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Ophthalmologe 2017 114:79 90 DOI 10.1007/s00347-016-0420-8 Online publiziert: 9. Januar 2017 Springer Medizin Verlag Berlin 2016 Redaktion F. Grehn, Würzburg Unter ständiger Mitarbeit von: H. Helbig, Regensburg A. Kampik, München W.A. Lagrèze, Freiburg U. Pleyer, Berlin B. Seitz, Homburg/Saar bfw tailormade communication GmbH Online teilnehmen 3 Punkte sammeln auf CME.SpringerMedizin.de Teilnahmemöglichkeiten Die Teilnahme an diesem zertifizierten Kurs ist für 12 Monate auf CME.SpringerMedizin.de möglich. Den genauen Teilnahmeschluss erfahren Sie dort. Teilnehmen können Sie: als Abonnent dieser Fachzeitschrift, als e.med-abonnent. Zertifizierung Diese Fortbildungseinheit ist zertifiziert von der Ärztekammer Nordrhein gemäß Kategorie D und damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig. Es werden 3 Punkte vergeben. Anerkennung in Österreich und der Schweiz Gemäß Diplom-Fortbildungs- Programm (DFP) werden die auf CME.SpringerMedizin.de erworbenen Fortbildungspunkte von der Österreichischen Ärztekammer 1:1 als fachspezifische Fortbildung angerechnet ( 26(3) DFP Richtlinie). Die Schweizerische Gesellschaft für Ophthalmologie vergibt 1 Credit für die Zertifizierte Fortbildung in Der Ophthalmologe. CME Zertifizierte Fortbildung H. Wilhelm C. Kelbsch Department für Ophthalmologie, Universitäts-Augenklinik, Tübingen, Deutschland Efferente Pupillenstörungen Anisokorie und gestörte Lichtreaktion Zusammenfassung Efferente Pupillenstörungen können durch Störungen des Sympathikus oder Parasympathikus sowie durch Erkrankungen der Iris verursacht werden. Sie äußern sich als Anisokorie oder Störungen der Pupillenlichtreaktion. Diese Übersicht beschreibt die Diagnostik und notwendigen Schritte zur weiteren Abklärung von efferenten Pupillenstörungen. Schlüsselwörter Horner-Syndrom Pupillotonie Okulomotoriusparese Dorsales Mittelhirnsyndrom Diagnostik Kontakt Springer Medizin Kundenservice Tel. 0800 77 80 777 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Der Ophthalmologe 1 2017 79

Lernziele Nach der Lektüre dieses Beitrages... 4 kennen Sie den anatomisch-pathophysiologischen Hintergrund der efferenten Pupillenstörungen, 4 sind Sie in der Lage, durch gezielte Untersuchungen eine Anisokorie oder Störung der Pupillenlichtreaktion näher einzuordnen. 4 können Sie gefährliche von harmlosen Pupillenstörungen unterscheiden und eine der Diagnose angemessene Abklärung einleiten. Einleitung Der Ausschluss einer efferenten Störung muss immer der erste Schritt in der Untersuchung der Pupillomotorik sein Dieser Weiterbildungsbeitrag behandelt nur efferente Pupillenstörungen. Afferente Störungen sind streng genommen gar keine Pupillenstörungen, denn die Pupille reagiert dabei so, wie sie soll: Sie verengt sich proportional zum Lichteinfall, den die Netzhaut an das Mittelhirn meldet. Wenn ein defekter Sehnerv weniger Lichteinfall meldet, kontrahieren sich die Pupillensphinkter beider Augen entsprechend weniger. Man benutzt bei der Prüfung der Afferenz die Pupillen als Anzeigeinstrumente. Der Ausschluss einer efferenten Störung muss deshalb immer der erste Schritt in der Untersuchung der Pupillomotorik sein, denn ein defektes Anzeigeinstrument führt zu Fehlbeurteilungen. Hintergrund Die Pupillenweite wird durch den Tonus des sympathisch innervierten M. dilatator und des parasympathisch innervierten M. sphincter pupillae bestimmt. Die Nervenbahn zum Dilatator beginnt im Hypothalamus, zieht durch den Hirnstamm