Warum fahren wir eigentlich zu schnell? Motive und Einstellungen von motorisierten Verkehrsteilnehmern

Ähnliche Dokumente
Ein Blick in die Zukunft Schwerpunkte zukünftiger Verkehrssicherheitsarbeit

Nicht angepasste Geschwindigkeit Untersuchungen zu Lösungen, Hindernissen und Mythen

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.v. Verkehrsklima in Deutschland Akzeptanz und Einhaltung von Verkehrsregeln

Shared Space aus der Sicht eines Verkehrspsychologen

Das Richtige tun Verantwortliches Handeln im Straßenverkehr. Ralf Risser

AuFa16. Die Bereitschaft zum Risikofahren bei 16jährigen Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Eltern bei deren Sozialisation

Sicherheit zuerst Möglichkeiten zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland

Unfälle älterer Radfahrerinnen und Radfahrer

Verkehrsklima in Deutschland 2016

Verkehrsklima in Deutschland 2010: 10 Fragen zur Verkehrssicherheit

Der Killer Geschwindigkeit Dimensionen des Unfallgeschehens in Deutschland und Europa

Technik statt Mensch?

Tempolimit aus Sicht der Verkehrsplanung auf Autobahnen, Landesstraßen und innerorts

Von der Psychologie der Anpassung

Auffahrunfall Das unterschätzte Risiko

meinungsraum.at September 2014 Radio Wien Verkehrsüberwachung

Polizeidirektion Leipzig. Verkehrsbericht 2014

Auswirkungen von Toleranzgrenzen auf die Verkehrssicherheit. Klaus Robatsch

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. 10 Fragen zur Verkehrssicherheit in Deutschland Dr. rer. nat.

Sicherheitswahrnehmungen im 21. Jahrhundert. Eine Einführung. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jörg Albrecht

Neue Herausforderungen durch die zukünftigen Entwicklungen im Radverkehr

Eike Fittig, Johannes Schweizer & Udo Rudolph Technische Universität Chemnitz/ Klinikum Chemnitz. Dezember 2005

E-Bikes im Strassenverkehr: Forschungsergebnisse und Präventionsempfehlungen aus der Schweiz

Regelwidriges Verhalten von Pedelecund Fahrradfahrern

Psychologische Hindernisse Barrieren im Kopf. Christine Chaloupka-Risser, FACTUM Chaloupka und Risser Verkehrs- und Sozialanalysen

Prof. Dr. Marcel Hunecke Beratung für Klimaschutz: Informieren motivieren bestätigen

Verkehrsregelakzeptanz und Enforcement. Lars Rößger Jens Schade Bernhard Schlag Tina Gehlert. Forschungsbericht VV 06

F e h l z e i t e n. Umgang mit betrieblichen Fehlzeiten von Prof. Dr. Guido Tolksdorf

Zur Geschichte der Mobilität Entwicklung, Barrieren und Chancen

Ältere im Straßenverkehr

Stabilität und Veränderung psychologischer Aspekte im höheren Erwachsenenalter. Dr. Stefanie Becker

Einfluss von Tempolimits auf die Verkehrssicherheit

Geschwindigkeitsmessungen in Köln

Anforderungen an eine Verkehrssicherheitsarbeit der Zukunft aus Sicht der Unfallforschung

Anforderungen der Autofahrer an die Luftreinhaltepolitik

Fragen Sie diejenigen, die die Sportart nicht ausüben:

Hier ist gerade nichts los also schnell eine SMS!

aus Sicht der Psychologie Prof. Dr. Mark Vollrath, TU Braunschweig

Anhang zu Asexualität, sexuelle und nicht sexuelle Gewalt

Betriebliches Mobilitätsmanagement Dr. Michael Geiler Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN)

Eine Schule zum Wohlfühlen mehr als nur eine Utopie?

Emotionsarbeit und Emotionsregulation Zwei Seiten der selben Medaille?

Der homo oeconomicus instutionalis: Anwendung

Wer fährt? Möglichkeiten und Grenzen von Fahrerinformations- und Fahrerassistenzsystemen

Regelbefolgung und Rücksichtnehmen in Straßenverkehr und Umwelt

Lebensqualität im Alter für Menschen mit Behinderungen

Digitalisierung kaufmännischer Prozesse, Veränderungen des Profils von kaufmännischen Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen

Medieninformation. Weniger Verkehrstote in Sachsen im vergangenen Jahr. 032 / 2017 Sächsisches Staatsministerium des Innern.

