SACHVERSTÄNDIGENRAT zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Pflegerische Versorgung Prof. Dr. Doris Schaeffer, Universität Bielefeld Symposium Bedarfsgerechte Versorgung 30. September 2014, Berlin
Demografische Entwicklung und Pflegebedürftigkeit zwischen 1999 und 2011 Zunahme älterer Menschen (75 J. plus) um 35,5% auf 7,8 Mio. Große regionale Unterschiede: - früheres Bundesgebiet +33,2% / neue Bundesländer +47,7% - Extreme: Hamburg +13,3% / Mecklenburg-Vorpommern +73,5% Prognose: weiterer Anstieg bis 2030 +49% (bis 2050 +111,2%) Zunahme der Pflegebedürftigen um rund 24% auf 2,5 Mio. Ebenfalls große regionale Unterschiede: - Schleswig-Holstein +5,6%, Sachsen +17,7% - Brandenburg +49,2%, Hessen +37,3% Prognose: weiterer Anstieg um ca. 50% bis 2030
Ambulante Pflege: Entwicklungstendenzen zwischen 1999 und 2011 23% der Pflegebedürftigen erhalten ambulante Pflege (Sach- und Kombileistungen), 47% werden allein durch Angehörige versorgt Absolut: starker Anstieg der Nutzer ambulanter Pflege um 38,8%, weiterer Anstieg um ca. 50% bis 2030 Altersbereinigt: leichte Zunahme der Nutzer unter Personen ab 75 Jahren um 1,4% regional unterschiedliche Entwicklung: - Brandenburg +80,6%, Niedersachsen +57,2% - Schleswig-Holstein +11,4%, Sachsen +27,2% Anstieg der Zahl ambulanter Dienste um rund 14%; zugleich mehr Pflegebedürftige pro Dienst (+22%) Dynamische Entwicklung der Tages- und Kurzzeitpflege erheblicher Kapazitätsausbau & stark gestiegene Inanspruchnahme (Tagespflege: +135%, Kurzzeitpflege +325% Nutzerzuwachs)
Stationäre Langzeitversorgung: Entwicklungstendenzen zwischen 1999 und 2011 30% der Pflegebedürftigen leben in stationären Pflegeeinrichtungen Absolut: starker Anstieg der Nutzer stationärer Pflege um 30,5%, weiterer Anstieg um ca. 50% bis 2030 Altersbereinigt: Abnahme der Nutzer unter Personen ab 75 Jahren um -0,4% Regional unterschiedliche Entwicklung: - Thüringen +60,5%, Baden-Württemberg +35,1% - Hamburg +10,2%, Berlin +17,9% Zahl stationärer Einrichtungen um ca. 32,5% angewachsen, starke regionale Unterschiede (Sachsen-Anhalt +84,4%, Schleswig-Holstein +9,0%) Abbau regionaler Unterschiede bei den Versorgungskapazitäten
Kleinräumig regional unterschiedliche Entwicklungen (in Ost und West) Beispiel: Heimbewohner je 100 Personen ab 75 Jahren in den Regionen um Dortmund 2003 2011 Veränderung (in Prozent) Bochum 9,6 8,8-8,1 Dortmund 8,3 8,7 4,8 Hagen 8,0 8,4 5,7 Hamm 8,8 9,3 5,6 Ennepe-Ruhr-Kreis 11,2 9,9-11,8 Unna 9,6 9,0-6,5 Alle 9,3 9,0-3,1
Fachkräfteentwicklung in der Langzeitversorgung zwischen 1999 und 2011 2025 fehlen 112.000 Fachkräfte in der Pflege (Afentakis/Mayer 2010) Erheblicher Zuwachs der Beschäftigten: - ambulante Versorgung um 58% auf 290.714 - stationäre Versorgung um 125% auf 661.179 Beschäftigtenzuwachs vor allem durch Zunahme von Teilzeitstellen und geringfügiger Beschäftigung Zuwachs an akademisch ausgebildeten Pflegekräften, Anteil nach wie vor nur ca. 0,6% (Forderung Wissenschaftsrat: 10% - 20%) Seit 2011 laut Daten der BA Fachkräftemangel: - Es fehlen vor allem dreijährig ausgebildete Pflegekräfte - Leichter Angebotsüberhang bei Pflegehilfskräften Prognose: erhebliche Ausweitung des Fachkräftemangels Flächendeckendes regionales Fachkräftemonitoring
