Gesetz zur Tarifeinheit: Hintergrund Ziele Inhalte Bewertung

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Transkript:

Gesetz zur Tarifeinheit: Hintergrund Ziele Inhalte Bewertung Stand 21. April 2015

2 Bedeutung der Tarifeinheit Die Tarifeinheit ist für die IG Metall von größter Bedeutung. Zu erinnern ist an den entsprechenden Beschluss des letzten ordentlichen Gewerkschaftstages. Tarifeinheit ist dabei zuallererst keine rechtliche, sondern eine politische Kategorie. Sie ist geronnener Erfahrungsschatz schmerzvoller Niederlagen der deutschen Arbeiterbewegung und trotz aller Blessuren - konstitutiv für den Erfolg des deutschen Sozialstaatsmodells in den Nachkriegsjahren. Sie umzusetzen und mit Leben zu erfüllen, ist daher primär und zuallererst eine politische Aufgabe, eine organisationspolitische Herausforderung. Und sie ist nicht bedingungslos: Tarifautonomie und Streikrecht sind untrennbar mit der Tarifeinheit verbunden. Die Tarifeinheit war durch Richterrecht nach dem sogenannten Spezialitätenprinzip bis 2010 durch Verdrängung der allgemeineren Tarifverträge im Betrieb abgesichert. Weil letztlich die Arbeitgeber entschieden, nicht die Belegschaften, mit wem sie den spezielleren also den billigeren - Tarifvertrag abschließen. Und uns rausdrängen. Als das BAG 2010 entschied, dass diese Regel, der speziellere Tarifvertrag gilt, verfassungsrechtlich bedenklich ist, stützte es sich in erster Linie darauf, dass die Tarifeinheit bis dahin nur durch Richterrecht hergestellt wurde. Die Wiederherstellung der Tarifeinheit setzt eine gesetzliche Regelung voraus. Und bis dahin galt und gilt die Tarifpluralität. Das heißt, in einem Betrieb können mehrere Tarifverträge mit unterschiedlichen Regelungsnormen zur Anwendung kommen. Mit dem neuen Tarifeinheitsgesetz soll dieser missliche Umstand bereinigt werden. Vorgeschichte des Gesetzentwurfs Zur Vorgeschichte gehört der DGB/ BDA-Vorschlag von 2010. Der Vorschlag enthielt im ersten Absatz als neue Regel das Mehrheitsprinzip zur Auflösung des Problems mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb. Problematisch war der Vorschlag, dass die Friedenspflicht sich auf konkurrierende Tarifverträge erstrecken sollte. Das hätte zu einer Einschränkung des Streikrechts geführt. 2

3 Dass der Vorschlag damals nicht umgesetzt wurde, lag an der FDP. Die wollte noch weitergehendere Deregulierungen des Tarifrechts und Eingrenzungen des Streikrechts durchsetzen. Aber dieser Vorschlag stand im Raum. Auch noch während der Koalitionsverhandlungen 2013. Dieses magische Dreieck durchzog die gesamten Verhandlungen: Gesetzlicher Mindestlohn, Erleichterung AVE sowie Erweiterung Entsendegesetz und ein Gesetz zur Tarifeinheit. Das war Basis des Koalitionsvertrags und damit war und ist klar: Ein Gesetz zur Tarifeinheit kommt. Aber es war die IG Metall, die als erste in die Öffentlichkeit ging und klar gemacht hat, dass wir den DGB/BDA-Vorschlag nicht als Grundlage akzeptieren, solange dort das Arbeitskampfrecht konkret eingeschränkt wird. Wer gestalten will, muss sich einmischen. Dies gilt auch in dieser Frage: Wer den DGB/BDA-Vorschlag ablehnt, muss Alternativen bieten, wie Tarifeinheit hergestellt werden kann. Auch deswegen, um das Feld nicht den Lobbyisten der BDA und der politischen Rechten überlassen können, die viel weitergehende Ideen einbrachte und einbringt. So haben vor wenigen Monaten die CSU und jüngst noch einmal der Wirtschaftsflügel der CDU versucht, die Daseinsvorsorge gegen die Tarifeinheit in Stellung zu bringen. Wir sagen: Gesetzliche Regelungen zum Streikrecht und gar Veränderungen des Grundgesetzes gehen nicht. Diese roten Linien hat die IG Metall früh klar erklärt. Nochmal zugespitzt: Die politische Bedeutung einer rechtlichen Regelung zur Tarifeinheit ist für die IG Metall sicherlich nicht das drängendste Problem. Auch auf Grund unserer organisationspolitischen Stärke. Aber beiseite stehen und den beleidigten Mach ich nicht mit zu spielen, wäre unverantwortlich angesichts möglicher Konsequenzen für das Streikrecht. Inhalt des Gesetzentwurfs Zunächst: worum geht es bei diesem Gesetz nicht? Und da ist der wichtigste Punkt vorneweg: 3

