19 Vor dem Ende vom Ende einer langen Geschichte

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Transkript:

19 Vor dem Ende vom Ende einer langen Geschichte Am Vorabend der 8. WTO-Ministerkonferenz in Genf: Der sang- und klanglose Abschied der Doha-Runde Aktuell Die Verhandlungen in der Doha-Runde der Welthandelsorganisation sind gescheitert nach zehn Jahren vermutlich endgültig. Unwahrscheinlich ist, dass dies auf der 8. Ministerkonferenz vom 15. bis 17. Dezember 2011 in Genf formal festgestellt wird. Noch unwahrscheinlicher ist allerdings, dass dort beschlossen wird, die Verhandlungen in absehbarer Zeit wieder aufzunehmen. Der Anspruch einer Entwicklungsagenda wurde weder im Verhandlungsmandat der Doha-Runde noch in den Positionen der Industriestaaten eingelöst. Viele Handelsdiplomaten vor allem der Industriestaaten vertreten den Standpunkt, dass Freihandel und Marktöffnung per se schon positive Effekte für Entwicklungsländer hätten. Die Entwicklungsländer sehen dies in der Regel anders. Auch nach Einschätzung von Nichtregierungsorganisationen (NRO) wäre das Ergebnis der Doha Development Agenda, jedenfalls wie es sich jetzt darstellen würde, entwicklungspolitisch kontraproduktiv. Entwicklungsagenda ohne Entwicklung Bereits die Verhandlungen in der Uruguay-Runde, die zur Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) führten, waren von Verzögerungen und Konflikten geprägt. EU und USA stritten über den Agrarhandel, die Industrieländer wollten die Liberalisierungsverpflichtungen im Dienstleistungshandel und den Schutz geistiger Eigentumsrechte möglichst strikt festschreiben, während die Mehrheit der Entwicklungsländer für Flexibilität focht. Daher wurden die Verhandlungen nicht wie geplant 1989, sondern erst 1994 abgeschlossen. Als die WTO 1995 ihre Arbeit aufnahm, verspürten die Industrieländer gleich beim ersten Ministertreffen 1996 in Singapur politischen Rückenwind und wollten die Zuständigkeiten der WTO ausweiten auf Investitionsregeln, Wettbewerbsrecht, öffentliches Beschaffungswesen und administrative Handelserleichterungen. Die Entwicklungsländer standen diesen Singapur-Themen meist ablehnend gegenüber und forderten, die bestehenden Abkommen an ihre Entwicklungsbedürfnisse anzupassen. Auf der 3. WTO-Ministerkonferenz 1999 in Seattle versuchten die Industrieländer erneut, in eine Millenniumsrunde neben zusätzlichen Liberalisierungsschritten in den bestehenden Abkommen Verhandlungen über die Singapur-Themen aufzunehmen. Die weiter-

Vor dem Ende vom Ende einer langen Geschichte hin ablehnende Haltung der meisten Entwicklungsländer trug maßgeblich zum Scheitern der Konferenz bei. Eine Kombination aus zahllosen ungelösten politischen Konflikten, einem intransparenten Verhandlungsprozess, einer wenig diplomatischen Konferenzleitung und chaotischen Zuständen auf den Straßen führte zum formlosen Abbruch der Verhandlungen. Die äußeren Voraussetzungen waren in Doha, der Hauptstadt des arabischen Emirats Katar, grundlegend andere. Eine einheimische Zivilgesellschaft gab es dort praktisch nicht. Hinzu kam, dass zwei Monate nach 9/11 viele NRO-Vertreter und Wirtschaftsrepräsentanten trotz Akkreditierung nicht an der Konferenz teilnahmen. Auf die Kompromissbereitschaft der WTO-Mitglieder wirkte die zeitliche Nähe zu den Terror-Anschlägen von New York hingegen förderlich. Die Regierungen wollten Einigkeit und Handlungsfähigkeit signalisieren. Nichtsdestoweniger unternahmen die Industrieländer einen neuen Anlauf zum Start der Millenniumsrunde einschließlich der Singapur-Themen, wurden aber nicht müde zu betonen, dass dies ganz besonders im Interesse der Entwicklungsländer liege. Diese bestanden jedoch mehrheitlich darauf, die bestehenden Abkommen zu überprüfen und gegebenenfalls an ihre Bedürfnisse und Probleme anzupassen. Prominentestes Beispiel war dabei das TRIPS-Abkommen über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum, von dem befürchtet wurde, dass es die Versorgung armer Menschen mit preiswerten Medikamenten behindern würde. Das Konferenzergebnis bediente alle Interessen, wenn auch nicht in ausgewogenem Maß: Die EU hatte schon am ersten Tag ihren offenbar auch nicht wirklich ernst, sondern taktisch gemeinten Vorstoß zu Verhandlungen über Sozialklauseln zurück gezogen, was in vielen Entwicklungsländern, etwa in Indien, umgehend als Erfolg gefeiert werden konnte. In einer Erklärung zu TRIPS und Gesundheit wurde klargestellt, dass das TRIPS-Abkommen das Recht gibt, Zwangslizenzen zu erlassen, damit im Falle eines Notstands patentierte Medikamente auf dem heimischen Markt preisgünstiger angeboten werden können. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass eine Lösung dafür gefunden werden soll, wie dieses Recht in Ländern genutzt werden kann, die keine (ausreichende) nationale pharmazeutische Industrie haben. Die allgemeine Erklärung enthielt ein umfassendes Mandat, das mit Blick auf die Singapur-Themen den Beginn von Verhandlungen nach einem erneuten, ausdrücklich im Konsens gefassten Beschluss der WTO-Mitglieder vorsieht. Darüber hinaus umfasste das Verhandlungsmandat die weitere Liberalisierung des Agrarhandels; die weitere Liberalisierung des Handels mit nichtlandwirtschaftlichen Gütern (im WTO-Jargon Non-Agricultural Market Access, kurz: NAMA); die weitere Liberalisierung des Dienstleistungshandels; sehr begrenzte Verhandlungen zum Zusammenhang zwischen Handel und Umwelt; Verhandlungen zur Klärung der WTO-Regeln zu Subventionen und Anti-Dumping; Verhandlungen über die verbesserte Vorzugsbehandlung für Entwicklungsländer. Crash in Cancún Um, wie in Doha vereinbart, die Runde bis 2005 abzuschließen, hätten die Modalitäten für die Verhandlungen schon bei der 5. Ministerkonferenz im Herbst 2003 im mexikanischen Cancún beschlossen werden müssen. In den Modalitäten wird unter anderem festgelegt, in welchem Umfang Zölle und Subventionen abgebaut werden. Danach geht es nur noch darum, wie dieser Rahmen auf einzelne Produkte angewandt wird. Der verbleibende Spielraum kann dann, abhängig von den jeweiligen Modalitäten, sehr gering sein. Jedoch lagen die Positionen der WTO-Mitglieder noch im Sommer 2003, also unmittelbar vor der Konferenz, weit auseinander. Bei den Singapur-Themen war nach wie vor strittig, ob überhaupt Verhandlungen aufgenommen werden sollten wie also der in Doha vereinbarte ausdrückliche Konsens hergestellt werden könne. Aktuell 19

Aktuell 19 Etwa einen Monat vor der Cancún-Konferenz legten die EU und die USA einen Vorschlag für die Neuregelung des Agrarhandels vor, der im Kern einen Kompromiss zwischen ihren jeweiligen Positionen beschrieb. Im Bereich Subventionsabbau sah er weitgehende Besitzstandswahrung vor. Von den Entwicklungsländern verlangte er weitere Zollsenkungen. Deren Forderung, bestimmte Produkte, vor allem aus kleinbäuerlicher Produktion, besser zu schützen, blieb jedoch unberücksichtigt. Als Reaktion formierte sich unter der Führung von Brasilien und Indien eine Gruppe von zunächst 20 Entwicklungsländern. Ihr Gegenvorschlag unterschied sich von den gemeinsamen EU-US-Positionen insbesondere dadurch, dass Entwicklungsländer durch eine flexiblere Zollreduktionsformel zu deutlich geringeren Liberalisierungsschritten verpflichtet werden sollten. Die Industrieländer reagierten abwehrend auf die neue Allianz, die ihre bis dato unangefochtene Vormachtstellung in der WTO in Frage stellte. Die Ministerkonferenz von Cancún begann mithin ohne substantielle Annäherung. Die mexikanische Konferenzleitung ignorierte die Position von mehr als 90 Entwicklungsländern, die sich klar gegen die Aufnahme von Verhandlungen der Singapur-Themen ausgesprochen hatten. Stattdessen schlug sie vor, zu zwei der vier Themen (öffentliche Beschaffung und administrative Handelserleichterungen) sofort mit Verhandlungen zu beginnen, zu einem dritten (Wettbewerbsrecht) dies etwas später zu tun und nur bei einem vierten (Investitionsregeln) weiter zu prüfen. Diese Kompromisslinie war ganz offenkundig getragen von der Erwartung, dass die Front der Entwicklungsländer unter dem Druck der politisch und wirtschaftlich mächtigeren Industrieländer auch in Cancún