Theorien des Rechnungswesens



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Transkript:

Brühl, Rolf: Theorien des Rechnungswesens, in: Lexikon des Rechnungswesens. Handbuch der Bilanzierung und Prüfung, der Erlös-, Finanz-, Investitions- und Kostenrechnung, hrsg. v. Walther Busse von Colbe, Nils Crasselt, Bernhard Pellens, 5. Auflage, Oldenbourg, München, 2011, S. 768-774. Der folgende Text ist bereits veröffentlicht. Zur korrekten Zitation sollte die obige Quelle herangezogen werden, weil kleinere Änderungen vor der Drucklegung nicht im folgenden Text enthalten sind. Theorien des Rechnungswesens 1. Einführung Das Rechnungswesen (hier verkürzend für betriebliches Rechnungswesen) ist ein Informationssystem des Unternehmens, das Informationen - überwiegend monetäre, aber auch nichtmonetäre - für verschiedene Zwecke und Adressaten zur Verfügung stellt. Die Rechnungswesenforschung beschäftigt sich daher ganz allgemein, mit dem Aufbau und der Funktionsweise von Systemen des Rechnungswesens, insbesondere im Hinblick auf die Wirkung der von ihr generierten Informationen in sozialen Systemen. Während im internen Rechnungswesen die Adressaten der Kommunikation Mitglieder der Organisation (Manager und Mitarbeiter) sind, weitet sich für das externe Rechnungswesen der Adressatenkreis auf relevante Stakeholder wie Eigentümer, Lieferanten, Kunden und Banken sowie die Öffentlichkeit, vertreten durch Medien oder Nichtregierungsorganisationen. Angesichts eines solch umfassenden Gegenstandes, ist es nicht verwunderlich, dass es eine einheitliche Theorie des Rechnungswesens ebenso wenig gibt wie eine einheitliche Theorie der Betriebswirtschaftslehre. Anspruch der Rechnungswesenforschung ist es, mithilfe von Theorien ihre Ziele wie z.b. Erklärung, Prognose und Gestaltung von Phänomenen im Rechnungswesen zu erreichen. Unter Theorie soll im Folgenden eine Menge von Aussagen verstanden werden, die in einem systematischen Zusammenhang stehen. Aufgrund des umfassenden Gegenstands werden in der Rechnungswesenforschung eine Vielzahl von Theorien entwickelt, was ein sehr vielfältiges und damit auch heterogenes Bild dieser Forschung vermittelt. Häufig findet sich jedoch eine gemeinsame Leitidee, die den Theorien gemeinsam ist, die den Kern eines Wissenschaftsprogramms ausmacht und den Forschenden einen ähnlichen Blickwinkel auf ihren Forschungsgegenstand vermittelt. Neben den Wissenschaftsprogrammen lassen sich Theorien in der Rechnungswesenforschung nach weiteren Kriterien einteilen. Rolf Brühl (01.03.2010)

2 2. Theorienvielfalt Um Ordnung in die Vielfalt der Theorien zu bekommen, werden die Theorien im Hinblick auf drei Dimensionen eingeteilt, die nicht als Klassifikationen sondern als Typologien zu verstehen sind. Zuerst ist ein Akteursfokus einzunehmen: Rechnungswesenforschung betrachtet aus diesem Blickwinkel die Handlungen sozialer Akteure in Unternehmen. Hier lassen sich drei Typen von Theorien unterscheiden: (1) Rationale (präskriptive) gehen von einem Rationalitätskonzept aus, auf dessen Basis Vorschriften über rationale Handlungen abgeleitet werden. (2) Empirische untersuchen die in der sozialen Realität beobachtbaren Handlungen, um Handlungen und ihre Wirkung zu verstehen und zu erklären. (3) Normative richten ihren Forschungsfokus explizit auf die Ziele, Werte und Normen und schlagen diejenigen explizit vor, die von sozialen Akteuren verfolgt werden sollen. Die drei Typen von sind in einem Wissenschaftsprogramm nicht unabhängig voneinander, vielmehr geben sie sich gegenseitig Impulse für ihre Weiterentwicklung. Theorie-Ebene Makro: Märkte/Gesellschaft/ Anspruchsgruppen Meso: Organisationen/ Netzwerke Mikro: Individuum/ Gruppe rational empirisch normativ ökonomisch politisch/ soziologisch verhaltenswissenschaftlich Wissenschaftsprogramm Ein zweites Einteilungskriterium ist die Betrachtungsebene der Theorien, wobei vereinfacht nur drei Ebenen unterschieden werden sollen: (1) Theorien, die Individuen oder Gruppen untersuchen (Mikro-Ebene: Individuum/Gruppe); (2) Theorien, die sich auf Unternehmen und