Herausforderungen in der pflegerischen Versorgung Quantitative und qualitative Weiterentwicklung mit dem Ziel der Sicherung von Autonomie, d.h. Ausbau der Prävention von (zunehmender) Pflegebedürftigkeit Stärkung der Nutzerkompetenz durch Information und Beratung Förderung informeller Hilfe und pflegender Familien Weiterentwicklung der ambulanten Pflege Weiterentwicklung der stationären Langzeitversorgung Neue Versorgungsmodelle: lokale Gesundheitszentren Förderung von Ausbildung, Wissenschaft und Forschung Neue Formen der Kooperation Stärkung der Kommunen
Prävention Viel Aktivität, Konzentration auf das junge Alter Stärkere Beachtung - des höheren und hohen Alters - der Prävention von Pflegebedürftigkeit - der Gesundheitsförderung trotz Krankheit und Pflegebedürftigkeit, - Stärkung der Gesundheitskompetenz (und Bewegungsfähigkeit) - verhältnis- und settingorientierte Ansätze Vernachlässigte Settings: pflegerische Versorgung, Kommunen und ländliche Gemeinden Entwicklung evidenzbasierter Konzepte
Ambulante Pflege Zuhause ist heute zunehmend wichtiger Gesundheitsstandort Zunehmend komplexe Bedarfslagen Weiterentwicklungserfordernisse: - Ambulante Pflege stärker von der Häuslichkeit konzipieren - Ausdifferenzierung: Leistungsprofile, die die Vielfalt des Bedarfs der Bevölkerung abdecken - Anderer Qualifikationsmix mit akad. qualif. Fachkräften - Kooperation mit Familien und informellen Helfern neu gestalten - Ressourcen- und Kompetenzförderung pflegender Angehöriger Neue Formen der Organisation auf der Ebene - der Arbeitsorganisation/Steuerung: Case Management - der Betriebsorganisation/-größe und - der Integration/Vernetzung (Verbund-, Netzwerkbildung)
Stationäre Langzeitversorgung Übergang in stationäre Langzeitversorgung erfolgt erst im Spätstadium chronischer Krankheit und Pflegebedürftigkeit Hoher Anteil an Nutzern mit kognitiven Beeinträchtigungen, schwerwiegenden Gesundheitsproblemen, begrenzter Lebenserwartung und komplexem Pflegebedarf Tendenziell sinkende Verweilzeit hohe Sterblichkeit, besonders unter neu einziehenden Bewohnern Weiterentwicklungserfordernisse: - Pflegekonzepte, die dem veränderten Bedarf entsprechen - Quantitativ und qualitativ bessere Personalausstattung - Neuer Qualifikationsmix mit spez. akad. qualif. Fachkräften - Arbeitsorganisation/Steuerung: Case Management - Verbesserung der Integration in die Quartiersentwicklung, gemischte, sektorenübergreifende Einrichtungen
Bedarfsgerechte Weiterentwicklung: Lokale Gesundheits-/Langzeitversorgungszentren Bündelung aller für die Versorgung bei komplexem Bedarf erforderlichen (pflegerischen) Dienste unter einem Dach Integrierte Versorgung aus einer Hand Umfassende Versorgung: abgestufte pflegerische, medizinische, rehabilitative, psycho-soziale Leistungen präventive Ausrichtung multiprofessionelle Organisation neue Kooperation und Aufgabenteilung: Potenziale der Pflege nutzen erweiterte Rollen weitergefasstes Pflegeverständnis Konsequenzen auf qualifikatorischer Ebene: Stärkung der Professionalisierung der Pflege, Ausbau von Wissenschaft und Forschung
Herausforderungen für die Kommunen Fortlaufendes Monitoring der Bedarfs- und Versorgungssituation Systematische quartiersnahe Versorgungsplanung basierend auf Community Health Assessments (CHA) Entwicklung erforderlicher Instrumente, Bedingungen und Kompetenzen in den Kommunen Etablierung einer partizipativen Planungskultur: Pflegekonferenzen Auswertung bestehender Erfahrungen mit Pflegekonferenzen und Entwicklung von Orientierungshilfen
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit