Vertrauen in die unternehmerische Zahlungsfähigkeit: Die Behandlung des eigenen Kreditrisikos im Jahresabschluss

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Transkript:

Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2013 Vertrauen in die unternehmerische Zahlungsfähigkeit: Die Behandlung des eigenen Kreditrisikos im Jahresabschluss Meyer, Conrad; Halberkann, Jérome Abstract: Der Ausweis des eigenen Kreditrisikos ist ein brisantes Thema. Mit IFRS 9 sind Gewinne und Verluste aus eigenem Kreditrisiko bei der Anwendung der Fair-Value-Option erfolgsneutral auszuweisen. Für die Berechnung dieser Gewinne undverluste schlägt der Standard eine intuitive Methode vor. Dieser Beitrag zeigt einewesentliche Schwäche dieser Methode bezüglich des ausgewiesenen Zinsaufwands auf und stellt eine alternative Methode zur Berechnung des Erfolgs aus eigenem Kreditrisiko vor, welche die Schwäche behebt und den Jahresabschluss aussagekräftiger und vertrauenswürdiger macht. Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-68751 Published Version Originally published at: Meyer, Conrad; Halberkann, Jérome (2013). Vertrauen in die unternehmerische Zahlungsfähigkeit: Die Behandlung des eigenen Kreditrisikos im Jahresabschluss. In: Vollmar, Jens; Hoffend, Isabella; Becker, Roman. Macht des Vertrauens: Perspektiven und aktuelle Herausforderungen im unternehmerischen Kontext. Wiesbaden: Gabler, 213-220.

Vertrauen in die unter nehmerische Zahlungsfähigkeit 10 Die Behandlung des eigenen Kreditrisikos im Jahresabschluss Conrad Meyer Jérôme Halberkann 10.1 Einleitung... 213 10.2 IFRS 9... 214 10.3 Berechnung des eigenen Kreditrisikos in IFRS 9... 215 10.4 Eine problematische Berechnungsmethode... 217 10.5 Eine alternative Vorgehensweise zur Berechnung des eigenen Kreditrisikos... 218 10.6 Fazit... 220 J. Vollmar, et al. (Hrsg.), Macht des Vertrauens, DOI 10.1007/978-3-8349-4453-5_10, Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

10 Vertrauen in die unter nehmerische Zahlungsfähigkeit 213 Background Information PROF. DR. OEC. PUBL. CONRAD MEYER ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Accounting der Universität Zürich. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen des Accountings und Reportings. Conrad Meyer ist Präsident der Fachkommission für Empfehlungen zur Rechnungslegung Swiss GAAP FER sowie des Expertenbeirats Finanzberichterstattung der SIX Swiss Exchange. JÉRÔME HALBERKANN, M.A. HSG, absolvierte an der Universität Zürich einen Bachelor in Betriebswirtschaftslehre und studierte anschließend an der Universität St.Gallen Rechnungswesen und Finanzen. Er arbeitet seit Juni 2011 als wissenschaftlicher Assistent und Doktorand am Lehrstuhl für Accounting der Universität Zürich. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Earnings Management, Goodwill-Accounting und eigenes Kreditrisiko. Abstract Der Ausweis des eigenen Kreditrisikos ist ein brisantes Thema. Mit IFRS 9 sind Gewinne und Verluste aus eigenem Kreditrisiko bei der Anwendung der Fair- Value-Option erfolgsneutral auszuweisen. Für die Berechnung dieser Gewinne und Verluste schlägt der Standard eine intuitive Methode vor. Dieser Beitrag zeigt eine wesentliche Schwäche dieser Methode bezüglich des ausgewiesenen Zinsaufwands auf und stellt eine alternative Methode zur Berechnung des Erfolgs aus eigenem Kreditrisiko vor, welche die Schwäche behebt und den Jahresabschluss aussagekräftiger und vertrauenswürdiger macht. 10.1 Einleitung Wenn das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit abnimmt, ist dies kein gutes Zeichen für ein Unternehmen. Es deutet darauf hin, dass das operative Geschäft schlechter läuft und der Unternehmenswert gesunken ist. In der Folge steigen die Fremdkapitalzinsen des Unternehmens und die Kapitalbeschaffung wird schwieriger. Was wirtschaftlich gesehen eine negative Entwicklung darstellt, müsste sich im Jahresabschluss dementsprechend gewinnmindernd niederschlagen. Umso überraschender ist die Tatsache, dass ein steigendes eigenes Kreditrisiko zu einem buchhalterischen Gewinn führt ein Umstand, der insbesondere in der Finanzkrise ab 2007 für Erstaunen in den Medien gesorgt hat. Damals hatten Banken trotz Wertminderungen auf Aktiven und hoher Umsatzeinbußen Gewinne aus eigenem Kreditrisiko in Milliardenhöhe erfolgswirksam ausgewiesen.