3 Unternehmenskooperationen konzentrieren (Meso-Ebene: Organisation/Netzwerke); (3) Theorien, welche die Umfeldperspektive zu Organisationen einnehmen (Makro-Ebene: Märkte/Gesellschaft/Anspruchsgruppen). In der Rechnungswesenforschung koexistieren verschiedene Wissenschaftsprogramme, die zur Vereinfachung in zwei generelle Typen unterschieden werden: (1) Das ökonomische Wissenschaftsprogramm legt ein Modell wirtschaftlicher Handlungen zugrunde, dass sich am Rationalprinzip orientiert und von einer Nutzenmaximierung der nur von ihren eigenen Interessen geleiteten Akteure ausgeht. Das folgende Wissenschaftsprogramm zeichnet sich dadurch aus, dass es Theorien aus anderen Wissenschaftsdisziplinen für Fragen der Rechnungswesenforschung heranzieht: (2) Das sozial- und verhaltenswissenschaftliche Wissenschaftsprogramm bedient sich zum Einen der psychologischen Forschung, um beispielsweise die kognitiven und affektiven Eigenschaften der Akteure im Rechnungswesen zu untersuchen und zum Anderen der Soziologie oder Politikwissenschaft, um beispielsweise die sozialen und politischen Funktionen des Rechnungswesens in Unternehmen und der Gesellschaft zu analysieren. Wenn die drei Dimensionen betrachtet werden, wird deutlich, dass die Vielfalt der Theorien sich aus der Komplexität des Gegenstandes der Rechnungswesenforschung und der von der Forschung gewählten Perspektive ergibt. Beide Gründe führen zu einer Pluralität von Theorien und Methoden in der Rechnungswesenforschung, dies sich verallgemeinern lässt: Die Komplexität der sozialen Realität und die menschliche perspektivische Sicht auf diese Realität verhindern, dass sie durch eine vereinheitlichende Theorie oder mittels einer einheitlichen Methode vollständig beschrieben oder erklärt werden kann. Im Folgenden werden wichtige Theorien des Rechnungswesens primär nach den Wissenschaftsprogrammen unterteilt und dann innerhalb der Wissenschaftsprogramme nach den und den Theorieebenen unterschieden. 3. Theorien des Rechnungswesens im ökonomischen Wissenschaftsprogramm Zentrale Annahmen des ökonomischen Wissenschaftsprogramms betreffen die wirtschaftlichen Handlungen der sozialen Akteure, z.b. ihrer Nutzenmaximierung und die Form ihrer Rationalität. Es beruht auf dem methodologischen Individualismus, der eine Reduktion aller sozialen Phänomene auf individuelle Entscheidungen postuliert. a) Rationale

