Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU



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Transkript:

Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft im Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen vorgelegt von Dipl. iur. oec. Christiane Pütz 2013

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Pütz, Christiane: Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU ISBN 978-3-86376-073-1 Diese Arbeit hat dem Promotionsausschuss Dr. jur. der Universität Bremen als Dissertation vorgelegen: Erstgutachter: Univ.-Prof. Dr. Friedhelm Hase Zweitgutachter: Univ.-Prof. Dr. Benedikt Buchner Dissertationskolloquium: 13. Januar 2014 Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Optimus Verlag, Göttingen URL: www.optimus-verlag.de Printed in Germany Papier ist FSC zertifiziert (holzfrei, chlorfrei und säurefrei, sowie alterungsbeständig nach ANSI 3948 und ISO 9706) Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes in Deutschland ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Danksagung An dieser Stelle möchte ich mich von Herzen bei all denjenigen bedanken, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Friedhelm Hase, der mich mit wertvollen Hinweisen und Anregungen über die gesamte lange Zeit begleitete und stets ein offenes Ohr für meine Ideen und Anliegen hatte. Außerdem möchte ich mich bei Prof. Dr. Benedikt Buchner für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens bedanken. Der größte Dank gebührt meinen Eltern, die mich während des Studiums und der Promotion jederzeit nach Kräften unterstützt und gefördert haben. Ihnen ist dieses Werk gewidmet.

A. EINLEITUNG... 1 B. DAS EUROPÄISCHE GESUNDHEITSWESEN... 7 I. Zentrale Norm: Art. 168 AEUV... 7 1. Entwicklung des Art. 168 AEUV... 7 a) Der Vertrag von Maastricht.... 7 b) Der Vertrag von Amsterdam... 8 c) Der Vertrag von Lissabon... 8 2. Die Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus als Querschnittsaufgabe... 9 3. Tätigkeitsbereich der Europäischen Union... 10 4. Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten... 11 5. Maßnahmen der Europäischen Union bei gemeinsamen Sicherheitsanliegen... 11 6. Harmonisierungsausschluss und Fördermaßnahmen... 13 7. Empfehlungen... 14 8. Verantwortung der Mitgliedstaaten für Gesundheitspolitik und Gesundheitssystem... 14 II. Beeinflussung der europäischen Gesundheitspolitik durch die Grundrechtecharta... 15 III. Offene Methode der Koordinierung (OMK)... 16 1. Entwicklung... 16 2. Verfahren... 17 a) Allgemein... 17 aa) Festlegung von Zielen und Indikatoren... 18 bb) Umsetzung in nationale Politiken... 18 II

cc) Auswertung auf Ebene der Europäischen Union... 19 b) Verfahren der OMK im Bereich des Gesundheitswesens... 19 4. Bewertung... 21 IV. Europäische Gesundheitssysteme... 22 1. Versicherungsmodelle... 23 a) Privat finanzierte freiwillige Krankenversicherung... 23 b) Öffentlich finanzierte Pflichtversicherung... 23 2. Staatliche Gesundheitsdienste... 24 3. Leistungsprinzipien Kostenerstattungs- und Sachleistungsprinzip... 24 4. Steuerungsmechanismen... 25 5. Territorialitätsprinzip... 26 6. Problem Patientenmobilität... 27 V. Koordinierendes europäisches Sozialrecht: Die VO (EWG) 1408/71... 28 1. Das Ziel der VO (EWG) 1408/71... 28 2. Anwendungsbereich... 29 3. Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen nach Genehmigung... 30 VI. Zwischenergebnis... 31 C. DER KONFLIKT ZWISCHEN NATIONALEN RECHTSVORSCHRIFTEN UND DEN GRUNDFREIHEITEN BEI DER INANSPRUCHNAHME VON GRENZÜBERSCHREITENDEN GESUNDHEITSDIENSTLEISTUNGEN. 33 I. Die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs... 34 1. Die Dienstleistungsfreiheit als Bestandteil des Binnenmarktes... 34 a) Allgemein... 34 b) Verhältnis Unionsrecht zu nationalem Recht... 34 2. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit... 35 a) Zum Begriff der Dienstleistung... 35 b) Grenzüberschreitende Leistungserbringung... 35 aa) Aktive Dienstleistungsfreiheit... 36 bb) Passive Dienstleistungsfreiheit... 36 cc) Korrespondenzdienstleistungsfreiheit... 37 III

