Die Therapie der Patellaluxation: eine systematische Literaturanalyse

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zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller 1 Die Therapie der Patellaluxation: eine systematische Literaturanalyse The Treatment of Patellar Dislocation: A Systematic Review Autoren S. Frosch 1, P. Balcarek 1,T.A.Walde 1, J. P. Schüttrumpf 1,M.M.Wachowski 1, K.-G. Ferleman 1, K. M. Stürmer 1, K.-H. Frosch 1, 2 Institute 2 Unfallchirurgie, Plastische und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsmedizin Göttingen 2 Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum, Asklepios-Klinik St. Georg, Hamburg Schlüsselwörter l " Patellaluxation l " patellare Instabilität l " Therapie l " Biomechanik Literaturanalyse l " Key words l " patellar dislocation l " patellar instability l " therapy l " biomechanics literature analysis l " Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0030-1250691 Online-publiziert Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart New York ISSN 1864 6697 Korrespondenzadresse Dr. Stephan Frosch Universitätsmedizin Göttingen Unfallchirurgie, Plastische und Wiederherstellungschirurgie Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Tel.: 01 79/925 0894 Fax: 0551/39 8981 stephan.frosch@ med.uni-goettingen.de Zusammenfassung! Studienziel: Die Diagnostik und Therapie der Patellaluxation wird immer differenzierter und komplexer. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick über biomechanische Grundlagen des Femoropatellargelenks sowie über aktuelle Trends in der Diagnostik und Therapie der Patellaluxation zu geben. Methode: Wir führten eine systematische Literaturrecherche in den elektronischen Datenbanken Medline, Cochrane und Embase durch. Dabei wurde nach Studien über die Biomechanik des Patellofemoralgelenks sowie über konservative und operative Therapieverfahren bei Patellaluxation gesucht. Ergebnisse: In der Studie werden zunächst demografische Daten sowie die Biomechanik des Femoropatellargelenks vorgestellt. Ein konservatives Vorgehen wird im Allgemeinen bei primärer Patellaluxation ohne begleitende osteochondrale Läsion und ohne wesentliche Risikofaktoren für eine Reluxation empfohlen. In der operativen Therapie werden die niedrigsten Reluxationsraten derzeit für die Augmentation des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) beschrieben. Auch bei Trochleadysplasie kann eine MPFL-Augmentation erfolgreich durchgeführt werden. Die mediale Dopplung zeigt in der Literatur sehr inhomogene Ergebnisse. Möglicherweise wird dieses Verfahren nicht allen Pathologien, die zu einer Patellaluxation führen, gerecht. Ein Lateral Release kann die Instabilität aggravieren, sodass die Indikation sehr zurückhaltend gestellt werden sollte. Bei Gonarthrose im höheren Lebensalter kann das Lateral Release zu einer Beschwerdelinderung führen, bei chronisch-persistierender Patellaluxation ist es unter Umständen notwendig. Bei einer Medialisierung der Tuberositas tibiae sollte der TTTG-(tibial tuberosity trochlear groove-)abstand gemessen werden und bei pathologischen Werten für eine verbesserte Patellaführung die Abstract! Aim: The diagnosis and treatment of patellar dislocation is very complex. The aim of this study is to give an overview of the biomechanics of the patellofemoral joint and to point out the latest developments in diagnosis and treatment of patellar dislocation. Method: The authors electronically searched Medline, Cochrane and Embase for studies on the biomechanics of the patellofemoral joint and for conservative and surgical treatments after patellar dislocation. We extracted baseline demographics, biomechanical, conservation and surgical details. Results: Understanding the biomechanics of the patellofemoral joint is necessary to understand the pathology of patellar dislocation. The patellofemoral joint consists of a complex system of static, active and passive stabilising factors. Patellar instability can result from osseous and soft-tissue abnormalities, such as trochlear dysplasia, patella alta, a high tibial tuberosity trochlear groove (TTTG) distance, weaknesses of the vastus medialis obliquus or a lesion of the medial retinaculum. Recent studies have focused on the medial patellofemoral ligament (MPFL) and have shown that the MPFL is the most significant passive stabiliser of the patella. Following patellar dislocation, an MRI should be standard practice to detect an MPFL rupture, osteochondral lesions or other risk factors for redislocation. An acute first-time patellar dislocation without osteochondral lesions and without severe risk factors for a redislocation should follow a conservative treatment plan. If surgical treatment is required, the best postoperative results occur when the MPFL is reconstructed, leading to a redislocation rate of 5%, this includes cases that have a dysplastic trochlea. Duplication of the medial retinaculum has very inconsistent results in the literature, possibly due to the fact that the essential pathomorphology of patellar dislocation is not addressed. Recent liter- Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16

2 zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller Tuberositas entsprechend medialisiert werden. Bei Knorpelschäden an der medialen Patellafacette ist eine Medialisierung der Tuberositas kontraindiziert. Bei Knorpelschäden an der lateralen Facette kann neben knorpelchirurgischen Maßnahmen auch eine Anteromedialisierung der Tuberositas Erfolg versprechend sein. Die Osteotomien der Tuberositas können auch mit einer MPFL- Augmentation erfolgreich kombiniert werden. Im Wachstumsalter ist aus unserer Sicht nach wie vor die mediale Dopplung das Standardverfahren. Zusätzlich kann bei Patellamaltracking ein subperiostales Weichteilrelease mit Medialisierung des Patellasehnenansatzes an der Tuberositas tibiae durchgeführt werden. Schlussfolgerung: Die Biomechanik des Femoropatellargelenks stellt die Grundlage für das Verständnis pathologischer Vorgänge der Patellaluxation dar und ist somit entscheidend bei der Wahl eines adäquaten Therapieverfahrens. Für die patellofemorale Instabilität ist ein Zusammenspiel heterogener, morphologischer Risikofaktoren in Verbindung mit individuellen, prädisponierenden Faktoren in der Anamnese des Patienten ursächlich. Patellaerstluxationen ohne wesentliche Risikofaktoren sollten konservativ behandelt werden. In der operativen Therapie lässt sich ein Trend dahingehend feststellen, die essenzielle Pathomorphologie zu identifizieren und diese gezielt operativ anzugehen. ature does not encourage the use of lateral release, since this can increase patellar instability. Indications for lateral release include persistent patellar instability or pain reduction in an older