AKTUELLE PROBLEME DES PRIVATRECHTS MASTERMODUL ZIVILRECHT Dr. Martin Otto Rechtswissenschaftliche Fakultät FernUniversität in Hagen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Privatrechtsgeschichte sowie Handels- und Gesellschaftsrecht Prof. Dr. Andreas Bergmann
III ZR 346/14 Bundesgerichtshof Urteil vom 23. Juli 2015 Keine Aufwendungsersatzansprüche bei reiner Gefälligkeitsfahrt Fundstellen (Auswahl): NJW 2015, 2880; MDR 2015, 1001; JuS 2016, 70
Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) ( 677-687 BGB) Legaldefinition 677 BGB: Besorgung eines Geschäfts für einen anderen ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein Gesetzeswortlaut ohne Auftrag zu eng: gemeint ist Geschäftsführung, die ihren Grund nicht in einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis (vertraglich oder normativ) hat
GoA steht dogmatisch zwischen vertraglichen und gesetzlichen (insb. unerlaubte Handlung, ungerechtfertigte Bereicherung) Schuldverhältnissen.
Römischrechtliche Wurzel: negotiorum gestio ( Quasikontrakt, Honsell). Rechtshistorisch bedeutsame Beispiele: Lusitanische Lösegeldzahlung; Pflege eines erkrankten fremden Sklaven.
Geschäftsbesorgung Begriff des Geschäfts weit zu verstehen (auf jeden Fall weit über das Rechtsgeschäft oder rechtliche Interessenwahrnehmung oder Vermögensverwaltung hinaus) Im Sinne der Vorschrift ist die Besorgung jeder Angelegenheit, gleich welcher Art, gemeint (vgl. auch 662 BGB) Häufiger Fall also auch Realakte oder tatsächliches Handeln: Pflege eines Verletzten, Löschen eines Brandes, Herumreißen eines Steuerrades
Regreßnorm 683 BGB Die Fremdgeschäftsführung ist berechtigt, wenn ihre Übernahme dem Interesse und dem wirklichen und mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht ( 683 Satz 1 BGB) Die Unterscheidung zwischen berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung ergibt sich nur mittelbar aus dem BGB Rechtsfolge berechtigte GoA: Geschäftsführer kann von Geschäftsherrn wie ein Beauftragter Ersatz seiner Aufwendungen verlangen
Wie ein Beauftragter 683 BGB bezieht sich auf 670 BGB (Ersatz von Aufwendungen): Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich erhalten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet.
Auftrag ( 662-674 BGB) Legaldefinition 662 BGB: Durch die Annahme eines Auftrags verpflichtet sich der Beauftragte, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft unentgeltlich zu besorgen. Der Auftrag ist kein synallagmatischer Vertrag Durch die Unentgeltlichkeit unterscheidet sich der Auftrag vom Dienst- und Werkvertrag, durch die fehlende vermögensmindernde Verpflichtung von der Schenkung
Unfreiwillige Vermögenseinbußen (Schäden) sind keine Aufwendungen im Sinne des 670 BGB, doch ist allgemein anerkannt, daß der Beauftragte (Auftragnehmer) Ersatz für bei der Geschäftsbesorgung entstandene Schäden verlangen kann. (statt aller: Staudinger/Martinek, 670, Rn 17).
Rechtsverhältnis - Gefälligkeitsverhältnis Das Rechtsverhältnis ist als Inbegriff von Rechten und Pflichten durch die normative Geltung der Beziehungen zwischen Personen gekennzeichnet. (Larenz/Wolf, BGB AT, 13, Rn 21) Demgegenüber handelt es sich bei Gefälligkeitsverhältnissen um außerrechtliche Beziehungen im geschäftlichen Bereich [ ] (ebd.)
- Einladung zu Geburtstagsfeier, Abendessen usw. - Mitnahme eines Arbeitskollegen im Auto (Gefälligkeitsfahrt) - Übernachtungsmöglichkeit - Erklärungen gesellschaftlicher Natur, die ohne Verpflichtungswillen abgegeben werden. (Eneccerus/Lehmann) GEFÄLLIGKEITSVERHÄLTNISSE
Abgrenzung Schuldverhältnis - Gefälligkeitsverhältnis Objektive Theorie: bestimmte Lebensbereiche sind grundsätzlich rechtsgeschäftlicher Regelung entzogen ( Bereich der menschlichen Beziehungen in der Familie und der menschlichen Beziehungen der Liebe, der Freundschaft und des geselligen Verkehrs ; Werner Flume) Subjektive Theorie: Es kommt allein auf den Parteiwillen (Rechtsbindungswille) an; ob dieser Wille vorliegt, richtet sich allerdings nach dem objektiv erkennbaren Willen des Leistenden
Die Rechtsprechung folgt ganz überwiegend der subjektiven Theorie. (etwa BGHZ 21, 102 Gestellung eines Kraftwagenführers)
Die Abgrenzung zwischen Geschäftsführung ohne Auftrag und Gefälligkeit ohne Auftrag entspricht weitgehend der Abgrenzung zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis. Die genaue dogmatische Einordnung (subjektiv/objektiv) ist für die Praxis zumeist ohne Bedeutung.