c) Bereichsausnahme... 37 d) Der personelle Anwendungsbereich... 38 aa) Die Berechtigten... 38 bb) Die Verpflichteten... 38 3. Das Verbot von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit... 39 a) Diskriminierungsverbot... 39 b) Allgemeines Beschränkungsverbot... 39 4. Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkung... 40 a) Artikel 62 AEUV in Verbindung mit Artikel 52 AEUV... 40 b) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses... 40 5. Europäischer Gerichtshof (EuGH)... 41 II. Die EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen... 42 1. Sachverhalte... 43 a) Kohll (Kostenerstattungssystem, ambulante Behandlung)... 43 b) Vanbraekel (Höhe der Kostenerstattung)... 43 c) Smits und Peerbooms (Sachleistungssystem, stationäre Behandlung)... 44 d) Müller-Fauré und van Riet (ambulante und stationäre Behandlung)... 45 e) Watts (staatlicher Gesundheitsdienst, Wartelisten)... 46 f) Stamatelakis (Privatklinik)... 47 2. Wesentliche Aussagen der EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen... 47 a) Zur Geltung der Dienstleistungsfreiheit im Bereich Gesundheit... 47 b) Gesundheitsdienstleistungen als Dienstleistungen im Sinne der Art. 56, 57 AEUV... 48 aa) Begriff der Dienstleistung... 48 bb) Entgeltcharakter... 49 cc) Grenzüberschreitende Leistungserbringung... 52 c) Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit... 52 d) Rechtfertigung der Beschränkung... 53 aa) Schutz der öffentlichen Gesundheit... 53 IV

bb) Erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts... 54 cc) Die Differenzierung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung... 55 e) Die Voraussetzungen einer zulässigen Genehmigung im stationären Bereich... 59 aa) Genehmigungsvoraussetzung: Üblichkeit einer Behandlung... 60 bb) Genehmigungsvoraussetzung: Medizinische Notwendigkeit einer Behandlung... 61 f) Existenz von Wartelisten... 62 g) Die Erstattung von Kosten... 63 aa) Die Höhe der Kostenerstattungen... 63 bb) Die Nebenkosten... 65 h) Berücksichtigung von Haushaltszwängen... 66 i) Behandlung in einer Privatklinik... 67 3. Gegenwärtiger Stand der EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen... 68 III. Reaktionen des deutschen Gesetzgebers auf die EuGH-Rechtsprechung... 70 1. 13 Abs. 4 6 SGB V... 71 a) Der Anspruch auf Kostenerstattung... 71 b) Vorabgenehmigung bei Krankenhausleistungen... 72 c) Krankengeld und weitere Leistungen... 73 2. Verträge mit Leistungserbringern 140e SGB V... 73 IV. Bewertung und Folgen... 74 1. Die Grenzen der mitgliedstaatlichen Souveränität... 74 a) Der Ausgleich kollidierender Interessen... 76 b) Die Funktion des Artikels 152 Abs. 5 EGV (jetzt: Art. 168 Abs. 7 AEUV)... 77 c) Ergebnis... 78 2. Die Grenzen eines auf die Grundfreiheiten gestützten Anspruchs auf grenzüberschreitende Krankenbehandlung... 80 V

