Soziologische Kommunikation Zur Beobachtung von Gesellschaft in der Gesellschaft

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Transkript:

Soziologische Kommunikation Zur Beobachtung von Gesellschaft in der Gesellschaft von Lars Berghoff (Student an der Universität Magdeburg) Grundzüge einer operativen Erkenntnistheorie: Das Problem der Selbstreferenz einer jeden Beobachtung tritt heutzutage immer deutlicher zum Vorschein: ein Physiker, der seinen Beobachtungsgegenstand mit physikalischen Begriffen und Theorien beschreibt, muss auch sich selbst als einen physikalischen Gegenstand ansehen. Ein Chemiker muss sich auch sich selbst als Komplex von chemischen Strukturen und Prozessen begreifen. Ein Kognitionswissenschaftler, der sich mit dem Aufbau und der Funktionsweise des Gehirns befasst, wird zu dem Ergebnis kommen, dass sein eigener Untersuchungsgegenstand das Gehirn durch eben dieses erzeugt wird. Jeder Beobachter, der seine Beobachtung an sich selbst ausprobiert, wird feststellen müssen, dass er das Produkt seiner eigenen Beschreibungen ist. Insofern ist er ein diskursives Produkt von begrifflichen Unterscheidungen. Aber woher kommen die Begriffe, woher die Unterscheidungen? Das Problem der Selbstreferenz ist für die Soziologie nicht neu: wenn sie die Gesellschaft beobachtet, muss sie theoriebautechnisch auch in der Lage sein, sich selbst zu beobachten (denn schließlich kommt sie als Teil der Gesellschaft in ihrem eigenen Gegenstandsbereich wieder vor). Eine Theorie des Beobachtens muss also auch das eigene Beobachten noch beobachten können. So etwas lässt sich aber nur denken, wenn man mit der These ernst macht, dass Beobachtungen immer schon ihren Gegenstand erzeugen, und nicht einfach bloß eine vorfindbare Realität abbilden. Blickt man heute auf die Kognitionswissenschaften, so vollzieht sich in diesen gegenwärtig ein Paradigmenwechsel. Es wird kaum mehr angenommen, dass das Gehirn äußere Gegenstände (»Objekte«) symbolisch repräsentiert oder einfach abbildet die Suche nach dem»großmutterneuron«ist bis heute erfolglos geblieben. Stattdessen setzt sich mehr und mehr die Ansicht durch, dass Kognition auf Prozessen der Selbstorganisation des Gehirns beruht: dieses ist zwar ein umweltoffenes System (steht also in einer energetischen Austauschbeziehung mit seiner Umwelt), doch wird der Objektbereich systemintern erzeugt, ist also ein Konstrukt des Gehirns. Der Grund dafür ist die operationale Geschlossenheit: das Gehirn ist ein hochkomplexes, parallel und distributiv organisiertes Netzwerk, das

seine Informationen in einem rekursiven Prozess selbst erzeugt. Erkenntnis ist also eine systeminterne Konstruktion, für die es in der Umwelt keine Entsprechung gibt (das Prinzip der undifferenzierten Codierung besagt, dass die Reize der Außenwelt, gleich welcher Qualität, im Gehirn ausschließlich quantitativ codiert werden). Die kognitive Welt des Gehirns ist damit nichts anderes als der Eigenzustand dieses Systems, ein Ergebnis einer sich rekursiv stabilisierenden Systemgeschichte. Mit seiner Theorie sozialer Systeme geht Luhmann noch einen Schritt weiter: Erkenntnis ist zwar das interne Konstrukt eines jeden kognitiven Systems, aber das menschliche Bewusstsein ist nicht das einzige, das zu Beobachtung fähig ist. In dieser Theorie wird der Begriff der Beobachtung sehr allgemein gefasst: auch ein Thermostat, ein Makromolekül, oder worauf es im folgenden ankommen wird: Kommunikation ist zu Beobachtung fähig. Luhmanns Theorie beobachtender Systeme steht damit quer zu den beiden erkenntnistheoretischen Gegenpolen von Objektivismus (Erfahrungswissen) und Subjektivismus (Vernunftwissen); sie behandelt Erkenntnis als Produkt kommunizierter Unterscheidungen und verlagert damit das Beobachten und Erkennen in die Sozialdimension. Hatte man seit Aristoteles die Architektur des Wissens vom Körper her entworfen (und bestimmte diese Aufteilung dann langfristig auch die institutionelle Organisation der Wissenschaften), so entwickelt Luhmann mit der Systemtheorie eine neue Begriffssprache, die die historisch vollzogene Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft aufzuheben versucht. Der Mensch wird nicht mehr als Einheit (»Subjekt«) gedacht, sondern als ein Komplex verschiedener autopoietischer Systeme, die zwar alle überschneidungsfrei operieren, sich aber auch gegenseitig voraussetzen und über strukturelle Kopplungen aufeinander bezogen sind. War der Begriff der Autopoiesis ursprünglich noch für lebende Systeme (Maturana/ Valera) reserviert, so erweitert Luhmann die Gültigkeit dieses Begriffs auf alle Systeme, die sich durch eine spezifische Operationsweise auszeichnen: die rekursive Ermöglichung eigener Operationen durch die Resultate eigener Operationen. Obwohl in Luhmanns Theorie das Bewusstsein eine besondere Rolle spielt, kann seine Theorie doch nicht der neuzeitlichen Subjekt- und Bewusstseinsphilosophie zugerechnet werden. Das Bewusstsein ist nur ein Sonderfall kognitiver Systeme, aber nicht das einzige, das zu Beobachtung fähig ist. Beobachten wird bei Luhmann definiert als Operation des Unterscheidens und Bezeichnens (Luhmann greift hier auf die operative Unterscheidungslogik von George Spencer Brown zurück). Inwieweit auch ein Thermostat oder Makromolekül beobachten kann, hängt davon ab, wie zu unterscheiden das System fähig ist. Die»kognitive«Welt eines Thermostaten, das lediglich die Differenz von Temperaturabweich-