214 Conrad Meyer und Jérôme Halberkann Die Erfassung von Gewinnen und Verlusten aus eigenem Kreditrisiko war eine Konsequenz der in International Accounting Standard (IAS) 39 vorgesehenen Fair-Value-Option für Finanzverbindlichkeiten. Die kontraintuitive buchhalterische Behandlung entbehrt dabei keinesfalls einer betriebswirtschaftlichen Logik. Mit der Bonität sinkt der Wert des Fremdkapitals. Wer den Kreditrisikoeffekt im Jahresabschluss berücksichtigen möchte, dem bleibt nichts anderes übrig, als den Wert des Fremdkapitals nach unten zu korrigieren, was zu einem Gewinn führt. 10.2 IFRS 9 Die Reaktionen der Medien und Analysten auf diese Problematik zeigen, dass die theoretische Erklärung die vorgeschriebene Verbuchung des eigenen Kreditrisikos nicht über jeden Zweifel erhaben macht. Bei der Entwicklung von International Financial Reporting Standard (IFRS) 9 im Jahr 2009 wurde kein Thema so kontrovers diskutiert wie die Berücksichtigung des Kreditrisikos. Ein erster Standardentwurf, der die Bewertungsvorschriften von IAS 39 übernahm, stieß auf derart heftige Kritik, dass das International Accounting Standards Board (IASB) sich dazu entschied, die finanziellen Verbindlichkeiten vorerst aus dem Anwendungsbereich von IFRS 9 herauszunehmen. Ein Jahr später wurden die neuen Vorschriften zu den finanziellen Verbindlichkeiten in IFRS 9 erlassen. Neu sieht der Standard vor, dass Gewinne und Verluste aus eigenem Kreditrisiko von finanziellen Verbindlichkeiten, bei denen von der Fair-Value-Option Gebrauch gemacht wurde, erfolgsneutral ausgewiesen werden müssen, sofern dadurch ein sogenannter Accounting Mismatch weder entsteht noch verschärft wird (vgl. Abb. 10.1). Durch die erfolgsneutrale Erfassung wird versucht, die Argumente für und gegen die Berücksichtigung des eigenen Kreditrisikos zu vereinen. Das eigene Kreditrisiko vollständig aus dem Abschluss auszuklammern, würde den Vermögensverlagerungseffekt ignorieren. Dieser ergibt sich aus dem Umstand, dass eine Veränderung des Kreditrisikos eine Umverteilung des Unternehmensvermögens von Fremd- zu Eigenkapitalgebern bzw. umgekehrt darstellt. Auf der anderen Seite hängt eine Verschlechterung des Kreditrisikos häufig mit Werteinbußen von Vermögenswerten zusammen, die nicht fortlaufend bewertet (wie z. B. Goodwill und Sachanlagen) oder gar nicht erst bilanziert werden (wie z. B. eigener Goodwill und Außerbilanzgeschäfte). Da der Wertverlust solcher Vermögenswerte nicht ausgewiesen wird, ist es problematisch, Gewinne aus eigenem Kreditrisiko, die auf diesen Wertverlust zurückzuführen sind, zu verbuchen. Eine Erfassung des eigenen Kreditrisikos in der Bilanz und eine Ausklammerung aus dem Gewinn, wie es IFRS 9 vorsieht, stellt eine akzeptable Lösung des Problems dar.