D. RICHTLINIE ÜBER DIE AUSÜBUNG DER PATIENTENRECHTE IN DER GRENZÜBERSCHREITENDEN GESUNDHEITSVERSORGUNG (PATIENTENRICHTLINIE (PRL))... 85 I. Die Entstehung der Patientenrichtlinie... 86 1. Reflexionsprozess über die Patientenmobilität und die Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung in der EU... 86 2. Dienstleistungsrichtlinie... 87 3. Gemeinsame Werte und Prinzipien in den EU-Gesundheitssystemen... 88 4. Konsultation zu Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich Gesundheitsdienstleistungen... 88 5. Bericht über die Auswirkungen und Folgen der Ausklammerung von Gesundheitsdiensten aus der Dienstleistungsrichtlinie... 89 6. Richtlinienvorschlag über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung... 91 7. Geschätzter Umfang der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung... 92 II. Ziel der Patientenrichtlinie (PRL)... 93 III. Die Bestimmungen der Patientenrichtlinie im Einzelnen... 94 1. Allgemeine Bestimmungen der Patientenrichtlinie (Art. 1 3 PRL)... 94 a) Gegenstand der Patientenrichtlinie... 94 b) Geltungsbereich der Patientenrichtlinie... 95 c) Ausnahmen vom Geltungsbereich der Patientenrichtlinie... 96 d) Weitere allgemeine Bestimmungen der Patientenrichtlinie (Art. 2 3 PRL)... 97 e) Bewertung... 97 aa) Die Einbeziehung privater Gesundheitsdienstleister... 97 bb) Inländerdiskriminierung... 98 cc) Der Ausschluss bestimmter Gesundheitsdienstleistungen... 99 2. Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten (Art. 4 6 PRL)... 100 a) Die Zuständigkeiten des Behandlungsmitgliedstaats... 100 b) Anforderungen an den Behandlungsmitgliedstaat... 101 aa) Bereitstellung von Informationen... 101 bb) Schäden aufgrund der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung... 102 VI

cc) Gewährleistung der Kontinuität der grenzüberschreitenden Behandlung... 103 dd) Diskriminierungsfreier Zugang zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung... 103 ee) Gewährleistung gleicher Gebührensätze... 104 ff) Amtssprache... 104 c) Die Zuständigkeiten des Versicherungsmitgliedstaats... 104 d) Nationale Kontaktstellen... 105 e) Die Festlegung gemeinsamer Grundsätze für Qualitäts- und Sicherheitsstandards im Entwurf der Patientenrichtlinie... 106 3. Erstattung von Kosten (Art. 7 9 PRL)... 110 a) Allgemeine Grundsätze der Kostenerstattung... 110 aa) Leistungsanspruch... 110 bb) Gesonderte Bestimmungen für im Ausland lebende Rentner... 110 cc) Leistungsumfang... 111 dd) Höhe der Kostenerstattung... 111 ee) Erlass von Bestimmungen zur Gewährleistung gleicher Rechte... 113 ff) Mechanismen zur Kostenberechnung... 113 gg) Voraussetzungen der Leistungsgewährung... 113 hh) Das System der Vorabgenehmigung als Ausnahme... 114 ii) Beschränkung der Kostenerstattung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses... 114 b) Gesundheitsversorgung, die einer Vorabgenehmigung unterliegen kann... 115 aa) Das System der Vorabgenehmigung... 115 bb) Vorabgenehmigungen für bestimmte Gesundheitsversorgungen... 115 cc) Beantragung einer Vorabgenehmigung... 116 dd) Verpflichtung zur Erteilung einer Vorabgenehmigung... 117 ee) Verweigerung der Erteilung einer Vorabgenehmigung... 117 ff) Bereitstellung von Informationen über das System der Vorabgenehmigung... 118 VII

