurde manchmal sogar als wehenstillendes Mittel verwandt. Alkoholiker-Väter haben seit Jahrhunderten freiwillig die Verantwortung übernommen für ihre kranken und behinderten Kinder. Das war historisch einmalig, aber falsch! Die Kinderärzte und Dysmorphologen D. Smith und K. Jones aus Seattle beschrieben erstmalig 1973 ein bis dahin unbekanntes Syndrom und nannten es Fetales Alkoholsyndrom, FAS.
Fetal Alcohol Syndrome (FAS) Sie beschrieben in der Zeitschrift Lancet anhand von 7 auffällig dysmorphen Kindern in ihrer Klinik ein Syndrom ähnlich geschädigter Kinder, dessen einzige Gemeinsamkeit der chronische Alkoholabusus der Mütter in der Schwangerschaft war. Danach wurde das FAS rasch ein weltweit diagnostiziertes Syndrom bei Kindern. Heute ist es eines der häufigsten teratogen ausgelösten Ursachen für eine angeborene psychomentalen Entwicklungsstörung.
Teratogene Drogen 1. Nikotin 2. Alkohol Cocain Heroin Cannabis
Definition : Fetales Alkoholsyndrom (FAS) Pränatale und postnatale Wachstumsstörung ZNS-Dysfunktion (Neurologie, Entwicklung, Intelligenz) Charakteristische kraniofaziale Dysmorphie: a. Mikrocephalie b. schmale Augenlider c. schmales Oberlippenrot d. flache Maxilla-Region e. wenig moduliertes Philtrum Sokol & Clarren, Alcoholism,1989
Volume Lobe Analysis The frontal lobes, making logical decisions 150000 120000 p =.0003 Controls FAS 90000 p =.018 p =.0002 60000 p =.030 30000 * 0 Frontal Temporal Parietal Occipital Lobe Slide: Courtesy of Professor E Riley University of San Diego
Astley SJ and Clarren SK Diagnosing the full spectrum of Fetal alcohol exposed individuals:introducing the 4-Digit Diagnostic Code. Alcohol & Alcoholism,2000; 35 (4) 400-410
The 4-Digit Diagnostic Code Diagnostic Guide for FASD Wachstumsstörung (keine 1, mild 2, moderat 3, signifikant 4) Faziale Dysmorphie (keine 1, mild 2, moderat 3, schwer 4) ZNS Schädigung (keine 1, möglich 2, wahrscheinlich 3, definitiv 4) Pränataler Alkohol (nein 1, unbekannt 2, some risk 3, high risk 4) S. Astley, St.Clarren (University of Washington, FAS Diagnostic Network, 3.ed.,2004)
Fetal Alcohol Spectrum Disorders (FASD) FAS pfas ARND ARBD = Fetal Alohol Syndrome = Partial Fetal Alcohol Syndrome = Alcohol Related Neurodeveopmental Disorders = Alcohol Relate Birth Defects
Sulik KK et al. Fetal alcohol syndrome: Embryogenesis in a mouse model. Science 214, 936-938 (1981)
Verlaufstudien zur Entwicklung von Kindern mit pränataler Alkoholexposition H.Spohr HC.Steinhausen DFG-Sonderforschungsbereich 174, FU Berlin,1994 Berliner Langzeitstudie über 10 Jahre n = 60 Patienten* Euromac-Studie n = ca. 6000 Geburten ** Prospektive Dystrophie-Studie n = 47 / 1009 Geburten *** Follow-up Studie ins Erwachsenenalter n =37 Patienten**** * Lancet 1993 ** J. Epidemiol 1994 *** Monatsschr Kinderhk 1995; **** J. Pediatrics 2007
Prospektive Dystrophie-Studie In einer prospektiven Untersuchung wurde die intrauterine Wachstumsretardierung (IUGR) als Prädiktor einer möglichen intrauterinen Alkoholexposition genutzt
Alkohol und intrauterine Dystrophie Schoeneck et.al, Monatsschr Kinderheilkd,1992 (U1) Die Schwangerschaften eines Jahres in der städtischen Frauenklinik (Humboldt-Klinikum) wurden untersucht: 62 dystrophe Ngb. / 1002 deutsche Frauen 26 dystrophe Ngb. / 817 türkische Frauen (U2) Pädiatrische Nachuntersuchung nach 8-18 Monaten: 47 Kinder / 1002 deutsche Frauen Ergebnis 6 / 47 Kinder mit IUGR wiesen sich 8-1o Monate nach der Geburt 1 FAS / 5 pfas
Die diagnostische Schwierigkeit und Inzidenz FASD hat eine Inzidenz von 1-6 / 1000* Geburten in der normalen Bevölkerung in Deutschland; d.h. 3-4000 Ngb. mit FAS/ pfas / Jahr In Canada 1:100 Lebendgeburten; wenige full blown syndromes werden bei Geburt oder kurz danach diagnostiziert! Es gibt kein pathognomonisches diagnostisches Symptom für das FASD Es wird heute einen Anstieg von polydrug-addicted Frauen während der Schwangerschaft beobachtet. *) Schoeneck et el.,1992