4 Theorien, die als rationale konzipiert sind, teilen einige gemeinsame Modellvorstellungen für die Rationalität und die Nutzenvorstellungen von sozialen Akteuren, aus denen sich durch Variation ihrer Annahmen eine Vielzahl weiterer Modelle entwickeln lassen. Auf der Mikro-Ebene haben sich auf dieser Basis die Modelle der präskriptiven Entscheidungs- und Spieltheorie entwickelt, wobei insbesondere letztere auch die Interaktion zwischen Individuen und zwischen Organisationen modelliert (Meso). Um Hinweise zu geben, wie in Unternehmen individuelle Entscheidungen beispielsweise eine kostenorientierte Preispolitik zu unterstützen sind, müssen jedoch zusätzlich Kosten- und Markttheorien berücksichtigt werden. In der Literatur des internen Rechnungswesen wird häufig auf Annahmen der Neoklassik zurückgegriffen; typisch hierfür ist die Empfehlung, dass bei einer kurzfristigen Betrachtung die variablen Kosten als Preisuntergrenze ( Grenzkostenrechnung) zu wählen sind (Meso). In der neuen Institutionenökonomie werden durch Abwandlung von Annahmen weitere Modelle rationalen Handelns erzeugt. Werden Informationsasymmetrien eingeführt, dann besteht die Möglichkeit soziale Akteure zu modellieren, die sich in Interaktionshandlungen opportunistisch verhalten, weil ein Akteur über mehr Informationen verfügt ( Prinzipal-Agent). Auf dieser Erkenntnis bauen Signalling-Ansätze im Rechnungswesen auf, die Bedingungen untersuchen, wie es einem Berichtenden glaubwürdig gelingt, die Qualität seiner Leistungen zu übermitteln. In der Transaktionskostentheorie wird durch die Annahme der Spezifität das Problem diskutiert, dass in einer Supply Chain unterschiedliche Machtverteilungen zu verschiedenen Formen der Steuerung ( Controlling) führen (Meso). b) Empirische Insbesondere die Prinzipal-Agenten-Theorie ( Prinzipal-Agent) entwickelt Modelle, wie Anreize für individuelle Agenten so gesetzt werden, dass der Output für den Prinzipal optimal ist. Auf Basis ihrer rationalen werden unter verschiedenen Bedingungen solche optimalen Anreizverträge empirisch getestet, wobei bevorzugt experimentelle Designs zur Hypothesenprüfung eingesetzt werden (Mikro). Grundlage für Systeme der Kostenrechnung sind Produktions- und Kostentheorien, die Auskunft über die wesentlichen Einflussgrößen und die Art ihres Einwirkens auf die Kosten geben sollen; so beruht die Grenzplankostenrechnung weitestgehend auf der von Gutenberg entwickelten Produktionsfunktion vom Typ B (Meso). In einem Zweig der empirischen Jahresabschlussforschung wird untersucht, inwieweit die Informationen des Jahresabschlusses von Kapitalmarktteilnehmern als nützlich angesehen

5 werden, indem auf Basis von Über-/Unterrenditen der Aktien auf die Nützlichkeit geschlossen wird; ihre Theorien sind auf der Mikro- und Makro-Ebene einzuordnen. Diese auch als positive Rechnungswesenforschung (positive accounting theory) bezeichnete Richtung geht auf eine Kritik an der normativen Rechungswesenforschung zurück und ruht auf ökonomischen Theorien wie der Prinzipal-Agenten-Theorie und Annahmen über den Kapitalmarkt insbesondere der Effizienz des Kapitalmarkts (Makro). b) Normative Normative Rechnungswesenforschung widmet sich als einer ihrer zentralen Fragen, welche Ziele mit der Rechnungslegung verbunden sein sollen ( Bilanztheorie). Sie soll klären, welche Rechnungszwecke zu verfolgen sind und wie sie erreicht werden können. Die Diskussion konzentriert sich dabei auf Rechnungszwecke ausgewählter Stakeholder insbesondere der Kapitalgeber: Eigentümer/Aktionäre, potentielle Investoren sowie Banken. Weitere Stakeholder werden durch normative des im folgenden Abschnitt behandelten Wissenschaftsprogramms diskutiert. Mikro-Ebene Meso-Ebene Makro-Ebene Rationale Entscheidungs- und Spieltheorie Prinzipal-Agenten-Theorie Neoklassik Transaktionstheorie Empirische Normative Theorie der optimalen Produktions-/ Anreizverträge Kostentheorie Empirische Jahresabschlussforschung Investoren Bilanztheorien Kapitalmarkt Theorien und Forschungsgebiete im ökonomischen Wissenschaftsprogramm 4. Theorien des Rechnungswesens im sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Wissenschaftsprogramm Während sozialwissenschaftliche Forschung das Handeln kollektiver sozialer Akteure in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Umfeld untersucht (Meso-, Makro-Ebene), steht im Mittelpunkt verhaltenswissenschaftlicher Forschung das Handeln von Individuen und Gruppen in ihrem Umfeld (Mikro). Beide Sichtweisen sind eher als Untersuchungsschwerpunkte zu verstehen und nicht als scharfe disziplinäre Grenzen, denn Individuen