c) Verwaltungsverfahren bzgl. der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung... 118 d) Die Vorabgenehmigung im Entwurf der Patientenrichtlinie (PRL-E)... 120 aa) Ambulante Behandlungen... 120 bb) Stationäre Behandlungen... 121 4. Zusammenarbeit bei der Gesundheitsversorgung (Art. 10 15 PRL)... 123 a) Amtshilfe und Zusammenarbeit... 123 b) Anerkennung von Verschreibungen... 124 c) Europäische Referenznetzwerke... 124 d) Seltene Krankheiten... 125 e) Elektronische Gesundheitsdienste... 126 f) Zusammenarbeit bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien... 126 5. Durchführungs- und Schlussbestimmungen (Art. 16 23 PRL)... 127 6. Bewertung... 127 a) Keine gesundheitssystemgefährdenden Patientenströme... 128 b) Sind die umfangreichen Informationspflichten angemessen?... 129 c) Förderung der Zusammenarbeit... 131 d) Das Verhältnis der Patientenrichtlinie zu 13 Abs. 4 6 SGB V... 131 IV. Die Rechtsgrundlage der Patientenrichtlinie... 133 1. Allgemeine Wahl der Kompetenzgrundlage... 133 2. Rechtsgrundlagen für den Erlass der Patientenrichtlinie... 135 a) Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage... 136 b) Anwendung des Art. 114 AEUV auf die Patientenrichtlinie... 137 aa) Ziel der Patientenrichtlinie... 138 bb) Inhalt... 138 cc) Ergebnis... 140 c) Art. 168 AEUV als Rechtsgrundlage... 140 d) Ergebnis... 142 3. Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität... 142 a) Allgemeine Darstellung des Subsidiaritätsprinzips... 143 VIII

aa) Anwendungsvoraussetzungen... 143 bb) Bisherige EuGH-Rechtsprechung zum Subsidiaritätsprinzip... 146 b) Voraussetzungen für die Anwendung der Kriterien auf die Patientenrichtlinie... 148 aa) Keine ausschließliche Zuständigkeit der Union... 148 bb) Problem: Art. 168 Abs. 7 AEUV - Ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten... 148 c) Formelle Rechtmäßigkeit... 151 d) Erforderlichkeits- und Effizienzkriterium... 151 aa) Erforderlichkeitskriterium... 152 bb) Effizienzkriterium... 155 e) Ergebnis... 159 4. Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit... 160 a) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz... 160 b) Geeignetheit... 161 c) Erforderlichkeit... 161 aa) Erforderlichkeit Inhalt... 162 bb) Formale Erforderlichkeit... 163 d) Ergebnis... 163 V. Das Verhältnis zwischen Patientenrichtlinie und VO (EG) 883/2004... 164 1. Die wesentlichen Unterschiede zwischen Patientenrichtlinie und VO (EG) 883/2004... 165 a) Handlungsinstrumente... 165 b) Ziele und Rechtsgrundlagen... 165 c) Geltungsbereiche... 166 d) Leistungsprinzipien... 167 aa) Sachleistungsaushilfe... 167 bb) Kostenerstattung... 169 e) Zwischenergebnis... 169 2. Die Beziehung der Patientenrichtlinie zur VO (EG) 883/2004... 170 IX

3. Bewertung: Warum die Bestimmungen der Patientenrichtlinie nicht in die VO (EG) 883/2004 einbezogen werden können... 171 E. SCHLUSSBETRACHTUNG... 173 LITERATURVERZEICHNIS... 177 X

