Stellungnahme zum Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz

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Transkript:

48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) 1 von 7 Islamische Glaubensgemeinschaft in ÖSterreich Stellungnahme zum Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz Die (), als staatlich anerkannte Religionsgesellschaft, die dem demokratischen Rechtsstaat und dem Pluralismus sowie der Republik Österreich verpflichtet und treu verbunden ist, sieht es als ihre Pflicht an, zum Anti Gesichtsverhüllungsgesetz eine Stellungnahme abzugeben. Grundsätzlich ist vor dem Hintergrund des 2 Antigesichtsverhüllungsgesetz auf den Umstand hinzuweisen, dass mit dem Erlass besagter Norm ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens, der Religionsfreiheit und ferner auch der Meinungsäußerungsfreiheit verbunden ist. Hinsichtlich einer Verletzung von Art. 8 und 9 EMRK: Das Verbot des Tragens von Kleidung, die das Gesicht verhüllt, an öffentlichen Orten wirft Fragen hinsichtlich des Rechts auf Achtung des Privatlebens von Frauen auf, die aus Gründen ihres Glaubens den Gesichtsschleier tragen wollen, und hinsichtlich ihres Rechts, diesen Glauben auszuüben. Persönliche Entscheidungen über die gewünschte Erscheinung einer Person, sei es an öffentlichen oder privaten Orten, betreffen den Ausdruck ihrer Persönlichkeit und fallen daher unter den Begriff des Privatlebens. Der EGMR hat dies in Bezug auf einen Haarschnitt festgestellt. Dies trifft auch auf die Wahl der Kleidung zu. Eine von einer staatlichen Autorität ausgehende Maßnahme, die eine Entscheidung dieser Art einschränkt, begründet daher grundsätzlich einen Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Achtuol! des Privatlebens isv. Art. 8 EMRK. Daraus kann abgeleitet werden, dass das in 2 Antigesichtsverhüllungsgesetz enthaltene Verbot einen Eingriff in das gern. Art 8 EMRK gewährleistete Recht darstellt. Bei der Annahme, dass das die durch das Gesetz beschwerte Personen daran gehindert werden, Kleidung an öffentlichen Orten zu tragen, die als Ausdruck ihrer religiösen Zugehörigkeit zu erachten sind, ist besagte Norm auch vor dem Hintergrund der Freiheit der Religionsausübung zu thematisieren. Es wird nicht verkannt, dass das Tragen gesichtsverhüllender Bekleidung um eine Praxis einer Minderheit innerhalb einer Religionsgemeinschaft handelt - dennoch ist die fragliche Bekleidung vor dem Hintergrund der Ausübung der Religionsfreiheit zu erörtern, wenn den von der besagten Norm betroffene Personen daran gehindert werden, Kleidungsstücke aus religiösen Erwägungen zu tragen, sohin ist es auch erforderlich die fragliche Norm isd Art. 9 EMRK zu prüfen. Hinsichtlich der Beschaffenheit des Verbots als "Eingriff': Um die Frage zu beantworten, ob es sich bei der Vornahme der zu 2 Antigesichtsverhüllungsgesetz ergehenden Rechtsfolgen um einen "Eingriff' im Sinne einer Verletzung der Art. 8 und 9 EMRK handle, gilt es zu erörtern, inwiefern die jeweils betroffene Person zu einer Änderung ihres Verhaltens durch besagte Norm angehalten ist, bzw. welche Konsequenzen ihr im Falle des Nicht-Änderns drohen. Seite 1 von 7

2 von 7 48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) IGGO Islamische Glaubensgemeinschaft in ÖSterreich Hinsichtlich der Ausübung der persönlichen Freiheit ist demnach anzunelunen, dass eine Person zu entscheiden hat, ob sie denn nun ihrem Recht auf persönliche Freiheit nachgehen möchte oder die Verhängung eines Übels in Form einer Geldstrafe (demnach ein staatlicher Eingriff in das Recht auf Eigentum) in Kauf nimmt. Es besteht in Befolgung besagter Norm eine Beschneidung eines Rechts (Recht auf Achtung des Privatlebens) sowie erfolgt bei Nichtbefolgung besagter Norm ebenfalls eine Beschneidung eines Rechts (Verkürzung des Eigentums in Höhe von bis zu EURO 150). Die Person hat demnach zu envägen, welcbes Übel sie in Kauf nimmt, und erfohrt in beiden Fällen ein Einschnitt in ein Recht. Gleiches