Bachelorarbeit. Tanja Christin Binder Geschlechtsspezifische Betrachtung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gesundheitsförderung und Prävention

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Transkript:

Bachelorarbeit Tanja Christin Binder 0833390 Geschlechtsspezifische Betrachtung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Gesundheitsförderung und Prävention Medizinische Universität Graz Studium der Gesundheits- und Pflegewissenschaft Begutachterin: Mag. a Waltraud Ebermann Kochgasse 3-5/18c 1080 Wien Lehrveranstaltung: Gesundheitspsychologie, Geschlechtsspezifisches Gesundheitshandeln Einreichung: Mai 2012

Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe. Graz, am 25. Mai 2012 Unterschrift: I

Zusammenfassung Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems zählen laut Zahlen der Statistik Austria zu den häufigsten Todesursachen in Österreich. Seit Jahren sind geschlechtliche Unterschiede in Ursachen, Verlauf, Prognosen, Therapieansätzen und vor allem in der Gesundheitsförderung und Prävention bekannt, wobei die Gründe dafür jedoch zu einem großen Teil unbekannt sind. Ziel der Arbeit ist, bestehende geschlechtliche Unterschiede der Herz-Kreislauf- Erkrankungen mit besonderer Berücksichtigung der Gesundheitsförderung und Prävention aufzuzeigen. Dies wird durch eine Literaturrecherche in verschiedenen Bibliotheken und Datenbanken und einer anschließenden Zusammenfassung der Literatur versucht. Das Ergebnis der Recherche zeigt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Gesellschaft als Männerkrankheit betrachtet werden, Frauen jedoch zu einem gleich großen Teil davon betroffen sind und in vielerlei Hinsicht sogar benachteiligt werden. So haben Frauen in jüngeren Jahren zwar einen hormonbedingten Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sind aber durch das Gesundheitssystem bereits vom Beginn einer Behandlung bis hin zur erhaltenen Therapie, Diagnostik und Rehabilitation benachteiligt. Weiters zeigt sich, dass Frauen wesentlich häufiger an Programmen zur Gesundheitsförderung und Prävention teilnehmen, obwohl diese ursprünglich meist auf die Bedürfnisse der Männer zugeschnitten wurden. Schlussfolgernd muss festgestellt werden, dass in Zukunft vor allem die Strategie des Gender Mainstreamings im Gesundheitssystems beachtet werden soll, um geschlechtliche Unterschiede minimieren zu können, sodass auch Frauen als Herzpatientinnen propagiert werden. II

Abstract Diseases of the cardiovascular system are very common in Austria. There are many gender differences in causes of disease, process, prognosis, therapies and particularly in health promotion and prevention. Reasons for that are mostly unclear. The aim of this research is to establish existing gender differences of cardiovascular diseases with regard to health promotion and prevention. In this research, reading relevant literature and retrieving information from medical databases helped to elaborate on this topic and delivered the result that cardiovascular diseases are seen as male dominated disease by most part of the population. However, women are concerned of cardiovascular diseases too. Even though females have a hormonal protection, they are disadvantaged by the existing health system, from the beginning of the diagnose to therapy, clinical diagnostics and rehabilitation. Additionally, women participate more often in programmes of health promotion and prevention than men do, although the programmes are based on men s needs. In future, it will be very important to implement the political strategy of gender mainstreaming with the goal to minimize gender differences and to publicise women as heart patients. III

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 1 2. Definitionen... 3 2.1 Sex versus Gender... 3 2.2 Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention... 3 2.3 Das triadische Präventionsmodell... 4 2.4 Arteriosklerose... 5 2.5 Koronare Herzkrankheit... 5 2.6 Angina pectoris... 5 2.7 Herzinfarkt... 6 3. Allgemeines zum geschlechtlichen Unterschied von Herz-Kreislauf-Erkrankungen... 7 3.1 Gender-Differenzen der spezifischen Erkrankungen... 8 3.2 Gender Differenzen in der Notaufnahme von Innsbruck nach der Studie von Professor Dr. Hochleitner... 9 3.2.1 Frauen verschwinden am Weg durch die Kardiologie... 9 3.2.2 Das Yentl-Syndrom... 12 3.3 Gendersensible Wissenschaft und Herz-Kreislauf-Erkrankungen... 12 4. Epidemiologie... 14 4.1 Internationaler Vergleich von Männern und Frauen... 14 4.2 Nationaler Vergleich von Männern und Frauen... 17 5. Risikofaktoren allgemein... 20 6. Geschlechtsspezifische Risikofaktoren... 21 6.1 Geschlechtsspezifische Merkmale und Unterschiede der Risikofaktoren... 23 6.1.1 Frauenspezifische Risiko- und Schutzfaktoren... 24 6.1.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirkung von kardiovaskulären Arzneimitteln... 25 6.2 Unterschiede beim Einfluss sozialer und psychosozialer Faktoren... 25 7. Geschlechtszugehörigkeit und Gesundheit... 27 IV

8. Prävention und Gesundheitsförderung... 30 8.1 Geschlechterperspektive in der Gesundheitsförderung... 31 8.2 Gender-Mainstreaming... 32 8.3 Geschlechtsspezifische Inanspruchnahme... 33 8.4 Primär- und Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen... 36 8.5 Die Frau als Herzpatientin propagieren... 39 8.6 Herzsport- und Herzgruppen... 40 9. Schlussfolgerung und Ausblick... 41 10. Literaturverzeichnis... 44 V

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Die unterschiedliche Versorgung von Männern und Frauen bei Herzerkrankungen (Voß 2007, S. 59)... 8 Abbildung 2: Anteil von Männern und Frauen bei der Todesursache durch koronare Herzkrankheit, Aufnahme mit der Diagnose Herzinfarkt an der medizinischen Universitätsklinik Innsbruck und Überweisung auf die Intensivstation (Hochleitner 1998, S. 165)... 11 Abbildung 3: Infarktraten pro 100.000 EW pro Jahr im internationalen Vergleich (Härtel 2002, S. 274)... 15 Abbildung 4: 28-Tage-Sterblichkeit nach Infarkt in % im internationalen Vergleich (Härtel 2002, S. 274)... 15 Abbildung 5: Entwicklung der altersstandardisierten Todesraten für ischämische Herzkrankheiten für Männer in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU (Samitz 2009, S. 5)... 16 Abbildung 6: Entwicklung der altersstandardisierten Todesraten für ischämische Herzkrankheiten für Frauen in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU (Samitz 2009, S. 5)... 17 Abbildung 7: Gestorbene in Österreich 2009 nach Hauptgruppen der Todesursachen und Geschlecht in Prozent (http://www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/todesursachen/todes ursachen _ausgewaehlte/024439.html; Zugriff am 20.03.2012)... 18 Abbildung 8: Sterbefälle pro 100.000 EW nach akutem Myokardinfarkt in Österreich 2009 (Zahlen von Daten der Statistik Austria berechnet; http://www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/todesursachen/todes ursachen_im_ueberblick/index.html; Zugriff am 20.03.2012)... 19 Abbildung 9: Unterschiedliches Gewicht verschiedener kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Frauen und Männern (Weber, Auer et al. 2004, S. 346).... 23 Abbildung 10: Unterschiedliche Lebenserwartung nach Sozialschicht- und Geschlechtszugehörigkeit für die Jahre 1977 1999 in England und Wales. Quelle: Nationales Amt für Statistik, England (Naidoo, Wills 2010, S. 29) 28 Abbildung 11: Vorsorgeuntersuchungen nach Geschlecht. Quelle: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (Rabady, Rebhandl 2004, S.17).... 34 Abbildung 12: Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen nach Alter und Geschlecht in Prozent im Jahr 2003 (Kolip, Koppelin 2002, S. 494).... 35 VI

1. Einleitung Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems spielen in der heutigen Gesellschaft eine zentrale Rolle. Sie zählen laut Statistik Austria zu den derzeit häufigsten Todesursachen in Österreich. Und dennoch haben Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems das Image der Männerkrankheit. Seit Jahren sind für diese Erkrankung enorme Geschlechtsunterschiede in den Ursachen, im Verlauf und in den Genesungschancen bekannt. Die Gründe für die geschlechtlichen Unterschiede sind nicht vollständig geklärt, doch häufen sich die Hinweise, dass neben möglichen biologischen Unterschieden auch das Versorgungssystem des Gesundheitswesens daran beteiligt ist (Kuhlmann, Kolip 2005, S. 141). Geschlechtersensible Analysen zeigen deutlich, dass durch eine vermeintliche geschlechtsneutrale Orientierung am Normmodell eine Über-, Unter- und Fehlversorgung produziert werden kann. Somit ist eine gendersensible Analyse der Gesundheitsversorgung dringend notwendig, denn am Beispiel von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird deutlich, dass ein geschlechtsneutrales Versorgungsmodell weder den Bedürfnissen von Frauen, noch denen der Männer gerecht wird (Kuhlmann, Kolip 2005, S. 143). So sind bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen Geschlechtsunterschiede vor allem bei den Risikofaktoren, in der Diagnostik, der chirurgischen und medikamentösen Therapie sowie bei den rehabilitativen Angeboten nachgewiesen worden. Das Geschlecht ist daher in allen Krankheitsstadien und allen Versorgungsbereichen, vor allem in der Prävention, Behandlung und Gesundheitsförderung, ein versorgungsrelevantes Kriterium. Bedeutend sind vor allem die Defizite einer geschlechtsneutralen Strategie, da die Angebote derzeit nur auf ein Geschlecht zugeschnitten sind. So sind fast alle Versorgungsangebote nach den an Männern gemachten Beobachtungen entwickelt, erforscht und evaluiert und somit auch auf den Bedarf und die sozialen Lebenslagen von Männern zugeschnitten worden. Aufgrund dessen scheint das weit verbreitete Bild der Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Männerkrankheit der größte Risikofaktor für Frauen zu sein (Kuhlmann, Kolip 2005, S. 167-170). Durch die allgemein vorhandenen geschlechtlichen Differenzen stellen sich nun die Fragen, wie sich Männer und Frauen vor allem in den Bereichen der Gesundheitsförderung und Prävention der Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterscheiden und wie diese Unterschiede in Zukunft minimiert werden können. 1