A. Einleitung Zahnbehandlungen in Ungarn sind für deutsche Patienten längst kein Geheimtipp mehr. In ungarischen Urlaubsregionen haben sich bereits zahlreiche Zahnkliniken auf die Behandlung von deutschen Patienten spezialisiert. Sie bieten ihren ausländischen Patienten Zahnbehandlungen und Zahnersatz zu günstigen Preisen und hoher Qualität, oftmals auch inklusive eines pauschalen Angebots für Reisekosten, Hotelübernachtung und Verpflegung. 1 Was in ungarischen Zahnkliniken bereits ein alltägliches Bild ist, hat in den restlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (kurz: Union) noch Seltenheitswert. So werden in der gesamten Union weniger als ein Prozent der geplanten Krankenbehandlungen grenzüberschreitend erbracht. 2 Mit der Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (kurz: Patientenrichtlinie), die am 9. März 2011 verabschiedet wurde, könnte dies geändert werden. 3 Die Patientenrichtlinie betrifft den Bereich der grenzüberschreitenden Patientenmobilität, das heißt, dass sich ein Patient allein zum Zweck der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in einen anderen Mitgliedstaat (Behandlungsmitgliedstaat) als den Aufenthaltsmitgliedstaat oder den Staat der Versicherungszugehörigkeit begibt. In diesem Zusammenhang soll die Patientenrichtlinie den Zugang zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Gesundheitsversorgung fördern. Als Gesundheitsversorgung im Sinne dieser Richtlinie gelten neben Gesundheitsdienstleistungen auch die Verschreibung, Abgabe und Bereitstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. 4 Ihre Bestimmungen sind von den Mitgliedstaaten bis spätestens zum 25. Oktober 2013 in nationales Recht umzusetzen. 1 Siehe Techniker Krankenkasse (TK), Die TK in Europa: TK-Ergebnisanalyse zu EU- Auslandsbehandlungen 2007, S. 16, Fn. 36. 2 Hierzu Abschnitt D.I.7. Geschätzter Umfang der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, S. 92. 3 Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, ABl. Nr. L 88 vom 4. April 2011, S. 45. 4 Art. 3 lit. a. der Patientenrichtlinie (PRL). 1

A. Einleitung Die Patientenrichtlinie bildet den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, deren Anfänge auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistungen im Jahre 1998 zurückgehen. Der EuGH stellte in dem Urteil Kohll fest, dass Gesundheitsleistungen, die gegen Entgelt erbracht werden, als Dienstleistungen im Sinne der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 5 zu qualifizieren sind. 6 Demzufolge stellen nationale Maßnahmen, welche die Erstattung von Krankheitskosten, die in einem anderen Mitgliedstaat angefallen sind, von einer vorherigen Genehmigung des zuständigen Sozialversicherungsträgers abhängig machen, eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Diese Beeinträchtigungen können in Einzelfällen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses oder aus Gründen der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt werden. In den nachfolgenden Urteilen setzte sich die Entwicklung zur Ausweitung der Dienstleistungsfreiheit fort. 7 Ausgehend von dieser Rechtsprechung wurde mit der Patientenrichtlinie erstmals ein gesetzlicher Rahmen für die Inanspruchnahme von grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgungen im Wege der Dienstleistungsfreiheit geschaffen. Nach den Bestimmungen dieser Richtlinie können sich Patienten gezielt in andere Mitgliedstaaten begeben und dort Gesundheitsdienstleistungen beanspruchen. Dabei gewährt ihnen die Patientenrichtlinie einen Anspruch auf Erstattung der angefallenen Behandlungskosten durch ihr zuständiges Gesundheitssystem oder ihre Krankenversicherung. Dieser Anspruch ist beschränkt. Erstattungsfähig sind nur die Kosten für Leistungen, auf die der Patient auch in seinem Herkunftsstaat einen Anspruch hat. In ihren wesentlichen Bestimmungen kodifiziert die Patientenrichtlinie die EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen. 8 Zudem trifft die Patientenrichtlinie flankierende Maßnahmen, welche die Patientenmobilität erleichtern sollen. So werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, nationale Kontaktstellen einzurichten. Diese dienen als zentrale Anlaufstellen für Patienten aus dem In- und Ausland und versorgen diese Patienten mit allen wesentlichen Informationen zu grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgungen. Daneben enthält die Richtlinie Bestimmungen, die den grenzüberschreitenden Austausch von Patientenakten, die 5 Siehe Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. Nr. C 306 vom 17. Dezember 2007, S. 1 ff.; Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (VAEU), ABl. Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 1 ff.; Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ersetzt die Bezeichnung Europäische Union die Bezeichnung Europäische Gemeinschaft. Für die Zwecke dieser Arbeit werden die Bezeichnungen Europäische Gemeinschaft, Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlich teilweise weiterverwendet. Dies gilt besonders für die Darstellung von Sachverhalten vor dem 1. Dezember 2009. 6 Siehe EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, S. I-1931 ff. 7 Siehe EuGH, Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, S. I-1931 ff. bis Rs. C-444/05 (Stamatelakis), Slg. 2007, S. I-3185 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung. 8 Hierzu Abschnitt D.III.3. Erstattung von Kosten (Art. 7 9 PRL), S. 110. 2

