OLG München, Beschluss v. 11.12.2015 34 Wx 208/15 Titel: Einsicht des dinglich berechtigten Wohnungseigentümers in Wohnungsgrundbuch Normenketten: BGB 879 I 2, 1094 GBO 12 I, 19, 55 I GBV 43, 46 WEG 10 II, III Leitsätze: 1. Zum Einsichtsrecht des Wohnungseigentümers in das Grundbuch des anderen Wohnungseigentümers. (amtlicher Leitsatz) 2. Ein dinglich Berechtigter am betreffenden Grundstück ist zwar von der Pflicht zur Darlegung eines berechtigten Interesses an der Grundbuch- und Grundakteneinsicht befreit; nichtsdestoweniger muss ein berechtigtes Interesse dafür vorliegen. (amtlicher Leitsatz) 3. Allein aus den Beziehungen von Wohnungseigentümern untereinander und dem nach 10 WEG begründeten Gemeinschaftsverhältnis folgt noch kein verständiges Interesse für eine umfassende und ausnahmslose Einsicht in ein anderes, als solches verselbstständigtes Grundbuch und in die dort eingetragenen Belastungen bzw. Grundpfandrechte. Vielmehr bedarf es insoweit einer Darlegung, weshalb gerade die Einsicht in diesen Teil des Grundbuchs bzw. in bestimmte Teile der Grundakten für den anderen Wohnungseigentümer notwendig ist. (redaktioneller Leitsatz) 4. Weiß das Grundbuchamt, dass ein berechtigtes Interesse (des dinglich Berechtigten) ausnahmsweise nicht vorliegt, muss es die Einsicht verweigern. (redaktioneller Leitsatz) Schlagworte: Grundbucheinsicht, Anderer Wohnungseigentümer, Dingliche Berechtigung, Interesse Fundstellen: NJW-RR 2016, 651 ZWE 2016, 132 NZM 2016, 268 LSK 2016, 090208 Tenor I. Die Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck - Grundbuchamt - vom 25. Juni 2015 wird zurückgewiesen. II. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 festgesetzt. Gründe 1 I. Die Beteiligte ist als Eigentümerin eines Miteigentumsanteils zu 1/2 an einem Grundstück, verbunden mit dem Sondereigentum an der im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichneten Wohnung nebst Speicher und einem Kellerraum, im Wohnungsgrundbuch eingetragen. Der weitere Miteigentumsanteil zu 1/2 nebst der Wohnung Nr. 1 wurde mit Vertrag vom 19.3.2014 verkauft und aufgelassen, die Erwerber - ein Ehepaar -
sind seit 27.6.2014 zu je 1/2 im Grundbuch eingetragen. Zum Gegenstand und zum Inhalt des Sondereigentums nehmen beide Grundbuchblätter auf die Eintragungsbewilligung vom 2.5.1974 Bezug, zum Inhalt des Sondereigentums zudem auf die am 7.7.1982 eingetragene Bewilligung vom 21.6.1982. 2 Für jeweilige Eigentümer des anderen Hälfteanteils war und ist in beiden Grundbüchern ein Vorkaufsrecht eingetragen, das der Beteiligten zustehende seit 15.10.1982 in der Zweiten Abteilung zuletzt unter Nr. 4. Anlässlich des Verkaufs der mit Nr. 1 bezeichneten Einheit hat die Beteiligte auf die Geltendmachung des Vorkaufsrechts verzichtet. 3 Die Beteiligte meint, hinsichtlich der Nichtausübung ihres Vorkaufsrechts hintergangen worden zu sein. Zur Aufklärung ersuchte sie das Grundbuchamt um Einsicht in die (beiden) Wohnungsgrundbücher. Beglaubigte Grundbuchauszüge (einschließlich der Dritten Abteilung) wurden ihr daraufhin am 13.3.2015 von der Urkundsbeamtin erteilt. Aus diesen ergibt sich eine am 3.4.2014 zu Abt. III/8 eingetragene Belastung (Grundschuld ohne Brief) - Rang vor Abt. II/7 -. 