4 Voraussetzung dafür, dass Tarifverträge in einem Betrieb wirksam werden, ist die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft. Die klären wir aber nicht per Gesetz, sondern alleine über die Satzung und bis heute durch das Schlichtungsverfahren beim DGB. Dies ist für die IG Metall eine zentrale und lebenswichtige Frage. Und es geht auch nicht darum, ob eine Vereinigung tatsächlich eine Gewerkschaft und tariffähig ist. Auch diese Voraussetzung muss gegeben sein und wenn notwendig vor Gerichten geklärt werden. Es geht auch nicht um die Fälle, bei denen mehrere Tarifverträge nebeneinander existieren. Also bei Tarifgemeinschaften, wie wir die zum Beispiel bei Vodafone haben. Oder wenn die Geltungsbereiche verschiedene Beschäftigtengruppen betreffen zum Beispiel Cockpit und UFO. Oder wenn es einseitige oder gegenseitige Nachzeichnungen gibt, also zum Beispiel Verdi und der Marburger Bund. Kurzum: Tarifeinheit steht nicht gegen Gewerkschaftspluralität im Betrieb, sondern lässt diese zu. Schon deswegen wird es kein Gesetz geben können, das den GDL/EVG-Konflikt lösen wird. Es sei denn per verfassungswidrigem Eingriff in die Tarifautonomie. 1. Vermeidung von Tarifkollisionen Es geht mit dem Gesetz um eine Stärkung solidarischer Tarifpolitik in Betrieb und Branche. Dazu bekennt sich der Entwurf explizit und dies ist gut so. Und er sieht durch die Tarifpluralität zwei Grundpfeiler unseres Tarifsystems bedroht: - Die Schutz- und Gestaltungsfunktion von Tarifverträgen dann, wenn am Arbeitsmarkt starke Minderheiten ihre Verhandlungsmacht ausüben, ohne die gesamte Belegschaft im Auge zu haben. Oder, was noch schlimmer ist, ihre Verteilungskonflikte auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen lösen. - Die Ordnungsfunktion dann, wenn etwa für kollektive Betriebsnormen, etwa Arbeitszeitregelungen, schon heute die Regelungen des Mehrheitstarifvertrages zur Anwendung kommen, für individuelle Ansprüche dagegen die jeweilige Gewerkschaftsmitgliedschaft Basis ist. Wie will ein Betriebsrat Schichtsysteme verhandeln, wenn es zwei unterschiedliche Anspruchsmodelle auf Schichtzuschläge gibt? 4

5 Eine Auflösung von Tarifpluralität zugunsten von Tarifeinheit erfolgt erst und nur dann, wenn sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge mit unterschiedlichen Inhalten überschneiden. Nur und ausschließlich in diesem Fall liegt eine sogenannte Tarifkollision vor, die zugunsten eines Tarifvertrages aufgelöst werden muss. Das Gesetz soll erst dann greifen, wenn eine Tarifkollision besteht, d.h. zwei Tarifverträge - ggf. auch nach Arbeitskampf - zustande gekommen sind. Erst dann wird nach der relativen Mehrheit geschaut. Jede Gewerkschaft kann die Auseinandersetzung in einer Tarifbewegung dazu nutzen, Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb zu werden. Das heißt anders als noch im DGB/BDA-Vorschlag dürfen die Gewerkschaften zunächst ihren Tarifvertrag durchsetzen auch mit dem Mittel des Arbeitskampfes. Und erst nach Zustandekommen eines Tarifvertrages wird festgestellt, besteht eine Kollision und gibt es Zweifel, wer die Mehrheitsgewerkschaft ist. Deswegen stellt dieses Gesetz auch keinen Eingriff in das Arbeitskampfrecht dar. Dieser Lösungsansatz nach dem Mehrheitsprinzip ist ausdrücklich zu unterstützen. In der Tarifautonomie ist der Grundsatz des solidarischen Eintretens aller Beschäftigtengruppen füreinander ein zentrales Grundprinzip. Und die jetzt gefundene Lösung stellt diesen Grundsatz ohne Eingriff in das Streikrecht her. 2. Entscheidend ist die betriebliche Verankerung einer Gewerkschaft Das heißt gewerkschafts- und betriebspolitisch: Es entscheidet die betriebliche Stärke. Und dies entspricht auch dem Anspruch der IG Metall: Wir haben keine Angst vor Mehrheiten! Und es entscheidet eben nicht der Arbeitgeber, sondern per Mitgliedschaft ausschließlich die Belegschaft über den Tarifvertrag, den sie will. Das ist ein markanter Fortschritt zum Spezialitätenprinzip der letzten 60 Jahre. 3. Nachzeichnungsrecht Der Gesetzentwurf sieht als Ausgleich für den Wegfall eines verdrängten Tarifvertrages ein Nachzeichnungsrecht vor. Die Minderheitsgewerkschaft soll einen Anspruch bekommen, den Mehrheitstarifvertrag inhaltsgleich mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Die Kritik der IG Metall an einem zu weitgehenden Nachzeichnungsrecht wurde berücksichtigt. Das Nachzeichnungsrecht wurde begrenzt auf die Nachzeichnung der sich überschneidenden Rechtsnormen. Damit ist das Nachzeichnungsrecht begrenzt auf Regelungsinhalte, die der Minderheitstarifvertrag bereits enthält. Eine positive 5