ist auch hinsichtlich der Ausübung der Religionsfreiheit isd Art 9 EMRK auszuführen. Auch hier muss die von der besagten Norm betroffene Person erwägen, welches Übel sie denn nun in Kauf nimmt. Sohin stellt die rechtliche Konsequenz aus der Tatbestandsmäßigkeit nach 2 Antigesichtsverhüllungsgesetz jedenfalls einen "Eingriff' isd EMRK dar. Nicht jeder Eingriff stellt eine Verletzung der EMRK dar, sondern lediglich Eingriffe, welche keine gesetzlich normierten "legitimen" Ziele verfolgen nicht geeignet sind besagte "legitimen" und gesetzlich normierten Ziele zu verfolgen nicht verhältnismäßig in Relation zur Intensität des Eingriffs bzw. dem zu verfolgenden Ziel sind Die Erläuterungen zu 1 und 2 des Antigesichtsverhüllungsgesetzes führen als "Ziel" folgende Umstände an: Förderung der Integration durch die Stärkung der Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenleben. Sicherung des friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion in einer pluralistischen Gesellschaft Jenes Ziel stütze sich verfassungsrechtlich auf Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG - Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung, jedoch mit Ausnahme der örtlichen Sicherheitspolizei. Als weitere Erläuterungen dienen folgende Ausführungen zu 1 Antigesichtsverhüllungsgesetz: "Die Ermöglichung zwischenmenschlicher Kommunikation ist eine wesentliche Funktionsbedingung für ein friedliches Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat. Für Kommunikation bildet das Erkennen des Anderen bzw. dessen Gesichts eine notwendige Voraussetzung. " Seite 2 von 7

48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) 3 von 7 Daraus lässt sich ableiten, dass das "friedliche Zusammenleben" als Bestandteil der öffentlichen Ordnung zu erachten ist, welche geeignet ist einen Eingriff nach Art 8 bzw. 9 EMRK zu legitimieren. Das "friedliche Zusammenleben" wiederum stütze sich auf die Kommunikation zwischen den Menschen und zur Kommunikation ist das "Erkennen des Anderen" bzw. dessen Gesichts unerlässlich - demnach ohne Erkennen des Anderen bzw. dessen Gesicht eine Kommunikation - wie sie vom Gesetzgeber vorgesehen ist - beeinträchtigt erscheint. Demnach stellt das Ziel besagter Norm die SichersteUun2 der Kommunikation zwischen den Menschen in Öste."reicb dar, um daraus ein friedliches Zusammenleben zu 2ewäbrleisten" Vor diesem Hintergrund gilt es nun zu erörtern unter welchem Aspekt die "Kommunikation zwischen den Menschen" zu verstehen ist, um zu erwägen, ob die vorgesehene Maßnahme auch im aufgezeigten Sinne geeignet", aber auch verhältnismäßig" erscheint. " " Adressiert der Gesetzgeber eine abstrakte Vorstellung von Kommunikation zwischen zwei Menschen, demnach eine grundsätzliche Frage aufzuwerfen ist, ab wann denn nun Kommunikation als "beeinträchtigt" zu erachten ist und ab wann nicht. Oder adressiert der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund Abstriche an der gesamten Kommunikation, welche an öffentlichen Plätzen stattfindet. Zur näheren Erläuterung: Stellt der Gesetzgeber ganz abstrakt und allgemein die Qualität der Kommunikation zwischen einer Person mit verschleierten Gesicht und einer Person ohne verschleiertem Gesicht in Frage und leitet daraus eine Gefährdung der Kommunikation und sohin der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ab oder befürchtet der Gesetzgeber, dass die gesamte Kommunikation an Österreichs öffentlichen Plätzen unter dem Aufkommen an Verschleierung einzelner Personen leidet? Bei Unterstellung der Annahme, dass die gesamte Kommunikation an Österreichs öffentlichen Plätzen unter der Verschleierung einzelner Personen leidet: Zur Erörterung jenes Umstands ist es unerlässlich die Anzahl der gesichtsverschleierten Personen zu eruieren. Jenes Unterfangen hat sich leider als erfolglos herausgestellt, wie aus den äußerst fragwürdigen Zahlen, welche derzeit kursieren, zu entnehmen ist. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass die Zahl 150 (bereits seit dem Jahre 2010) im Umlauf ist. In Ermangelung fundierterer Erhebungen ist man leider gezwungen jene Zahl als Richtwert heranzunehmen. Die Fragwürdigkeit jener Zahl ergibt sich allein schon aus dem Umstand, dass sie aus dem Jahre 2010 stammt, wobei damals nicht ersichtlich war, wie denn auf diese Zahl geschlossen wurde. Weiters ist nicht ersichtlich, ob denn nun Touristen jener Summe immanent sind (was an der Tatbestandsmäßigkeit grundsätzlich nichts ändern würde). Dessen ungeachtet stellt jene Menge eine äußerst geringe dar. Vergegenwärtigt man sich die Anzahl der öffentlichen Plätze in Österreich und stellt ihnen diese Zahl gegenüber, so erscheint es beinahe Seite 3 von 7

4 von 7 48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) lebensfremd eine "Beeinträchtigung der Kommunikation" darin zu erblicken. Ohne eine nähere Erhebung anzuführen, kann es als notorisch erachtet werden, dass Österreich mehrere Tausend öffentliche Plätze aufweist. Dass 150 in Anbetracht der beträchtlichen Anzahl öffentlicher Plätze durch ihren Gesichtsschleier die Kommunikation derart beeinträchtigen, dass die öffentliche Ruhe und Sicherheit dadurch gef<ihrdet erscheint, kann geradezu als lebensfremd und der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechend erachtet werden. Vor diesem Hintergrund ist auf den Abs. 2 des 2 des Antigesichtsverhüllungsgesetzes hinzuweisen, aus dem ergeht, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Gesichtsverhüllung stattfinden kann. Aus den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf geht etwa hervor: "Als Verhüllung der Gesichtszüge, die durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, wird etwa das Tragen eines Sturzhelms bei Personenbejörderung mit bestimmten Kraftfahrzeugen aufgrund der Sturzhelmpjlicht in 106 Kraftfahrgesetz 1967, BGBl. Nr. 267 verstanden. Dabei ist etwa ein Herabsteigen vom Kraftfahrzeug zum Zwecke der Betankung vom zeitlichen Rahmen der Ausnahmeregelung umfasst. Bei künstlerischen, kulturellen oder traditionellen Veranstaltungen handelt es sich etwa um Verhüllungen zu Feiertagen (beispielsweise zu Faschingsfeierlichkeiten, Perchtenläufe etc.) oder Verhüllungen, die im Rahmen künstlerischer Darbietungen (Theater, Kunstinstallationen etc.) vorgenommen werden. Die Verhüllung der Gesichtszüge im Rahmen der Sportausübung betrifft Sportarten, bei denen zum Beispiel das Tragen eines Helms aus Schutzgründen (Motorsport) vorgesehen ist. Unter Verhüllungen aus gesundheitlichen Gründen sind solche Verhüllungen zu verstehen, die ärztlich angeordnet werden, wie Mund- und Nasenschutz bzw. Gesichtsschutzmasken. Beim Tragen von Verhüllungen aus berujlichen Gründen handelt es sich um Gesichtsverhüllungen, die etwa aus hygienischen oder medizinischen Gründen notwendig sind. Darüber hinaus sind jene Verhüllungen oder Verbergungen der Gesichtszüge vom Tatbestand des Abs. 1 ausgenommen, die aufgrund witterungsbedingter Umstände (etwa als Schutz vor Frost) vorgenommen werden. " Es kann als notorisch erachtet werden, dass die Anzahl der Personen, welche unter den Tatbestand des Abs 2, die Anzahl der Personen, welche unter Abs I besagter Norm fallen, bei weitem übersteigt. Aber offensichtlich befürchtet der Gesetzgeber aufgrund erster Personengruppe keine Abstriche an der Kommunikation. Sohin vermag jene Annahme den Erlass besagten Verbots nach 1 und 2 Antigesichtsverhüllungsgesetz nicht zu tragen, da die Überlegungen, welche der Gesetzgeber hinter dem Erlass besagten Verbots vor dem Angeführten als ungeeignet und unverhältnismäßig erscheint. Bei Unterstellung der Annahme, dass die Kommunikation zwischen zwei Personen leidet, wenn bei einer Person das Gesicht nicht unbeträchtlich verschleiert ist und eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung daraus abzuleiten ist: Seite 4 von 7