bis in die Höhe des 2./3. Brustwirbels, tritt dort aus dem ZNS aus und zieht mit dem Grenzstrang des Sympathikus und dem Plexus caroticus wieder nach oben, durchquert mit dem N. abducens den Sinus cavernosus und schließt sich schließlich dem 1. Trigeminus an, um mit den langen Ziliarnerven den M. dilatator pupillae zu erreichen. Die Nervenbahn zum Sphinkter ist einfacher. Sie beginnt im vegetativen Bereich des Okulomotoriuskerns, allerdings, wie man mittlerweile weiß, nicht genau im Edinger-Westphal-Kern, sondern in einem benachbarten Gebiet [1]. Dieses Zellgebiet wird als präganglionäre Edinger- Westphal-Population bezeichnet (in Abgrenzung zu den zentral projizierenden Neuronen). Die Axone verlaufen im N. oculomotorius zusammen mit den motorischen Fasern und haben im Ganglion ciliare, 1 2 cm hinter dem Auge, eine Synapse. Die Axone der Neurone des Ganglion ciliare ziehen als kurze Ziliarnerven zum Sphinkter. Efferent pupillary defects. Anisocoria and impaired light reaction Abstract Efferent pupillary defects are caused by problems of sympathetic or parasympathetic innervation or structural iris changes presenting as anisocoria or impaired pupillary light reaction. This overview describes the diagnostic steps for evaluating efferent pupillary disorders and outlines further steps of work-up. Keywords Horner syndrome Tonic pupil Third nerve palsy Dorsal midbrain syndrome Diagnosis 80 Der Ophthalmologe 1 2017

peripherer Sympathikus + zentraler Sympathikus Dilatator + - Sphinkter + Okulomotoriuskern Lichtreak on Prätektum + Nahreak on Okzipitalrinde Abb. 1 9 Schaltbild der Pupillenbahn. Inhibitorisch wirkt nur die Bahn des zentralen Sympathikus zum Okulomotoriuskern. Sie wirkt synergistisch mit dem peripheren Sympathikus Sowohl für den vegetativen Okulomotoriuskern als auch für die sympathischen Kerngebiete des Hypothalamus gibt es supranukleäre Strukturen (. Abb. 1). Der vegetative Okulomotoriuskern erhält Input 1. aus dem Prätektum jeder Seite. Das ist die Bahn der Pupillenlichtreaktion; 2. von der Okzipitalrinde zur Auslösung der Nahreaktion. Diese Bahn ist nicht genau bekannt; 3. vom zentralen Sympathikus, bei dem der Locus coeruleus eine wichtige Rolle spielt. Dabei sind 1. und 2. exzitatorisch, während 3. inhibitorisch wirkt. Es gibt demnach 2 Möglichkeiten, die Pupille zu erweitern, 4 einmal durch Reizung des peripheren Sympathikus über den Hypothalamus oder 4 durch Hemmung des vegetativen Okulomotoriuskerns durch den zentralen Sympathikus, Locus coeruleus und assoziierte Gebiete [2]. Natürlich tauschen sich diese beiden synergistischen Systeme auch aus. Es vereinfacht den Umgang mit Pupillenstörungen sehr, wenn man Sympathikus und Parasympathikus getrennt betrachtet. Parasympathikusstörungen beeinträchtigen die Lichtreaktion, bei reinen Sympathikusstörungen bleibt sie normal. Man kann sich aber vorstellen, dass die Sympathikusinnervation im Zusammenspiel von peripherem und zentralem Sympathikus so stark werden könnte, dass der Pupillensphinkter nicht mehr dagegen ankommt. Da der Sphinkter der weitaus kräftigere Muskel ist, wird dies nur ausnahmsweise zu beobachten sein, etwa wenn jemand heftig erschrickt. Das periphere Pupillensystem verläuft ungekreuzt, eine rechtsseitige Schädigung führt auch zur rechtsseitigen Pupillenstörung. Input erhält es in der Regel von beiden Seiten des Gehirns weitgehend symmetrisch. Der vegetative Okulomotoriuskern wird sowohl von ipsilateralem als auch von kontralateralem Prätektum innerviert. Eine einseitige