Ausgangsfall: Unentgeltliche Beförderung Enkeltochter in eigenem Kraftfahrzeug zu Vereinsfußballturnier Klagende Großmutter weder Vereinsmitglied noch zur Mitnahme durch Verein beauftragt worden (unstreitig). Unfall auf halber Wegstrecke durch Ausweichmanöver und winterliche Witterung. Wagen der Klägerin gelangt in Straßengraben. Klägerin zieht sich nicht unerhebliche Verletzungen zu; Heilbehandlung erforderlich. Sportversicherung des Vereines der Beklagten deckt nur Unfälle von Vereinsmitgliedern. Klägerin verlangt von Verein ärztliche Behandlungskosten, der Erstattung der Kosten für die Brillengläser (insgesamt 2902, 41 ) und Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Klägerin trägt vor, sie sei im Auftrag des Beklagten gefahren. Außerdem sei sie nicht darauf hingewiesen worden, dass Versicherungsschutz für sie als Nicht- Vereinsmitglied nicht bestehe.
Sportverletzungen? Carl Barks, September Scrimmage, Mickey Muse Almanac 1 (1957) Disney
Verfahrensgang LG Stade, Urteil vom 11. Dezember 2013 (2 O 304/12): Klage abgewiesen. Klägerin nicht als Beauftragte des Beklagten tätig geworden. Aufklärungspflicht der Beklagten über Versicherungsschutz nicht anzunehmen. Klägerin habe keinen Auftrag erhalten und kein Geschäft der Beklagten besorgt. Klägerin legt Berufung beim OLG Celle ein. OLG Celle, Urteil vom 16. Oktober 2014 (5 U 16/14): Berufung in Höhe von 2811, 63 stattgegeben. Anspruch der Klägerin auf Erstattung der materiellen Schäden als Aufwendungsersatz aus 670 BGB analog. Es kann dahinstehen, ob Klägerin (ausdrücklich) beauftragt war; jedenfalls entsprach Geschäftsführung (auch) dem Interesse des Beklagten. Es liegt gerade auch im Interesse des beklagten Vereins, dass seine Mitglieder an Meisterschaften, sonstigen Turnieren oder sportlichen Veranstaltungen teilnehmen.. Beklagter legt Revision beim BGH ein.
Urteil des OLG Celle insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist. Berufung der Klägerin in vollem Umfang zurückgewiesen. URTEIL DES BGH VOM 23. JULI 2015
Entscheidungsgründe Bei der Fahrt der Klägerin handelte es sich um eine Gefälligkeit, die keinen Aufwendungsersatzanspruch für den erlittenen Schaden begründet. Ob jemand für einen anderen ein Geschäft im Sinne des 662 BGB besorgt oder jemandem nur eine (außerrechtliche) Gefälligkeit erweist, hängt vom Rechtsbindungswillen ab. Maßstab ist objektiver Dritter sowie Treu und Glauben. Gefälligkeiten des täglichen Lebens oder vergleichbare Vorgänge können insoweit regelmäßig den Tatbestand der 677 ff BGB nicht erfüllen. Fahrt der Klägerin geschah aus Gefälligkeit gegenüber ihrer Enkelin beziehungsweise deren sorgeberechtigten Eltern. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Transport auch im Interesse des Beklagten lag. Wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, handelt es sich grundsätzlich - auch im Verhältnis zum Sportverein - um eine reine Gefälligkeit, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt. Solange jedenfalls keine gegenteiligen Absprachen getroffen werden, scheiden damit Aufwendungsersatzansprüche aus.
GoA im Straßenverkehr In einer Selbstaufopferung eines Kraftfahrers zum Schutze seines Beifahrers, die hier (Herumreißen des Steuerrades, um Kollision zu vermeiden) mit guten Gründen bejaht werden kann, könnte durchaus eine echte GoA gesehen werden (BGHZ 38, 270). Fraglich wäre allerdings wieder, ob eine Geschäftsführung für den Verein vorlag.
Zur Vertiefung: Andreas Bergmann, LMK 2015, 373131.
Rechtsvergleichender Exkurs: Neuseeland führte 1972 mit dem Accident Compensation Scheme eine staatliche (Vollkasko-)Unfallversicherung anstelle individueller Schadenshaftung ein.
Exkurs Verfahrensrecht E. Abgrenzung zwischen Geschäftsführung ohne Auftrag und Gefälligkeit ohne Auftrag obliegt grundsätzlich dem Tatrichter. Revisionsgericht kann jedoch eine unterlassene Abgrenzung selbst vornehmen, wenn der Tatrichter die hierzu notwendigen (BGHZ 191, 310) oder wenn es keiner weiteren tatrichterlichen Feststellung bedarf, weil das Revisionsgericht diese anhand des unstreitigen Inhalts der Akten selbst treffen kann (BGHZ 201, 252).
Macht s gut, Nachbarn! Disney