bröckeln und schließlich in sich zusammenfallen würde. Die Entwicklungsländer, vor allem die afrikanischen Länder, lehnten jedoch weiterhin alle Singapur- Themen ab. Die mexikanische Konferenzleitung erklärte daraufhin die Differenzen für nicht überbrückbar und die Verhandlungen für gescheitert obwohl andere, ebenfalls kontroverse Themen, vor allem Landwirtschaft, überhaupt noch nicht ernsthaft angesprochen worden waren. Vor dem Ende vom Ende einer langen Geschichte Halbherziger Neustart in Genf Nach dem Scheitern von Cancún wurde am Sitz der WTO in Genf sondiert, wie die Doha-Runde vor dem endgültigen Scheitern bewahrt werden könnte. Die Verhandlungen im Allgemeinen Rat Ende 2004 waren streng geheim, die wenigen anwesenden Journalisten und NRO-Vertreter waren über den Gesprächsverlauf kaum informiert. Deren Ergebnis war ein Paket, das so genannte Juli-Paket, mit einer allgemeinen Entscheidung, in der die WTO-Mitglieder sich dazu bekennen, nach der gescheiterten Konferenz von Cancún die Doha-Runde zu Ende führen zu wollen. Darüber hinaus enthielt es spezielle Anhänge zu Landwirtschaft, NAMA, Dienstleistungen und zu einem der Singapur- Themen, zu administrativen Handelserleichterungen. Mit dem Juli-Paket wurden drei der vier Singapur- Themen Investitionen, Wettbewerbsrecht und öffentliches Beschaffungswesen endgültig aus dem Ver handlungsmandat der Doha-Runde entfernt. Nur über administrative Handelserleichterungen wurden Verhandlungen aufgenommen, allerdings mit eingeschränktem Auftrag. Bei den NAMA-Verhandlungen mussten die Entwicklungsländer einen deutlichen Rückschlag hinnehmen: Trotz ihrer nachdrücklichen Proteste wurde der in Cancún nicht diskutierte Entwurf für einen Verhandlungsrahmen praktisch unverändert übernommen. Damit wurde die Forderung der Industrieländer, Zölle gemäß einer nicht-linearen Formel zu senken (also höhere Zölle stärker zu reduzieren) ebenso erfüllt wie die nach speziellen Initiativen zum noch stärkeren Zollabbau in bestimmten Sektoren. Im Rahmenabkommen zu Landwirtschaft wurde erstmals die Abschaffung aller Formen von Exportunterstützung als Verhandlungsziel vereinbart, wenn auch noch ohne Zeitplan. Im Bereich des Marktzugangs mussten die Entwicklungsländer dagegen hinnehmen, dass die gleiche Zollsenkungsformel für Industrie- und Entwicklungsländer gelten sollte, wenn auch mit anderen Werten. Das würde ihre Möglichkeiten verringern, für Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung

Vor dem Ende vom Ende einer langen Geschichte wichtige Produkte zu schützen. Weiterhin wurden im Juli-Paket erstmals die Einführung von sensitiven Produkten für alle Mitglieder und speziellen Produkten sowie eines speziellen Schutzmechanismus für Entwicklungsländer als Verhandlungsziele festgehalten. Damit wären erstmals Instrumente geschaffen worden, die speziell auf den Schutz von Kleinbauern und für die Ernährungssicherheit wichtige Produkte abzielen. Die Vereinbarungen zur internen Unterstützung hätten einerseits die Industrieländer auf die substanzielle Reduktion der handelsverzerrenden Unterstützungsmaßnahmen verpflichtet, andererseits wurden speziell für die USA neue Schlupflöcher geschaffen. In diesem Rahmen war Hongkong dann auch einigermaßen erfolgreich. Die Ministererklärung konkretisierte das Juli-Paket und engte die Bandbreite möglicher Ergebnisse ein. Die entscheidenden Fragen wurden jedoch vertagt. Als einzig wirklich konkretes Ergebnis von Hongkong wurde unter dem Vorbehalt, dass die Runde insgesamt abgeschlossen wird die Abschaffung aller Exportsubventionen, vergünstigter Exportkredite und Maßnahmen mit ähnlicher Wirkung bis 2013 beschlossen. Vergebliche Anläufe in Genf Die mehrmaligen Versuche, nach Hongkong einen finalen Durchbruch zu erzielen, blieben allesamt erfolglos. Die Gründe hierfür waren verschieden: Marktzugang für Nicht-Agrargüter, Landwirtschaft oder die richtige Balance zwischen beiden. Während die Einigungsversuche 2006 und 2007 relativ bald ergebnislos abgebrochen wurden, schien im Sommer 2008 in Genf der Abschluss der Runde zum Greifen