Beruflicher Wissensaustausch auf sozialen Medien. Prof. Dr. Sonja Utz & Nicole Muscanell, PhD

GESELLSCHAFTLICHE AKZEPTANZ

Die Velooffensive der Stadt Luzern. Martin Urwyler

Internationaler Vertriebserfolg durch eine gelebte Vertriebskultur

Clinical Reasoning. In der Therapie & Beratung. in der Physiotherapie. » in der manuellen Therapie. Jürg Hauswirth PT MAS msk, omt svomp, imta teacher

Konsumentenverhalten 2015_2.2 Dr. Hansjörg Gaus

Was brauchen Erzieherinnen und Leitungskräfte? Zwischen Arbeitsalltag und neuen Anforderungen

Zur Evaluation von Verkehrskontrollen in Deutschland. Karl-Friedrich Voss

Wahrscheinlichkeit bei der Risikoabschätzung in der Ammoniak-Kälte Anders Lindborg Ammonia Partnership AB Viken, Schweden

Motivation. Intensität und Ausdauer, mit der bestimmte Zustände angestrebt oder gemieden werden.

Verkehrsbericht Polizeidirektion Leipzig

Neue Mobilität - alte Gefahr? Ältere Menschen als Fußgänger und Radfahrer

Reden Sie mit bei der Reifenwahl: energiesparende und leise pneus!

ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGIE & SOZIALISATION. Mädchenschachpatent 2015 in Nußloch Referentin: Melanie Ohme

Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

Eine Zusammenfassung zum Dienstabend am 24. Mai 2004 der DRK-Bereitschaft Römerstein

Psychologie für die Wirtschaft

VERKEHRSUNFALLENTWICKLUNG 2016

Jule Frommer. Soziale Einstellung. Präsentiert von Jule Frommer

Anbieterseitige Kündigung von Kundenbeziehungen

Führerlose Fahrzeuge

Schlechte Karten für den Führerschein!

Geschwindigkeitsmessungen Berlin

Einflussfaktoren auf das Verkehrsunfallrisiko junger Fahrerinnen und Fahrer Hardy Holte

Wegeunfälle. -Chancen und Möglichkeiten der Prävention- Arbeitsschutztag August 2012, Magdeburg

(Chinesische Weisheit)

Masterseminar Experimentalphonetik P 1.1 bei Prof. Dr. Jonathan Harrington Katharina Isabel Juhl The perception of phonetic contrasts by infants

Motivationspsychologische Aspekte des Abbruchphänomens. Jean-Jacques Ruppert

TomTom WEBFLEET Contents. Let s drive business TM. Versionshinweis für Händler vom

Wie verhalten sich Ältere im Verkehr und warum?

Unterschiedliche Automatisierungsgrade im Kraftfahrzeug: Auswirkungen auf die visuelle Aufmerksamkeit und die Kontrollübernahmefähigkeit

Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie: Internationale Perspektiven. Wulf Rössler Zürich Lüneburg Sao Paulo

Glück ist wie ein Schmetterling?

Vorläufige Verkehrsunfallbilanz 2014

Zentrales Behörden-Seminar November 2016 Stefanie Ritter, DEKRA Unfallforschung. Smombies im Strassenverkehr

Ergebnisse der Befragung der Motorfahrzeuglenkenden 2008

INTERAKTIONSQUALITÄT IN DER KITA. ERSTE ERGEBNISSE UND SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEM PROJEKT BIKE Dr. Claudia Wirts

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Nr. 26. Unfallforschung kompakt. Regelverstöße im Straßenverkehr

Attribution. Unterschied zwischen Akteur und Beobachter

Stigmatisierung: Intrige und Anfeindung Mobbing als Konfliktumleitung: Unterschiedliche Perspektiven 98 Objektive Arbeitsbedingungen als

Modelle zum Handlungslernen

Begrüßungsrede Dr. Walter Eichendorf DVR-Kolloquium Vision Zero in der Praxis am 7. Dezember ((Chart 1, Titel des Kolloquiums))

Warum verhalten Konsumenten sich umweltbewusst?