10 Vertrauen in die unter nehmerische Zahlungsfähigkeit 215 Abb. 10.1 In IFRS 9 vorgeschlagene Methode zur Berechnung des eigenen Kreditrisikos 10.3 Berechnung des eigenen Kreditrisikos in IFRS 9 Die Isolierung des Kreditrisikoeffektes mag wie eine Neuerung aussehen. Sie ist es jedoch nur hinsichtlich des Ausweises in der Erfolgsrechnung. Die Offenlegung bonitätsbedingter Wertschwankungen im Anhang der Jahresrechnung wurde bereits mit IFRS 7 eingeführt. Eine solche Isolierung ist keine einfache Aufgabe. Die mit der Kreditrisikoproblematik betraute Arbeitsgruppe des IASB stellte hierzu selbst fest, dass es schwierig sei, diese Separierung vorzunehmen. Eine Anleitung zur Berechnung wird im Anhang von IFRS 7 gegeben. Sie wurde in IFRS 9 übernommen. Diese führt aus, dass auf den Kreditspread abgestellt werden darf, sofern die wesentlichen Änderungen der Marktumstände sich auf den beobachtbaren Referenzzins beschränken. Beim Kreditspread handelt es sich um die Differenz von risikolosem Zinssatz und effektivem Zins des Fremdkapitalinstruments. Die Orientierung am Kreditspread der Anleihe ist theoretisch jedoch nicht ganz korrekt, wenn es darum geht, das Kreditrisiko über die Laufzeit hinweg zu beurteilen. Aus praktischer Sicht gibt IFRS 9 dem Abschlussersteller jedoch eine einfache Annäherungsmethode für Plain-Vanilla-Bonds zur Hand.

216 Conrad Meyer und Jérôme Halberkann Die Berechnung erfolgt in drei Schritten. Im ersten Schritt wird der implizite Kreditspread der Finanzverbindlichkeit zum Periodenanfang berechnet. Anschließend ist der Zeitwert der Anleihe mit diesem Kreditspread zum Periodenende zu bestimmen. Die Differenz des Zeitwertes mit altem Spread und aktuellem Marktwert der Anleihe ergibt den Gewinn aus eigenem Kreditrisiko. Abb. 10.2 zeigt die Berechnungsschritte für das Beispiel eines Zero-Bonds mit Laufzeit bis Ende 2012. Der implizite Diskontierungszins der Anleihe betrug Anfang 2012 8.13 Prozent. Dies ist der Zins, welcher den Nominalwert auf den Marktwert Anfang 2012 diskontiert. Da der risikolose Zins zu diesem Zeitpunkt 3 Prozent betrug, ergibt sich ein Kreditspread von 5.13 Prozent (8.13 Prozent 3 Prozent) am Periodenanfang. Ende 2012 steigt der Marktwert der Anleihe von 85 auf 90 und der risikolose Zins sinkt auf 1 Prozent. Wird der Nominalwert mit der Summe aus altem Kreditspread und aktuellem risikolosen Zins (5.13 Prozent + 1 Prozent) auf Ende 2012 diskontiert, resultiert ein Wert von 94. Dies wäre der aktuelle Wert der Anleihe, wenn der Kreditspread konstant geblieben wäre. Da der tatsächliche Wert der Anleihe 90 beträgt und damit tiefer liegt, ergibt sich gemäß dieser Berechnungsmethode ein Gewinn aus eigenem Kreditrisiko von 4. Dieser Gewinn läuft über das Other Comprehensive Income und ist deshalb zur Fair-Value-Wertänderung der Anleihe hinzuzurechnen. Für das Jahr 2012 ergibt sich somit ein Zinsaufwand von 9 (94 85). Abb. 10.2 Vorgehen zur Berechnung von Gewinnen und Verlusten gemäß IFRS 9