Schädigung der Area praetectalis wird demnach nicht zur Anisokorie führen. Ebenso wenig würde ein einseitiger Ausfall des zentralen Sympathikus eine Anisokorie verursachen, die Pupillen würden beide möglicherweise ein wenig enger, weil die Hemmung der beiden vegetativen Okulomotoriuskernareale reduziert wäre. Parasympathikusstörungen beeinträchtigen die Lichtreaktion, bei reinen Sympathikusstörungen bleibt sie normal Das periphere Pupillensystem verläuft ungekreuzt Physiologische Anisokorie Die eben beschriebene Symmetrie ist nicht perfekt. Daraus resultiert die häufigste Pupillenstörung, die physiologische Anisokorie. Eigentlich ist es keine Störung, sondern Ausdruck einer gewissen stochastischen Streuung in der Ausbalancierung des Systems. Ungleich weite Pupillen kommen sehr häufig vor. Es gibt ausführliche Daten aus den 1950er- Jahren [3]. Demnach folgen die Anisokorien einer Normalverteilung um 0, etwas flacher bei älteren Menschen. Eine Anisokorie unter 0,4 mm fällt bei üblicher Inspektion nicht auf. Der Ophthalmologe 1 2017 81

Mansolltedeshalbvereinfachenderstab0,5 mmseitenunterschied von Anisokorie sprechen, muss sich aber bewusstsein,dassesgefährlichepupillenstörungen auch ohne Anisokorie geben kann. Anisokorie von 0,5 mm und mehr kommt bei etwa 15 % der Menschen vor. Typisch ist, dass die physiologische Anisokorie nicht konstant ist, sondern fluktuiert, sich sogar umkehren kann. Seitenunterschiede von 1 mm und mehr kommen nur bei weniger als 5 % vor. Unterscheidung physiologische Anisokorie und Horner-Syndrom Tab. 1 Physiologische Anisokorie oder Horner-Syndrom? Physiologische Horner-Syndrom Anisokorie Normale Pupillenlichtreaktion Selten 1 mm und mehr Wechselt Keine Ptosis Prompte Dilatation Normale Pupillenlichtreaktion Im Mittel ca. 1 mm Konstant, kein Seitenwechsel In 90 % Ptosis Verzögerte Dilatation Das Risiko, ein Horner-Syndrom ohne Ptosis zu übersehen, ist gering Die Iris verliert beim Horner-Syndrom Pigment, sodass sich eine Heterochromie entwickelt Die einzige Differenzialdiagnose zur physiologischen Anisokorie ist das Horner-Syndrom (. Tab. 1). Auch dessen Anisokorie ist nicht ausgeprägt, im Mittel etwas unter 1 mm. Eine Ptosis auf der Seite der engeren Pupille wäre demnach auch bei geringer Anisokorie ein Argument für ein Horner-Syndrom. Etwa 10 % der Patienten mit Horner-Syndrom zeigen keine Ptosis [4], sodass man sich bei seitengleicher Lidspalte nicht darauf verlassen darf, dass kein Horner- Syndrom vorliegt. Eine eindeutig physiologische Anisokorie ist harmlos und bedarf keiner weiteren Diagnostik, ein Horner-Syndrom kann hingegen eine ernste Ursache haben. Für den Alltag stellt sich angesichts der Häufigkeit der physiologischen Anisokorie die Frage, unter welchen Umständen man weiter abklären muss. Die Häufigkeit des Horner-Syndroms ist nicht genau bekannt, man kann sie aber schätzen. Die neuroophthalmologische Ambulanz der Tübinger Universitäts-Augenklinik hat in den letzten 4 Jahren 143 Patienten mit der Diagnose Horner-Syndrom gesehen; 424 hatten im gleichen Zeitraum die Diagnose Optikusneuritis. Die jährliche Inzidenz der Optikusneuritis ist mit 5/100.000 angegeben. Somit dürfte die Inzidenz des Horner-Syndroms bei1 2/100.000 liegen, wenn man annimmt, dass beide Diagnosen etwa in gleichem Anteil an die Augenklinik überwiesen werden. Es kann geschätzt werden, dass pro 1 Mio. Menschen nur 1- bis 2-mal jährlich ein Horner- Syndrom ohne diagnoseweisende Ptosis auftritt. Somit ist das Risiko, ein Horner-Syndrom ohne Ptosis zu übersehen, gering. Beachten sollte man auch die Position des Unterlides. Es gibt nämlich rudimentäre Lidretraktoren, die sympathisch innerviert werden. Im Fall eines Horner-Syndroms wird das Unterlid deshalb minimal höher stehen als auf der gesunden Seite. Ein weiterer Hinweis könnten Störungen der Schweiß- und Temperaturregulation sein. Der klassische Befund wird Harlekin-Syndrom genannt [5]. Dies sieht man aber sehr selten. Der Name rührt daher, dass der Patient nach einer körperlichen Belastung dieser Figur aus der Commedia dell Arte ähnlich sieht, weil genau eine Gesichtshälfte rot anläuft und die andere blass bleibt mit einer Grenze exakt in der Mitte. Das Horner-Syndrom findet sich auf der blassen Seite, was zunächst schwer zu verstehen ist, da man bei Ausfall des vasokonstriktorischen Sympathikus eher eine Gefäßdilatation erwarten würde. Stärker ist aber offenbar die durch die Denervation entstandene Überempfindlichkeit gegenüber im Blut zirkulierenden Katecholaminen. Es kann zusätzlich die Schweißsekretion betroffen sein, denn auch Schweißdrüsen werden sympathisch innerviert. Ein sehr einfacher Test kann dies prüfen: Ist die Haut aufgrund des Ausfalls der Schweißsekretion trocken, wird ein mit seiner Konvexseite über die Stirn gezogener Kaffeelöffel auf dieser Seite ruckeln, während er auf der schwitzenden Seite sanft gleitet. Einen weiteren Hinweis gibt die Irisfarbe. Die Iris verliert beim Horner-Syndrom allmählich Pigment, sodass sich eine Heterochromie entwickelt. Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass das Horner-Syndrom schon lange besteht. Der in vielen Lehrbüchern beschworene Enophthalmus eines Horner-Syndroms hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Es sieht nur so aus, als hätte der Patient einen Enophthalmus. So schrieb es schon Friedrich Horner in der namensgebenden Publikation [6]. Typisch für ein Horner-Syndrom ist, dass sich die Pupille deutlich langsamer erweitert als auf der gesunden Seite. Es dauert oft 15 s und länger, während die gesunde Seite nach 5 s weit ist 82 Der Ophthalmologe 1 2017

Abb. 2 9 Horner-Syndrom: Ausschnitte aus einem Infrarotvideo im Abstand von 3 s. Im obersten Bild sieht man noch den Lichtkegel, der vonderpupille wegbewegtwird.die normale linke Pupille hat im 3. Bild, also nach 6 s, ihre Maximalweite erreicht, bei der sympathisch denervierten rechten Pupille ist dies erst nach15 sderfall.diesenunterschied kann man auch bei sukzessiver Prüfung gut erkennen Abb. 3 9 Horner-Syndrom, Test mit Apraclonidin. a Ausgangsbefund,bBefund40minnachbeidseits Apraclonidin-Augentropfen. Deutliche Erweiterung der Pupille und der Lidspalte auf der Seite des Horner- Syndroms,praktischkeine Änderung auf der rechten Seite (. Abb. 2). Der Vergleich der Dilatation beider Pupillen ist deshalb ein sehr gutes Verfahren, ein Horner-Syndrom auszuschließen. Man beleuchtet das zu untersuchende Auge von temporal mit Streiflicht und leuchtet mit einer zweiten, sehr hellen Taschenlampe in das Partnerauge (würde manindasselbeaugeleuchten,würdemansichselbstblendenundhätteesschwer,imanschluss die Pupille zu beobachten). Der Patient fixiert in die Ferne. Man sollte dies 3-mal für jedes Auge wiederholen. Zeigt sich dabei eine seitengleiche Dilatation, kann man ein Horner-Syndrom weitgehend ausschließen und das Risiko einer Fehldiagnose ist verschwindend gering. Besteht immer noch Unsicherheit, hilft ein Test mit Apraclonidin-Augentropfen. Apraclonidin ist ein α2-sympathomimetikum mit einer schwachen α1-wirkung. Diese macht man sich zunutze, denn ein nicht mehr innervierter M. dilatator pupillae kontrahiert sich deutlich nach Apraclonidin, was zur Pupillenerweiterung führt[7]. Eine normale Pupille reagiert nicht oder nur gering. Auch der M. tarsalis (Müller-Lidheber) spricht darauf an. Tropft man einem Patienten mit Horner-Syndrom Bei Unsicherheit hinsichtlich der Diagnose hilft ein Test mit Apraclonidin-Augentropfen Der Ophthalmologe 1 2017 83