Automatisiertes Fahren: Aktuelle Einstellungen in Deutschland

VERÄNDERUNG RISKANTEN GESUNDHEITSVERHALTENS

Auswertung der Befragung von Strava-NutzerInnen in Deutschland

Economics of Crime II

EHL GHU (UIROJVDWWULEXWLRQ YRQ

Auswahl mit Grafiken aus der repräsentativen LINK-Befragung zur Sicherheit beim Velofahren

Transkript:

Warum fahren wir eigentlich zu schnell? Motive und Einstellungen von motorisierten Verkehrsteilnehmern Dr. Technische Universität Dresden, Verkehrspsychologie jens.schade@tu-dresden.de

Überblick Folgen von zu hoher Geschwindigkeit Determinanten für schnelles Fahren Gegenmaßnahmen

Geschwindigkeit hat Auswirkungen auf Sicherheit im Straßenverkehr Verkehrsströme Umwelt (Verschmutzung und Lärm) Energieverbrauch Fahrzeiten Wirtschaft Städtische Ausbreitung Quality of life...

https://www.destatis.de/de/zahlenfakten/wirtschaftsbereiche/transportverkehr/verkehrsunfaelle/tabellen/fehlverhaltenfahrzeugfuehrer.html

Gesamtgesellschaftlicher Schaden von Fehlverhaltensarten Hautzinger et al. (2011)

GESCHWINDIGKEITSVERÄNDERUNGEN: AUSWIRKUNGEN AUF UNFÄLLE: Power Model Eine Abnahme der durchschnittlichen Geschwindigkeit um 5% bewirkt ungefähr eine Verringerung der Unfälle mit Verletzten um 10% und eine Verringerung der Unfälle mit Getöteten um 20% (u.a.: Nilsson, 2004; OECD, 2006, s. auch Elvik, 2009; 2012) 6

Geschwindigkeit: Ein Problem! Sehen das die Bürger auch so? Verkehrsklima in Deutschland 2010 Gehlert & Genz (2011)

Einschätzung des persönlichen Fahrstils und des Fahrstils anderer Autofahrer im Vergleich (Gehlert, 2009, S. 8)

ABER.. In FAZ vom 20.03.2013 http://bit.ly/10lnoqi

Geschwindigkeit in der Werbung Design All English language automobile and truck commercials ( 30 seconds in length), airing nationally on major broadcast and cable networks in either the US or Canada during January or July between 1998 and 2002 were assessed by three independent raters for the presence and type of unsafe driving activity. Shin et al. (2005)

Psychologische Ursachen für schnelles Fahren

Verkehrssystem: Interaktionen zwischen Verkehrsteilnehmer Verkehrsmittel Verkehrsumfeld Verkehrswege

Aus: Shinar, 2007 13

Einige wichtige personenseitige Einflussfaktoren auf die Geschwindigkeitswahl Wahrnehmung Kognitive und motivationale Aspekte Einstellungen, Überzeugungen und subjektive Normen von Fahrern

Sichtweite und Geschwindigkeit Je höher die Geschwindigkeit, desto ferner die visuelle Orientierung.. und umgekehrt: Je weiter voraus der Blick, umso höherher tendenziell die Geschwindigkeit! Weller, Schlag et al. (2006)

Beispiel für kognitiv-motivationale Adaptation 17

Einstellungen, Normen und instrumentelle Erwartungen (Regelakzeptanz) als zentrale Faktoren der internalen Steuerung bei der Einhaltung von Verkehrsregeln am Beispiel einer Studie von Rößger, Schade & Schlag (2010)

Verhaltenswahrscheinlichkeit Geschwindigkeitsübertretungen Bei etwa 25 % der Verkehrsteilnehmer besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, im Beispielszenario zu schnell zu fahren. 44 % der Verkehrsteilnehmer berichten, gelegentlich oder öfter das Tempolimit in den letzten drei Monaten übertreten zu haben. 60 % der Verkehrsteilnehmer berichten, Geschwindigkeitsübertretungen oft oder sehr oft bei Anderen zu beobachten, 30 % beobachten dies zumindest gelegentlich.