arthritic subject. For correcting a patellofemoral malalignment, the TTTG distance should be measured and a medial transposition of the anterior tibial tubercle hinged on a distal periosteal attachment should be considered. Cartilage lesions on the medial facet of the patella are a contra-indication for medial tubercle transposition. For cartilage lesions of the lateral facet, antero-medialization of the tibial tubercle can be successful. A tubercle osteotomy can be efficiently combined with MPFL reconstruction. We believe that patients with open epiphyseal plates should be treated with duplication of the medial retinaculum. In the presence of patellar maltracking, an additional subperiostal soft tissue release with medialisation of the distal part of the patellar tendon can be performed. Conclusion: It seems that the predominating factors for patellar dislocation are heterogenic morphology in combination with individual predisposition. Non-surgical treatment is typically recommended for primary patellar dislocation without any osteochondral lesions and in the absence of significant risk factors for redislocation. If surgical treatment is deemed necessary, addressing the essential pathomorphology has become the primary focus. Einleitung! Demografische Daten Die patellofemorale Instabilität ist aufgrund der Komplexität des Patellofemoralgelenks trotz jahrzehntelanger Forschung immer noch ein kontrovers diskutiertes Thema. Die Inzidenz der akuten Patellaerstluxation beträgt 7 pro 100 000 Einwohner [1]. Dies macht ca. 2 3% aller Knieverletzungen aus [2]. In einer Literaturreview von Stefancin und Parker [3] mit Auswertungen von 1765 Patellaerstluxationen beträgt das Durchschnittsalter der Patienten 21,5 Jahre. Dabei war mit 54% das weibliche Geschlecht etwas häufiger betroffen als das männliche mit 46%. Diverse Studien zeigen, dass durchschnittlich 67% der Patienten unter 20 Jahren alt sind [1,4 7]. Die Inzidenz im Kindes- und Jugendalter liegt dementsprechend je nach Studie zwischen 29 43/100 000 Jugendliche [1, 8 11]. Anamnese Typischerweise tritt die Patellaerstluxation beim jungen, aktiven Menschen während sportlicher Aktivitäten auf. Atkin et al. [1] und Fithian et al. [9] geben an, dass sich in ihrem Patientenkollektiv 72% bzw. 70% der Erstluxationen während körperlich belastender sportlicher Aktivitäten ereignen. 21% treten bei Aktivitäten des alltäglichen Lebens und nur 7% durch ein direktes Anpralltrauma auf [1]. Abgeleitet aus diesen Ergebnissen scheint ein hauptsächlicher Risikofaktor für eine Patellaluxation die häufige Aussetzung des prädominanten Verletzungsmechanismus zu sein: am Boden fixierte untere Extremität in Innenrotation, das Knie einem Valgusstress ausgesetzt [6, 12]. Im Sport treten solche Bewegungsmuster mit hoher Regelmäßigkeit auf. Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16 Klinische Beschwerden Nach Patellaerstluxation klagen 30% bis 50% der Patienten über Instabilitätsgefühl und/oder über vorderen Knieschmerz [8, 13]. In der sehr gut aufgebauten Studie mit einem Follow-up von Minimum 6 Monaten berichten Atkin et al. [1] über 58% Funktionsbeeinträchtigung und 56% Schmerzen bei höheren Belastungen bei Patienten nach Patellaerstluxation. Nur 69% betreiben auf einem deutlich niedrigeren Level als vor der Verletzung wieder Sport [1]. Langzeitfolgen Kontrovers diskutiert wird die patellofemorale Arthrose als Folge patellarer Instabilität. Mäenpää und Lehto [14] beobachteten mit einem Follow-up von 6 26 Jahren in 22% der Fälle degenerative Veränderungen im betroffenen Kniegelenk im Gegensatz zu 11% auf der nicht betroffenen Gegenseite und sogar 35% Arthroserate bei spät im Verlauf durchgeführter stabilisierender Operation bei chronischer Instabilität. Crosby und Insall [15] hingegen konnten keine gravierenden Arthrosezeichen nach konservativ behandelter Patellaluxation bei einem Follow-up von 16 Jahren finden. Reluxationsraten Die Reluxationsrate bei konservativer Therapie beträgt 15 49% [4, 16 19]. Fithian et al. [19] geben allerdings zu bedenken, dass eine fehlende Differenzierung im Studiendesign zwischen Patienten mit Erstereignis und Patienten mit mehrfachen Reluxationen zu verzerrten Ergebnissen führen können. Ihre Studie mit einem Follow-up von 2 5 Jahren zeigt eine 17%ige Wahrscheinlichkeit einer Reluxation nach Erstereignis und nahezu 50% Wahrscheinlichkeit einer Reluxation bei Patienten mit mehrfachen Patellaluxationen in der Anamnese [19]. Zudem sollte in Betracht gezogen werden, dass nach Mäenpää et al. [18] mehr als die Hälfte der Reluxationen nach 2 oder mehr Jahren nach Erstluxation auftreten. Des Weiteren stellten Mäenpää et al. [18, 20] in ihren Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen niedriggradigem Trauma bei Patellaerstluxation und einem Therapieversagen im Verlauf fest. Fithian et al. [19] beobachteten eine negative Korrelation zwischen Verletzung der medialen Bandverletzungen und der Reluxationsrate. Patienten ohne Verletzung des medialen Retinakulums, des medialen Patellofemoralligaments und/oder des Vastus medialis hatten ein deutlich erhöhtes Reluxationsrisiko im Vergleich zu Patienten mit einer solchen Verletzung. Patellaluxa-

zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller 3 Abb. 1 Darstellung des Roll-Back-Mechanismus. Zusätzlich eingezeichnet sind die 4 morphologischen Drehachsen des Kniegelenks (Viererkette). Mit freundlicher Genehmigung Springer Science + Business Media: Der Unfallchirurg, 2009, Volume 122, Number 2, Pages 176 184. K.-H. Frosch, H. Nägerl, D. Kubein-Meesenburg, J. Förner und H. Dathe, et al. Eine neuartige Kniegelenksendoprothese mit physiologischer Gelenkform, Teil 2: Erste klinische Ergebnisse. Abb. 2. tionen mit schweren Strukturverletzungen sprechen eher für eine intakte patellofemorale Gelenkanatomie. Patellaluxationen, bei denen die Patella leicht ohne größeren Kraftaufwand erstmalig luxiert und wenig Kollateralverletzungen auftreten, sprechen eher für das Vorliegen einer oder mehrerer Pathomorphologien und dementsprechend für eine schlechtere Prognose in Bezug auf Reluxationen [19]. Für diesen Zusammenhang spricht ebenfalls die Erkenntnis, dass ein großes Hämarthrosvolumen, welches ein stärkeres Trauma repräsentiert, mit einer niedrigeren Reluxationsrate assoziiert ist [18, 68]. Biomechanik des Femoropatellargelenks! Das Femoropatellargelenk besteht aus einem komplexen System von statisch, aktiv und passiv stabilisierenden Faktoren. In vollständiger Kniegelenksextension bis hin zur 20 -Knieflexion befindet sich die Patella proximal der Trochlea ohne Kontakt zur medialen oder lateralen Femurkondyle [62]. Ohne die knöcherne Führung der Trochlea stehen hier als Stabilisatoren die aktiven und passiven Strukturen im Vordergrund. Dementsprechend