nah. Aktuell 19 Mit dem Juli-Paket war es den Entwicklungsländern gelungen, die Expansion der WTO in neue Aufgabengebiete weitgehend zu stoppen. Darüber hinaus gelang es ihnen, in den Agrarverhandlungen zumindest erste Ansätze zu verankern, mit denen die speziellen Bedürfnisse von Kleinbauern berücksichtigt werden können. Ein echter Paradigmenwechsel hin zu einer Re- Regulierung der Weltwirtschaft stand allerdings nicht auf der Tagesordnung. Trippelschritt in Hongkong Auf Grundlage der im Juli-Paket erzielten Zwischenergebnisse sollten bis zur 6. WTO-Ministerkonferenz Ende 2005 in Hongkong die Modalitäten verhandelt und dort verabschiedet werden. Allerdings wurde schnell klar, dass das Juli-Paket nicht zu einer völlig anderen Dynamik geführt hatte. Um ein erneutes Desaster zu verhindern, wurden die Zielvorgaben für Hongkong schon im Vorfeld reduziert: Statt der Modalitäten sollten nur noch Fortschritte dahin vereinbart werden. Basis war ein von WTO-Generaldirektor Lamy präsentierter Kompromissvorschlag, der sich auf Landwirtschaft und NAMA konzentrierte. Dabei wählte Lamy meist die Mitte zwischen den verschiedenen Positionen. Nur bei der Gestaltung des Speziellen Schutzmechanismus für die Agrarmärkte der Entwicklungsländer schlug er ein Modell vor, das dieses neue Instrument von vornherein weitgehend wirkungslos gemacht hätte. Daraufhin verlangten über 100 Entwicklungsländer Nachbesserungen. Den revidierten Vorschlag Lamys lehnten dann die USA ab. Damit war der vielleicht aussichtsreichste Einigungsversuch in der Doha-Runde gescheitert. Den aller Voraussicht nach letzten Anlauf, die Runde abzuschließen, gab es 2011. Diesmal waren Konflikte in den NAMA-Verhandlungen Auslöser für das Scheitern. Während es schon eine weitgehende Einigung über die Zollsenkungsformel gab, beharrten die USA darauf, dass Industrie- und Schwellenländer in einzelnen Sektoren zusätzlich vollkommen freien Marktzugang gewähren müssten. Die Schwellenländer lehnten dies mit Verweis darauf ab, dass im Verhandlungsmandat sektorale Initiativen ausdrücklich als freiwillig bezeichnet werden. Ein Konsens über das weitere Vorgehen ist nicht in Sicht. Offenbar fehlt der Mut für einen radikalen Schnitt. Die informell diskutierten Optionen, auf niedrigem Niveau weiter zu verhandeln oder eine Pause

19 Nur noch für Kleine einzulegen, scheinen wenig attraktiv. Die Doha-Runde droht zu enden, ohne dass wenigstens ihr Scheitern offiziell und im Konsens festgestellt werden kann. Fazit Aktuell Das Scheitern der Doha-Runde hat deutlich gemacht, dass das einseitig auf Liberalisierung und Marktöffnung ausgerichtete neoliberale handelspolitische Paradigma noch nicht einmal nach seinem eigenen Maßstab zu Ergebnissen führt. Die WTO-Mitglieder müssen den Mut finden, sich endgültig von der Doha- Runde zu verabschieden, ohne länger der Versuchung zu erliegen, den gleichen neoliberalen Ansatz in bilateralen oder regionalen Freihandelsabkommen weiter zu verfolgen. Stattdessen ist eine grundlegende Diskussion darüber erforderlich, wie ein multilaterales Handelssystem den neuen globalen Herausforderungen gerecht werden kann. Dazu muss es genügend Offenheit bewahren, um Entwicklungsländern Exporte als ein Element ihrer Entwicklungsstrategie zu ermöglichen und gleichzeitig sicherstellen, dass handelspolitische Verpflichtungen der notwendigen ökologischen und sozialen Regulierung der Märkte nicht im Wege stehen. Herausgeber: Evangelischer Entwicklungsdienst e. V. (EED) Ulrich-von-Hassell-Straße 76, 53123 Bonn Telefon (02 28) 81 01-0, Fax (02 28) 81 01-160 E-Mail: eed@eed.de Internet: www.eed.de Germanwatch e. V. Schiffbauerdamm 15, 10117 Berlin Telefon (030) 28 88 356-0, Fax (030) 28 88 356-1 E-M ail: info@germanwatch.org Internet: www.germanwatch.org Autoren: Michael Frein, Referent für Welthandel und Umwelt beim EED und Tobias Reichert, Referent für Welthandel und Ernährung bei Germanwatch. Redaktion: Stefan Tuschen Bildnachweis: Mario Spann, Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland Lizenz. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.