6 handeln in einem Rahmen, der durch soziale Akteure gesetzt wird, und soziale Akteure sind wiederum in ihrem Handeln auf Individuen angewiesen. Einige Ansätze in diesem Wissenschaftsprogramm verwenden rationale (rational choice), bedienen sich dann meist der Theorien, die für das ökonomische Wissenschaftsprogramm beschrieben werden (s. unter 3.a). a) Empirische Auf der individuellen Ebene gibt es eine reichhaltige Forschung zu den Wirkungen von Informationen auf Individuen und Gruppen. Eine große Rolle spielt z.b. die empirische Budgetforschung, die sich mit den Wirkungen partizipativer Budgeterstellung ( Budgetierung) beschäftigt, wobei dies auch im Hinblick auf die Motivationswirkung der beteiligten Manager erfolgt. Eine weitere, wesentliche Richtung ist die empirische Entscheidungsforschung im Rechnungswesen, welche die Qualität der Entscheidungen von Managern, Investoren und Wirtschaftsprüfern untersucht, die sie mit Hilfe von Informationen des Rechnungswesen in unterschiedlichen Situationen treffen (Mikro). Da die staatliche Gesetzgebung von der Normsetzung privater Organisationen ( FASB, IASB) beeinflusst wird, widmen sich Forscher zunehmend dem Phänomen, wie Entscheidungen in diesen Organisationen getroffen werden und welche Organisationen in ihrem Umfeld darauf Einfluss nehmen (Meso). Mit dem Neo-Institutionalismus, ursprünglich als eine Theorie der Makro-Ebene in der Organisationstheorie/-soziologie entwickelt, lassen sich diese Einwirkungen des relevanten Umfeldes auch auf das Rechnungswesen von Unternehmen untersuchen. b) Normative Es gibt in diesem Wissenschaftsprogramm eine Reihe von Theorien, die normative Aussagen zum Rechnungswesen machen. Als erstes ist die Stakeholder-Theorie zu nennen, die den Kreis der Adressaten für das Rechnungswesen, der über die Finanzmarktakteure ( Share Holder Value-Konzept) hinausgeht, erweitert. Zweitens wird mithilfe der Legitimitätstheorie begründet, warum Unternehmen freiwillig über die Nutzung natürlicher Ressourcen Bericht erstatten ( Nachhaltigkeitsbericht, Umweltbilanzen). Unternehmen erhalten nach ihr die Legitimität von der Gesellschaft und haben sie ständig neu zu erwerben. Mit dieser Theorie lassen sich auch Forderungen erklären, die von Unternehmen verlangen, dass sie sich als verantwortungsvolle soziale Akteure verhalten und darüber in Form eines Corporate Social Responsibility Report freiwillig darüber berichten (Meso/Makro).

7 Mikro-Ebene Meso-Ebene Makro-Ebene Empirische Normative Empirische Budget- und Entscheidungsforschung Neo-Institutionalismus Stakeholder-Theorie Legitimitätstheorie kritische Rechnungswesenforschung Theorien im sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Wissenschaftsprogramm Als normative Handlungstheorie lässt sich auch die kritische Rechnungswesenforschung (critical accounting) auffassen, in der über Macht- und Konfliktverhältnisse in Unternehmen aufgeklärt werden soll, indem z.b. gezeigt wird, wie Rechnungswesen als Instrument genutzt wird, um Machtinteressen durchzusetzen. Ihre kritische Einstellung ist häufig mit zwei Aspekten verbunden: (1) einer kritischen Haltung gegenüber kapitalistisch organisierten Wirtschaftsordnungen, (2) einem emanzipatorischen Impetus, der sich für Belange von Minderheiten und Benachteiligten einsetzt (Meso/Makro). 4. Fazit und Ausblick Diese Kennzeichnung der Rechnungswesenforschung der letzten Jahrzehnte in groben Zügen zeigt mehrere Facetten: - Interdisziplinarität: Mit der sozialwissenschaftliche Öffnung und seinem Import von Theorien unterschiedlichster Herkunft ist ein Theorienpluralismus und ein Methodenpluralismus verbunden. Die empirische Forschung und auch einzelne Methoden wie z.b. das Experiment haben einen höheren Stellenwert erhalten. - Heterogenität: Mit diesem Pluralismus geht die Einheitlichkeit verloren und die Heterogenität erzeugt beim Betrachter den Eindruck von Unübersichtlichkeit. Der Wunsch der gegenseitigen Befruchtung von Theorien oder Methoden erfüllt sich nicht, da sich Forscher nicht in verschiedenen Theorie- und Methodentraditionen gleichzeitig bewegen wollen oder können. - Koexistenz der Wissenschaftsprogramme: In den Sozialwissenschaften ist der Normalfall der Wissenschaft die Koexistenz von Wissenschaftsprogrammen, die sich in ihren theoretischen Komponenten unterscheiden. Hierdurch entsteht ein durchaus angestrebter Wettbewerb, denn in der Rechnungswesenforschung versuchen die Wissenschaftsprogramme gleiche Phänomene mit ihren jeweiligen Theorien zu erklären. Wissenschaftstheoretisch lässt sich diese Koexistenz über längere Zeiträume mit zwei Eigenschaften von Wissenschaftsprogrammen verstehen: (1) Aufgrund der Unterbestimmtheit von Theorien lassen sich Phänomen der Rea-