konnten Senavongse et al. [21] in einer In-vitro-Studie nachweisen, dass, um die Patella 10 mm nach lateral zu verschieben, bei 20 Knieflexion die benötigte Kraft mit 74 N signifikant kleiner war als in weiterer Extension und Flexion (bis hin zu 125 N bei 90 und 0 ). Vastus medialis obliquus Die aktiven Strukturen werden vor allem vom M. quadriceps femoris gebildet. Welche Rolle der Muskel bei der Patellaluxation spielt, ist bislang nicht eindeutig belegt und weiterhin umstritten. In der Frontalebene setzt der Vastus lateralis obliquus von lateral mit einem Zugvektor von ca. 35 ± 4 zur Femurachse, der Vastus medialis obliquus (VMO) 47 ± 5 medial zur Femurachse an der Patella an [22]. Somit gilt der VMO mit seiner medialen Zugrichtung als wichtigster aktiver, einer Lateralisierung entgegenwirkender Stabilisator [23 25]. Der VMO trägt nach Farahmand et al. [22] ca. 10% zur gesamten Quadrizepsspannung bei. Ist der Vastus medialis obliquus relaxiert, nimmt bei 20 Flexion die laterale Stabilität der Patella um 30% ab [38]. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass bei relaxiertem VMO unter gleichzeitiger Anspannung des Vastus lateralis die Patella ca. 4 mm lateralisiert und gleichzeitig der Anpressdruck auf die laterale Patellafacette erhöht wird [73]. In der Frontalebene ergeben die beiden Vektoren der Vasti medialis und lateralis einen Zugvektor nahezu parallel zur Femurlängsachse. Bei physiologischer Anatomie scheint der Quadrizepsvektor die medialolaterale Translation nur in Streckstellung in der direkten Anspannungsphase des Muskels, in der die Patella lateralisiert wird, direkt zu beeinflussen [26, 27]. Indirekt wird die Translation in Strecknähe allerdings durch einen erhöhten Patellaanpressdruck reduziert [28, 29]. Der resultierende Kraftvektor aus Quadrizepssehnenvektor und Patellarsehnenvektor hat in der Frontalebene aufgrund des Q-Winkels eine laterale Komponente, die in strecknaher Stellung des Kniegelenks am größten ist [81]. In der sagittalen Ebene steigt der posterior gerichtete resultierende Kraftvektor aus dem Quadrizepsvektor und dem Patellarsehnenvektor bei zunehmender Flexion an [62]. Auch in voller Streckung des Kniegelenks haben wir einen (kleinen) nach posterior gerichteten Kraftvektor, da die Vasti medialis und lateralis von posterior an der Patella ansetzen und diese damit femoralwärts ziehen [74]. Bei zunehmender Flexion wird der Winkel zwischen Quadrizepsvektor und Patellarsehnenvektor kleiner und damit der nach posterior gerichtete Gesamtvektor größer. Aufgrund des Roll-Back-Mechanismus des Kniegelenks, bei dem die Femurkondylen auf dem Tibiaplateau nach dorsal rollen, wird das Kraft-Last-Arm-Verhältnis des Patella-Quadrizeps-Komplexes zur Tuberositas tibiae begünstigt [50, 103]. Das Tibiofemoralgelenk funktioniert also nach dem Roll-Gleit-Mechanismus (l " Abb. 1). Dies basiert auf dem Prinzip des Viergelenks mit den 4 morphologischen Drehachsen der medialen und lateralen Femurachse sowie des medialen und lateralen Tibiaplateaus und auf der Tatsache, dass das mediale Tibiaplateau konvex und das laterale Tibiaplateau konkav geformt ist [50, 103]. Das Dorsalwärtsrollen des Femur geschieht dabei in der Hochbelastungs- Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16

4 zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller phase für das Femoropatellargelenk zwischen 0 und 25 Knieflexion (z. B. Landephase beim Laufen oder Springen) und verringert so den dorsal gerichteten Kraftvektor und damit den patellofemoralen Anpressdruck erheblich [50,103] (l " Abb. 1). Das heißt, dass bei zunehmender Knieflexion der patellofemorale Anpressdruck deutlich zunimmt [75, 81]. Dieser Anpressdruck sorgt für eine Stabilisierung der Patella in der Trochlea und ist nach Farahmand et al. [27] dabei ein wichtigerer Faktor als die Tiefenausdehnung der Trochlea. Ob nun eine häufig beobachtete Hypotrophie des Vastus medialis obliquus als eine Hauptursache für eine Patellaluxation zu sehen ist, ist nach den veröffentlichten Studien zu diesem Thema eher fraglich. Nachgewiesen ist, dass der VMO bei Schonung der betreffenden Extremität am schnellsten an Kraft und Funktion einbüßt [30]. Bei Belastung der unteren Extremität wird im Vergleich zum normalen Aktivierungsverhältnis der Vastus medialis bei Patienten mit patellofemoraler Dysfunktion verzögert im Vergleich zum Vastus lateralis aktiviert [132]. Bei einer chronischen Subluxation mit Schmerzen und daraufhin Schonung der Extremität könnte ein zusätzlicher Funktionsverlust durch VMO-Atrophie die Luxation begünstigen. Auch könnte eine VMO-Atrophie nach traumatischer Patellaerstluxation im Verlauf zur chronischen Reluxation beitragen. Dies gilt insbesondere bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren. Zu den passiven medialen Strukturen gehören in einer 1. oberflächlichen Schicht das oberflächliche mediale Retinakulum und das mediale patellotibiale Ligament. In einer 2. Schicht liegten das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) und das mediale Kollateralband, gefolgt von einer 3. Schicht mit dem medialen patellomeniskalen Ligament [31 34]. Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16 Mediales patellofemorales Ligament (MPFL) Untersuchungen haben gezeigt, dass von den oben genannten Strukturen das MPFL als primärer passiver Stabilisator einer Lateralisierungstendenz der Patella am meisten entgegenwirkt [11, 28, 34 37, 69, 71]. Desio et al. [34] berichten, dass im strecknahen Bereich von 0 30 Knieflexion das MPFL unter den passiven Stabilisatoren mit einem Anteil von 60% lateralwärts auftretenden Kräften entgegenwirkt. Conlan et al. [37] und Hautamaa et al. [28] sprechen im selben Zusammenhang von 53% bzw. 50%. Dabei hat das MPFL die größte Widerstandsfähigkeit gegenüber einer Lateraltranslation von mehr als 7 mm bei 20 Knieflexion [38]. Hautamaa et al. [28] zeigten in einer Kadaverstudie eine 50%ige Zunahme der lateralen Translation der Patella bei Durchtrennung des MPFLs. Des Weiteren scheint das gespannte MPFL die in 0 Streckstellung lateralisierte Patella bei Knieflexion nach medial zu ziehen und so einen sanften Eintritt der Patella in den zentralen Trochleabereich zu erleichtern [70]. Amis et al. [69] konnten nachweisen, dass das MPFL eine bedeutende Rolle in der medial/ lateralen Stabilisierung der Patella in der Trochlea spielt. Diese Ergebnisse weisen auf die Bedeutung des MPFLs zur Stabilisierung der Patella hin, insbesondere wenn man bedenkt, dass bei einer erstmaligen Patellaluxation in 90% der Fälle eine MPFL- Ruptur nachweisbar ist [34,39]. Das MPFL verläuft bis zu 1 cm distal vom Tuberculum adductorium des medialen Epikondylus zur proximalen medialen Patellakante [28, 31, 40]. In Einzelfällen kann nach Nomura [40] das MPFL auch am distalen