ung und eingestellter Temperatur beobachten kann, wird gegenüber einem Bewusstsein wohl sehr viel»bescheidener«ausfallen. Dennoch operiert ein Bewusstsein (und andere autopoietische Systeme) nicht grundsätzlich anders: nämlich mit Unterscheidungen (in diesem Falle: mit einer Fülle von Unterscheidungen), deren rekursive Vernetzung und relationales Arrangieren eine komplexe Welt entstehen lässt, die aber stets kontingent gedacht werden muss: aus der Theorie der nichtlinearen Dynamik (»Chaostheorie«) weiß man heute, dass einfache nichtlineare Zusammenhänge ein sehr komplexes, irreguläres Systemverhalten (Synergieeffekte) hervortreten lassen, man spricht auch von einer sensitiven Abhängigkeit von den Anfangszuständen. Der sehr allgemeine Begriff des Beobachtens erlaubt es Luhmann, auch Kommunikation einen Beobachterstatus zuzuweisen: Kommunikation meint dann das Beobachten anhand der Unterscheidung von Information, Mitteilung und Verstehen (alle drei Selektionen sind dabei stets ein Konstrukt der Kommunikation, und nicht: eines psychischen Systems). Mit der Trennung von Bewusstsein und Kommunikation werden beide Systemtypen in ein symmetrisches Verhältnis gerückt: Bewusstsein ist dann nichts mehr, das dem Sozialen (hier: Kommunikation) zugrunde liegt, das»subjekt«erweist sich in dieser Theorielage selbst als eine kommunikative Konstruktion. Kommunikation erlangt also in Luhmanns Theorie eine eigene Beobachterqualität, die sich nicht mehr auf die beteiligten Bewusstseinssysteme reduzieren lässt. Kommunikationszusammenhänge sind dann ein emergentes, dynamisches Produkt beim Aufeinandertreffen zweier oder mehrerer Bewusstseinssysteme. Die rekursiv aufeinander bezogenen Kommunikationen die zeitliche Abfolge kommunizierter Unterscheidungen lässt eigenständig (autopoietisch) eine Realität entstehen; das System schränkt sich dabei selbst ein, es steuert sich über seine eigene Struktur bzw. Systemvergangenheit. Kommunikation lässt sich also verstehen als eine prozessierende Einschränkung von Möglichkeiten (wenn ein Satz mit»dort...«begonnen wird, dann kann nicht mehr alles angeschlossen werden, die Selektion»Dort«zwingt also zu einer weiteren Selektion; es bleiben aber dennoch verschiedene Anschlussmöglichkeiten offen). Dieser Prozess lässt dann eine innere Struktur entstehen, die selbst einschränkt, was im nächsten Moment aktualisiert werden kann und was nicht. Jeder Diskurs kommuniziert seine eigenen Unterscheidungen und ordnet diese zu einer konsistenten Ganzheit (Thema), was diese dann inhaltlich voneinander unterscheidet. Für Luhmann ist die einzige, allen Kommunikationen gemeinsame Realität die der Operationsweise selbst, nicht aber die in den einzelnen Kommunikationszusammenhängen hervorgebrachten Inhalte (Weltbilder, Vorstellungen, Themenzusamm-