Bei Säuglingen findet man häufig Anisokorien beidseits Apraclonidin, so sieht es aus, als habe sein Horner-Syndrom die Seite gewechselt, denn sowohl Lidspalte als auch Pupille sind nun weiter als auf der normalen Seite (. Abb. 3). Dies kann man oft schon nach 15 min beobachten. Will man aber sicher sein, dass keine Reaktion erfolgt, muss man 1 h warten. Kindern unter1jahrsolltemanapraclonidinnichtgeben[8]. Wir verwenden in diesem Fall Kokain 2,5 %-Augentropfen. Diese erweitern eine normale, nicht aber eine sympathisch denervierte Pupille. Bei einem akut aufgetretenen Horner-Syndrom kann man zumindest in den ersten 3 Tagen nicht erwarten, dass der Apraclonidin- Test schon positiv ist, da sich die Überempfindlichkeit erst entwickeln muss. In diesem Fall wäre ein Test mit Kokain 5 % notwendig, wenn der Befund unklar ist. Gerade bei Säuglingen findet man häufig Anisokorien, die sich nicht auf den ersten Blick als physiologische Anisokorie einordnen lassen. Es kann sein, dass der Dilatator noch nicht voll entwickelt ist. Dies erkennt man daran, dass die engere Pupille sich nach Tropicamid oder Phenylephrin (maximal 5 %) weniger erweitert als die Partnerpupille. In diesem Fall kann man sich auf den Kokain-Test nicht verlassen. Angesichts der Seltenheit eines Horner-Syndroms ohne Ptosis sollte man in diesen Fällen nur eine Kontrolle nach 2 bis 3 Monaten vereinbaren und den Kokain-Test wiederholen, wenn die Anisokorie immer noch besteht. Horner-Syndrom Tab. 2 Ursachen des Horner-Syndroms Hirnstamminsult (Teil des Wallenberg-Syndroms) Syringomyelie und -bulbie Diskusprolaps Thoracic-outlet-Syndrom Mediastinaler Tumor Plexus-brachialis-Verletzung Neuroblastom Struma, Zustand nach Schilddrüsenoperation, Schilddrüsenkarzinom Karotisdissektion Nasennebenhöhlenkarzinom Sinus-cavernosus-Tumor Cluster-Kopfschmerz Tab. 3 Vorgehen bei Horner-Syndrom Ursache klar oder Keine Bildgebung Horner-Syndrom seit >1 Jahr bekannt Anamnese oder Gezielte Bildgebung Untersuchung geben Hinweis auf Läsionsort Läsionsort unklar und Horner-Syndrom <1 Jahr Ungezielte Bildgebung Zuerst sollte ein pharmakologischer Nachweis eines Horner-Syndroms durchgeführt werden Bei jedem Horner-Syndrom eines Säuglings oder Kleinkindes muss ein Neuroblastom durch Bildgebung ausgeschlossen werden Ein Horner-Syndrom ist wie bereits erwähnt selten, sehr wahrscheinlich sogar seltener als eine physiologische Anisokorie mit etwas Lidspaltenasymmetrie und der engeren Lidspalte auf der Seite der engeren Pupille. Man sollte deshalb immer auf den pharmakologischen Nachweis eines Horner-Syndroms bestehen, bevor man eine Abklärung in die Wege leitet. Eine solche Abklärung ist nämlich aufgrund des komplizierten Bahnverlaufs des Sympathikus aufwendig. Die. Tab. 2 listet einige mögliche Ursachen des Horner-Syndroms auf. Wesentliche Konsequenzen haben v. a. das Neuroblastom, die Karotisdissektion und die malignen Tumoren. Die Karotisdissektion ist die bei Weitem häufigste Ursache eines Horner-Syndroms, aus der sich unmittelbare Konsequenzen ergeben [9]. Das Horner-Syndrom