Wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht



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Transkript:

Prof. Dr. Christoph Gröpl Steuerrecht Universität des Saarlandes Wirtschaftliche Betrachtungsweise im Steuerrecht Grundsatz 39 I AO: Wirtschaftsgüter sind dem Eigentümer zuzurechnen. Keine Abkehr des Steuerrechts von anderen Rechtsgebieten, insb. nicht vom Zivilrecht ( Einheit der Rechtsordnung ) Beachte für das Einkommensteuerrecht: Nach BFH BStBl. II 1994, 615 (sub I 2 a), ergibt sich die Zuordnung der Einkünfte nicht zwingend aus 39 I AO, da diese Vorschrift unmittelbar nur die Zurechnung von Wirtschaftsgütern betrifft. Gleichwohl kann 39 I AO als Argument dafür dienen, dass die mit einem Wirtschaftsgut verbundenen Einkünfte dem (zivilrechtlichen) Eigentümer zuzurechnen sind. Regulativ bei steuerlich sinnwidrigen und gleichheitswidrigen Ergebnissen (arg. Art. 3 I GG: Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) 39 II AO: Zurechnung von Wirtschaftsgütern zum wirtschaftlichen Eigentümer 40 AO: Gesetz- oder Sittenwidrigkeit unerheblich ( Pecunia non olet. ) 41 AO: maßgeblich = wirtschaftliches Ergebnis; unwirksame Rechtsgeschäfte oder Scheingeschäfte unerheblich (Beachte aber: zivilrechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts u.a. Voraussetzung für Anerkennung von Verträgen unter Angehörigen) 42 AO: Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten unerheblich Sachverhaltskorrektur VStR03/1

Wirtschaftliches Eigentum, 39 II AO 2 Wirtschaftlicher Eigentümer ist derjenige, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass der den (zivilrechtlichen) Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann ( 39 II Nr. 1 Satz 1 AO) Ein wirtschaftlicher Ausschluss in diesem Sinne liegt vor, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse kein Herausgabeanspruch des zivilrechtlichen Eigentümers besteht oder der Herausgabeanspruch keine wirtschaftliche Bedeutung hat (BFH/NV 2004, 306) Bildung von Fallgruppen und wertende Zuordnung (BFH BStBl. II 2002, 741) Nießbrauch ( 1030 ff. BGB) vermittelt i.d.r. kein wirtschaftliches Eigentum nur abgeleiteter Besitz (BFH BStBl. 1999 II S. 263); unerheblich: Tragung der Lasten und Aufwendungen durch Nießbraucher (sog. Bruttonießbrauch, vgl. 1041 ff., 1047 BGB BFH BStBl. II 1982, 454); bei Nießbraucheinräumung an Gebäuden auf Lebenszeit des Nießbrauchers: gewöhnliche Nutzungsdauer des Gebäudes i.d.r. länger als Lebenszeit des Nießbrauchers (BFH BStBl. II 2000, 653 sub II 2 c); anders, soweit Nießbraucher die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes getragen und für den Fall der Beendigung des Nutzungsverhältnisses einen Wertersatzanspruch hat (BFH BStBl. II 2002, 281) VStR03/2

Anwendungsfall von 39 II Nr. 1 S. 1 AO: Finanzierungsleasing = Vertrag auf bestimmte Zeit (Grundmietzeit = GMZ), während deren er bei vertragsmäßiger Erfüllung nicht gekündet werden kann, der Leasingnehmer (LN) mit seinen Raten die Anschaffungs- oder Herstellungskosten einschl. der Nebenkosten (AHK) des Leasinggebers (LG) deckt. 3 GMZ 40 % bis 90 % der gewöhnlichen Nutzungsdauer (gnd) Zurechnung zum LG Arg.: LG = zivilrechtlicher Eigentümer; LN kann den LG nicht für die gnd von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen GMZ < 40 % oder > 90 % der gnd Zurechnung zum LN Arg.: bei > 90 % der gnd: LN kann den LG wirtschaftlich ausschließen; bei < 40 % der gnd: ein wirtschaftlich denkender LN wird für diesen Zeitraum nicht die gesamten AHK des LG decken wollen ( Gestaltungsmissbr.) Zusätzliche Vor. bei Verträgen mit Kaufoption: Kaufpreis bei Ausübung des Kaufoptionsrechts nicht geringer als der Buchwert (bei linearer AfA) oder der niedrigere gemeine Wert bei Veräußerung Zusätzliche Vor. bei Verträgen mit Mietverlängerungsoption: Anschlussmiete deckt Wertverzehr für Leasinggegenstand gem. Buchwert (bei linearer AfA) oder gem. niedrigerem gemeinen Wert und der Rest-ND geringer als der Buchwert (bei linearer AfA) oder der niedrigere gemeine Wert bei Veräußerung deckt nicht Wertverzehr für Leasing-Gegenstand gem. Buchwert (bei linearer AfA) oder gem. niedrigerem gemeinen Wert und der Rest-ND VStR03/3