enhänge).»realität«ist für Luhmann also einzig die Operation des Unterscheidens und Bezeichnens, nicht aber das, was im Prozess der rekursiven Vernetzung von Unterscheidungen letztlich konstruiert wird (die inhaltliche Seite bleibt immer ein internes Konstrukt der Kommunikation oder eines Bewusstseins). Gegenstände, Tatsachen oder Objekte sind somit diskursiv hergestellt und haben keine Entsprechung in einer vorfindlichen Realität.»Objekte«werden zu Objekten erst dadurch, dass sie sprachlich-kommunikativ zu solchen geformt werden (man nehme als Beispiel den Begriff der Autopoiesis von Maturana und Valera: um diesem Kunstwort ein»leben«einzuhauchen, musste zuvor erst ein gewaltiges begriffliches Netzwerk in Operation versetzt werden. Die Mühe hat sich aber gelohnt: denn es können nun auch andere Wissenschaftler mit diesem Begriff operieren und diesen in ihre Texte einweben, ohne dass sie wieder von vorne anfangen müssen). Nicht anders verhält es sich mit Begriffen wie»materie«,»geist«,»demokratie«oder»geschlecht«diese entspringen einem kommunikativen Gewebe von Unterscheidungen, das über»umwegen«wieder auf sich selbst referiert. Fremdreferenz (also der Bezug auf»objekte«) ist durch Selbstreferenz möglich, Umweltkontakt entsteht durch Selbstkontakt. Der Realitätstest eines beobachtenden Systems heißt dann»widerstand«, doch ist dieser kein Widerstand an einer ontischen Welt, sondern ein Widerstand an den eigenen Beobachtungsoperationen. Das durch rekursive Vernetzung aufgebaute Beobachtersystem schränkt selbst ein, was es beobachten kann und was nicht, welche Unterscheidungen angeschlossen werden können und welche nicht. Widerstand ist stets Widerstand innerhalb eines begrifflichen Netzwerkes, nicht aber ein Widerstand an einer aus»objekten«und»tatsachen«bestehenden Welt an sich. Wissenschaftstheoretische Konsequenzen: Eine operative Erkenntnistheorie (auch»operativer Konstruktivismus«) stellt sich jenseits der beiden Positionen von erkenntnistheoretischem Objektivismus und Subjektivismus. Wissen ist eine soziale, auf Kommunikation beruhende Konstruktion, Gesellschaft dann ein komplexer Zusammenhang von Kommunikationsprozessen (von denen der»soziologische Diskurs«nur einer ist). Die Gegenstände eines jeden Diskurses werden durch diesen erst konstituiert so auch der Beobachter, der sich in Begriffen der Physik, der Chemie, der Psychologie oder Soziologie selbst beobachten kann.

Es ist eine wichtige Erkenntnis der Theorie sozialer (also: kommunizierend beobachtender) Systeme, dass»wirklichkeit«ein operativ hervorgebrachtes und rekursiv stabilisiertes Konstrukt auf der Basis des Handhabens von Unterscheidungen ist (und bleibt es damit jedem beobachtendem System selbst überlassen, inwieweit es seine Unterscheidungen anders zueinander in Beziehung setzt, inwieweit es die eigene Morphogenese vorantreibt). Die andere Erkenntnis ist, dass Kommunikation ein sich selbst organisierender Prozess ist, der nur punktuell von Bewusstseinssystemen irritiert werden kann. Der Grundgedanke der Autopoiesis heißt: Weitermachen und dies gilt eben auch für die Wissenschaft, welche ständig Nichtwissen in Wissen zu transformieren versucht (dies jedoch stets vor dem Hintergrund ihrer eigenen Strukturdeterminiertheit). Dass Wissenschaften neues Wissen schaffen steht außer Frage entscheidend ist vielmehr, mit welchem Wissen, mit welchen Konstruktionen dabei angeschlossen wird. Eine Konsequenz aus der operativen Erkenntnistheorie besteht darin, die Frage nach der Legitimationsgrundlage einer akademischen Disziplin wie die Soziologie neu zu stellen, und diese wird davon abhängen, was die Soziologie als ihren Gegenstandsbereich ansehen will. Wenn soziologische Forschung die soziale Wirklichkeit nicht erfassen kann, weil sie in radikaler Selbstreferenz nur wieder auf ihre eigenen Konstruktionen von dieser Wirklichkeit zurückgreifen kann, was bleibt für die Soziologie dann noch zu tun? Warum das»subjekt«befragen, wenn dieses selbst eine gesellschaftliche Konstruktion ist? Akzeptiert man dagegen, dass die Gesellschaft nicht aus Menschen»besteht«oder von Menschen»gemacht«wird, sondern Gesellschaft ein komplexer Kommunikationszusammenhang ist, dann kann die Soziologie zumindest noch beobachten, wie andere Beobachter beobachten. Die Wirklichkeit bleibt also weiterhin beobachtbar, aber sie ist eben immer auch anders beobachtbar.