Anteil der Quadrizepssehne inserieren. Sallay et al. [41] und Nomura [42], aber auch Avikainen [39] et al. zeigten in ihren Studien, dass nach Patellaluxation mit MPFL- Ruptur die Läsion in über 90% am ansatznahen Bereich des Tuberculum adductorium nachweisbar ist. Andere Autoren beschreiben dahingehend eine nicht unerhebliche Variabilität der Rupturlokalisation [133, 134]. So zeigten kernspintomografische Untersuchungen von Balcarek et al. [133] eine Ruptur am femoralen Ansatz in lediglich 50% der Patellaluxationen mit MPFL-Ruptur. Andere Lokalisationen betrafen den interligamentären und patellanahen Anteil, aber auch Kombinationen verschiedener Rupturlokalisationen wurden beschrieben. Dabei scheinen die anatomischen Kriterien der Patellainstabilität, wie z. B. ein erhöhter TTTG-Abstand, Auswirkungen auf die Rupturlokalisation zu haben [133]. Andere mediale passive Stabilisatoren spielen im Vergleich zum MPFL eher eine untergeordnete Rolle. In Untersuchungen von Desio et al. [34] und Conlan et al. [37] wurden in Kadaverstudien isoliert die medialen Bandstrukturen durchtrennt und ihr jeweiliger Anteil an der Kraft, die einer Lateraltranslation entgegenwirkt, gemessen. Hier stellte sich heraus, dass das meniskopatellare Ligament daran immerhin 13 22% beiträgt. Das mediale Retinakulum sowie das mediale patellotibiale Ligament scheinen dabei funktionell keine Auswirkung auf die laterale Translation zu haben [28, 34, 37]. Laterales Retinakulum Das laterale Retinakulum ist in seiner Funktionsweise noch nicht vollkommen verstanden [43]. Postuliert wurde in der Vergangenheit, dass ein zu straffes laterales Retinakulum für die Patellaluxation prädisponierend sei [44]. Ein straffes Retinakulum kann zu einem lateralen Tilt der Patella führen und damit eine Zentrierung der Patella in der Trochlea verhindern [61, 76]. Ob aber ein straffes laterales Retinakulum zur Subluxationsstellung oder gar zur Patellaluxation führen kann, ist eher unwahrscheinlich und nicht wissenschaftlich bewiesen. Untersuchungen von Desio et al. [34], Christoforakis et al. [45] und Merican et al. [43] konnten hingegen belegen, dass das laterale Retinakulum signifikant sowohl der medialen als auch lateralen Translation stabilisierend entgegenwirkt. Zudem konnten Hautamaa et al. [28] zeigen, dass das laterale Retinakulum 13% zur Stabilisierung gegenüber einer Lateraltranslation beiträgt. Kontaktpunkte der Patella mit der Trochlea Bei Flexion des Kniegelenks über 20 hinaus taucht die Patella in die knöcherne Führung der Trochlea ein [62]. Den ersten Kontakt hat dabei der distale/laterale Rand der Patella mit dem proximalen Anteil der lateralen Trochleawand. Dabei wird die Patella aus ihrer lateralen Startposition zunächst bei Kontakt mit der lateralen Trochleawand nach medial in das Trochleazentrum verschoben [62]. Die Trochlea weicht weiter distal in ihrem Verlauf nach lateral von der Femurachse ab, sodass auch die Patella im distalen Verlauf dem Trochleasulcus folgend nach lateral abweicht [62, 77]. Die Kontaktfläche der Patellafacette im patellofemoralen Gelenk wird bei zunehmender Knieflexion größer und wandert von proximal nach distal. Bei Eintritt in die Trochlea artikuliert der proximale Anteil, bei ca. 45 Kniebeugung der mediale Anteil und bei 90 der distale Anteil der Patellafacette über jeweils die gesamte Patellabreite [79] (l " Abb. 2). Die laterale Facette hat insgesamt eine größere Kontaktfläche als die mediale und übernimmt dementsprechend ca. 60% der patellaren Traglast [78]. In weiterer Flexion schiebt sich die Patella aus der Trochlea auf die Femurkondylen. Dabei haben nur noch der laterale und mediale Anteil der Patellfacette Kontakt zu den Kondylen, während der zentrale Bereich die interkondyläre Notch überbrückt. Bei ca.

zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller 5 Abb. 2 Mit zunehmender Knieflexion (20, 45, 90 ) wandert die Kontaktfläche von distal nach proximal und nimmt dabei in ihrer Ausdehnung zu. Bei weiterer Flexion (135 ) haben der mediale und laterale Anteil der Patellafacette Kontakt zu den Kondylen. Die Odd-Facette artikuliert dabei mit der medialen Kondyle. Aus: Goodfellow et al. Patello-femoral joint mechanics and pathology. 1. Functional anatomy of the patellofemoral joint. 135 Beugung artikuliert die sogenannte Odd-Facette mit der medialen Femurkondyle. Die Kontaktfläche der Patella in früher Knieflexion bei ca. 20 liegt am distalen Pool der Patellafacette und ist in dieser Position am kleinsten im Vergleich zur zunehmenden Kontaktfläche in weiterer Flexion [79]. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass z. B. beim Treppaufsteigen die Spitzendrücke auf das Femoropatellargelenk (bis zu 2500 N) bei ca. 25 Knieflexion liegen [80]. Beim einfachen Gehen treten Spitzendrücke (bis 250 N) bei Knieflexionsgraden von 0 20 auf [81, 82]. Spitzendrücke treten bei solchen oder ähnlichen Belastungen also entweder beim Eintritt der Patella in die Trochlea auf oder treffen auf eine kleine Kontaktfläche und lösen somit einen hohen femoropatellaren Gelenkstress aus. Trochleadysplasie Ist der Trochleasulcuswinkel größer als 145 oder die Trochlea gar konvex geformt, spricht man nach Dejour von einer Dysplasie [46, 47]. Entscheidend für eine sichere knöcherne Führung der Patella sind sowohl die Höhe als auch der Neigungsgrad der Trochlea [81]. Senavongse und Amis [38] konnten belegen, dass eine dysplastische Trochlea eine laterale Dislokation der Patella erleichtert. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass die Trochlea bei Patienten mit patellarer Instabilität häufig weiter medial liegt, was die Lateralisierungstendenz der Patella noch verstärkt [48]. Bei der Trochleadysplasie führt eher ein erhöhter Trochleasulcus als eine abgeflachte laterale Trochleawand zu dem vergrößerten Trochleasulcuswinkel [41]. Zudem kann die mediale Trochleawand dysplastisch sein und die Trochlea in ihrer proximal/distalen Ausdehnung verkürzt sein [41]. Eine Trochleadysplasie wurde in Untersuchungen von Dejour und Le Coultre [49] in 96% der Fälle nach Patellluxation diagnostiziert (l " Abb. 3). Patella alta Ein weiterer mit der Patellaluxation assoziierter Faktor ist die Patella alta [5, 51 55]. Zahlreiche Methoden zur Patellahöhenbestimmung in der lateralen Projektion des Kniegelenks haben sich bewährt. Zu nennen sind die Verfahren nach Caton, Insall- Salvati, Blumensaat, Labelle-Laurin und insbesondere Blackburne- Peel, welches nach Seil et al. eine geringere Varianz als die anderen genannten Methoden aufweist [52,54, 56 59] (l " Abb. 4). Die Ätiologie der Patella alta ist weitestgehend unbekannt, wobei Dejour et al. [60] von einer Quadrizeps-Dysplasie mit verkürztem Quadrizepssehnenkomplex spricht. Die hohe Patella tritt bei Knieflexion später in die Trochlea