Geburtenraten1998 unter Teenager-Schwangerschaften Alter 15-19 J. Tripp et al BMJ 2005
Tagesspiegel vom 27.November 2016: Alkoholhersteller verkaufen weniger. Deshalb werben sie nun um eine spezielle Zielgruppe: Frauen Happy hour: Frauen haben ihren Alkoholkonsum nahezu den Männern angeglichen. Früher war Trinken eher Männersache
Ein neuer Typ Alkohol missbrauchender Frauen ist erkennbar: - Jung, oft deutlich unter 20 Jahren - berufstätig oder in der Ausbildung; - planungs- und ahnungslos, nicht aufgeklärt, oft promiskuitiv Binge-drinking Saturday-night drinking Koma-Saufen - die Frauen wissen oft erst nach Wochen, dass sie schwanger sind Polydrug-User ( Nikotin immer; Drogen bes. Haschisch) - die betroffenen Kinder sind selten deutlich dystroph! - die betroffenen jungen Frauen sind nicht selten selbst FAS-geschädigt
WHO : Global status report on alcohol and health, 2014 Schweres episodisches Trinken Prevalence of heavy episodic drinking in (%) Definition -Consumed at least 60 grams or more of pure alcohol on at least one occasion in the past 30 days -(Konsum von mindestens 60g reinen Alkohols bei wenigstens einer Gelegenheit in den letzten 30 Tagen)
WHO: Global status report on alcohol and health, 2014 WHO : Global status report on alcohol and health 2014 Alcohol /capita 2003-2008, heavy episodic drinking Alcohol dependent (2010) Alcohol/capita 2008-2010 Prevalence Female (males) Percentage Female (males) Deutschland 12,8l/c 11,8l/c female 5.9 %; ( m.19,4%) females 1,1%; (m: 4,7%) USA 9.5l/c 9,2 l/c female: 10,9 % (m 23,2%) females 2,6% ; (m:6,9%) England 13, 2 l/c 11,6 l/c female: 20.9 % (m 35,5%) females 3,2%; (m: 8,7%) France 13, 4 l/c 12,2 l/c female: 17,7 % (m 42,2%) females 1,3%; (m.: 4,7%) Italy 10,5 l/c 6,7 l/c female: 0,7 % (m 8,0 %) females 0,4% (m.: 0,7%) Sweden 10,3 l/c 9,2 l/c female 15,5 % (m 23,2%) females 2,8% ; (m: 6,7%) Poland 13,0 l/c 12,5 l/c female 0,9% (m 10,1%) females. 1,4% (m: 7,7%) Russland 16,1l/c 15,1 l/c female 10,3% (m 29,8%) females 3,3% ; (m: 16,5%)
Verlaufstudien zur Entwicklung von Kindern mit pränataler Alkoholexposition H.Spohr HC.Steinhausen DFG-Sonderforschungsbereich 174, FU Berlin,1994 Berliner Langzeitstudie über 10 Jahre n = 60 Patienten* Euromac-Studie n = ca. 6000 Geburten ** Prospektive Dystrophie-Studie n = 47 / 1009 Geburten *** Follow-up Studie ins Erwachsenenalter n =37 Patienten**** * Lancet 1993 ** J. Epidemiol 1994 *** Monatsschr Kinderhk 1995; **** J. Pediatrics 2007
Follow up des Intelligenz- Quotienten (n=60) Untersuchung nach 10 Jahren Erstuntersuchung Q 115-86 85-71 70-51 50-36 35-21 <20 IQ 115-86 n=19 14 4 1 - - - IQ 85-71 n=19 1 15 2 1 - - IQ 70-51 n=11 - - 3 6 2 - IQ 50-36 n= 3 - - - 2 1 - IQ 35-21 n= 7 - - - 1 2 4 IQ <20 n= 1 IQ< 70 = 22 / 60 (initial); IQ< 70 = 26 / 60 (nach 10 Jahren);
Prenatal Alcohol Exposure and Persistent Developmental Consequences Persistierende Psychopathologie» Sprachstörungen» Automatismen/Stereotypien» Ängste» Hyperkinetische Störungen!» Störungen der Exekutiv-Funktionen
Klinische Auffälligkeiten kennen keine Gefahren, distanzlos, übergriffig, fehlende Empathie, kein Zahlen-,Raum- und zeitliches Verständnis soziale Schwierigkeiten in zuhause und in der Schule Lern- und Konzentrationsprobleme, Entwicklungsstörungen lernen nicht aus eigenen Fehlern, lügen und stehlen häufig haben keine Freunde, werden oft gemobbt leiden an depressiven Stimmungen, 40% ADHS Probleme mit dem Gesetz, häufiger straffällig sexuell auffällig selten abgeschlossene Berufsausbildung
z-scores YABCL (Youth Adult Behavior Check List) Profil bei FAS und Kontrollkollektiv 1.0 YABCL Profile in FAS and Controls.8.6.4.2.0 -.2 -.4 -.6 -.8-1.0 anxious somatic attention*** aggressive*** w ithdraw n thought*** intrusive*** delinquent* FAS Controls
z-scores YABCL Profile in FAS / FAE 1.0.8.6.4.2.0 -.2 -.4 -.6 -.8-1.0 anxious withdrawn somatic attention aggressive thought intrusive delinquent FAE FAS