8 lität durch unterschiedliche Theorien erklären, (2) Wissenschaftsprogramme bestehen aus Netzen von Theorien und deren holistischer Charakter macht es schwer, sie als Ganzes zu falsifizieren. In diesem Artikel wird, um überhaupt in dieser Kürze eine Orientierung geben zu können, an vielen Stellen vereinfacht. Erstens sind natürlich nicht alle Theorien, die in der Rechnungswesenforschung eingesetzt werden, aufgenommen; an einigen Stellen wird nur auf den Zweig der Forschung hingewiesen, ohne explizit Theorien zu nennen. Es wurde zweitens verzichtet, darauf hinzuweisen, dass und welche Verbindungen zwischen den getrennt dargestellten bestehen. Auch wurde drittens einige weitere Theoriespender nicht dargestellt, wie z.b. die Unternehmensethik, aus der für normative wesentliche Impulse kommen. Trotz dieser Einschränkungen illustriert der Artikel die Vielfalt der Rechnungswesenforschung und kann anregen, sich mit alternativen Theorien und Wissenschaftsprogrammen zu beschäftigen, um vielleicht neue Perspektiven auf altbekannte Phänomene im Rechnungswesen zu erhalten. Literatur: Williamson, O. E.: The economic institutions of capitalism, 1985; Watts, R. L./Zimmerman, J. L.: Positive accounting theory, 1986; Raffée, H.: Gegenstand, Methoden und Konzepte der Betriebswirtschaftslehre, in: M. Bitz/K. Dellmann/M. Domsch/H. Egner (Hrsg.): Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, 3. Aufl., 1993, S. 1-46; Ryan, B./Scapens, R. W./Theobald, M.: Research method and methodology in finance and accounting, 2. Aufl., 2002; Christensen, J. A./Demski, J. A.: Accounting theory. An information content perspective, 2003; Schanz, G.: Wissenschaftsprogramme der Betriebswirtschaftslehre, in: F. X. Bea/B. Friedl/M. Schweitzer (Hrsg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Band 1: Grundfragen, 9. Aufl., 2004, S. 83-161; Sy, A./Tinker, T.: Critical accounting, in: C. Clubb (Hrsg.) The Blackwell encyclopedia of management: Accounting, 2. Aufl., 2005, S. 147-152; Deegan, C./Unerman, J.: Financial accounting theory, 2006; Birnberg, J. C./Luft, J./Shields, M. D.: Psychology theory in management accounting research, in: C. S. Chapman/A. G. Hopwood/M. D. Shields (Hrsg.): Handbook of Management Accounting Research, Band 1, 2007, S. 113-135; Cooper, D. J./Hopper, T.: Critical theorising in management accounting research, in: C. S. Chapman/A. Hopwood/M. Shields (Hrsg.): The handbook of management accounting research, Band 1, 2007, S. 207-245; Bonner, S. E.: Judgment and decision making in accounting, 2008; Brühl, R.: Handlungserklärungen in einer erkenntnispluralistischen Methodologie. Betriebswirtschaftliche und Methodenkombinationen, in: T. Wrona/G. Fandel (Hrsg.): Multi-Methods vs. Mono-Methods, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 80. Jg., Sonderheft 4, 2010 (im Erscheinen).