4 Die Beteiligte bestand auf darüber hinausgehende Einsicht in das Grundbuch des anderen Wohnungseigentums im Hinblick auf ihr immerwährendes Wegerecht auf dem Grundstück von... (der Käufer), namentlich in eine von ihr so bezeichnete Grundbestellungsurkunde, jedenfalls ausdrücklich in die Grundpfandrechtsbestellungsurkunde vom 19.3.2014, welche ihr die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle verweigert hat. 5 Ihre Eingabe vom 24.5./7.6.2015 hat die Rechtspflegerin des Grundbuchamts sodann als Beschwerde behandelt und mit Beschluss vom 25.6.2015 zurückgewiesen. In keinem der gegenständlichen Grundbücher sei ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen, ein berechtigtes Interesse zur Einsicht in die Grundschuldbestellungsurkunde sei nicht gegeben, da die relevanten Daten der Grundschuld bereits aus dem erteilten Auszug ersichtlich seien; überdies würde ein - wie nicht - eingetragenes Geh- und Fahrtrecht auch kein berechtigtes Interesse zur Einsicht in die Grundschuldurkunde auslösen. 6 Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten vom 3.7.2015, der das Grundbuchamt mit Beschluss vom 25.9.2015 nicht abgeholfen hat. Mit weiterem Schreiben vom 11.10.2015 untermauert die Beteiligte unter Vorlage umfangreichen Schriftverkehrs ihr Begehren, weitergehend in das Wohnungsgrundbuch der Erwerber Einsicht zu nehmen. 7 II. Der Rechtsbehelf ist als Beschwerde statthaft ( 11 Abs. 1 RPflG, 12c Abs. 4, 71 Abs. 1 GBO) und auch sonst zulässig ( 73 GBO). Er richtet sich gegen die Erinnerungsentscheidung der für die Führung des Grundbuchs zuständigen Rechtspflegerin vom 25.6.2015, mit der das Rechtmittel gegen die Versagung weiter gehender Grundbucheinsicht durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zurückgewiesen wird. In der Sache ist das Rechtsmittel unbegründet. 8 1. Gemäß 12 Abs. 1, Abs. 3 GBO, 1 WGV i. V. m. 46 Abs. 1 GBV ist die Einsicht des (Wohnungs- )Grundbuchs und der Grundakten jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist dafür, dass der Antragsteller ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes - also nicht unbedingt rechtliches (OLG Zweibrücken NJW 1989, 531; Grziwotz MDR 2013, 433) - Interesse verfolgt. Das setzt voraus, dass bei verständiger Würdigung des Einzelfalls und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit der Einsichtnahme Erkenntnisse gesammelt werden, die geeignet sind, auf die Entscheidung des Einsichtnehmenden Einfluss zu nehmen. Das Interesse des Eigentümers oder sonstigen Berechtigten am Schutz persönlicher und wirtschaftlicher Geheimnisse ist dabei in jedem Einzelfall gegen das Interesse des Antragstellers an der Kenntnisgewinnung abzuwägen (OLG Karlsruhe DJ 2015, 225;
OLG Oldenburg Rpfleger 2014, 131; OLG Stuttgart DNotZ 2011, 286; Demharter GBO 29. Aufl. 12 Rdn. 7; Meikel/Böttcher GBO 11. Aufl. 12 Rn. 6 und 9). 9 2. Ein berechtigtes Interesse der Beteiligten an einer Einsichtnahme noch über den bereits gewährten Umfang hinaus besteht nicht. 10 a) Solches folgt nicht aus deren Stellung als Mitglied in derselben Wohnungseigentümergemeinschaft. 11 Die oben beschriebenen allgemeinen Grundsätze finden auch im Verhältnis zwischen den Sondereigentümern einer Wohnungseigentümergemeinschaft Anwendung (Senat vom 9.10.2015, 34 Wx 184/15, juris; OLG Hamm vom 17.6.2015, 15 W 210/14, juris; KG ZWE 2014, 310; Schmid DWE 2014, 145). Nach der Rechtsprechung des Kammergerichts sind Wohnungseigentümer wie die Beteiligte nur zur Einsicht in das Bestandsverzeichnis und die Erste Abteilung der Wohnungsgrundbücher anderer Mitglieder der Eigentümergemeinschaft berechtigt, nicht aber zur Kenntnisnahme der Belastungen in der Zweiten und Dritten Abteilung (KG ZWE 2014, 380). Hingegen billigt das Oberlandesgericht Düsseldorf (NJW 1987, 1651) jedem Mitglied ein grundsätzlich berechtigtes Interesse zu, die die übrigen Wohnungseigentümer betreffenden Grundbuchvorgänge einzusehen. 12 Die überwiegende Meinung hält hingegen ein umfassendes Einsichtsrecht für zu weitgehend und jedenfalls für Eintragungen in der Dritten Abteilung für nicht sachgerecht (Schöner/Stöber Grundbuchrecht 15. Aufl. Rn. 525 bei FN 34; Maaß in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. 