Kasuistik: Christian W. geb.12.04.1996 Kindesmutter: Chronische Alkoholikerin, in der Schwangerschaft von Christian: Konsum von bis zu 2 Flaschen Schnaps täglich, von der Mutter angegeben. Geburt: Mangelgeborenes, Gewicht 2400 g, Länge 46 cm Ab 24.09.1996 : Heilpädagogische Pflege in der Familie Gehrt bis heute 1997 mit 1 ½ Jahren Vorstellung im unserer Beratungsstelle: Diagnose: Fetales Alkohol-Syndrom; mentale Retardierung Gewicht, Länge < 3. Perzentile Mikrozephalus (Kopfumfang <3. Perzentile) Gesicht: Schmale Lidspalten, verstrichenes Philtrum, schmales Oberlippenrot Gesamt-IQ (2008): 68 (sprachlich IQ.81; Handlungsteil IQ:56) Heilpädogagischer Kindergarten, Förderschule (GB) Parzival-Schule bis 12.Klasse Aktuell: Werkgemeinschaft Berlin, Garten und Forstwirtschaft
Berliner FAS Langzeit Studie (1977-2003) Intelligenz ( FAS / pfas) All (N= 37) FAS (N=22) FAE (N=15) N % N % N % >85 12 32.9 6 27.3 6 40 IQ 71-85 10 26.6 5 22.7 5 33.3 IQ <70 15 40.5 11 50.0 4 26.7 Chi 2 = 2.01; df = 2; p = n.s.
Berliner FAS Langzeit Studie (1977-2003) Lebensperspektive als Erwachsener mit einem FAS Living place Independent living; (11/37) 29.5 % Dependent living; (26/37) 70.5 % Employment Employed or earning money (5/36) 13.8 % Unemployed (31/36) 86.2 %
Ätiologische Aspekte Der genaue Mechanismus des Alkohols in utero ist noch immer unbekannt. Es gibt bis heute endlos viele klinische und tierexperimentelle Untersuchungen Apoptose Eine möglicher ätiologische Ursache ist die spine dysgenesis von DP. Purpura
Ein dendritischer Dornfortsatz (spine) ist eine knopfoder pilzförmige Ausstülpung auf Dendriten von Nervenzellen. Dornfortsätze sind in der Regel 0,2 bis 2 µm lang. In den meisten Fällen befindet sich an der Spitze eine Synapse, an der Signale von einer anderen Nervenzelle übertragen werden. Viele Nervenzellen besitzen Tausende von Dornfortsätzen auf ihren Dendriten. Sie sind ein wichtiger Ort synaptischer Übertragung auf vielen Nervenzellen.
Zusammenfassung Spine-Dysgenesis könnte ein wichtiger ätiologischer Mechanismus der Hirn-Funktionstörung und Störung der Exekutiven Funktionen beim Fetalen Alkohol Syndrom sein.
fmrt Studien an FAS-Patienten im Vergleich zu Kontrollen bei der Lösung einer räumliche Arbeitsgedächtnis Aufgabe A. Kontrollgruppe B. Intaruterin alkoholexponierte Gruppe Bei insgesamt 22 Jugendlichen (Pränantal alkoholexponiert n=10; Kontrollgruppe n=12) zwischen10-18 Jahren wurde bei der Lösung einer kognitiven Aufgabe (spatial working memory task) ein funktionelles MRT durchgeführt. Ergebnis: Bei der Alkoholgruppe zeigte sich im fmrt eine deutlich größerer Aktivierung des Gehirns, in den frontalen, temporalen, occipitalen und subcorticalen Regionen im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe.
Fetal Alcohol Spectrum Disorder Fazit - Ein Kind mit FAS leidet an einer persistierenden physischen, mentalen und psychiatrischen Störung (disability), die diese Patienten in der Adoleszenz und später vor allem auch im Erwachsenenalter deutlich behindern und benachteiligen kann. - Ein Kind, das mit einem partiellen FAS (pfas) geboren wird, leidet an den gleichen lebenslangen Problemen,hat aber das zusätzliche Handicap einer (oft) fehlenden Diagnose!
Fazit Es gibt sehr viel alkoholgeschädigte Kinder, die meisten bleiben undiagnositziert Bei Geburt werden die betroffenen Neugeborenen nur selten erkannt Polydrug-Abuser erschweren die Diagnose Viele Frauen verschweigen oder verneinen einen Alkoholabusus während ihrer Schwangerschaft, (damit begnügen sich die Ärzte oft) Eine trockene Alkoholikerin kann normale Kinder bekommen Ein Alkohol-Stop auch während der (späten) Schwangerschaft schützt das Neugeborene vor schweren Schäden! Eine kausale Therapie gibt es nicht Aufklärung vor der Pubertät ist das wirksamste Mittel gegen FASD! Absolute Nulloption ist zwingend und alternativlos