6 Differenzierung durch Tarifverträge, die allein die IG Metall abschließt, bleibt somit möglich. Wenn die IG Metall beispielsweise ein Weihnachtsgeld tarifvertraglich ausgehandelt hat, gilt das nicht automatisch für die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft bequemes Trittbrettfahren geht nicht! 4. Streikrecht nicht berührt Das Thema Streikrecht hat in der Debatte hohe Wellen geschlagen. Fakt ist: Nicht zuletzt durch Bemühungen der IG Metall wurden sämtliche Bezüge zum Arbeitskampfrecht aus dem Gesetzestext entfernt. Auch zwischen den Zeilen ist eine Einschränkung von Streiks nicht zu lesen: Der Gesetzentwurf geht ausdrücklich von der Möglichkeit mehrerer Tarifverträge im Betrieb aus. Erst diese Situation ist es, die unter bestimmten Umständen die Notwendigkeit der Feststellung von Mehrheiten und eine Auflösung der Tarifkollision auslöst. Wo mehrere Tarifverträge vorliegen können, müssen diese auch grundsätzlich erstreikbar sein. Das Nachzeichnungsrecht unterstützt dies noch. Die Behauptung, dass das Streikrecht indirekt in Gefahr ist, basiert auf keiner belastbaren Annahme. Die ersten Kommentierungen von BAG-Richtern und des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit bestätigen das. Sie sehen keinerlei Anlass, dass es über das Verhältnismäßigkeitsargument zu einer restriktiveren Rechtsprechung kommt. Natürlich ist man vor Gericht und auf hoher See nie sicher. Mit oder ohne Gesetz zur Tarifeinheit. Deswegen gilt: Die Tarifeinheit ist und bleibt vor allem eine politische Aufgabe. 5. Betriebsbegriff Der Gesetzentwurf enthält die Möglichkeit, Tarifverträge nach 3 BetrVG abzuschließen. Arbeitgeber und Gewerkschaft können so bestimmen, dass auch mehrere Betriebe zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse zugrunde gelegt werden. Das kann ein gewitzter Arbeitgeber dazu nutzen, gemeinsam mit einer ihm genehmen Gewerkschaft Mehrheitsverhältnisse in seinem Sinn zu schaffen. Dieser Kritik der IG Metall wurde Rechnung getragen. Eine Zusammenlegung von Betrieben geht nicht, wenn dies den wesentlichen Funktionen der Tarifautonomie entgegensteht. Es wurde der Satz eingefügt: Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Betriebe von Tarifver- 6

7 tragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind. 6. Verfahrensfragen zu klären! Noch nicht ausreichend geklärt sind die Verfahrensregelungen, sollte es zu einer Überprüfung der relativen Mitgliedermehrheit im Betrieb kommen. Die Feststellung der Mehrheit ist ein Kernelement des Gesetzes und es braucht klare Regeln, wer einen Notar beauftragen kann und was dieser tatsächlich beurkunden soll. Das darf nicht der Fantasie der Beteiligten überlassen bleiben. Hier muss im parlamentarischen Verfahren Klarheit geschaffen werden. Die IG Metall hat hierzu Vorschläge entwickelt und es wurde zugesagt, diese im parlamentarischen Beratungsprozess zu berücksichtigen. Bewertung Wie kann man abschließend den vorliegenden Referentenentwurf aus Sicht der IG Metall bewerten? Erstens: Wir haben das Arbeitskampfrecht aus dem Gesetz herausgehalten. Und die Erstreckung der Friedenspflicht auf andere Gewerkschaften ist raus. Und das ist gut so. Zweitens: Zu begrüßen ist die Stärkung einer solidarischen Tarifpolitik, ohne dass es zu Eingriffen in das Streikrecht kommt, durch die Verankerung des Mehrheitsprinzips. Damit die Beschäftigten darüber bestimmen können, welcher Tarifvertrag gilt und nicht die Bosse. Drittens: Die Kritik der IG Metall wurde in zwei Punkten - 3 Verträge und Nachzeichnungsrecht aufgegriffen. Beim dritten für uns wichtigen Punkt Verfahrensregeln fordern wir die Nachbesserung im parlamentarischen Verfahren. Aber der Prozess ist nicht vorbei: Insbesondere ist dann darauf zu achten, dass in der folgenden parlamentarischen Beratung nicht wieder von der BDA und ihren Lobbygruppen oder den Spartengewerkschaften Einfluss genommen wird, der gegen das Erreichte läuft. 7

8 Deswegen braucht die IG Metall eine klare Sprache und Haltung. Die IG Metall duckt sich nicht weg, sondern zeigt Verantwortung. Gerade auch in solch zentralen Fragen: Streikrecht, solidarische Tarifpolitik und Tarifeinheit können wir nicht Dritten überlassen. Es sind unsere Werte. 8