Um diese Fragen beantworten zu können, wurde eine Literaturrecherche in den Bibliotheken der Medizinischen Universität Graz und in der Karl-Franzens- Universität Graz sowie in den Datenbanken PubMed und Cinahl durchgeführt. Das Thema der Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stellt eine große Relevanz für die heutige Gesundheitsförderung und Prävention dar. Zum einen sind sehr viele Menschen davon betroffen und zum anderen hat die Entwicklung dieser Erkrankungen für die Bevölkerung folgenschwere Konsequenzen. Der tödliche Ausgang nach einem Myokardinfarkt spielt, wie später noch erläutert wird, vor allem für Frauen eine tragende Rolle. Daher ist es von großer Bedeutung, die verschiedenen Risikofaktoren und die unterschiedliche Symptomatik rechtzeitig bei beiden Geschlechtern zu erkennen, um den Zustand der Bevölkerung beurteilen und die Wichtigkeit von Präventionsprogrammen und Gesundheitsförderungsprojekten, die sich an den Bedürfnissen von Männern und Frauen orientieren, deutlich machen zu können. 2

2. Definitionen Um mit dem Thema besser vertraut zu werden, ist es von Bedeutung, die am häufigsten vorkommenden Krankheitsbilder kurz zu erläutern und zu definieren. In der folgenden Arbeit wird als zentrales Thema die koronare Herzkrankheit mit der Folge des Myokardinfarkts betrachtet und mit den unterschiedlichen Geschlechtern in Beziehung gesetzt. 2.1 Sex versus Gender Der Begriff Gender wird heutzutage sehr häufig verwendet und meistens als Synonym für Geschlecht gebraucht, wobei dabei nur zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht unterschieden werden kann. Um den richtigen Kontext von Sex und Gender zu verstehen, ist eine Differenzierung dieser Begriffe notwendig. Als Sex wird die biologische Ausrichtung eines Lebewesens aufgrund der genetischen Verteilung, der Reproduktionsorgane und deren Funktion und die damit verbundene Zuordnung zu männlich und weiblich bezeichnet. Im Gegensatz zu Sex als biologisches Geschlecht handelt es sich bei Gender im Hintergrund zwar auch um biologische Funktionen, jedoch umfasst der Begriff die Prägung Mann und Frau dabei mehr. Es handelt sich dabei um die Entwicklung zu Mann und Frau durch die Umwelt, das soziale Umfeld und die Erfahrungen des einzelnen Individuums als männlich oder weiblich. Somit kann Gender als das soziale Geschlecht bezeichnet werden (Lohff, Rieder 2004, S. 1-2). 2.2 Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention Der Begriff Krankheitsprävention, meist abgekürzt mit Prävention, entwickelte sich aus der Sozialmedizin des 19. Jahrhunderts aufgrund der Debatte um Volksgesundheit und soziale Hygiene. Prävention wird oft auch mit den Begriffen Vorbeugung, Vorsorge oder Prophylaxe verwendet und bezeichnet alle Ansätze, die eine Vermeidung des Auftretens und damit die Verringerung der Ausbreitung und die Verminderung der Auswirkung von Krankheiten zum Ziel hat. Der entscheidende Ansatz ist das Zurückdrängen der auslösenden Faktoren von Krankheit. Der Begriff Gesundheitsförderung hingegen entwickelte sich aus den gesundheitspolitischen Debatten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 3

Bei der Gesundheitsförderung geht es um eine Promotionsstrategie, bei der die Menschen durch die Verbesserung ihrer Lebensumstände eine Stärkung der gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten erhalten sollen. Als Gemeinsamkeit beinhalten beide Begriffe Handlungsschritte, also Formen der Intervention. Es handelt sich bei beiden um gezieltes Eingreifen von Personen oder Institutionen, um Gesundheit in relevanten Bevölkerungsgruppen zu beeinflussen. Der Hauptunterschied dieser beiden Konzepte liegt darin, dass die Krankheitsprävention alle Eingriffe bezeichnet, die dem Eintreten oder der Ausbreitung einer Krankheit vorbeugen und die Gesundheitsförderung alle Eingriffe beinhaltet, die der Stärkung von individuellen Fähigkeiten der Lebensbewältigung dienen (Hurrelmann, Klotz et al. 2010, S.13-14). 2.3 Das triadische Präventionsmodell Bei dem triadischen Präventionsmodell wird die Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterschieden. Zu der Primärprävention zählen alle Aktivitäten zur Vermeidung auslösender oder vorhandener Teilursachen und Risikofaktoren bestimmter Erkrankungen. Sie setzt bereits vor Eintritt einer erkennbaren Schädigung ein. Das Ziel der Primärprävention besteht sowohl in der Risikosenkung als auch in der Risikoeliminierung. In Bezug auf die Gesundheitspolitik steht die Senkung der Inzidenzrate einer Krankheit innerhalb einer Population im Vordergrund. Sekundärprävention hingegen zielt auf die frühzeitige Entdeckung von klinisch noch symptomlosen Frühstadien einer Erkrankung und der dadurch entstehenden Frühtherapie ab. Die Methoden beinhalten Vorsorgeuntersuchungen, Gesundheitschecks sowie spezifische Früherkennungsmaßnahmen. Gesundheitspolitisch handelt es sich bei der Sekundärprävention um die Senkung der Inzidenz von manifesten oder fortgeschrittenen Erkrankungen. Als Tertiärprävention wird die wirksame Behandlung einer bereits symptomatisch gewordenen Erkrankung bezeichnet. Das Ziel besteht darin, einerseits eine Verschlimmerung zu vermeiden und andererseits Funktionsverluste zu vermeiden oder zu verzögern. In der Gesundheitspolitik stehen bei der Tertiärprävention alle Anstrengungen im Vordergrund, die die Leistungsfähigkeit so weit wie möglich wieder herstellen, erhalten und die Inzidenz bleibender Beeinträchtigungen und Behinderungen senken (Naidoo, Willis 2010, S. 87). 4

2.4 Arteriosklerose Arteriosklerose als Hauptursache für koronare Herzerkrankungen ist eine nicht entzündliche Arterienerkrankung, die zu einer Verdickung, Verhärtung und einem Elastizitätsverlust der Gefäßwand führt. Die Entstehung stellt einen jahrelangen Prozess dar, in dem das Auftreten bestimmter kardiovaskulärer Risikofaktoren ursächlich für die entsprechenden Gefäßveränderungen sind. Die Arteriosklerose tritt hauptsächlich an den Herzkranzarterien auf, kann aber auch die Arterien der Extremitäten, des Gehirns oder der Nieren betreffen (Wonisch 2009, S. 39). 2.5 Koronare Herzkrankheit Die koronare Herzkrankheit, meist auch mit KHK abgekürzt, ist eine Manifestation der Arteriosklerose an den Herzkranzarterien. Diese Arteriosklerose führt in den Herzkranzgefäßen zu einer Verengung, die als Folge ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf im Herzmuskel mit sich bringt. Die dadurch entstehende Mangeldurchblutung kann zu einer Angina pectoris, einem Herzinfarkt, einer Herzmuskelschädigung durch Sauerstoffmangel oder zu Herzrhythmusstörungen führen (Wonisch 2009, S. 42-43). 2.6 Angina pectoris Angina pectoris bedeutet wörtlich übersetzt Brustenge und äußert sich vor allem durch Schmerzen hinter dem Brustbein, einem dumpfen Druckgefühl oder einem scharfen Brennen in der Brust. Ursache für diese Symptome stellt eine reversible Sauerstoffmangelversorgung des Herzmuskels dar, welche durch eine Verengung der Herzkranzgefäße auftreten kann. Angina-pectoris-Beschwerden treten eher bei körperlicher und/oder psychischer Belastung sowie bei Kälte auf. Durch Rasten, Stehenbleiben oder durch Nitroglyzerin bessern sich die Beschwerden meist nach einigen Minuten. Bei diesem Zustandsbild werden die stabile Form, welche sich durch über Monate gleich bleibende Schmerzen unter Belastung, wie Stiegen steigen, Tragen von Einkaufstaschen oder Stress auszeichnet und die instabile Form, die durch Schmerzen auch in Ruhe und Verschlechterung der Symptome gekennzeichnet ist, unterschieden (Wonisch 2009, S. 42). 5

2.7 Herzinfarkt Mit einem Herzinfarkt, oder auch Myokardinfarkt, wird die Verstopfung eines der Herzkranzgefäße durch ein Blutgerinnsel bezeichnet. Als Folge kann das Blut nicht mehr zirkulieren und dadurch wird die Sauerstoffzufuhr unterbrochen. Im Gegensatz zur Angina pectoris führt die durch den Infarkt entstandene Sauerstoffunterversorgung zu einem irreversiblen Untergang des Herzmuskelgewebes. Wenn dieses Herzkranzgefäß nicht rasch wieder geöffnet wird, sterben Teile des betroffenen Herzmuskels ab und es entsteht im Infarktgebiet ein Narbengewebe (Wonisch 2009, S. 42). 6