10 Vertrauen in die unter nehmerische Zahlungsfähigkeit 217 10.4 Eine problematische Berechnungsmethode Die nach der in IFRS 9 vorgeschlagenen Methode berechneten Gewinne und Verluste aus eigenem Kreditrisiko verhalten sich jedoch nicht additiv. Die berechneten Größen der einzelnen Quartale ergeben zusammengerechnet nicht den Wert für das gesamte Jahr. Das bedeutet, dass sich bei einer mehrjährigen Finanzverbindlichkeit die im Jahresabschluss ausgewiesenen Gewinne und Verluste aus eigenem Kreditrisiko nicht kompensieren, wie es zu erwarten wäre, falls es zu keinem Kreditausfall käme. Folgendes Beispiel illustriert die Problematik (vgl. Abb. 10.3). Am 01.01.2011 wurde ein Zero-Bond mit einer Laufzeit von vier Jahren zu 60 emittiert. Der risikolose Zins ist konstant und beträgt 3 Prozent. Die Anleihe wurde zu einem Zeitpunkt begeben, als das eigene Kreditrisiko hoch war. Der Kreditspread betrug dementsprechend 9.77 Prozent. In den Folgejahren verbessert sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, was zu einer Abnahme des Spreads von 9.77 Prozent auf 2.41 Prozent am 31.12.2011 führt. Die Wertzunahme der Verbindlichkeit von 60 auf 85 beinhaltet gemäß der Berechnungsmethode von IFRS 9 einen Verlust aus eigenem Kreditrisiko von 16.85 im Jahr 2011. In den Jahren 2012 und 2013 liegt der Kreditspread bei 2.27 Prozent und 2.13 Prozent, was zu Verlusten aus eigenem Kreditrisiko von 0.26 und 0.13 führt. Am 31.12.2014 wird der Nominalwert von 100 der Anleihe zurückgezahlt. Zu diesem Zeitpunkt betragen die kumulierten Verluste aus eigenem Kreditrisiko 17.24. Abb. 10.3 Erfolg aus eigenem Kreditrisiko im Zeitverlauf Gemäß IFRS 9 sind diese 17.24 auch bei Rückzahlung der Anleihe nicht der Erfolgsrechnung zurückzuführen. Sie werden somit vollständig aus der Erfolgsrechnung ausgeklammert. Der Zinsaufwand berechnet sich aus Fair-Value-Wertänderung abzüglich des Kreditrisikoeffektes. Von den Fremdkapitalkosten der Anleihe in der Höhe von 40 werden nur 22.76 über die Laufzeit in der Erfolgsrechnung ausgewiesen. Die übrigen 17.24 werden erfolgsneutral über das Other Comprehensive Income erfasst (vgl. Abb. 10.4).

218 Conrad Meyer und Jérôme Halberkann Abb. 10.4 Aufteilung der Fremdkapitalkosten Im Beispiel resultiert ein Verlust aus eigenem Kreditrisiko, weil sich nach der Begebung der Anleihe die Bonität des Unternehmens verbessert. Würde sich die Bonität verschlechtern, wären Gewinne aus eigenem Kreditrisiko zu isolieren, was zu einem Zinsaufwand führen würde, der höher läge als die Differenz von Nominalwert und Emissionserlös. Die transaktionsbasierte Anwendung der Fair-Value-Option gibt dem Unternehmen eine Möglichkeit, mit der in IFRS 9 vorgeschlagenen Methode Earnings Management zu betreiben. Anleihen, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten begeben werden, in denen eine Bonitätsverbesserung erwartet wird, können zum Fair Value und Anleihen, die in guten Zeiten begeben werden, gemäß Effektivzinsmethode bewertet werden. Auf diese Weise profitiert das berichterstattende Unternehmen von der erfolgsneutralen Isolation des Kreditrisikoeffektes, welche die ausgewiesenen Fremdkapitalkosten reduziert. 10.5 Eine alternative Vorgehensweise zur Berechnung des eigenen Kreditrisikos Eine alternative und theoretisch adäquatere Vorgehensweise zur Berechnung des Bonitätseffektes bestünde darin, den Gewinn bzw. Verlust aus eigenem Kreditrisiko seit Begebung der Anleihe am Periodenende mit demjenigen am Periodenanfang zu vergleichen und die Fair-Value-Änderung der Anleihe um die Differenz zu korrigieren. Da zur Fälligkeit der Erfolg aus eigenem Kreditrisiko seit Begebung Null beträgt, sofern es zu keinem Kreditausfall kommt, gleichen sich Gewinne und Verluste über die Laufzeit unabhängig von der Bonitätsentwicklung aus (vgl. Abb. 10.5).