4 Steuervermeidung Steuerumgehung Steuerhinterziehung Ausgangspunkt Grenze Gestaltungsfreiheit: Der Steuerpflichtige hat es in der Hand, einen wirtschaftlichen Sachverhalt i.r.d. zivilrechtlichen Möglichkeiten so zu gestalten, dass dieser nicht unter den Tatbestand einer Steuerrechtsnorm fällt ( 38 AO); Absicht, Steuern zu sparen = legitim (BFH BStBl. II 1996, 214; 2000, 224) = rechtmäßige Steuervermeidung; Rechtsfolge: Steuervorteil wird gewährt oder belassen. Gestaltungsmissbrauch, 42 AO: unangemessene rechtliche Gestaltung ohne außersteuerliche Rechtfertigung bei vollständiger Offenlegung des steuerlichen Sachverhalts = rechtswidrige Steuerumgehung; Rechtsfolge: Steuervorteil wird nicht gewährt oder belassen. Vorsätzliches Verschleiern/Verheimlichen des steuerlichen Sachverhalts und dadurch Steuerverkürzung = strafbare Steuerhinterziehung, 370 AO; Rechtsfolge: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe; bei grober Fahrlässigkeit = leichtfertige Steuerverkürzung, 378 AO; Rechtsfolge: Geldbuße bis zu 50 000 Euro VStR03/4

Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, 42 AO 5 1. Anwendbarkeit 2. Gestaltungsmissbrauch 3. Rechtsfolge 42 I 2 AO Tatbestandserfüllung einer einzelsteuerlichen Umgehungsschutznorm Subsidiarität von 42 AO; Rechtsfolge nach Spezialnorm 42 II AO 1. unangemessene Rechtsgestaltung: gemessen am erstrebten wirtschaftlichen Ziel nicht ein einfacher, sondern ein unvernünftiger Weg; 2. Steuervorteil bei Steuerpflichtigem oder Drittem im Vergleich zu angemessener Rechtsgestaltung; 3. Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen (zulässig: Ausübung von Wahlrechten, Nutzung von Lenkungs- oder Fördernormen) 4. keine Rechtfertigung durch beachtliche außersteuerliche Gründe (Fremdvergleich; Beweislast beim Steuerpflichtigen) 42 I 1 AO: keine Umgehungsmöglichkeit; Problem: Analogie zulasten des Steuerpflichtigen unzulässig (str.) 42 I 3 AO: Neutralisierung der Umgehungswirkungen durch Sachverhaltsfiktion = rechtlich fingierte Umbildung des Sachverhalts zu einer den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessenen Gestaltung VStR03/5

6 Rechtsanwendung im Steuerrecht ggf. steuerrechtsfreier Raum keine Steuerbarkeit Tatbestand wirtschaftliche Auslegung = spezifische Form der teleologischen Auslegung 3 I, 38 AO Grenze: Analogieverbot Sachverhaltsfiktion bei Gestaltungsmissbrauch Grds.: Anerkennung zivilrechtlicher Gestaltungsfreiheiten Subsumtion Sachverhalt (= Gestaltung selbst) 42 AO Korrektur durch wirtschaftliche Beurteilung VStR03/6