3. Allgemeines zum geschlechtlichen Unterschied von Herz-Kreislauf- Erkrankungen Der in der heutigen Gesellschaft so rege diskutierte Unterschied zwischen Mann und Frau lässt sich auch bei Herzerkrankungen feststellen. Sowohl Angina pectoris als auch eine Herzinsuffizienz können als Vorboten eines Herzinfarktes angesehen werden. Obwohl der Herzmuskel bei Männern und Frauen dieselbe Funktion erfüllen muss, gibt es doch wesentliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dabei kann die Differenzierung in Bezug auf das Alter, in dem die Erkrankungen auftreten, die mit ihr auftretenden Beschwerden, die Überweisung zu Fachärzten und zur Notfallaufnahme, die Gefahr eines plötzlichen Herztods sowie über die Begleiterkrankungen wie Depressionen erfolgen. Zwar sterben Männer häufiger in jüngeren Jahren an einem Herzinfarkt, jedoch holen Frauen im höheren Alter wieder auf. So zeigte eine Todesursachenstatistik von 2002, dass ungefähr 10 000 Frauen mehr als Männer an einem kranken Herz verstarben. Untypische Symptome sind ein weiterer wesentlicher Punkt, die den geschlechtlichen Unterschied verdeutlichen. So kündigt sich ein Infarkt bei Frauen oft bereits schon bis zu vier Wochen vor dem Ereignis mit Schlafstörungen, Müdigkeit, Nervosität, Angst oder auch Übelkeit und Erbrechen an, wobei das typische Symptom des Brustschmerzes viel häufiger bei Männern auftritt (Voß 2007, S. 54-55). Dieses Phänomen wurde auch in der Studie von Lockyer beschrieben. Das Ergebnis dieser Studie verdeutlicht, dass Frauen meist an anderen Symptomen leiden und diese auch selbst seltener als herzspezifische Symptome erkennen. Die befragten Frauen dieser Studie verdeutlichen zudem, dass sie sich selbst auch nicht als Risikopatientinnen für ein akutes Herz-Kreislauf-Geschehen einstufen (Lockyer 2005, S. 34). Zusätzlich ist bekannt, dass Frauen bis heute weniger wirksame Medikamente gegen die Risikofaktoren einer koronaren Herzkrankheit und Diagnostikverfahren verordnet bekommen als Männer (Voß 2007, S. 58). Die unterschiedliche Versorgung von Männern und Frauen bei Herzerkrankungen wird in Abbildung 1 dargestellt. 7

Abbildung 1: Die unterschiedliche Versorgung von Männern und Frauen bei Herzerkrankungen Versorgung von Männern und Frauen 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Männer Frauen Abbildung 1: Die unterschiedliche Versorgung von Männern und Frauen bei Herzerkrankungen (Voß 2007, S. 59). Insgesamt wird deutlich, dass die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zwischen den Geschlechtern nicht nur uneinheitlich ist, sondern bei Frauen auch weniger leitliniengerecht erfolgt (Kuhlmann, Kolip 2005, S. 164). 3.1 Gender-Differenzen der spezifischen Erkrankungen Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung treten bei Männern ab dem Alter von 45 Jahren, jedoch bei Frauen erst ab dem 55. Lebensjahr auf, wobei die koronare Mortalität, wie bereits zuvor erwähnt, bei Frauen dennoch wesentlich höher ist als bei Männern. Die Prävalenzrate des Syndroms der Herzinsuffizienz ist bei Männern und Frauen gleich groß, wobei der Anteil der Männer zwischen dem 70. und 75. Lebensjahr überwiegt, der Anteil der Frauen aber dann im höheren Alter (Weber, Auer et al. 2004, S. 372). Jedoch lässt sich bei Männern eine höhere systolische Dysfunktion erkennen, wobei Frauen häufiger an Herzklappenerkrankungen leiden. Von Herzrhythmusstörungen mit der Folge des plötzlichen Herztods sowie Vorhofflimmern sind generell mehr Männer als Frauen betroffen (Weber, Auer et al. 2004, S. 343-344). 8

3.2 Gender-Differenzen in der Notaufnahme von Innsbruck nach der Studie von Professor Dr. Hochleitner Professor Dr. Margarethe Hochleitner untersuchte im Jahr 1997 die Geschlechterdifferenzen bezüglich der Herz-Kreislauf-Mortalität in einer Notfallaufnahme in Innsbruck Stadt. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass mehr Frauen (57,6%) als Männer (42,4%) mit einer kardiologischen Diagnose in der Notfallaufnahme behandelt wurden. Daraus kam sie zu dem Schluss, dass sich Frauen ihres kardiologischen Risikos sehr wohl bewusst sind. Dennoch kam sie bei anderen Faktoren zu einem eindeutigen Geschlechterunterschied im Zugang zur klinischen Medizin. Generell stellt sich laut ihrer Studie der Weg zur klinischen Kardiologie für Frauen länger als für Männer dar, was sowohl den Weg zur invasiven Therapie als auch zur Diagnostik mit einschließt. Weiters werden wesentlich mehr Frauen (44,6%) als Männer (38,8%) nach erfolgter Erstversorgung bereits wieder nach Hause geschickt. Außerdem wurden die von der Klinik aufgenommenen Frauen seltener auf eine Intensivstation aufgenommen als Männer. Obwohl wesentlich mehr Frauen wegen Herzbeschwerden bereits vor einem akuten Geschehen in ärztlicher Behandlung sind, erhält ein größerer Anteil an Männern verschiedene Diagnoseverfahren wie eine Echokardiographie, eine Ergometrie sowie eine Koronarangiographie. Somit weisen Männer eine wesentlich höhere Chance zum Zugang verschiedener Untersuchungsmethoden auf (Hochleitner 1998, S. 63-65). Bereits aus dieser Untersuchung lässt sich erkennen, dass auch in Österreich enorme geschlechtsspezifische Differenzen herrschen, welche sich vor allem negativ auf die Gesundheit der Frauen auswirken können. Auch hier spiegelt sich die Wichtigkeit einer gendersensiblen Betrachtung im Gesundheitssystem wider. 3.2.1 Frauen verschwinden am Weg durch die Kardiologie Wie bereits im vorigen Punkt beschrieben wurde, genießen Männer in der Erstversorgung, Diagnostik und Behandlung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, insbesondere bei einem Myokardinfarkt, einen Vorteil. Gerade deshalb stellt sich für Professor Dr. Hochleitner die Frage, wie es möglich sein kann, dass laut Totenschein die Zahlen der an koronarer Herzkrankheit Verstorbenen bei Männern und Frauen gleich sind. 1995 wurden laut dem Koronarregister in den Tiroler Krankenanstalten 662 Patienten und Patientinnen mit akutem Herzinfarkt stationär aufgenommen, wobei dabei der Anteil der Frauen auch nur mehr 34,9 % betrug. Somit sind bereits auf dem kardiologischen Weg 9

vom Zeitpunkt des Auftretens eines Herzinfarktes erschreckend viele Frauen verschwunden. Auf dem Weg von der Aufnahme bis zur internistischen Intensivstation der Universitätsklinik in Tirol hat sich der Frauenanteil weiter verringert, denn die verschwundenen Frauen wurden auf einer medizinischen Normalstation aufgenommen. Derselbe Trend zeigte sich auch bei den Untersuchungsmethoden für koronare Herzkrankheit. Sowohl eine Myokardszintigraphie als auch eine Koronarangiographie wurden vermehrt bei Männern durchgeführt. Die Indikation zu einer Bypass-Operation wurde zum Großteil für Männer gestellt und von den anschließenden Transferierungen an ein Rehabilitationszentrum betrug der Anteil der Frauen nur mehr 13,3%. Wieder sind Frauen auf dem Weg der posthospitalen Betreuung verschwunden (Hochleitner 1998, S. 162-164). In Abbildung 2 wird der Verlust der Frauen auf dem Weg zur Kardiologie graphisch dargestellt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zwar gleich viele Frauen wie Männer am selben Krankheitsbild versterben, jedoch die Behandlung überwiegend auf Männer fällt. 10

Abbildung 2: Anteil von Männern und Frauen bei der Todesursache durch koronare Herzkrankheit, Aufnahme mit der Diagnose Herzinfarkt an der medizinischen Universitätsklinik Innsbruck und Überweisung auf die Intensivstation Gesamttirol - Todesursache Koronare Herzkrankheit 50% 50% Männer Frauen Aufnahme mit der Diagnose "Herzinfarkt" an der medizinischen Universität Innsbruck 35,2% 64,8% Männer Frauen Aufnahme in die Intensivstation der medizinischen Universitätsklinik Innsbruck 32,9 % 67,1 % Männer Frauen Abbildung 2: Frauen mit koronarer Herzkrankheit verschwinden am Weg durch die Kardiologie (Hochleitner 1998, S. 165). 11