48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) 5 von 7 Um jene Frage zu beantworten, bedarf es einer Erörterung, was denn nun unter "Kommunikation an öffentlichen Plätzen" zu verstehen ist. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich eine sehr lebensnahe Betrachtungsweise an den Tag zu legen. Es wird nicht verkannt, dass eine taxative Aufzählung der kommunikativen Tätigkeiten vor diesem Hintergrund nicht erfolgen kann - dies wäre weder lebensnah noch zweckmäßig, doch können innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegende Gegebenheiten berücksichtigt werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass Muslima, welche eine Gesichtsverschleierung aufweisen, Geschäfte des alltäglichen Lebens an öffentlichen Plätzen erledigen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Teilnahme besagter Personengruppe am öffentlichen Leben darin liegt Einkäufe zu tätigen bzw. Behördengänge zu erledigen oder Arztbesuche vorzunehmen oder etwa Spaziergänge vorzunehmen oder auf die Kinder aufzupassen, während diese spielen. Es stellt sich vor diesem Hintergrund unweigerlich die Frage, inwiefern der Kommunikation geholfen wäre, wenn besagte Frauen ohne Gesichtsschleier die angeführten Tätigkeiten verrichten? Gelingt dann etwa die Kommunikation leichter bzw. besser? Es wird nicht verkannt, dass der Gesetzgeber ausdrücklich auf den Umstand hinweist, dass das Erkennen des Gesichtes ein Merkmal funktionierender Kommunikation darstelle. Selbstverständlich ist der Gesetzgeber dadurch bemüht sich vorsichtig dahingehend zu äußern, dass die Befremdung zwischen Menschen ohne Gesichtsverschleierung etwas geringer ausfiele. Doch es stellt sich auch in Hinblick auf diesen Umstand die Frage, welches Maß an Befremdung denn noch als "tolerabel" zu erachten ist und welches nicht. Es kann als erwiesen erachtet werden, dass Personen, welche dazu angehalten werden, die Gesichtsverschleierung abzulegen, nach wie vor mit einer Ganzkörperverdeckung, dem Tschador auftreten würden. Demnach gilt es zu erörtern inwiefern ein Tschador weniger "befremdlich" empfunden wird als ein Nikab. Jene Frage lässt sich natürlich evidenzbasierend nicht beantworten. Der Gesetzesgeber erachtet jene Annahme als erwiesen. Doch selbst wenn angenommen werden kann, dass Frauen, welche lediglich ein Tschador tragen und kein Nikab, weniger "befremdlich" wahrgenommen werden, kann nicht abgeschätzt werden, welches Ausmaß an "weniger Befremdlich" tatsächlich erzielt wird. Es liegt genauso innerhalb jener unsachlichen Betrachtungsweise, dass bestimmte Menschen einen Tschador genauso befremdlich empfinden wie ein Nikab bzw. jenes Ausmaß an "weniger befremdlich" derart gering ausfällt, dass es im Tatsächlichen keinen Unterschied macht. Vor diesem Hintergrund stellt sich unweigerlich die Frage inwieweit jener Eingriff in Art 8 und 9 EMRK der betroffenen Frauen durch jenes undefinierbare und als äußerst vage zu erachtende "Weniger an Befremdlichkeit" gerechtfertigt ist? Aus der Sicht der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist besagter Eingriff als äußerst unverhältnismäßig und ungeeignet zu erachten, da der dadurch erzielte Effekt nicht erfassbar und in Anbetracht dessen die damit einhergehenden Einschränkungen als nicht gerechtfertigt zu erachten sind. Seite 5 von 7

6 von 7 48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) Verbot von Kopf tuch für Polizistinnen, Richterinnen und Staatsanwältinnen Hinsichtlich der Diskussion eines Kopftuchverbots für Polizistinnen, Richterinnen und Staatsanwältinnen (im Rahmen der bereits bestehenden Normen zur Bekleidungspflicht besagter Berufsgruppen) ist grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass der Schwerpunkt dieser Diskussion gänzlich anders gelagert ist, als zum Antigesichtsverschleierungsgesetz. Das Verbot nach dem Antigesichtsverschleierungsgesetz wird mit dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (indem die Kommunikation zwischen Menschen gefördert wird) begründet und das gegenständliche Verbot mit der Gewährleistung der Trennung von Religion und Staat. Doch auch vor diesem Hintergrund