Regelakzeptanz Breite Zustimmung gegenüber der bestehenden Regelung zur Geschwindigkeitsbegrenzung in Städten. 85.5 % finden die jetzige Begrenzung (50 km/h) gut. Es lassen sich Zusammenhänge nge zwischen der Akzeptanz der Verkehrsregel und der Wahrscheinlichkeit der Regelübertretung beobachten. Verkehrsregelakzeptanz stellt aber keine hinreichende Bedingung für die Regelbefolgung dar. Die zweitgrößte Gruppe innerhalb der Gesamtstichprobe (ca. 19%) äußert sich zustimmend gegenüber Tempolimits, fährt dennoch mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu schnell. Situative Begünstigung wichtig.

Subjektive Sanktionswahrscheinlichkeit und subjektive Strafhärte Die (wahrgenommene) Sanktionswahrscheinlichkeit bewegt sich auf einem mittleren Niveau. Subjektiv höher als objektiv (?). Die Strafhöhe wird deutlich überschätzt. Die tatsächliche Strafhöhe trifft den Großteil (etwa die Hälfte) der Verkehrsteilnehmer gar nicht oder kaum, weitere 37 % meinen, die Strafe trifft sie etwas. Es findet sich eine (schwache) positive (!) Beziehung zwischen der Häufigkeit von Bestrafungen und der Wahrscheinlichkeit einer Regelübertretung: Lerneffekt gering, Habituation stärker Weder subjektive Sanktionswahrscheinlichkeit noch subjektive Strafhärte zeigen signifikante Beziehungen zur Wahrscheinlichkeit der Regelmissachtung

Prädiktoren der Wahrscheinlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes I Deutliche Zusammenhänge zwischen der Verhaltenswahrscheinlichkeit und informellen Normen sowie Übertretungs-Gewohnheiten. Personale Norm: nur jeder vierte Verkehrsteilnehmer findet eine Geschwindigkeitsübertretung nicht vertretbar, 36 % finden eine Geschwindigkeitsübertretung von 15 km/h auf jeden Fall vertretbar bis gerade noch hinnehmbar.

Prädiktoren der Wahrscheinlichkeit eines Geschwindigkeitsverstoßes II Personen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eines Regelverstoßes haben insbesondere Schwierigkeiten bei der Kontrolle geschwindigkeitserhöhender Einflüsse: o Ungünstige Straßenraumgestaltung (breite Straßen, komfortabler Fahrbahnbelag, großzügige Straßenanlage) o Soziale Beobachtung anderer Verkehrsteilnehmer, die gegen Regeln verstoßen o Eile / Zeitdruck Ein ungünstiger Aufforderungsgehalt der Situation fördert Übertretungen gerade bei denjenigen, die dazu neigen oder weniger internal kontrolliert sind. Die situative Aufforderung wirkt hier stärker als befürchtete Konsequenzen.

SEM Speed Violation Model Social norm.52 Personal norm Direct and Indirect Effects on Speeding Descriptive norm.16 -.24 R 2 =.79.14 -.58 Likelihood Committing Violation Summary Standardized Total Effects on violation Perc. Sanction Likelihood Risk perception.09 -.58.35 Situational Affordances.47 Factor Personal norm -.514 Perceived situational influences.471 Descriptive norm.223 Social norm -.268 Risk perception.652 Perc. Sanction Likelihood -.053 Chi-Square = 545.716, df = 125, p 0.01, GFI = 0.941, AGFI = 0.920, RMSEA = 0.058

Zusammenfassende Schlussfolgerungen und Gegenmaßnahmen

Geschwindigkeitsübertretungen Schade, Schlag & Rößger (2009)

Welche Maßnahmen sind wirksam? Technische Maßnahmen (Engineering) Information, Ausbildung, Erziehung (Education) Gesetze, Überwachung, Ahndung (Enforcement) Wirtschaftliche Anreize (Economy) 1. Planung, Bau und Betrieb der Infrastruktur 2. Fahrzeuge 3. Kommunikationsstechnik; Schnittstellen 1. Aus- und Weiterbildung 2. Aufklärung und Erziehung 3. Marketing und Öffentlichkeitsarbeit 1. Gesetzgebung 2. Überwachung 3. Ahndung 1. Steuerliche Maßnahmen 2. Preispolitische Maßnahmen 3. Incentives, Subventionen Prinzip Selbsterklärende Straße FIS/FAS (ISA) Normenbildung Tempolimits Überwachungsdruck Halterhaftung? Anreize für technische u. verhaltensorientierte Sicherheitsmaßnahmen 27

Herzlichen Dank!