ein, was eine stärkere Beanspruchung der passiven und dynamischen Stabilisatoren bei gleichzeitiger Reduktion der knöchernen Führung in Strecknähe zur Folge hat [11, 19, 61]. Bei Patienten mit einer Patella alta reduziert sich aufgrund des späteren Eintritts der Patella in die Trochlea dementsprechend die Kontaktfläche, wodurch es in allen Flexionsgraden zu einem größeren patellofemoralen Stress kommt bzw. strecknah Spitzendrücke vermehrt schon in der vulnerablen Phase vor Eintritt in die knöcherne Führung der Trochlea auftreten [83]. TTTG-Abstand (tibial tuberosity trochlear groove distance) Q-Winkel Ebenfalls mit der Patellaluxation assoziiert ist nach Dejour et al. [60] eine im Vergleich zur Trochlea lateralisierte Tuberositas tibiae, die bei 56% der Patienten mit Patellaluxation nachgewiesen werden konnte. Auch andere Autoren konnten in ihren Studien einen pathologischen Q-Winkel oder TTTG-Abstand (l " Abb. 5) vermehrt bei Patienten mit Patellaluxation nachweisen [6, 25, 60]. Es konnte gezeigt werden, dass der TTTG-Abstand bei Patienten mit Patellaluxation in 56% der Fälle größer war als 20 mm, verglichen mit 12 mm bei einer Kontrollgruppe [35]. Der Q-Winkel, gebildet aus einer imaginären Linien zwischen der Spina iliaca anterior superior, dem Patellamittelpunkt und der Tuberositas tibiae, ist in Extension des Kniegelenks am größten [26]. Bei pathologisch vergrößertem Q-Winkel nimmt die Tendenz der Patella zur Lateralisierung bei angespanntem Quadrizeps zu und der laterale patellofemorale Anpressdruck ist vergrößert [63, 64, 72]. Patellarer Tilt (l " Abb. 6) Der patellare Tilt ist ebenfalls eine häufig beobachtete Begleitpathomorphologie der Patellainstabilität [60]. Die Bedeutung des Tilts ist aber weiter unklar. Dejour et al. [60] schließen aus ihren Untersuchungen, dass der Tilt aufgrund einer Dystrophie des M. quadriceps entsteht. Arendt et al. und andere konnten allerdings belegen, dass eine vermehrte Laxität der medialen Bandund Kapselstrukturen einen lateralen Tilt der Patella produzieren kann [11, 61]. Des Weiteren können aber auch eine Trochleadysplasie [65] und die Patella alta [66] oder ein straffes laterales Retinakulum [62, 81] einen Tilt verursachen. Der patellare Tilt basiert also auf einem multifaktoriellen Geschehen und scheint eher eine Begleiterscheinung verschiedener Pathomorphologien der patellaren Instabilität als Ursache für selbige zu sein. Generelle Bandlaxität Ein Zusammenhang zwischen einer generellen Bandlaxität und der patellofemoralen Instabilität wird von einigen Autoren [51, 67] angenommen, während Atkin et al. [1] keine ursächliche Verbindung aufweisen konnten. Nomura et al. [135] führten bei 82 Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16

6 zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller Abb. 3 Klassifikation der Trochleadysplasie nach D. Dejour. Patienten mit rezidivierenden Patellaluxationen eine Nachuntersuchung hinsichtlich dem Vorliegen einer generellen Bandlaxität und einer hypermobilen Patella durch. Dabei fanden sich ein statistisch signifikant erhöhtes Vorkommen einer Bandlaxität von 24% im Vergleich zu 10% der Kontrollgruppe und ein erhöhtes Vorkommen einer hypermobilen Patella in 51% der Fälle im Vergleich zu 6% der Kontrollgruppe. Osteochondrale Begleitverletzung Stefancin und Parker [3] haben in ihrer Literaturreview zum Thema Patellaerstluxation Studien mit insgesamt 1765 Patellaerstluxationen ausgewertet und eine Inzidenz osteochondraler Frakturen von 24,3% festgestellt. Zunächst sollte also bei einer Patellaerstluxation von dem Vorliegen einer solchen Fraktur ausgegangen werden. Eine Großzahl der osteochondralen Flakes fällt schon in der röntgenologischen Untersuchung auf. In Studien von Desio et al. [34] und Stanitski [138] konnte allerdings gezeigt werden, dass osteochondrale Flakes in der initialen Röntgenuntersuchung im Vergleich zur operativen oder kernspintomografischen Untersuchung in 30% bis 40% der Fälle übersehen werden. Eine MRT-Untersuchung sollte dementsprechend bei jeder Patellaerstluxation in Erwägung gezogen werden. Zudem können in der kernspintomografischen Untersuchung therapierelevante Faktoren wie Dysplasie der Trochlea und der Patella, der TTTG-Abstand, MPFL-Rupturen, chondrale Läsionen und ein patellarer Tilt sowie eine Patellatranslation erfasst werden [131]. Therapie! Konservativ vs. operativ Es sind 3 prospektiv randomisierte Studien bekannt, bei denen ein Vergleich zwischen konservativer und operativ-stabilisierender Therapie erfolgte. Nikku et al. [84] untersuchten mit einem Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16 durchschnittlichen Follow-up von 127 Patienten nach primärer (Erstereignis) Patellaluxation und randomisierten diese bezüglich konservativer Therapie (57 Patienten) und individuell angepasster proximaler stabilisierender Operation (70 Patienten). In der konservativen Gruppe zeigten 30% der Patienten eine stabile Patella ohne Instabilitätsepisoden. Reluxationen traten bei 39% der Patienten auf. In der operativen Gruppe blieben durchschnittlich 36% ohne Instabilitätsepisoden. Bei 31% der Patienten trat eine Reluxation auf. Die konservativ behandelten Patienten fanden in 81% der Fälle das Behandlungsergebnis sehr gut und gut. Der durchschnittliche Kujala- und Hughston-VAS-Score war 90 bzw. 94. Die operative Gruppe gab das Behandlungsergebnis nur in 67% der Fälle mit gut oder sehr gut an. Der durchschnittliche Kujala- und VAS-Score war hier 88 bzw. 89. Sillanpää et al. [85] untersuchten in einer prospektiven Studie mit einem Follow-up von 7 Jahren 40 Patienten nach primärer Patellaluxation, randomisiert nach konservativer und operativer Therapie. Hierbei zeigte sich in der konservativen Gruppe in 29% der Fälle eine Reluxation und bei insgesamt 48% eine instabile Patella. Demgegenüber berichteten 12% der Patienten in der operativen Gruppe über instabile Episoden. In keinem Fall ereignete sich eine Redislokation. Der Kujala-Score lag in der konservativen Gruppe durchschnittlich bei 90 und in der operativen Gruppe bei 91, der Tegner-Aktivitätsscore jeweils bei 5. Christiansen et al. [86] untersuchten 80 Patienten in einer prospektiv randomisierten Studie mit einem Follow-up von 2 Jahren. In der konservativen Gruppe war der Kujala-Score 78 und die Redislokationsrate 20%. In der operativen Gruppe lag der Kujala- Score bei 85 mit einer Redislokation in 17% der Fälle. Obwohl die Reluxationsrate bei den konservativ behandelten Patienten höher war als bei den operativ behandelten, waren das funktionelle Ergebnis und die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung bei Sillanpää et al. [85] und Christiansen et al. [86] etwa gleichwertig in beiden Gruppen und bei Nikku et al. [84] deutlich besser bei der konservativen Behandlung.

zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller 7 Schließt man retrospektive Studien [6, 8, 87] (konservativ vs. operativ) mit ein, zeigt sich in Bezug auf den subjektiven Behandlungserfolg in 71% der Fälle ein gutes bis sehr gutes Ergebnis in der konservativen Gruppe im Vergleich zu 72% in der operativen Gruppe [6, 8, 84 87]. Die Redislokationsrate liegt bei konservativer Therapie bei 29% und in der operativen Gruppe bei 17%. Bei Auswertungen entsprechender Studien sollte die Nachuntersuchungszeit beachtet werden. So stieg bei Nikku et al. [84, 88] die Reluxationsrate in der Nachuntersuchung bei derselben operativ behandelten Patientengruppe von 17% nach einem Followup von 2 Jahren auf 31% nach einem Follow-up von 7 Jahren. Alle oben genannten Autoren empfehlen, außer bei Nachweis einer osteochondralen Fraktur, eine konservative Therapie nach Patellaerstluxation [6, 8, 84 88]. Konservative Therapie Um die Empfehlung zur Durchführung einer konservativen Therapie nach Patellerstluxation geben zu können, müssen zunächst verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, die eine Einschätzung des zu erwartenden Behandlungserfolgs zulassen. Entscheidend ist hierbei zum einen die Reluxationsrate bei der konservativen Therapie und damit zusammenhängende Risikofaktoren, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Reluxation erwarten lassen. Zudem sollten das subjektive Befinden des Patienten und die Zufriedenheit mit dem Behandlungsergebnis in Betracht gezogen werden. Schmerzen, Funktionseinschränkungen und die Rückkehr zum alten Aktivitätsniveau spielen hierbei eine Rolle. Die Reluxationsrate nach Patellaerstluxation in der konservativen Behandlung wird in der Literatur zwischen 15% und 48% angegeben [4, 16 19]. Vier Faktoren könnten zu den deutlichen Unterschieden in den angegebenen Reluxationsraten geführt haben. 1. Unterschiedliche Nachuntersuchungszeiträume. Nach Untersuchungen von Mäenpää treten mehr als die Hälfte der Reluxationen nach 2 oder mehr Jahren nach Erstluxation auf [18]. Nachuntersuchungszeiträume unter 2 Jahren könnten also zu verzerrten Reluxationsraten führen. In der Studie von Nikku et al. [88] mit einem mittleren Follow-up von 2,1 Jahren nach konservativer und operativer Therapie bei Patienten mit primärer Patellaluxation wurde eine Reluxationsrate in der operativen Gruppe von 17% und in der konservativen Gruppe von 27% festgestellt. In der Re-Evaluationsstudie [84] mit einem Follow-up von 7 Jahren stieg die Reluxationsrate in der operativen Gruppe auf 31% und in der konservativen Gruppe auf 39%. Dementsprechend fordern Atkin et al. [1] eine Nachuntersuchungszeit von mindestens 5 Jahren nach Verletzung. 2. Unterschiedliche Behandlungsalgorithmen. Sowohl konservative als auch operative Behandlungsmethoden unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander, sodass Vergleiche der Studien untereinander erschwert werden. So sind z. B. mehr als 100 verschiedene operative Verfahren zur Stabilisierung der Patella nach Luxation bekannt [157]. 3. Unterscheidung im Studiendesign zwischen primärer vs. rezidivierender Luxation. Nach Nikku et al. [84] und Cash und Hughston [6] gehören offene Wachstumsfugen vor allem beim weiblichen Geschlecht zu den Risikofaktoren für eine Reluxation nach Patellaerstluxation. Fithian et al. [19] haben festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Reluxation nach Patellaerstluxation bei 17% liegt und bei chronisch rezidivierenden Patellaluxationen auf 50% ansteigt. Fehlt im Studiendesign nun die Unterscheidung zwischen Erstund Reluxation, so werden bestimmte Patientengruppen, wie z. B. weibliche Patienten oder Patienten im Wachstumsalter, überproportional häufig repräsentiert. Die Reluxationsraten werden verzerrt. Außerdem wird dabei nicht in Betracht gezogen, dass sowohl das Aktivitätsniveau vor der Patellaluxation als auch die Unterschiede im körperlichen Befinden vor und nach Patellaluxation bei Patienten mit chronisch rezidivierenden Luxationen dementsprechend niedriger sein werden. Falsche Rückschlüsse auf die Epidemiologie und die Behandlungsergebnisse sind die Folge. 4. Unterschiedliche Patientenkollektive. Eine überproportionale Repräsentation bestimmter Subgruppen der Bevölkerung, wie z. B. eine Untersuchung aus Militärkrankenhäusern, sollte bei der Auswertung hinsichtlich demografischer Daten berücksichtigt werden. Physiotherapie bei konservativer Behandlung Bei Vorliegen eines deutlich ausgeprägten Hämarthros kann eine Kniegelenkspunktion mit Aspiration des Hämatoms durchgeführt werden, um dem Patienten Schmerzen und ein unangenehmes Druckgefühl zu nehmen. Zudem wird dadurch der Knieinnendruck gemindert und der Patient möglicherweise nach initialer Immobilisationsphase besser mobilisiert werden [3, 9]. Mäenpää et al. [18] haben in ihrer Untersuchung gezeigt, dass eine sofortige Mobilisation nach Patellaerstluxation das Risiko für eine Reluxation um das Dreifache erhöht. Des Weiteren untersuchten sie 3 Systeme zur Knieimmobilisierung/-stabilisierung und stellten fest, dass der posteriore Splint die besten Ergebnisse in der Nachbehandlung zeigt. Mäenpää et al. [18] und andere empfehlen eine Immobilisation im posterioren Splint an Unterarmgehstützen für 2 3 Wochen, da eine zu kurze Ruhigstellung zu erhöhten Reluxationsraten führt, was sie auf eine unzureichende Heilung der medialen passiven Strukturen zurückführen [1, 11]. Andere Autoren konnten nachweisen, dass durch die Ruhigstellung mittels Schienung eine signifikante Reduktion des patellofemoralen Schmerzes erreicht werden kann [89, 90]. Eine Reduktion des lateralen Patellatilts oder einer lateralen Subluxationsstellung durch Verwendung eine Knieschiene konnte hingegen nicht nachgewiesen werden [91, 92]. Eine Ruhigstellung mittels Knieschiene sollte in 15 20 Knieflexion erfolgen. In der Immobilisationsphase kann ein zusätzliches Taping sinnvoll sein, da es die Patella aus einer eventuell bestehenden Subluxationsstellung von den schmerzhaften Bereichen wegzieht und die Heilung der medialen passiven Strukturen in physiologischer Position erleichtert [93, 94]. Eine längere Immobilisationsphase sollte bei Beschwerdefreiheit vermieden werden, um eine Muskelatrophie, eine verminderte Gelenkbeweglichkeit und retropatellare Krepitationen im Sinne degenerativer Veränderungen einzuschränken [101]. Zu beachten ist ebenfalls die erhöhte Thrombosegefahr bei längerer Ruhigstellung. In der initialen Phase sollte das Ziel sein, Gelenkergüsse und Schmerzen weitestgehend zu reduzieren, eine Quadrizepsaktivierung möglichst frühzeitig zu fördern und eine vollständige Gelenkbeweglichkeit herzustellen [26]. Nach 2 3 Wochen Teilbelastung an UA-Gehstützen sowie Bewegungslimitierung mittels ROM-Schiene erfolgt eine schmerzadaptierte zunehmende Mobilisierung bis zum Erreichen des vollen Bewegungsumfangs und bis zur Vollbelastung [1, 9, 11]. Auf eine Schmerzfreiheit sollte bei allen physiotherapeutischen Maßnahmen geachtet werden. In den ersten Wochen der Rehabilitation sind muskelaufbauende Übungen mit geschlossener kinematischer Kette (GKK), z. B. Beinpresse, gegenüber-übungen mit offener kinematischer Kette (OKK), z. B. Kniebeugen mit Freihantel, zu bevorzugen [1]. Zum Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16