Somit könnte der Gedanke, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine reine Männerkrankheit sind, tatsächlich in den Köpfen aller, sowohl in denen der Experten und Expertinnen als auch in denen der Betroffenen, fest verankert sein. 3.2.2 Das Yentl-Syndrom Zur Bestätigung der vorherrschenden Meinung, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Männerkrankheit darstellen, verglich Dr. Margarethe Hochleitner dieses Phänomen mit dem sogenannten Yentl-Syndrom. Die Person Yentl kam ursprünglich in einem Buch von Isaac Singer vor, in dem das Mädchen namens Yentl von seinem Vater nach dem jüdischen Glauben unterrichtet wurde, obwohl dies für Mädchen nicht erlaubt war. Anschließend musste sich Yentl als Mann verkleiden, um die Talmudschule besuchen zu dürfen. So wie in dieser Geschichte muss scheinbar auch die herzkranke Frau beweisen, dass sie genauso krank sein kann wie ein Mann. So folgert Dr. Hochleitner anhand zahlreicher Studien, dass die Frau auf Intensivstationen erst dieselbe Behandlung wie ein Mann erhält, wenn sie zweifelsfrei bewiesen hat, einen Herzinfarkt erlitten zu haben. Wenn dieser Schluss tatsächlich zutrifft, entsteht daraus die Konsequenz, dass der Beweis der Frau, eine ernstzunehmende Herzpatientin zu sein, zu viel Zeit in Anspruch nimmt, um eine adäquate Behandlung, wie etwa eine thrombolytische Therapie, noch möglich zu machen. Diese längere Zeitspanne, die Frauen benötigen, um sich selbst, ihre Umgebung und das Gesundheitssystem von ihrem Herzinfarkt zu überzeugen, könnte eine wichtige Ursache für einige geschlechterspezifische Unterschiede darstellen, denn keiner von diesen beteiligten Akteuren hat voll zur Kenntnis genommen, dass der Tod durch Herz- Kreislauf-Erkrankungen die Haupttodesursache für Frauen ist (Hochleitner 1997, S. 15). 3.3 Gendersensible Wissenschaft und Herz-Kreislauf-Erkrankungen Es wurde bereits aufgezeigt, dass generell ein großes Ungleichgewicht einerseits im Risikobewusstsein der einzelnen Geschlechter und andererseits im Vorhandensein gleichberechtigter wissenschaftlicher Studien vorliegt. So zeigte 1960 die American Heart Association, dass nicht nur Ärzte und Ärztinnen, sondern auch die Frauen selbst glauben, dass sie einem kleinen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgesetzt sind. 73% der Befragten schätzten das eigene Risiko, im Alter von 70 Jahren an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken, als weniger von ein Prozent ein. 12

Die Bewusstseinsbildung hat sich bis heute zwar bereits entscheidend verändert, müsste jedoch weiterhin an Bedeutung zunehmen, da bei Frauen mehr als die Hälfte aller Todesfälle auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen sind. Dass in einem Jahr mehr Frauen als Männer an den Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen versterben, konnte auch in den Jahren von 1995 bis 2000 im österreichischen Bundesland Tirol durch Untersuchungen von Margarethe Hochleitner nachgewiesen werden. Auch in wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien ist das Augenmerk meist auf eine männliche Population gelegt. So wurden Frauen über viele Jahre systematisch von kardiologischen Studien ausgeschlossen und sind auch in neueren Studien meist unterrepräsentiert. Sei es in der Zusammenstellung der Untersuchungsgruppen, dem gänzlichen Ausschluss von Frauen aus Studien oder der alleinigen Angabe von Männeranteilen, die Aussagekraft der Untersuchungen bezüglich Frauen ist eingeschränkt (Weber, Auer et al. 2004, S. 344-345). Es wurden nicht nur Studien zu Ursachen, zum Verlauf und zu Behandlungsmöglichkeiten der Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorwiegend an Männern durchgeführt, sondern auch Präventionskonzepte ohne einen Blick auf Geschlechtsunterschiede entwickelt. Trotz des so offensichtlichen Male Bias beanspruchen die Ergebnisse die allgemeine Gültigkeit und werden ungeprüft auf Frauen übertragen (Kuhlmann, Kolip 2005, S.142). 13

4. Epidemiologie Sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen also doch eine Männerkrankheit? Wie folgend beschrieben widerlegen die absoluten Zahlen diese Vermutung. Da der demographische Anteil der Frauen mit zunehmendem Alter größer wird, sterben absolut betrachtet mehr Frauen als Männer an ischämischen Herzerkrankungen (Kuhlmann, Kolip 2005, S. 145). Des weiteren sind Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems vor allem in den westlichen Ländern sehr häufig anzutreffen. Wie später im nationalen Vergleich noch näher erläutert, zeigt die Verteilung der Todesursachen, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen fast die Hälfte aller Todesursachen ausmacht. Generell lässt sich sagen, dass die Prävalenz verschiedener Herzerkrankungen vom Geschlecht abhängig ist und mit steigendem Alter zunimmt (Rosenkranz 2006, S. 1-2). 4.1 internationaler Vergleich von Männern und Frauen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems stellen nicht nur in Österreich eine zentrale Rolle für die Gesellschaft dar, sondern werden auch als internationales Problem gesehen. Die unterschiedlichen Morbiditäts- und Mortalitätsraten von Frauen und Männern sind aufgrund des WHO-MONICA-Projektes (MONICA = monitoring of trends and determinants in cardiovascular diseases) gut bekannt. Die Ergebnisse zeigen, dass wesentlich mehr Männer einen Herzinfarkt erleiden als Frauen. In Abbildung 3 und Abbildung 4 sind die Unterschiede der Infarktraten und die 28-Tage-Sterblichkeit nach Infarkten von verschiedenen Populationen im Geschlechtervergleich angegeben. Dabei ist erkennbar, dass Frauen in allen angegebenen Ländern eine geringere Infarktrate aufweisen als Männer. In Peking ist die Infarktrate pro 100 000 Einwohner pro Jahr generell am niedrigsten, wobei nur 35 Frauen, aber 81 Männer erkranken. Im Vergleich dazu besitzt Glasgow die höchsten Raten mit 265 Frauen und unglaubliche 777 Männer. Sehr erstaunlich ist aber, dass die 28-Tage-Sterblichkeit nach Infarkten (in % angegeben) bei Frauen in den meisten Ländern deutlich höher ist. Am häufigsten sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Männer und Frauen in Brianza (Italien) und Katalonien (Spanien), am geringsten in Peking (China) und Glasgow (UK). Hier erleiden Männern nur dreimal so häufig einen Herzinfarkt als Frauen. Jedoch sind die geschlechtsspezifischen Differenzen nicht abhängig von der Häufigkeit der Herzinfarkte. Warum diese Unterschiede von Männern und Frauen innerhalb der Regionen vorhanden sind, ist noch nicht geklärt (Härtel 2002, S. 273-275). 14

Abbildung 3: Infarktraten pro 100.000 EW pro Jahr im internationalen Vergleich 800 700 600 500 400 300 200 Männer Frauen 100 0 Peking (China) Katalonien (Spanien) Brianza (Italien) Bremen (Deutschland) Prag (Tschechien) Glasgow (UK) Abbildung 3: Infarktraten pro 100.000 EW pro Jahr im internationalen Vergleich (Härtel 2002, S. 274). Abbildung 4: 28-Tage-Sterblichkeit nach Infarkt in % im internationalen Vergleich 80 70 60 50 40 30 20 Männer Frauen 10 0 Peking (China) Katalonien (Spanien) Brianza (Italien) Bremen (Deutschland) Prag (Tschechien) Glasgow (UK) Abbildung 4: 28-Tage-Sterblichkeit nach Infarkt in % im internationalen Vergleich (Härtel 2002, S. 274). 15

Bei den Veränderungen der Herzinfarktraten in den letzten 10 Jahren lässt sich generell eine Reduktion feststellen. Ein leichter Anstieg konnte in Deutschland, Polen und Kaunas (Litauen) festgestellt werden. Es ist auffällig, dass in Glasgow trotz der hohen Raten zusätzlich noch ein leichter Anstieg zu beobachten war. Weiteren Aufschluss und zusätzliche Informationen lieferten weitere Studien. Zum einen eine prospektive Kohortenstudie, bei der gesunde Frauen über 14 Jahre lang beobachtet wurden, mit dem Ergebnis, dass das Risiko an einer KHK zu erkranken bei Frauen um 31% gesunken ist. Dies wurde mit Reduzierung des Rauchens, verbessertem Ernährungsverhalten und Anstieg der Hormoneinnahme in der Menopause trotz steigendem BMI erklärt. Zum anderen wies eine finnische Studie auf bedeutsame Risikofaktoren hin, die den Geschlechterunterschied beeinflussen. Geringerer Zigarettenkonsum und höheres HDL- Cholesterin bei Frauen waren Gründe dafür, dass Männer dreimal so häufig an KHK erkrankten und fünfmal so häufig daran verstarben als Frauen (Härtel 2002, S. 273-276). So zeigen auch die folgenden Abbildungen 5 und 6 den Trend der Mortalität bei beiden Geschlechtern für ischämische Herzerkrankungen in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU (Samitz 2009, S. 5). Abbildung 5: Entwicklung der altersstandardisierten Todesraten für ischämische Herzkrankheiten für Männer in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU Abbildung 5: Entwicklung der altersstandardisierten Todesraten für ischämische Herzkrankheiten für Männer in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU (Samitz 2009, S. 5) 16