A. Einleitung Weiterbehandlung im Herkunftsstaat, die Anerkennung von Verschreibungen aus anderen Mitgliedstaaten sowie den Abbau bürokratischer Hemmnisse gewährleisten sollen. 9 Darüber hinaus sieht die Patientenrichtlinie Maßnahmen zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Gesundheitsversorgung vor, die langfristig einen Beitrag zur Verbesserung des Gesundheitsschutzniveaus in der Union leisten können. 10 Mit der Patientenrichtlinie soll die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung für Patienten und Gesundheitssysteme rechtssicherer ausgestaltet werden. Insbesondere soll eine allgemeinere und wirksamere Anwendung der Grundsätze bezweckt werden, die der EuGH in seiner Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen entwickelt hat. 11 Dies ist notwendig, weil bisher in den Mitgliedstaaten noch große Unsicherheiten hinsichtlich der Auslegung und Umsetzung dieser Grundsätze bestanden. In vielen Mitgliedstaaten wurden noch keine Anpassungen der nationalen Rechtsordnungen an die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen vorgenommen. Zudem bestanden in vielen Mitgliedstaaten Vorbehalte gegen die Ermöglichung der grenzüberschreitenden Patientenmobilität. Befürchtet wurde eine Gefährdung der Gesundheitssysteme in Bezug auf Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit, etwa weil Planungs- und Rationalisierungsmaßnahmen im Krankenhaussektor bei grenzüberschreitenden Patientenströmen nicht greifen könnten. Durch die Abwanderung von Patienten und die damit verbundenen Kostenerstattungsansprüche wurde vor allem in Sachleistungssystemen eine Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Gesundheitssystems befürchtet. Auch der mögliche Zustrom von Patienten wurde kritisch gesehen, so verfügen viele Mitgliedstaaten nur über beschränkte Kapazitäten im Bereich der Gesundheitsversorgung. Daher könnte der Zustrom von Patienten zu einer Überforderung der dortigen Gesundheitssysteme führen, vor allem in attraktiven Urlaubsregionen. 12 Die Patientenrichtlinie ist das Ergebnis eines langwierigen und komplizierten Gesetzgebungsprozesses. Ihre Verabschiedung wurde besonders durch den Umstand erschwert, dass die Befugnisse der Union im Bereich des Gesundheitswesens begrenzt sind und gemäß Art. 168 Abs. 7 AEUV allein die Mitgliedstaaten für die Gestaltung ihrer Gesundheitssysteme zuständig sind. 13 Verkompliziert wurde der Gesetzgebungsprozess durch die Tatsache, dass Gesundheitsdienstleistungen besonders sensible Bereiche betreffen, denn Gesundheit ist keine Handelsware, die allein Angebot und Nachfrage unterliegt. Um die grenzüberschreitende Patientenmobilität zu ermöglichen, 9 Hierzu Abschnitt D.III. Die Bestimmungen der Patientenrichtlinie im Einzelnen, S. 94. 10 Siehe Hernekamp/Jäger-Lindemann, ZESAR 2011, S. 403 (411); Schulte, GesR 2012, S. 72 (78). 11 Hierzu Abschnitt C.II. Die EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen, S. 42. 12 Hierzu Abschnitt B.IV. Europäische Gesundheitssysteme, S. 22; Abschnitt C.II. Die EuGH- Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen, S. 42. 13 Hierzu Abschnitt B.I. Zentrale Norm: Art. 168 AEUV, S. 7. 3