12 Rn. 55; Meikel/Böttcher 12 Rn. 59; auch Hügel/Wilsch GBO 2. Aufl. 12 Rn. 75). Dem folgt auch der Senat; denn allein aus den Beziehungen von Wohnungseigentümern untereinander und dem nach 10 WEG begründeten Gemeinschaftsverhältnis folgt noch kein verständiges Interesse für eine umfassende und ausnahmslose Einsicht in ein anderes, als solches verselbstständigtes Grundbuch (vgl. 7 Abs. 1 WEG) und in die dort eingetragenen Belastungen bzw. Grundpfandrechte. Vielmehr bedarf es, jedenfalls insoweit, einer Darlegung, d. h. 13 Erläuterung oder Erklärung, weshalb gerade die Einsicht in diesen Teil des Grundbuchs bzw. in bestimmte Teile der Grundakten für den anderen Wohnungseigentümer notwendig ist (Schmid DWE 2014, 145/146). 14 b) Ein Recht auf Einsicht folgt auch nicht aus der dinglichen Rechtsstellung der Beteiligten als Berechtigte eines eingetragenen Vorkaufsrechts ( 1094 BGB). Bei dinglich Berechtigten geht der Verordnungsgeber regelmäßig davon aus, dass sie ein berechtigtes Interesse an Grundbucheinsicht haben. Deshalb entbindet 46 Abs. 1 und 2 GBV i. V. m. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 GBV sie von der Darlegungspflicht. Dennoch muss auch bei diesem Personenkreis ein berechtigtes Interesse tatsächlich vorliegen (BayObLGZ 1952, 82/86; KEHE/Eickmann GBO 7. Aufl. 43 GBV Rn. 2). Weiß das Grundbuchamt, dass ein berechtigtes Interesse ausnahmsweise nicht vorhanden ist, muss es auch in diesem Fall die Einsicht verweigern (KEHE/Eickmann a. a. O.; Meikel/Böttcher GBO 10. Aufl. 43 GBV Rn. 1; Meikel/Böttcher GBO 11. Aufl. 12 Rn. 11). Dies gilt umso mehr für die Einsicht in die Grundakten, namentlich in bestimmte Urkunden, die Rückschlüsse auf persönliche, wirtschaftliche und finanzielle Verhältnisse von Beteiligten erlauben (Meikel/Böttcher GBO 10. Aufl. 46 GBV Rn. 2) und wo ein Missbrauch nicht ausgeschlossen werden kann. 15 Aus der dinglichen Rechtsstellung der Beteiligten herleitbare, objektivierbare Umstände, die für ein durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse an der Einsicht über das vom Grundbuchamt zugebilligte Maß hinaus und namentlich in die begehrte Grundschuldbestellungsurkunde sprächen, sind hier aus den weitgehend nicht nachvollziehbaren Auslassungen der Beteiligten im Zusammenhang mit dem Antrag und
der Beschwerdebegründung nicht zu erkennen. Vielmehr lassen sie Missbrauch zum Schaden der Sicherungsgeber befürchten. 16 (1) Der Inhalt der bezeichneten Urkunde vom 19.3.2014 ist für die Prüfung des geäußerten Verdachts, bei der (Nicht-)Ausübung des Vorkaufsrechts hintergangen worden zu sein, schlechthin ohne jede Relevanz. Bereits aus dem erteilten unbeschränkten Grundbuchauszug ergeben sich sowohl der Betrag der (Finanzierungs-)Belastung als auch deren Rang. Da die fragliche Belastung am 3.4.2014 in der Dritten Abteilung unter laufender Nr. 8 mit Vorrang vor der in der Zweiten Abteilung unter Nr. 7 damals verlautbarten, am 27.6.2014 gelöschten Eigentumsvormerkung für die Eheleute I. eingetragen ist, ändert sich nichts am (Vor-)Rang des Vorkaufsrechts für den jeweiligen Eigentümer des anderen Hälfteanteils (Abt. II/4). Denn nach 879 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BGB hat bei der Eintragung von Rechten in verschiedenen Abteilungen des Grundbuchs das unter Angabe eines früheren Tages eingetragene Recht den Vorrang. Eine abweichende Rangbestimmung bedarf der Eintragung in das Grundbuch ( 879 Abs. 3 BGB) und wäre ohne Mitwirkung der Beteiligten als davon Betroffener (vgl. 19 GBO) gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Umgekehrt ist die Beteiligte im Hinblick auf das vorrangige Vorkaufsrecht nicht von der nachrangigen