Abbildung 6: Entwicklung der altersstandardisierten Todesraten für ischämische Herzkrankheiten für Frauen in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU Abbildung 6: Entwicklung der altersstandardisierten Todesraten für ischämische Herzkrankheiten für Frauen in Österreich, ausgewählten Vergleichsländern und in der EU (Samitz 2009, S. 5) Dabei lässt sich erkennen, dass in fast allen aufgezeigten Ländern ein Rückgang der Todesraten nach ischämischen Herzerkrankungen zu verzeichnen ist, mit Ausnahme der russischen Föderation bei den Männern. Zusätzlich wird jedoch ersichtlich, dass Österreich im Vergleich zu den meisten anderen Ländern einen verstärkten Rückgang der Todesfälle aufzeigen kann. 4.2 nationaler Vergleich von Männern und Frauen Um die Situation der an Herzkrankheiten leidenden Personen anschaulich zu machen, ist auch ein Vergleich der Zahlen mit Österreich notwendig. Dabei lässt sich feststellen, dass in Österreich die Todesraten aller Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Situation der 28-Tage- Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt entsprechen. Laut Statistik Austria sterben pro Jahr wesentlich mehr Frauen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Männer, jedoch reduziert sich die Gesamtzahl der Sterbefälle pro Jahr deutlich. 1997 starben in Österreich 17 968 Männer und 25 023 Frauen an Herz- Kreislauf- Erkrankungen. Im Gegensatz dazu waren es im Jahr 2008 nur mehr 13 129 Männer und 19 165 Frauen. Gemessen an den Gesamttodesursachen lässt sich auch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellen. 17

Dabei fallen bei Frauen 48,0% und bei Männern 37,3% auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie in Abbildung 7 dargestellt. Wenn jedoch die Zahlen der Sterbefälle an Myokardinfarkten verglichen werden, lässt sich das Ergebnis wieder international vergleichen. Abbildung 8 zeigt, dass in Österreich deutlich mehr Männer an einem Herzinfarkt sterben als Frauen. Im Jahr 2008 starben insgesamt 2820 Männer an einem Herzinfarkt und nur 2510 Frauen. Aufgeteilt auf Bundesländer lässt sich erkennen, dass in Burgenland die meisten Männer (50 pro 100 000 Einwohner) und in Niederösterreich die meisten Frauen (40 pro 100 000 Einwohner) einen tödlichen Myokardinfarkt erleiden. Außer in Niederösterreich ist die Zahl der verstorbenen Männer im Vergleich der einzelnen Bundesländer deutlich höher als die der Frauen (http://www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/todesursachen/todesursachen_im_u eberblick/index.html, Zugriff am 20.03.2012). Abbildung 7: Abbildung 7: Gestorbene in Österreich 2009 nach Hauptgruppen der Todesursachen und Geschlecht in Prozent (http://www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/todesursachen/todesursachen_ausgewaehlte/024439. html; Zugriff am 20.03.2012). 18

Abbildung 8: Sterbefälle pro 100.000 Einwohner nach akutem Myokardinfarkt in Österreich 2009 60 50 40 30 20 10 0 T BL K NÖ OÖ S STMK VB W Männer pro 100.000 EW Frauen pro 100.000 EW Abbildung 8: Sterbefälle pro 100.000 EW nach akutem Myokardinfarkt in Österreich 2009 (Zahlen von Daten der Statistik Austria berechnet; http://www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/todesursachen/todesursachen_im_ueberblick/index.htm l; Zugriff am 20.03.2012) Somit lässt sich sagen, dass die Situation der Sterbefälle durch Herz-Kreislauf- Erkrankungen international vergleichbar ist und deutlich mehr Männer davon betroffen sind. 19

5. Risikofaktoren allgemein Da der größte Teil der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie deren Folgen vor allem von der koronaren Herzkrankheit beeinflusst wird, findet dieses Krankheitsbild im folgenden Teil besondere Berücksichtigung. Eine Vielzahl von Risikofaktoren ist ausschlaggebend für die erhöhte Prävalenz von Arteriosklerose bedingter Gefäßerkrankungen und somit auch von KHK und als Folge Herzinfarkt. Dabei kann zwischen beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Risikofaktoren unterschieden werden. Mehrere vorhandene Risikofaktoren zusammen potenzieren das Risiko für die Entstehung einer Erkrankung. Rauchen ist einer der bedeutendsten Risikofaktoren für die Entstehung einer KHK (Rosenkranz 2006, S. 7). Als weiterer ausschlaggebender Risikofaktor sind Fettstoffwechselstörungen zu nennen. Diese erhöhen das Risiko für arteriosklerotische Erkrankungen enorm. Ursachen dafür sind meist Übergewicht und Fettsucht, körperliche Inaktivität, Rauchen, Alkoholkonsum und genetische Störungen. Ein weiterer Risikofaktor für KHK ist die arterielle Hypertonie, welche neben Stress ähnliche ursächliche Faktoren wie ein erhöhter Triglyzeridspiegel im Blut auslöst. Weitere negative Einflussfaktoren auf die Entstehung einer KHK sind Diabetes mellitus, Adipositas und Bewegungsmangel (Rosenkranz 2006. S. 8-16). All die zuvor angeführten Aspekte zählen zu den beeinflussbaren Risikofaktoren einer KHK. Doch sind auch nicht beeinflussbare wesentlich, um eine Entstehung zu begünstigen. Dazu zählen die genetische Disposition, das Alter und vor allem das Geschlecht, auf das im Weiteren noch näher eingegangen wird (Rosenkranz 2006, S. 16). 20

6. Geschlechtsspezifische Risikofaktoren Wie bereits im vorigen Punkt aufgezeigt, gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Risikofaktoren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen können. Dennoch ist zu beachten, dass es bei genau diesen Risikofaktoren aber auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt und Männer und Frauen nicht gleichermaßen von denselben Risikofaktoren betroffen sind. Die Prävalenz der Herz-Kreislauf-Erkrankungen nimmt mit steigendem Lebensalter deutlich zu, wobei Männer einem wesentlich höherem Risiko ausgesetzt sind als Frauen. Die Framingham Studie untersuchte über 26 Jahre die Sterblichkeit an KHK und kam zu dem Ergebnis, dass die Sterblichkeit bei Männern doppelt so hoch ist als bei Frauen und dass die Entstehung der Arteriosklerose bei Männern bereits 10 Jahre früher beginnt. Diese Tatsache liegt daran, dass Frauen vor der Menopause einen gewissen Schutz besitzen, das Risiko steigt jedoch in der Postmenopause rasch an (Rosenkranz 2006, S. 16-17). Die einfachste Erklärung für den großen Unterschied zwischen den Geschlechtern schienen in älteren Untersuchungen sogenannte Lifestyle Faktoren zu sein, unter denen Rauchen, Hypertonie und Hyperlipidämie gefallen sind. Man ging davon aus, dass diese Faktoren häufiger Männer als Frauen betreffen, wobei sich dies im Laufe der Zeit nicht bestätigte (Marmot, Elliot 1992, S. 277-278). Als allgemein gültig gilt, dass das Alter ein wichtiger Einflussfaktor bei Herzerkrankungen darstellt. Hier haben Frauen einen deutlich größeren Nachteil als Männer, denn wie in der bereits erwähnten Framingham-Studie schon aufgezeigt, treten koronare Herzerkrankungen bei Frauen 10 Jahre später auf. Durch das spätere Auftreten der Erkrankungen treten auch häufig Komorbiditäten auf und dadurch wird eine Behandlung schwerer durchführbar, was sich schlussendlich auf die Daten auswirkt. Meist werden Frauen mit Herzbeschwerden im höheren Alter nicht ernst genommen, dadurch ist die Krankheit auch meist schon sehr weit fortgeschritten und zusätzlich ist auch das Operationsrisiko durch die Komorbiditäten erhöht. Weiters kommt noch hinzu, dass Studien, in denen Medikamente getestet wurden, nur an jüngeren Frauen getestet wurden und daher nur wenig gesichertes Wissen vorliegt (Regitz-Zagrosek 2008, S. 25-29). Vor allem Herzmedikamente wurden bis vor kurzem hauptsächlich an Männern getestet. Womit sich nun vor Augen gehalten werden muss, dass die Wirksamkeit, aber auch die schädlichen Nebenwirkungen bei Frauen nicht aufgezeigt werden konnten und Frauen die 21

Medikamente dennoch eingenommen haben. Dadurch wurde der Versuch gestartet, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, bis eine Gesetzesänderung durchgebracht werden konnte und somit auch ein Wirksamkeitsnachweis für Frauen aufgezeigt wurde. Es gibt jedoch nach wie vor keine Empfehlungen über eine adäquate Dosis oder Dosisanpassungen an hormonelle Schwankungen im Zyklus oder Wechsel. Auch auf das Körpergewicht, die unterschiedliche Nierenleistung und den Fett- sowie den Wasseranteil im Körper wird bei der Dosisanpassung selten Rücksicht genommen (Hochleitner 2008, S. 105-109). Einen weiteren geschlechtlichen Unterschied stellen herzchirurgische Eingriffe dar. Hier ist das Komplikationsrisiko für Frauen wesentlich höher als für Männer. Sie sind durchschnittlich länger intubiert, benötigen meist mehr Bluttransfusionen und erleben längere Aufenthalte auf Intensivstationen und in Krankenhäusern. Auch hier können als Ursachen der spätere Eintritt der Erkrankung und die dadurch entstehenden Komorbiditäten, der spätere Interventionsbeginn bei Frauen, die bei Frauen häufiger auftretende soziale Isolation und psychischer Stress sowie Mehrfachbelastungen genannt werden (Stanger 2004, S. 389). Jedoch wurde nachgewiesen, dass zwar die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf- Erkrankungen unterschiedlich auf die Geschlechter wirken, sich das durchgeführte Screening für Risikofaktoren an sich zwischen Männern und Frauen nicht unterscheidet. Grundsätzlich liegt auch ein sehr schlechter Bildungstand bezüglich der möglichen Risikofaktoren bei beiden Geschlechtern vor (Cruz, Serna et al. 2004, S. 8). In Abbildung 9 wird das unterschiedliche Gewicht der kardiovaskulären Risikofaktoren Hypertonie, Hypercholesterinämie, Rauchen, Diabetes und Adipositas noch einmal im Überblick dargestellt. 22