hat dabei eine kurze Anamnese und ist mit ipsilateralen Schmerzen verbunden. Meistens geht ein Trauma voraus, mehrfach haben wir eine Karotisdissektion nach chiropraktischer Behandlung gesehen. Sie ist aber auch spontan möglich und trifft v. a. groß gewachsene schlanke Menschen. Die Karotisdissektion ist die häufigste Ursache eines Schlaganfalls unter 50 Jahren. Eine unmittelbare Antikoagulation soll dies verhindern. Eine weitere Diagnose, die man nicht versäumen darf, ist das Neuroblastom. Dieser Tumor hat behandelt ein gute, unbehandelt eine schlechte Prognose. Bei jedem Horner-Syndrom eines Säuglings oder Kleinkindes muss dies durch Bildgebung ausgeschlossen werden, es sei denn, die Ursache des Horner-Syndroms ist klar (z. B. Geburtstrauma). Wie oben erwähnt, finden sich bei Säuglingen und Kleinkindern häufig physiologische Anisokorien bzw. Anisokorien, die auf eine Schwäche des Dilatators zurückzuführen sind. Bei diesen ist natürlich keine Bildgebung erforderlich. Man sollte allerdings darauf hinweisen, sich erneut vorzustellen, wenn eine Ptosis auftreten sollte. Auch beim Erwachsenen gilt es, einen behandlungsbedürftigen Tumor auszuschließen. Allerdings findet man in etwa 25 % der Fälle trotz ausgiebiger Bildgebung keine Ursache des Horner- Syndroms. Deshalb ist es wichtig, einen pragmatischen Algorithmus zu finden (. Tab. 3). Eine wesentliche Rolle spielt die Anamnese. Entweder ergibt sich daraus schon die Ursache, oder es 84 Der Ophthalmologe 1 2017

Abb. 4 8 Blüten und Blätter einer Engelstrompete. Die weißen Blüten werden bis zu 20cm lang. Es gibt sie auch gelb, rosa und rot blühend. Die gelben Blüten werden noch größer, die roten sind deutlich kleiner, die rosafarbenen gleich groß wie die weißen. Der Gehalt an ScopolaminundAtropindürfteinallenVarianten ähnlichsein(bis0,6%indertrockenmasse) ergibt sich wenigstens ein Verdacht, in welche Richtung die Bildgebung zu fokussieren ist. Bei der Untersuchung muss man auf Nachbarschaftssymptome achten. Eine ipsilaterale Abduzensparese würde z. B. auf einen Schaden im Sinus cavernosus hindeuten, supranukleäre Augenbewegungsstörungen oder eine kontralaterale Trochlearisparese auf einen Schaden im Hirnstamm. Wenn ein Horner-Syndrom länger als 1 Jahr bekannt ist, ohne dass es zu weiteren Symptomen kommt, ist eine ernste Ursache sehr unwahrscheinlich. In diesem Fall kann man auf Bildgebung verzichten, sollte den Patienten aber nachkontrollieren. Überfunktion des Sympathikus Physiologisch kommt es durch Stress zu einer sympathischen Überfunktion. Das Ergebnis ist das Gegenteil eines Horner-Syndroms: Die Pupillen sind weit und die Augen weit aufgerissen. Die vor Schreck weiten Pupillen kommen durch Zusammenspiel von peripherem und zentralem Sympathikus zustande. Dies wirkt sich auf beide Augen in gleichem Umfang aus. In Einzelfällen kann es sein, dass es kaum gelingt, eine Lichtreaktion auszulösen. Man sollte in diesen Fällen den Patienten beruhigen und nach einigen Minuten erneut prüfen. Beidseitig weite Pupillen eines wachen bewusstseinsklaren Patienten sind praktisch immer ein Zeichen von Angst, was ein erfahrener Arzt in seine Überlegungen einbezieht. Auch bei Drogenkonsum, insbesondere Cannabis, sieht man weite Pupillen. Dies kann eine unspezifische sympathische Reaktion sein. Es taugt unseres Erachtens nicht gut als Verdachtsmoment, da bei Polizeikontrollen die Pupillen auch ohne pharmakologische Einflüsse erheblich erweitert sein können. Darüber hinaus gibt es Patienten, die berichten, dass