Pfandrechtsbestellung betroffen und demzufolge auch nicht von der Grundbucheintragung zu benachrichtigen gewesen (vgl. 55 Abs. 1 GBO). Ein Interesse, Einblick in Urkunden zu nehmen, die offensichtlich der Kaufpreisfinanzierung dienen, folgt aus dem eingeräumten Vorkaufsrecht und den Erklärungen zu seiner Nichtausübung nicht. Zudem sind alle maßgeblichen Daten bereits aus dem erteilten Grundbuchauszug bekannt, ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn aus dem Inhalt der Grundpfandrechtsbestellungsurkunde ist schlechthin ausgeschlossen und die behaupteten Straftaten im Zusammenhang mit dem Verkauf des Wohnungseigentums sind ohne irgendwelche objektivierten Anhaltspunkte. 17 (2) Aus dem jeweiligen Bestandsverzeichnis der erteilten Grundbuchauszüge erschließen sich für die Beteiligte im Übrigen Gegenstand und Inhalt des Sondereigentums. Umfasst ist namentlich die teilweise Abänderung der Teilungserklärung vom 2.5.1974 durch Urkunde vom 21.6.1982, durch die den jeweiligen Eigentümern der beiden Wohnungen wechselseitige Sondernutzungsrechte an Grundstücksteilflächen, dem Eigentümer der Wohnung Nr. 2 namentlich auch das Recht auf ausschließliche Benutzung einer bestimmten im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Garage sowie, insoweit das Sondernutzungsrecht für den jeweiligen Eigentümer der Wohnung Nr. 1 einschränkend, ein Gehrecht an einem die fragliche Fläche betreffenden Grundstücksstreifen eingeräumt sind. Insoweit waren und sind die Teilungserklärung wie die Änderungsvereinbarung, auf welche die Eintragungen im Bestandsverzeichnis Bezug nehmen (vgl. 7 Abs. 3 WEG), wirksam im Grundbuch eingetragen (vgl. Senat vom 9.10.2015) und haben weder durch die Eintragung einer Grundpfandrechts noch durch den Vollzug der Eigentumsübertragung eine inhaltliche Änderung erfahren. 18 (3) Die erteilten Grundbuchauszüge weisen in der Zweiten Abteilung das Fehlen behaupteter Geh- und Fahrtrechte (in der Form von Dienstbarkeiten) aus. Möglicherweise meint die Beteiligte damit ihr zustehende Sondernutzungsrechte gemäß 10 Abs. 2 und 3 WEG bzw. die mit Gehrecht bezeichnete Einschränkung des dem Eigentümer von Wohnung Nr. 1 bezeichneten Sondernutzungsrechts an einer Grundstücksteilfläche. Die insoweit unter den Wohnungseigentümern bestehenden Vereinbarungen sind wirksam im Grundbuch eingetragen mit der Folge, dass auch ein Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers daran gebunden ist (vgl. 10 Abs. 3 WEG). Vertragliche Abreden zwischen Veräußerer und Erwerber ohne Einbeziehung der Beteiligten könnten diese gesetzliche Rechtsfolge nicht aufheben. Ergänzend wird auf die Ausführungen zu (2) verwiesen. 19 3. Die zurückweisende Entscheidung des Grundbuchamts betrifft in der Sache nur die Grundschuldbestellungsurkunde vom 19.3.2014. Sofern die Beteiligte, was aus ihrem Antrag nicht eindeutig erkennbar ist, darüber hinaus auch die Grundakten im Hinblick auf die Teilungserklärung aus dem Jahr
1974 samt Nachträgen etwa mit vereinbarten Sondernutzungsrechten (von ihr wohl mit Wegerecht bezeichnet) einsehen will (diese Urkunden finden sich nicht in den Grundakten des eigenen, sondern denen des anderen Wohnungseigentums Nr. 1), ist sie zwar selbst im Besitz (von Abschriften) entsprechender Urkunden. Sollte es ihr aber gerade auf die bei den Grundakten befindlichen Urkunden(ausfertigungen), etwa zu Vergleichszwecken, ankommen, dürfte einer Einsicht in diese (Teilungserklärung mit Nachträgen) grundsätzlich nichts entgegenstehen. 20 Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf 79 Abs. 1 Satz 1 GNotKG i. V. m. 36 Abs. 3 GNotKG. 21 Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. 78 Abs. 3 GBO) liegen nicht vor.