Abbildung 9: Unterschiedliches Gewicht verschiedener kardiovaskulärer Risikofaktoren kardiovaskulärer Risikofaktoren 2,5 2 1,5 1 0,5 Frauen Männer 0 Abbildung 9: Unterschiedliches Gewicht verschiedener kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Frauen und Männern (Weber, Auer et al. 2004, S. 346). 6.1 Geschlechtsspezifische Merkmale und Unterschiede der Risikofaktoren Wie bereits erwähnt, wirken die klassischen Risikofaktoren Rauchen, Hypertonie und Hyperlipidämie auf das Herzinfarktrisiko bei Männern und Frauen gleich ein. Jedoch wurden Unterschiede beim Einfluss von Diabetes mellitus, Triglyzeride und HDL- und LDL- Cholesterinanteil festgestellt. So schützt das HDL- Cholesterin Frauen stärker als Männer, jedoch sind erhöhte Triglyzeridwerte bei Frauen mit einem deutlich höheren Risiko behaftet. Es gibt jedoch einen stärkeren Zusammenhang von Diabetes mellitus und KHK bei Frauen als bei Männern. Ursache dafür ist, dass Frauen vor der Menopause aufgrund eines Diabetes mellitus ihren östrogenbedingten Schutz verlieren. So konnte als Ergebnis festgestellt werden, dass Frauen, die an Diabetes erkrankt sind, sieben Mal häufiger von KHK betroffen sind als Frauen, die keine Zuckerkrankheit aufweisen. Neue Ergebnisse liefert die Nurses Health Study, die 2000 durchgeführt wurde. Beobachtet wurde der Einfluss des gesunden Lebensstils bei Frauen auf die Entstehung von Herz-Kreislauf- Erkrankungen. Es ist nachgewiesen worden, dass jeder Faktor, darunter fallen Zigarettenrauchen, sportliche Aktivität, gesunde Ernährung, Alkoholkonsum und Körpergewicht, einen signifikanten Einfluss auf die Inzidenz einer KHK hat. Frauen mit dem gesündesten Lebensstil weisen ein auffallend geringes Erkrankungsrisiko auf. Diesen Frauen wurden folgende Merkmale zugeschrieben: Nichtraucherin, BMI unter 25, mindestens eine halbe 23

Stunde Sport am Tag, mindestens 5g Alkohol täglich, hohe Werte in Bezug auf gesunde Ernährung. Des Weiteren zeigte sich, dass sich schon bei Frauen, die täglich weniger als 15 Zigaretten pro Tag rauchen, das Risiko für einen Herzinfarkt im Vergleich zu Nichtraucherinnen um ein dreifaches erhöht (Härtel 2002, S. 279-280). 6.1.1 Frauenspezifische Risiko- und Schutzfaktoren Wie bereits erwähnt, steigt das Herzinfarktrisiko bei Frauen in der Menopause stark an. Dadurch wurde das weibliche Geschlechtshormon Östrogen als wichtiger Schutzfaktor in Verbindung mit dem Erkrankungsrisiko gebracht. In einem 1998 entstandenen Review von Barrett-Connor wurde festgestellt, dass Östrogen einen protektiven Effekt auf das koronare Erkrankungsrisiko besitzt. Jedoch könnte dieses Ergebnis darauf zurückzuführen sein, dass die Frauen, denen Östrogene verschrieben wurden, meist aus höheren sozialen Schichten kamen und generell gesünder waren als die Frauen, denen keine Hormone gegeben wurden. Der Nutzen der Östrogene in der Sekundärprävention ist jedoch umstritten. Bei Frauen, die bereits an einer KHK erkrankt sind, ist kein schützender Einfluss auf das Fortschreiten der Arteriosklerose festgestellt worden. Dadurch kam es zu dem Ergebnis, dass Frauen in der Menopause Östrogene nicht zur Verbesserung der KHK einnehmen sollen, sondern lediglich zur Linderung der menopausalen Beschwerden. Weitere beobachtete Risikofaktoren für die Entwicklung einer KHK sind häufige Schwangerschaften und das Alter der Frau bei der ersten Geburt. Dabei ist anzunehmen, dass die Zahl der Schwangerschaften und das Alter bei der ersten Geburt in Kombination mit einem gewissen Lebensstil und dem sozialen Umfeld einen Einfluss auf das Herzinfarktrisiko haben (Härtel 2002, S. 280-282). Es wurde aber auch festgestellt, dass mit einem frühzeitigen Eintritt der Menopause auch eine frühere Erkennung einer koronaren Herzerkrankung einhergeht und sich bei Verzögerung dieser die Häufigkeit einer KHK und somit eines Herzinfarkts verringert (Stanger 2004, S. 394). Dadurch kann die Hypothese der frauenspezifischen Schutzfaktoren etwas mehr bestätigt werden. 24

6.1.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirkung von kardiovaskulären Arzneimitteln Geschlechtsspezifische Unterschiede sind nicht nur durch verschiedenartige Risikofaktoren vorhanden, sondern auch durch die differenzierte Wirksamkeit in den Arzneimitteln. Vor allem bei der Verwendung der Acetylsalicylsäure, die zu einer Verhinderung der Stabilisation eines Thrombus in entsprechenden Gefäßen und in Folge zu einer Vermeidung eines akuten Infarktgeschehens führen soll, wurden Unterschiede nachgewiesen. So weist das Blut von Frauen im Vergleich zu dem der Männer bei der Gabe dieses Wirkstoffes einen schwächeren Effekt auf. Dennoch wurde 2005 in einer von Ridker durchgeführten Studie nachgewiesen, dass die niedrigdosierte Gabe von Acetylsalicylsäure bei Frauen das Risiko für einen Herzinfarkt nicht mindert, jedoch aber das Schlaganfallrisiko um 17% signifikant reduziert. Bei Männern wurde durch die Gabe von Acetylsalicylsäure ein gegensätzliches Ergebnis nachgewiesen. In der Primärprävention wird bei Männern durch die Gabe dieses Arzneistoffes das Herzinfarktrisiko signifikant gesenkt. In der Sekundärprävention profitieren jedoch Männer und Frauen in gleichem Maße von diesem Wirkstoff. Zusätzlich konnte bei fast allen weiteren gerinnungshemmenden Arzneimitteln ein erhöhtes Blutungsrisiko bei Frauen festgestellt werden. Die Ursachen dafür sind zwar weitgehend ungeklärt, jedoch werden zu hohe körpergewichtsbezogene Dosen, Überschätzung der Nierenfunktion und höhere Komorbiditäten der Frauen in Betracht gezogen (Thürmann 2004, S. 35-36). Somit werden auch in der Wirksamkeit von Medikamenten wesentliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern ersichtlich, wobei Frauen hierbei einen deutlichen Nachteil besitzen. Dennoch könnte geschlussfolgert werden, dass dieser Nachteil durch die frauenspezifischen Risiko- und Schutzfaktoren wieder ausgeglichen wird. 6.2 Unterschiede beim Einfluss sozialer und psychosozialer Faktoren Wie in den vorhergehenden Kapiteln bereits ausführlich geschildert, können physiologische Faktoren einen enormen Einfluss auf die Entstehung von Herz-Kreislauf- Erkrankungen haben. Jedoch spielen nicht nur diese Faktoren bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle. Es ist nahezu unbestritten, dass soziale Faktoren die Entstehung bei Männern und Frauen beeinflussen. Häufige soziale Faktoren, die im Zusammenhang mit einer koronaren 25