ist die Frage zu aufzuwerfen, welche Personen, denn nun von dem beabsichtigten Kopftuchverbot betroffen wären? Betroffen wären Frauen, welche sämtliche Voraussetzungen für die Bekleidung besagter Ämter erfüllen, demnach Frauen, die die gesamte Ausbildung absolviert haben und auch von mehreren Kommissionen als geeignet für das Richteramt bzw. für das Amt der Staatsanwaltschaft oder als Polizistin befunden wurden. Demnach erfüllen diese Frauen sämtliche Kriterien um rechts staatliche Amtsgeschäfte vorzunehmen. Eine Gefährdung des Säklularitätsprinzips - der Trennung von Religion und Staatswesen - könnte darin erblickt werden, wenn denn nun zu befürchten wäre, dass die Objektivität und Neutralität in der Erledigung der rechts staatlichen Amtsgeschäfte nicht Einklang fänden. Ein Verbot Kopftuch zu tragen, hätte insofern als folgerichtige unterliegende Überlegung, dass die Kopftuch tragende Person nicht die notwendige Objektivität und Neutralität ausstrahlt. Dies würde demnach auch die Annahme aufwerfen, dass eine Person, welche sämtliche Zulassungsvoraussetzungen, sämtliche Hürden und Aufnahmekriterien erfolgreich absolviert hat, dennoch nicht objektiv und neutral sein könne, und zwar deshalb weil sie es als Teil ihrer Religionsausübung erachtet, ein Kopf tuch zu tragen. Dies würde ja bedeuten, dass sämtliche Aufnahmekriterien für die betroffenen Ämter nicht geeignet sind. Jene Erwägungen sind grundsätzlich zn verwerfen, znmal sie eine unsachliche und ungebührliche Uuterstellung an die betroffenen Personen vorwegnehmen. Betrachtet man das fragliche Verbot unter dem Aspekt, dass es sich um eine symbolische Maßnahme handelt - demnach der Rechtsstaat darum bemüht ist nach außen "säkular" aufzutreten und dies dadurch gelingen möge, indem Kopftücher für Polizistinnen, Richterinnen und Staatsanwältinnen verboten wären - ist dem wie folgt zu entgegnen: Das Ausmaß der Säkularität eines Rechtsstaates ist nicht an der Symbolik zu messen, sondern am tatsächlichen Handeln und Entscheiden seiner einzelnen Organe, ungeachtet der Symbolik, die vermeintlich mit dem Tragen von Kleidungsstücken einhergeht. Es kann doch nicht als eine für die Säkularität förderliche Maßnahme erachtet werden, Personen, die sämtliche rechtsstaatliche Aufnahmekriterien für die Ausübung eines öffentlichen Amtes erfüllen, in ihrem Recht auf persönliche Freiheit und Religionsausübung zu beschneiden, um einer säkularen Symbolik zu entsprechen, die ohnehin für das tatsächliche Ausmaß an Säkularität keinerlei Bedeutung hat. Seite 6 von 7

48/SN-290/ME XXV. GP - Stellungnahme zu Entwurf (elektr. übermittelte Version) 7 von 7 IGGO Islamische Glaubensgemeinschaft in ÖSterreich Das Argument im öffentlichen Diskurs, dass eine Fluglinie ebenfalls Kleidungsvorschriften für ihr Personal bestimmen dürfe, verkennt den gegenständlichen Sachverhalt zur Gänze. Die Maßgaben, die für eine private Fluglinie Anwendung finden, sind doch nicht mit einem Rechtsstaat zu vergleichen, der in erster Linie bemüht sein muss rechtstaatliche Prinzipien durchzusetzen. Eine Fluglinie ist vordergründig bemüht Umsatz zu generieren und ein Rechtsstaat ist darin bemüht die Freiheit des einzelnen und das Zusammenleben der Gesamtheit zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund kann die Bekleidungsvorschrift einer Flugbegleiterin nicht mit einem die Art 8 und Art 9 EMRK beschneidendes Verbot für Frauen, welche sämtliche (nicht unerhebliche) Voraussetzungen erfüllen, um sich in den Dienst des Rechtsstaates zu stellen, verglichen werden. Aus derartigen Erwägungen lässt sich demnach ableiten, dass die Kopfbedeckung einer Frau mehr Aufschluss über ihre rechtstaatlichen Grundwerte gibt, als die unter Aufopferung erfolgte Erfüllung sämtlicher Voraussetzung für die Ausübung eines öffentlichen Amtes. Jener Annahme kann nicht gefolgt werden und ist so hin besagtes Verbot strikt abzulehnen. Im Namen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich am 05.03.2017 Seite 7 von 7