8 zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller Abb. 4 Drei häufig verwendete Verfahren zur Bestimmung der Patellahöhe. einen, weil GKK-Übungen funktioneller, sicherer in der Ausübung und effektiver sind [95, 96]. Zum anderen konnte belegt werden, dass das GKK-Training eine schnellere und stärkere Aktivierung des Vastus medialis obliquus bewirkt [97,98]. Des Weiteren könnte zusätzlich ein propriorezeptives Training mittels Vibroplatte (Rüttelbrett, Power Plate) erfolgen. Die muskelerhaltende bzw. muskelaufbauende Wirkung ist in der Literatur mehrfach belegt [136]. Ein Muskelaufbau ist hierbei ohne größere Gelenkbewegungen unter Belastung möglich. Die Patienten müssen allerding physisch/koordinativ in der Lage sein, diese Übungen zu bewältigen. Nach 5 bis 6 Wochen kann, unter Voraussetzung einer Schmerzfreiheit, mit vorsichtigem Lauf- und Ergotraining begonnen werden bis hin zur vollständigen Sportfreigabe im Verlauf [12]. In der Rehabilitationsphase kann ein Kinesio-Taping des Knies erfolgen. Dies fördert die Propriorezeption, und führt zu einer früheren und vermehrten Aktivierung des Vastus medialis obliquus unter Belastung [93, 99, 137]. Der Patient nimmt durch die zusätzliche Propriorezeption in der Rehabilitation, aber auch im Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16 Alltag bewusster die Gelenkstellung und Belastungen auf das Kniegelenk wahr. Nach Abschluss der Rehabilitationsphase sollte der Patient dauerhaft mindestens 1 2 mal pro Woche mit koordinativen, muskelkräftigenden und funktionserhaltenden Übungen fortfahren. Überwiegend wird in der Literatur bei Patellaerstluxation zunächst ein konservatives Vorgehen empfohlen. Eine Ausnahme bildet das Vorliegen einer osteochondralen Fraktur [4, 6, 7, 9, 70, 84, 100, 101]. Operative Therapie MPFL-Augmentation Die MPFL-Augmentation ist eine zunehmend verbreitete Operationstechnik zur Stabilisierung der Patella und wird von einigen Autoren als die primäre Technik bei rezidivierender Patellaluxation und bei Versagen der konservativen Therapie gesehen [12, 41, 70, 71, 139 141]. Das MPFL ist der primäre passive Stabilisator gegenüber einer lateralen Subluxation oder Luxation der Patella und bei einer Patellaluxation in über 90% rupturiert [11, 28, 34

zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller 9 Abb. 5 Der TTTG-(tibial tuberosity trochlear groove-)abstand. In der Überblendung zweier unterschiedlicher MRT- Schichten (1. Schicht Höhe Tuberositas tibiae, 2. Schicht Höhe Trochlea femuris) kann der TTTG-Abstand gemessen werden. Abb. 6 Bestimmung des patellaren Tilt nach Laurin. 37,39, 69,71]. Hautamaa et al. [28], Nomura et al. [71] und andere [142, 143] haben auf die Wichtigkeit einer anatomischen Rekonstruktion dieser Struktur hingewiesen. Das Ziel der Rekonstruktion ist eine Wiederherstellung der Funktion des MPFL, die darin liegt, die Patella in der Trochlea zu stabilisieren und laterale Subluxationen zu verhindern. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Techniken zur MPFL-Rekonstruktion ist in der Literatur beschrieben worden. Diese unterscheiden sich zum Teil sowohl im verwendeten Transplantat als auch in die Verankerungstechnik des Transplantats. Verwendet werden unter anderem ein Teil der Patellasehne [144 146], die Semitendinosussehne [140, 147, 148], die Grazilissehne [143] oder die Adduktor-magnus-Sehne [149]. Gomes [150] und Nomura und Inoue [23] haben über die Verwendung eines Polyesterimplantats berichtet. Mountney et al. [151] haben in ihrer Studie die Festigkeit diverser Fixationstechniken untersucht. Dabei erreicht die einfache Annaht des Transplantats eine Festigkeit bis zum Ausriss von 37 N im Vergleich zu 208 N des ursprünglichen MPFL. Die Zugfestigkeit unter Verwendung einer antegraden Interferenzschraube in einem blinden Tunnel betrug 126 N, eines Knochenankers mit Annaht 142 N und einer von lateral in den Femur eingebrachten Interferenzschraube, die das durch einen Tunnel gezogene Transplantat fixiert, 195 N. Unabhängig von der verwendeten Operationstechnik sollte eine anatomische Rekonstruktion von der proximalen medialen Patellakante zum Tuberculum adductorium erfolgen [152]. Abweichungen insbesondere von der femoralen anatomischen Insertionsstelle können zu einem erhöhten patellofemoralen Anpressdruck in Flexion oder Extension führen [152]. Zudem sollten das Transplantat und die Fixation möglichst stark sein, um eine frühzeitige Mobilisation zu ermöglichen [70]. In einer systematischen Literaturreview von Smith et al. [153] wurden die Ergebnisse von 8 Studien, in denen MPFL-Rekonstruktionen verwendet wurden, ausgewertet. Smith et al. beschreiben dabei, dass ein direkter Vergleich der Studien durch unterschiedliche Operationstechniken und Studiendesigns erschwert wurde. Die Reluxationsrate bei 115 MPFL-Rekonstruktionen betrug ca. 5%. Insgesamt zeigte sich eine signifikante Verbesserung des subjektiven und funktionellen Outcomes. Ein direkter Vergleich war allerdings aufgrund Verwendung jeweils unterschiedlicher Outcome-Scores nicht möglich. Gute Ergebnisse nach MPFL-Rekonstruktion bei rezidivierenden Patellaluxationen werden von diversen Autoren beschrieben [148, 154 157]. In den Studien, bei denen der Kujala-Score angegeben wurde, stieg dieser von durchschnittlich 48,4 Punkten präoperativ auf durchschnittlich 92 Punkte postoperativ [148, 149, 155, 158]. Bei der Auswertung von insgesamt 7 Studien mit einem Follow-up von durchschnittlich 5 Jahren, bei denen 170 MPFL- Augmentationen nach rezidivierender Patellaluxation durchgeführt wurden, kam es nur in 7 Fällen (4,12%) entweder zur Reluxation oder zur chronischen Subluxation [79]. Nach Nomura und Inoue [148] sollte eine MPFL-Augmentation nicht bei fortgeschrittener Chondromalazie der Patella erfolgen, da in ihrer Studie mit 12 Patienten nur diejenigen mit einer solchen Chondromalazie der Patella schlechte Ergebnisse erzielten. MPFL-Augmentation und Tuberositasosteotomie Drez et al. [140] und Hinton und Sharma [12] beschreiben in ihren Artikeln die sinnvolle Kombination zwischen einer MPFL- Augmentation und einer Tuberositasmedialisierung bei pathologisch erhöhtem Q-Winkel (TTTG-Abstand). Mikashima et al. [155] vergleichen in ihrer Studie das postoperative Ergebnis von 20 Patienten mit einem distalen Realignement in Form einer Elmslie-Trillat-Prozedur mit dem Ergebnis bei 20 Patienten mit einem distalen Realignement und zusätzlicher MPFL-Augmentation. Dabei stellte sich heraus, dass bei alleiniger Elmslie-Trillat- Prozedur in 6 Fällen ein deutlich positives Apprehension-Zeichen festzustellen war, während bei zusätzlicher MPFL-Augmentation kein solcher Fall auftrat. Zudem war bei ergänzender MPFL-Rekonstruktion die Patellastabilität signifikant höher als ohne Rekonstruktion. Cossey und Paterson bestätigten diese guten Ergebnisse mit einem guten postoperativen subjektiven Outcome und keiner Reluxation nach einem Follow-up von 23 Monaten nach Durchführung einer Tuberositasosteotomie bei gleichzeitiger MPFL- Augmentation [159]. MPFL-Augmentation bei Trochleadysplasie Eine weitere Indikation zur MPFL-Augmentation ist die rezidivierende Patellaluxation bei Vorliegen einer Trochleadysplasie [70, 149]. Steiner et al. [149] zeigten in ihrer Studie die Effektivität einer MPFL-Rekonstruktion bei Patienten mit chronischer Patellainsta- Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16