A. Einleitung muss daher ein Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beibehaltung der Funktionsfähigkeit und Finanzierbarkeit ihrer Gesundheitssysteme, den Interessen der Patienten an einer rechtssicheren, unionsweiten Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und dem Ziel der Union, den europäischen Binnenmarkt für Gesundheitsdienstleistungen zu verwirklichen, geschaffen werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Patientenrichtlinie dieser Ausgleich gelingt. Die Erforschung dieser Frage ist zentrales Anliegen der vorliegenden Arbeit. Im Zentrum stehen die Patientenmobilität und die damit verbundene Dienstleistungsfreiheit. Keine Berücksichtigung finden die Bereiche des europäischen Kartell- und Vergaberechts, des Wettbewerbsrechts sowie der grenzüberschreitende Handel mit Arzneimitteln. 14 Bevor eine Beurteilung der Ausgangsfrage vorgenommen werden kann, sind zunächst folgende Schritte erforderlich. Unter dem Aspekt, dass die Mitgliedstaaten die Herren der Gesundheitspolitik 15 sind, ist zunächst die Frage klärungsbedürftig, welche Aufgaben und Befugnisse die Union im Bereich des Gesundheitswesens besitzt. Die Beantwortung erfolgt mithilfe einer Betrachtung der einschlägigen Normen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere des Artikels 168 AEUV, der Grundrechtecharta sowie der Normen des koordinierten europäischen Sozialrechts. Daneben werden die Besonderheiten der europäischen Gesundheitssysteme dargestellt (B). Der nächste Schritt betrifft den Konflikt zwischen den nationalen Rechtsvorschriften und den Grundfreiheiten (hier der Dienstleistungsfreiheit) bei der Inanspruchnahme von grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistungen. Zur Darstellung dieses Konflikts wird nach einem kurzen allgemeinen Überblick über die Dienstleistungsfreiheit die Entwicklung der Dienstleistungsfreiheit für Gesundheitsdienstleistungen anhand der EuGH-Rechtsprechung nachgezeichnet. Zudem werden die Reaktionen des deutschen Gesetzgebers auf die EuGH-Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen betrachtet, insbesondere 13 Abs. 4-6 des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). Die Patientenrichtlinie kodifiziert in ihren wesentlichen Bestimmungen die EuGH- Rechtsprechung zu Gesundheitsdienstleistungen. Folglich kann eine Bewertung der Patientenrichtlinie nur vorgenommen werden, wenn die zentralen Aussagen dieser Rechtsprechung bekannt sind. Im Zusammenhang mit der EuGH-Rechtsprechung sollen auch die Fragen nach den Grenzen eines auf die Dienstleistungsfreiheit gestützten Anspruchs auf grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung und den Grenzen der nationalen Zuständigkeit, gemäß Art. 168 Abs. 7 AEUV, beantwortet werden (C). 14 15 Dazu siehe Klöck, NZS 2008, S. 178; Bloch/Pruns, SGb 2007, S. 645; Roth, GRUR 2007, S. 645. Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 2008, Art. 152 EGV, Rn. 11. 4

A. Einleitung Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet die Patientenrichtlinie. Im Rahmen dieses Schwerpunkts wird zunächst ein Überblick über die Entstehung und den Inhalt der Patientenrichtlinie gegeben sowie eine Bewertung der wesentlichen Bestimmungen vorgenommen. Anschließend geht es um die Frage, ob die Union die Kompetenz zum Erlass dieser Richtlinie besitzt, und ob die Regeln zur Kompetenzausübung, namentlich das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, eingehalten wurden. Zuletzt wird das Verhältnis zwischen der Patientenrichtlinie und der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit VO (EG) 883/2004 16 betrachtet (D). Die Beantwortung der Ausgangsfrage, ob der Patientenrichtlinie der Ausgleich zwischen den Interessen von Mitgliedstaaten, Patienten und Union gelingt, wird in der Schlussbetrachtung vorgenommen (E). 16 Siehe ABl. 2004 Nr. L 166 vom 30. April 2004, S. 1 ff. 5