Erkrankungen stehen, sind Einkommen, Ausbildung, berufliche Position, Familienstand und soziales Netzwerk. Diese sind von den psychosozialen Einflussfaktoren wie Angst und Depressionen, subjektiver Arbeitsstress und die Qualität der sozialen Beziehungen zu differenzieren. Die Merkmale Angst und Depression zeigen den größten Einfluss auf die Inzidenz und die Prognose, wobei soziale Unterstützung einen schützenden Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung zeigt. Vielfach wird die These aufgestellt, dass die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau ein erhöhtes Herzinfarktrisiko mit sich bringt. Diese Aussage ist jedoch noch nicht mit wissenschaftlichen Beweisen belegt. In der 2000 durchgeführten Stockholmer Coronary Risk Study konnte nachgewiesen werden, dass verheiratete Frauen, die bereits einen Herzinfarkt erlitten haben, aufgrund des ehelichen Stresses ein signifikant höheres Risiko für einen erneuten Infarkt besitzen, jedoch der berufliche Stress bei Berufstätigen keinen signifikanten Einfluss darauf hat (Härtel 2002, S. 282-283). Depression, Ängstlichkeit, sozioökonomischer Status, soziale Isolation sowie chronischer Stress gehen mit pathophysiologischen Reaktionen im Organismus einher und können besonders bei Frauen prognostisch wirksam werden. So wird eine Depression bei Patientinnen mit koronarer Herzkrankheit dreimal häufiger festgestellt als bei Frauen ohne Gefäßerkrankung. Generell sind Frauen in Bezug zur Gesamtbevölkerung doppelt so häufig von Depressionen betroffen als Männer und vor allem daraus ergibt sich das Problem beinahe von selbst. Weiters wird der Krankheitsverlauf auch durch soziale Netzwerke und soziale Unterstützung beeinflusst. Frauen befinden sich meist in einem engeren sozialen Netz und sind daher von Verlust und Ablehnung stärker betroffen als Männer, was wiederum zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt. Neben den sozialen Faktoren spielt auch noch der sozioökonomische Status eine wichtige Rolle. Auch dieser korreliert mit einem höheren Risiko für eine schlechte Prognose bei einer koronaren Herzkrankheit. Auch hierbei sind Frauen im stärkeren Maß betroffen, unterliegen sie ja generell den Nachteilen im Einkommen, bei der Ehescheidung, der Anerkennung von Erziehungszeiten im Arbeitsleben und im Pensionssystem, durch Mehrfachbelastungen und Abhängigkeit vom Mann. Zusätzlich ist ein niedriger sozioökonomischer Status auch mit weiteren psychologischen Risikofaktoren und einem vermehrt ausgeprägtem Risikoverhalten durch Rauchen, Alkohol und schlechterem Ernährungsverhalten verbunden. Zusammen können diese Faktoren das Gesamtrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, vor allem für Frauen, überproportional erhöhen (Stanger 2004, S. 400-402). 26

7. Geschlechtszugehörigkeit und Gesundheit In den letzten Jahren haben sich immer mehr Unterschiede in der Gesundheit zwischen Männern und Frauen herausgestellt. Die Geschlechtszugehörigkeit als Gesundheitsfaktor bezieht sich vor allem auf die unterschiedlichen Vorstellungen der Geschlechterrollen von Mann und Frau und den damit verbundenen Verhaltensweisen. Es stellt sich heraus, dass die Unterschiede in den Morbiditätsraten vor allem auf die Inanspruchnahme gesundheitlicher Dienste zurückzuführen sind. Meist stehen Frauen im Vergleich zu Männern weniger in einem Ganztagsarbeitsverhältnis und können daher mehr auf ihre Gesundheit achten sowie häufiger einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen und zusätzlich zeigen Frauen ein wesentlich größeres Interesse an gesundheitsbezogenen Fragen und gesundheitsrelevanten Maßnahmen auf. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Mortalitätsraten sind jedoch weiterhin nicht gänzlich geklärt. Aus biologischen Fakten geht hervor, dass Frauen generell widerstandfähiger gegenüber Infekten sind. Dabei spielt, wie bereits beschrieben, die schützende Wirkung des weiblichen Östrogens eine große Rolle. Auf der anderen Seite jedoch wird diskutiert, dass die weiblichen Hormone und das weibliche Fortpflanzungssystem auch ursächlich für körperliche und psychische Erkrankungen sind (Naidoo, Wills 2010, S. 33-34). Zusätzlich ist ein Unterschied zwischen der sozialen Schichtzugehörigkeit und Gesundheit vorhanden, der sich auch zwischen den beiden Geschlechtern auswirkt. Aus vielen wissenschaftlichen Berichten der letzten Jahre geht hervor, dass Gesundheit nicht nur Schicksal ist, sondern dass Gesundheit und Krankheit auch gesellschaftlich geprägt werden. So geht hervor, dass wohlhabendere Mitglieder der Gesellschaft länger leben und in der Ganzheit betrachtet gesünder sind als Menschen aus Gesellschaftsgruppen, in denen weniger günstige wirtschaftliche und soziale Verhältnisse vorherrschen. Dadurch ist ein enger Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsstatus der Menschen und ihrer Zugehörigkeit in bestimmte sozioökonomische Gruppen vorhanden. In der Abbildung 10 wird verdeutlicht, dass in Großbritannien signifikant unterschiedliche Lebenserwartungen nach Sozialschichten und Geschlechtszugehörigkeit zu erwarten sind. Auch in Großbritannien werden Wohlstandskrankheiten, zu denen die Herz-Kreislauf- Erkrankungen zählen, als Haupttodesursache bezeichnet. Jedoch kommen die meisten dieser Krankheiten in den unteren Sozialschichten vor. Somit sind Personen aus den unteren Sozialschichten häufiger krank als Personen aus oberen (Naidoo, Wills 2010, S. 27-29). 27

Abbildung 10: Unterschiedliche Lebenserwartung nach Sozialschicht- und Geschlechtszugehörigkeit für die Jahre 1997 1999 in England und Wales Lebenserwartung nach Sozialschicht ungelernte Arbeiter/-innen angelernte Arbeiter/-innen Facharbeiter/-innen (manuell tätig) Facharbeiter/-innen (nicht manuell tätig) Frauen Männer Personen in leitenden Positionen Akademiker/-innern 40 50 60 70 80 90 Abbildung 10: Unterschiedliche Lebenserwartung nach Sozialschicht- und Geschlechtszugehörigkeit für die Jahre 1977 1999 in England und Wales. Quelle: Nationales Amt für Statistik, England (Naidoo, Wills 2010, S. 29) Wie in der Abbildung 10 sehr gut dargestellt, können biologische Faktoren jedoch nicht die schichtspezifischen Gesundheitsunterschiede bei den Frauen erklären. Daher stellt sich die Frage, warum Frauen aus höheren sozialen Schichten gesünder sind als jene aus den unteren Schichten? Zusätzlich muss beachtet werden, dass sich die längere Lebenserwartung der Frauen erst im 20. Jahrhundert durch den Rückgang der Infektionskrankheiten und Geburtenrate herauskristallisiert hat. Eine weitere Erklärung für die unterschiedliche Lebenserwartung versucht das Lebensweisenkonzept zu geben. In diesem werden den Frauen die Eigenschaften passiv, abhängig und krank zugeschrieben. Dadurch könnten Frauen bereitwilliger die Krankenrolle einnehmen und somit den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen. Im Gegensatz dazu werden die Männer zu forschen und risikoreichem Verhalten ermutigt, was nachweisbar zu einer höheren Unfall- und Alkoholismusrate führt (Naidoo, Wills 2010, S. 24). 28

Auch die ethnische Herkunft und das Geschlecht haben Einfluss auf die Äußerung der Symptome und die damit verbundenen Untersuchungsverordnungen. So wurde vor allem bei der Anordnung zu Herzkatheteruntersuchungen ein enormer Kontrast deutlich. Bei einer Untersuchung wurde deutlich, dass schwarze Frauen am seltensten, und weiße Männer am häufigsten diese Untersuchung verordnet bekamen, wohlgemerkt bei den gleichen vorgebrachten Symptomen (Kuhlmann, Kolip 2005, S. 153). 29

8. Prävention und Gesundheitsförderung Aufgrund der Tatsachen, dass eine Vielzahl der Bevölkerung an Herz-Kreislauf- Erkrankungen leidet und dass eine große Anzahl der Betroffenen sogar daran versterben, liegt die Notwendigkeit des Angebotes und der Durchführung von Präventionsmaßnahmen sowie von Gesundheitsförderungsprojekten nahe. Das Gesundheitsverständnis jedes einzelnen Menschen ist von dem der Gesellschaft, in der er lebt, beeinflusst. Der Einflussfaktor Geschlecht sowie Alter und genetische Faktoren lassen sich, wie bereits beschrieben, nicht verändern und somit sind andere Maßnahmen zur Erhaltung von Gesundheit und Prävention von Krankheit erforderlich (von Troschke 2008, S. 28). Das Lebensalter hat einen großen Einfluss auf das Gesundheitswissen und auf die Wertschätzung gegenüber der eigenen Gesundheit und somit auch einen wesentlichen Einfluss auf die Bereitschaft zur Übernahme gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen. Jedoch muss das Gesundheitsverhalten der unterschiedlichen Personen nicht nur am Geschlecht gemessen werden, sondern auch an der individuellen Lebensgeschichte, am Lebensstil und am sozialen Status der Person (von Troschke 2008, S.61-62). Generell kann gesagt werden, dass das Gesundheitsverständnis von Männern und Frauen offensichtlich divergiert. Frauen haben eine geringere dichotome Vorstellung von Gesundheit und Krankheit, wohingegen für Männer Gesundheit eher die Abwesenheit von Krankheit bedeutet. Generell reagieren Frauen sensibler auf gesundheitsrelevante Befindlichkeiten als Männer und zeigen daher meist mehr Interesse an Gesundheitsfragen. Im Gegensatz dazu assoziieren Männer ihre psychische Gesundheit und ihren Gesundheitszustand meist mit ernsthaften Erkrankungen. Männer verhalten sich meist weniger gesundheitsbewusst als Frauen. Als Ursache dafür könnte das sozialisationsbedingte risikobehaftete Verhalten und der dadurch entstehende rücksichtslose Umgang mit dem eigenen Körper und vor allem der eigenen Gesundheit angesehen werden. So zeigen Männer vor allem beim Konsum von Alkohol und Zigaretten, in der Ernährung und im Straßenverkehr ein gesundheitsschädigenderes Verhalten als Frauen, jedoch zeigen sie ein förderlicheres Verhalten in der Bewegung und im Sport im Vergleich zu den Frauen. Nicht zu missachten ist jedoch, dass bei all diesen genannten Verhaltensweisen die Variable der Schichtzugehörigkeit unterschiedliche Risikoprofile ergibt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass Informationskampagnen gezielt und unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse und Interessen entwickelt werden, dass die Ansprache der Zielgruppen differenziert stattfinden und dass präventive und 30