10 zorthop-2010-02-re-04461 (ou765) Satz Ziegler + Müller bilität und Trochleadysplasie. 34 Patienten wurden in einer retrospektiven Studie mit einem durchschnittlichen Follow-up von 66,5 Monaten nach MPFL-Rekonstruktion bei Trochleadysplasie nachuntersucht. Dabei traten keine Reluxationen auf. Der Kujala-Score verbesserte sich präoperativ zu postoperativ von 53,3 auf 90,7, der Lysholm-Score von 52,4 auf 92,1 und der Tegner-Aktivitätsscore von 3,1 auf 5,1 Punkte. Es konnte kein statistischer Unterschied zwischen erreichten Punktwerten und dem Grad der Dysplasie gefunden werden. Nomura et al. [156] führten eine prospektive Studie mit einem Follow-up von 5,9 Jahren durch, bei der 27 Patienten mit rezidivierender Patellaluxation mit einem MPFL-Ersatz in Form eines Polyesterimplantats versorgt wurden. Dabei zeigte sich ein durchschnittlich dysplastisch erhöhter Sulcuswinkel von 149. Anhand des Crosby-und-Insall-Scores waren die Ergebnisse in 94% gut und sehr gut. Trochleaplastik Bei der Trochleadysplasie ist weniger die laterale Trochleawand dysplastisch, als vielmehr der zentrale Anteil des Trochleasulcus erhöht. Dementsprechend favorisieren viele Operateure neben einer Anhebung der lateralen Trochleawand vor allem eine Trochleaplastik mit Absenkung des zentralen Trochleabereichs [160, 182]. Die Trochleaplastik ist ein komplizierter, sehr invasiver operativer Eingriff, bei dem eine inkongruente Gelenkfläche gebildet wird und im Verlauf die Gefahr eines Gelenkflächeneinbruchs sowie eines Knorpelschadens und Arthrosebildung besteht [70, 149, 161]. Bei Anhebung der lateralen Femurkondyle um mehr als 3 mm haben Kuroda et al. [162] einen erhöhten patellofemoralen Anpressdruck nachgewiesen. Verdonk et al. [163] sehen die Trochleaplastik als operative Alternative bei ausgeprägter Trochleadysplasie mit persistierenden Schmerzen und rezidivierenden Luxationen. In ihrer Studie berichteten sie von 13 Patienten mit rezidivierender Patellaluxation und bestehender Trochleadysplasie, bei denen eine Trochleaplastik durchgeführt wurde. Nach einem mittleren Follow-up von 18 Monaten zeigte sich keine Reluxation, aber 54% der Patienten erreichten schlechte und 23% mittelmäßige postoperative Ergebnisse im Larsen-Lauridsen-Score. Von Knoch et al. [164] führten 45 Trochleaplastiken (35 Patienten) mit medialer Dopplung und teilweiser MPFL-Augmentation durch. In der postoperativen Nachuntersuchung mit einem mittlerem Follow-up von 8,3 Jahren trat keine Reluxation auf und der mittlere Kujala-Score lag bei 94,9 Punkten. Bei 33,4% der Patienten verstärkte sich postoperativ der patellofemorale Schmerz. Prä- sowie postoperative Röntgenbilder waren bei 33 Patienten verfügbar. Hier zeigten sich präoperativ bei keinem Patienten eine patellofemorale Osteoarthritis Grad 2 4 nach Iwano et al. [179]. Postoperativ hingegen waren bei 33% radiologisch eine patellofemorale Osteoarthritis Grad 2 oder mehr nach Iwano et al. [179] nachweisbar. Weiker und Black [161] postulieren bei unbefriedigenden postoperativen Ergebnissen nach Trochleaplastik in ihrer eigenen Studie, dass die Trochleaosteotomie aufgrund der hohen Komplikationsrate als ein Ausweichverfahren bei Versagen anderer operativer Verfahren anzusehen ist. Frosch S et al. Die Therapie der Z Orthop Unfall 2011; 149: 1 16 Medialisierende Osteotomie der Tuberositas tibiae Um ein distales Malalignement zu adressieren, haben sich vor allem 2 Standardverfahren zur Patellastabilisierung bewährt. Zum einen die Medialisierung der Tuberositas tibiae nach Elmslie-Trillat und zum anderen die Anteromedialisierung der Tuberositas nach Fulkerson. Die Tuberositasmedialisierung ist indiziert bei rezidivierender Patellaluxation mit deutlich vergrößertem Q-Winkel oder vergrößertem TTTG-Abstand [102]. Der Q-Winkel gilt als pathologisch vergrößert bei > 15 bei Männern und bei > 20 bei Frauen [102, 103]. Ein normaler TTTG-Abstand kann bis zu 16 mm betragen, wobei im Allgemeinen eine OP-Indikation bei mehr als 20 mm gestellt werden kann [104, 165]. Kontraindikationen zur Tuberositasmedialisierung bestehen nach Andrish [102] und Barber und McGarry [105] zum einen bei Patienten im Wachstumsalter, da bei dieser Prozedur eine Verletzung der Wachstumsfuge mit der Folge eines Genu recurvatum entstehen kann und zum anderen bei degenerativen Veränderungen im medialen Femoropatellargelenk. Eine Medialisierung der Tuberositas tibiae kann einen vermehrten mechanischen Stress auf der medialen Gelenkseite hervorrufen, was bereits vorbestehende Knorpelschäden verstärken würde [102, 105]. Eine Übermedialisierung der Tuberositas von mehr als 15 mm kann einen erhöhten Anpressdruck im medialen Femoropatellargelenk hervorrufen [106]. Dementsprechend empfehlen Kuroda et al. [106], eine Übermedialisierung besonders bei Patienten mit einem Genu valgum, degenerativen Veränderungen im medialen Kompartiment und bei medialer Meniskektomie zu vermeiden. Eine solche Überkorrektur kann im Verlauf zum medialen Impingement, Subluxation oder gar zur Luxation führen [102]. Nakagawa et al. [107] führten nach Elmslie-Trillat-Prozedur an 45 Knien eine Nachuntersuchung mit einem Follow-up von 45 Monaten und noch einmal nach einem Follow-up von 161 Monaten durch. Dabei zeigten sich insgesamt 6 postoperative Reluxationen, die innerhalb des ersten Follow-up auftraten. Nach 45 Monaten erreichten 91% ein sehr gutes bis gutes Ergebnis im Fulkerson-Score, während nach 161 Monaten nur noch in 64% ein sehr gutes bis gutes Ergebnis erreicht werden konnte. Dabei stellten Nakagawa et al. [107] fest, dass eine Korrelation zwischen einer langen Periode von Erstluxation bis hin zur operativen Versorgung und einem schlechten Outcome besteht. Degenerative Veränderungen, die sich erst im 2. Follow-up vermehrt darstellten, scheinen die Ursache für das schlechtere klinische Ergebnis zu sein. Dementsprechend empfehlen Nakagawa et al. [107] eine frühzeitige operative Versorgung, bevor degenerative Veränderungen auftreten. Auch Krüger et al. [108] konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen einem schlechteren Ergebnis und höhergradigen Knorpelschäden, längerer präoperativer Anamnesedauer, höherem Patientenalter und voroperierten Kniegelenken evaluieren. In den Studien von Cox [109], Brown et al. [110], Krüger et al. [108], Conti et al. [111] und Wootton et al. [112] erfolgten bei Patienten mit rezidivierender Patellainstabilität insgesamt in 324 Fällen eine Elmslie-Trillat-Prozedur und eine anschließende Nachuntersuchung mit einem durchschnittlichen Follow-up von 3,6 Jahren. Dabei zeigten sich in der abschließenden Untersuchung in 77% der Fälle gute bis sehr gute Ergebnisse. Die Redislokationsrate lag bei unter 5%. Anteromedialisierung der Tuberositas tibiae Bei der Anteromedialisierung wird der Effekt eines distalen Realignements mittels Medialisierung mit einer Reduktion des patellofemoralen Anpressdrucks durch eine Ventralisierung der Tuberositas kombiniert [113 115]. Signifikant reduziert wird der Anpressdruck vor allem im distalen/lateralen Anteil der Patellafacette bei Eintritt in die Trochlea in früher Flexion und vor