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Transkript:

Volker Beck 1.) Was sollte der programmatische Kompass für grüne Religions- und Weltanschauungspolitik sein? Respekt, weltanschauliche Neutralität des Staates und die drei Dimensionen der Glaubensfreiheit sind geeignete Grundlagen, um die grüne Religionspolitik gemeinsam auszurichten. Dieser Ausgangspunkt sollte für eine Partei, die den Wert der Freiheit betont, selbstverständlich sein. Die positive und negative Glaubensfreiheit ist eine Ausprägung der Menschenwürde. In der Bundesrepublik Deutschland wird sie in Art.4 GG geregelt. Sie schützt natürliche und juristische Personen (Vereinigungen) und sichert die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates, allerdings in erster Linie als ein Abwehrrecht gegen staatliche Freiheitsbeschränkungen. Geschützt ist die individuelle Freiheit, einen Glauben oder eine Weltanschauung zu bilden, zu haben ( forum internum ), zu äußern und entsprechend zu handeln ( forum externum ). Geschützt im Rahmen des Handelns sind demnach nicht nur klassische Riten sondern insgesamt das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Um den Schutzbereich nicht zu weit auszudehnen gilt die Grenze, dass ein Betroffener bei einem Zuwiderhandeln eine innere Not verspüren müsse. Kollektiv ist die Freiheit einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung. Sie schützt die Vereinigungsfreiheit, Organisation, Normsetzung und Verwaltung sowie nach außen gerichtete Tätigkeiten (Werbung, Bau von Gotteshäusern, Glockenläuten, Ruf des Muezzin, schulische Erziehung etc.). Auch Religionsgemeinschaften als Körperschaften öffentlichen Rechts profitieren von dem Abwehrrecht üben sie aber selbst öffentliche Gewalt aus (Bsp. Kirchensteuer) unterliegen sie der Bindung an die Grundrechte. Kollektive Glaubensfreiheit ist zu unterscheiden von der individuellen Freiheit, sich zu Vereinigungen überhaupt erst zusammenzuschließen. Last not least gilt der negative Schutzbereich, also die Freiheit, keinen Glauben zu bilden, zu haben, zu bekennen und danach zu leben. Er beinhaltet auch, dass man von den Glaubensvorstellungen anderer im eigenen Freiheitsbereich nicht bedrängt werden darf. Konflikte zwischen den 3 Dimensionen der Glaubensfreiheit müssen nach der Methode der praktischen Konkordanz gelöst werden: Verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter müssen in der Problemlösung einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. [ ] beiden Gütern müssen Grenzen gesetzt werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können. (Hesse)

2.) Wie wollen wir Grüne, als Religiöse und Nicht-Religiöse, innerhalb der Partei miteinander umgehen? Unsere Politik sollte so formuliert und unsere Wortwahl so gewählt werden, dass man ihr unabhängig von religiösen oder anderen weltanschaulichen Sichtweisen zustimmen kann. Dies gebietet der Respekt vor den unterschiedlichen weltanschaulichen und religiösen Überzeugungen in unserer Mitgliedschaft und in der Gesellschaft. Eigentlich hoffe ich, dass sich diese Frage nicht wirklich stellt.

3.) Was verlangen wir Nichtgläubigen im Umgang mit Gläubigen in der Gesellschaft ab und was verlangen wir umgekehrt Gläubigen bzw. Religionsgemeinschaften im Umgang mit Nichtgläubigen ab? Eine Politik des Respekts kann nur im Dialog zwischen Gläubigen unterschiedlicher Provenienz und Agnostikern und Atheisten, zwischen Religionsgemeinschaften und Politik entwickelt werden. Dabei müssen Religionsgemeinschaften sich auch darauf einlassen, zu fragen und zu begründen, was im aktuellen Religionsrecht für die Gewährleistung der kollektiven Religionsfreiheit für sie wirklich wichtig ist und was einfach überkommene Rechtstraditionen aus den vergangenen Jahrhunderten sind, die in einer pluralistischen Gesellschaft so nicht unverändert aufrecht zu erhalten sind. Säkular orientierte Bürger müssen dabei Religionsgemeinschaften und Gläubigen mit Respekt begegnen, statt Religion einfach als Opium für s Volk abzutun und an den Rande drängen zu wollen. Säkularisierte Bürger dürfen, soweit sie in ihrer Rolle als Staatsbürger auftreten, weder religiösen Weltbildern grundsätzlich ein Wahrheitspotential absprechen, noch den gläubigen Mitbürgern das Recht bestreiten, in religiöser Sprache Beiträge zu öffentlichen Diskussionen zu machen. (Habermas) Sie müssen auch akzeptieren, dass Religion tatsächlich nicht nur eine Privatsache von Individuen ist, sondern immer auch den Anspruch hat als Kollektiv der Gläubigen mit dem eigenen Wahrheitsanspruch in der Gesellschaft werben zu wollen. Gläubige müssen hingegen eine Sensibilität dafür entwickeln, dass bei vielen Menschen gerade auch durch negative Erfahrungen mit Religion manche Ansprüche und Besitzstände von Religionsgemeinschaften als Zumutungen empfunden werden. Wenn es uns gelingt, hier ein gemeinsames Verständnis des Miteinanders zu entwickeln, dann können wir mit der Kommission zum Verhältnis von Staat und Religion diese Diskussion stellvertretend für die gesamte Gesellschaft führen.

4.) Wie sehen wir die gesellschaftliche Funktion von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften? Demokratische Einmischung ist nicht nur erlaubt sie wird von uns gewünscht und gefördert. so heißt es im Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Religionsgemeinschaften. Im Grundsatzprogramm heißt es weiter: Wir Bündnisgrüne unterstützen die Trennung von Kirche und Staat. Die erreichte Trennung von Kirche und Staat ist eine grundlegende Voraussetzung für die positive Rolle von Kirchen- und Religionsgemeinschaften als wichtigen Kräften der Zivilgesellschaft. Dies gilt für die christlichen Kirchen, aber auch für die israelitische Kultusgemeinde sowie andere Religionsgemeinschaften. In vielen Fragen haben wir Bündnisgrüne Kirchen als wertvolle Bündnispartner erlebt. Dazu gehört insbesondere der Aufbruch zur Erneuerung der Demokratie ökumenische Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Dazu gehört das Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit, für internationale Gerechtigkeit und nicht zuletzt auch das ethische Engagement in Fragen der modernen Gentechnik. (Seite 120)

5.) Wozu brauchen wir eine grüne Position und wozu nicht? Wo schaffen wir eine Beschlusslage und wo überlassen wir Haltungen und Entscheidungen dem Ermessen und dem Gewissen der und des Einzelnen? Wir sollten eine gemeinsame Grundhaltung zur Rolle der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der Gesellschaft und zum Verhältnis von Religion und Staat formulieren. Ansonsten reicht es m.e., wenn wir uns zu den Themen äußern, bei denen wir politisch Reformbedarf sehen. Die Antworten beruhen im Wesentlichen auf den Artikel Volker Beck & Robert Zion Debattenbeitrag: Freiheit zur und von Religion Zu finden im Blog BECKSTAGE: http://beckstage.volkerbeck.de/2014/02/20/debattenbeitrag-freiheit-zur-und-von-religion/