gesundheitsförderliche Maßnahmen nicht ohnehin nur gesundheitsbewusste Menschen, meist auch aus den oberen sozialen Schichten, wirksam ansprechen sollen (Dierks 2004, S.60-61). Jedoch lässt sich wie im Folgenden erläutert feststellen, dass sich die Inanspruchnahme des Angebotes, und dies vor allem bei Männern, in Grenzen hält und somit diesen Themen noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. 8.1 Geschlechterperspektive in der Gesundheitsförderung Generell bedeutet eine Geschlechterperspektive die Kategorisierung nach Geschlecht auf sozialer, psychischer, körperlicher und kultureller Ebene. Wichtig ist zu beachten, dass alle relevanten Aspekte von Gesundheitsförderung, alle Strukturen und jedes menschliche Handeln unter der Geschlechterperspektive betrachtet werden können. Dabei handelt es sich jedoch mehr um eine Haltung als um gezielte Maßnahmen. Voraussetzung ist, dass Gesundheit und Krankheit nicht auf biologische Prozesse reduziert werden, sondern diese Umstände als mehrdimensionales Geschehen unter Berücksichtigung der Lebensgeschichte und Lebensumstände betrachtet wird. Generell nehmen Menschen immer einen Standpunkt ein, von dem aus sie die Welt betrachten. Die Geschlechtsperspektive reflektiert die Geschlechtsgebundenheit von diesen Standpunkten aus, löst den männerzentrierten Blick und verallgemeinert männliche Standpunkte. Generell wurden starke Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Gesundheitsförderung nachgewiesen. Manches ist bei Frauen anders als bei Männern und umgekehrt. Dabei geht es einerseits um geschlechtsspezifische, also ausschließlich bei einem Geschlecht vorkommende, und andererseits um geschlechtstypische, also mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bei einem Geschlecht vorkommende Aspekte. Unterschiede sind vor allem in Aspekten von Belastungen, Bewältigungsressourcen, Risikofaktoren, soziale Netze und soziale Unterstützung sowie in der Stress- und Alltagsbewältigung zu erkennen. Weiters sind aber auch speziell in der Inanspruchnahme von Präventionsangeboten, der subjektiven Gesundheits- und Körperkonzepte, im Gesundheitsverhalten und den Mustern der Krankheitsbewältigung Differenzen zu erkennen. 31

In diesem Zusammenhang kann die Umsetzung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen unter der Geschlechtsperspektive auf zwei Arten stattfinden. Zum einen in einer geschlechtsspezifischen Gesundheitsförderung, die sich an geschlechtshomogene Gruppen richtet. Zum anderen in geschlechtssensiblen oder geschlechtsbewussten Ansätzen, bei denen auch unter dem Geschlechterblick gemischte Gruppen angesprochen sind. Als allgemeine Forderung an die Gesundheitsförderung gilt eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle Projekte und Maßnahmen auf allen Ebenen und in allen Phasen, wie es im Gender-Mainstreaming der Fall ist (Helfferich 2003, S. 47-48). 8.2 Gender-Mainstreaming Gender-Mainstreaming ist eine wichtige Möglichkeit, geschlechtsspezifische Gesundheitsförderung in der Gesellschaft zu etablieren. Es bezeichnet eine politische Strategie, in der die geschlechterbezogene Sichtweise über unterschiedliche Themen in allen Politikbereichen Rücksicht finden muss. In der Europäischen Union gilt die allgemein gültige Definition des Europarates, in der Gender-Mainstreaming als eine (Re-) Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung politischer Prozesse beschrieben wird. Hauptziel ist eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und auch in allen Phasen durch alle Akteure und Akteurinnen, die an politischen Entscheidungen beteiligt sind. Der Begriff Mainstreaming selbst lässt sich nur schwer ins Deutsche übersetzen. Wörtlich übersetzt könnte er aus einer Nebensache eine Hauptsache machen oder in den Hauptstrom holen bedeuten. Im Fokus steht die sozial errichtete Definition der Geschlechterverhältnisse. Bisher wurde in der Gleichstellungspolitik das Augenmerk meist auf Themen gelenkt, bei denen für Frauen großer Nachholbedarf bestand. Dagegen thematisiert Gender-Mainstreaming beide Geschlechter und ihren Bezug zueinander und soll diese Sichtweisen in einem politischen Konzept vereinen. Gender-Mainstreaming bedeutet daher die Beobachtung und aktive Berücksichtigung der Auswirkungen von Vorbereitung, Durchführung, Begleitung und Bewertung aller allgemeinen Maßnahmen und Tätigkeiten auf die jeweiligen Situationen der Frauen und Männer. Gender-Mainstreaming findet sich auch speziell in der Gesundheitsförderung wieder. Dabei bedeutet es die Berücksichtigung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in allen Planungs- und Implementationsschritten von Gesundheitsförderungsmaßnahmen. 32

Dies soll bereits bei einer geschlechtsdifferenzierten Problemdefinition beginnen und über die Programmplanung, Interventionsplanung und Qualitätssicherung hinausgehen. Jedoch erweist sich Gender-Mainstreaming in der Gesundheitsförderung als relativ neu und wird wahrscheinlich noch lange nicht in angemessenem Maße umgesetzt werden, obwohl gerade in der Gesundheitsförderung geschlechtssensible Ansätze von großer Bedeutung wären (Altgeld, Maschewsky-Schneider 2003, S. 45-46). 8.3 Geschlechtsspezifische Inanspruchnahme Das Geschlecht stellt eine sehr wichtige Komponente dar, die zu den Unterschieden im gesundheitsrelevanten Verhalten der Bevölkerung beiträgt (Kolip, Koppelin 2002, S. 492). Für die meisten Verhaltensweisen zeigen die Männer ein deutlich riskanteres Muster, wie etwa bei Tabakkonsum, Verhalten im Straßenverkehr oder bei gesunder Ernährung. Frauen sind lediglich in drei Bereichen riskanter. Darunter fällt, dass sie wesentlich weniger intensiven Sport betreiben als Männer, sie nehmen häufiger psychoaktive Medikamente ein und zusätzlich neigen sie zu restriktiven Formen des Essverhaltens, die in weiterer Folge zu Essstörungen führen können (Kolip, Koppelin 2002, S. 492). Zusätzlich lässt sich jedoch auch ein großer Unterschied zwischen den Geschlechtern bei der Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen nachweisen. Männer sind im Allgemeinen wesentlich kritischer gegenüber diesem Thema eingestellt. Frauen konsultieren anhand einer Statistik der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse wesentlich häufiger den Arzt oder die Ärztin für Allgemeinmedizin als Männer. Vor allem ab dem dritten Lebensjahrzehnt ist dieser Unterschied deutlich zu sehen. So beträgt in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren das Verhältnis Frauen zu Männern 56 Prozent zu 44 Prozent. Dieses Verhältnis bleibt bis zur siebten Lebensdekade relativ konstant. Ab 70 Jahren macht sich die höhere Lebenserwartung der Frauen zusätzlich bemerkbar, indem die Inanspruchnahme durch die Frauen deutlich zunimmt. Zusätzlich lässt sich auch aus Daten der österreichischen Sozialversicherungsträger erkennen, dass Frauen auch eher das Angebot der Vorsorgeuntersuchungen annehmen als Männer. Dies ist in den Jahren von 1999 bis 2001 in Abbildung 11 graphisch dargestellt. 33

Abbildung 11: Vorsorgeuntersuchungen nach Geschlecht Daten durch Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Vorsorgeuntersuchungen 16 14 12 10 8 6 Männer Frauen 4 2 0 1999 2000 2001 Abbildung 11: Vorsorgeuntersuchungen nach Geschlecht. Quelle: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (Rabady, Rebhandl 2004, S.17) Jedoch lässt sich eine Differenz der Inanspruchnahme bei kardiologischer Rehabilitation erkennen. Generell lässt sich sagen, dass Frauen sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern seltener an kardiologischen Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen als Männer, wobei bei der ischämischen Herzerkrankung sogar ein Verhältnis von 1:7 bei der der Inanspruchnahme beobachtet werden konnte. Generell können diese Ergebnisse jedoch auf die Teilnahme an ambulanten Nachsorgeprogrammen bezogen werden. Dabei werden von den Frauen Transportprobleme, niemand im Haushalt, der sie fahren könnte und andere Verpflichtungen als Grund zur Nicht-Teilnahme angegeben (Härtel 2002, S. 285). Auch Gesundheitsförderungsprojekte wurden bereits für die Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Darunter fallen Kurse zur Gewichtsreduktion, zur gesunden Ernährung, zum Stress- und Entspannungstraining sowie zur Stabilisation der Rückenmuskulatur. Erschreckend sind jedoch die Zahlen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen unterschiedlicher Altersgruppen, wie sie in Abbildung 12 dargestellt sind. Auffallend ist der sehr geringe Anteil der Männer, die Projekte zur Gesundheitsförderung kaum in Anspruch nehmen. Frauen nutzen neben den Früherkennungsuntersuchungen auch viel häufiger das Angebot von Projekten zur Gesundheitsförderung, wie etwa Kurse zur Stressbewältigung, Wirbelsäulengymnastik oder zur Gewichtsreduktion. Vor allem lassen sich 34