10 Vertrauen in die unter nehmerische Zahlungsfähigkeit 219 Abb. 10.5 Erfolg aus eigenem Kreditrisiko seit Emission Die Rechenschritte sind ähnlich wie bei der in IFRS 9 vorgeschlagenen Methode. Der Unterschied besteht darin, dass im ersten Schritt nicht der Kreditspread zum Periodenanfang ermittelt wird, sondern derjenige, der bei Begebung der Anleihe bestand. Mit diesem wird der Zeitwert der Anleihe zu Beginn und Ende der Periode berechnet. Die Differenz des Zeitwerts mit dem jeweiligen tatsächlichen Marktwert ergibt den Gewinn bzw. Verlust aus eigenem Kreditrisiko seit Emission zu Anfang bzw. Ende der Periode. Die Differenz dieser Gewinne und Verluste ergibt den Gewinn bzw. Verlust aus eigenem Kreditrisiko der Periode. Abb. 10.6 zeigt die Schritte tabellarisch auf. Abb. 10.6 Additive Berechnungsmethode des Erfolgs aus eigenem Kreditrisiko

220 Conrad Meyer und Jérôme Halberkann Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass der über die gesamte Laufzeit ausgewiesene Zinsaufwand den tatsächlichen Fremdkapitalkosten entspricht. Im Beispiel sind es 40, die sich aus der Differenz von Emissionserlös und Nominalwert der Anleihe ergeben. Damit bestehen für das berichterstattende Unternehmen weniger Anreize zur selektiven Anwendung der Fair-Value-Option auf Finanzverbindlichkeiten. Es lassen sich über die Laufzeit betrachtet die Fremdkapitalkosten nicht reduzieren, wie es mit der in IFRS 9 vorgeschlagenen Methode möglich ist. Im Beispiel zu IFRS 9 waren nur 22.76 von 40 als Zinsaufwand in der Erfolgsrechnung zu erfassen. Es bleibt jedoch der unter Umständen willkommene Effekt der zeitlichen Verlagerung des Zinsaufwands. So sind im Beispiel für die Berichtsperiode 2011 von der Wertzunahme der Anleihe in Höhe von 25 (85-60) nur 8.15 gewinnwirksam zu erfassen. In den Folgejahren, in denen es jeweils nur zu einer Wertzunahme von 5 kommt, fällt der Zinsaufwand anschließend höher aus. 10.6 Fazit Der Ausweis des eigenen Kreditrisikos ist ein brisantes Thema. Ob das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit im Jahresabschluss berücksichtigt werden darf oder soll, ist umstritten. Die in IFRS 9 vorgeschriebene Separierung und erfolgsneutrale Verbuchung bonitätsbedingter Gewinne und Verluste eigener Fremdkapitalinstrumente sollte das Problem entschärfen. Leider hat sich über die vom IASB vorgeschlagene Berechnungsmethode ein ungewollter Nebeneffekt eingeschlichen, der den Periodenausweis verfälscht. Die in diesem Beitrag vorgeschlagene Methode löst die Schwäche des Ansatzes in IFRS 9 und leistet einen Beitrag zur transparenten und sachgerechten Berichterstattung. Eine solche ist notwendig, damit das sinkende Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit nicht zusätzlich noch zu einem Vertrauensverlust in die Aussagekraft des Jahresabschlusses führt.