sich eine Pupille gelegentlich massiv erweitere und sich nach einiger Zeit wieder normalisiere. Manchmal dokumentieren sie dies auch fotografisch. Bei der Untersuchung findet man keinerlei pathologischen Befund. Diese rätselhafte Erscheinung wird episodische benigne unilaterale Mydriasis genannt [10]. Es besteht kein Bezug zu einer ZNS-Erkrankung, möglicherweise hat diese Störung mit Migräne zu tun. Wenn Unsicherheit besteht, sollte man mittels MR-Angiographie ein Aneurysma im Schädelbasisbereich ausschließen, da dies theoretisch ein solches Bild verursachen könnte. Bislang wurde dies aber nicht beschrieben. Eine Variante dieser Störung ist die tadpole-shaped pupil, kaulquappenförmige Pupille [11]. Dieses rührt daher, dass sich nicht der gesamte Dilatator, sondern nur ein Segment kontrahiert. Dadurch wird die Pupille verzogen und erhält eine Kaulquappenform. Dies wurde bei Horner- Syndrom und bei Pupillotonie gesehen, ist aber in der Mehrzahl der Fälle idiopathisch. Bislang wurde keine ernste Ursache beobachtet. Bei der Untersuchung muss man auf Nachbarschaftssymptome achten Die vor Schreck weiten Pupillen kommen durch Zusammenspiel von peripherem und zentralem Sympathikus zustande Störung der Lichtreaktion: dorsales-mittelhirnsyndrom Die Area praetectalis stellt ein wichtiges Zentrum der Pupillomotorik dar. Sie sammelt Informationen aus der Sehbahn, möglicherweise auch aus der Sehrinde und vermittelt die rasche phasische Anpassung der Pupillenweite an sich ändernde Lichtverhältnisse. Dabei innerviert jede der beiden Areae praetectales jeden Edinger-Westphal-Kern, sodass die Pupillen auf dieser Ebene immer synchron beeinflusst werden und keine Anisokorie entsteht. Eine Schädigung im dorsalen Mittelhirn muss demnach beidseitig sein, um wirksam zu werden, eine einseitige Läsion würde man nicht bemerken. Es sind dann immer auch beide Pupillen betroffen. Die Bahn für die Nahreaktion verläuft nicht über das Prätektum, sondern von der Okzipitalrinde ausgehend zum Edinger-Westphal-Kern. Deshalb erfolgt die Nahreaktion beim dorsalen Mittelhirnsyndrom prompt und ausgiebig im Gegensatz zur Pupillenlichtreaktion. Man spricht von Der Ophthalmologe 1 2017 85

Licht-Nah-Dissoziation. Das Bild sieht etwa so aus, wie man es bei einer beidseitigen Erblindung erwarten würde, wenn es der Patient schafft, eine Nahfixation zustande zu bekommen. Wenn man genau beobachtet, stellt man fest, dass die Lichtreaktion nicht komplett ausgefallen ist. Mit einem starken Lichtreiz kontrahieren sich die Pupillen langsam nach langer Latenz, allerdings nicht sehr ausgiebig. Auch sind die Pupillen nicht maximal weit, wie man es erwarten würde, wenn beide Areae praetectales ausfallen, sondern nur mittelweit. Wir vermuten, dass dies daher rührt, dass die über das Melanopsin der intrinsisch photosensitiven Ganglienzellen vermittelte Reaktion erhalten bleibt, also zumindest teilweise nicht über die Areae praetectales verläuft. Zum dorsalen Mittelhirnsyndrom gehört auch eine Störung der Aufblicksakkaden bei normalen Folgebewegungen und normalem vestibulookulären Reflex. Man sieht dabei auch häufig bei versuchtem raschem Aufblick stattdessen eine Konvergenzbewegung gefolgt von einer langsamen Bewegung nach oben. Bei diesem Syndrom muss man mit einer ernsten Ursache rechnen, typischerweise ist es ein Pinealom bzw. Pinealoblastom, sodass sehr zeitnah eine bildgebende Diagnostik erfolgen muss. Rechnen muss man auch mit dem Vorliegen einer Stauungspapille und einer Kompression des Tractus opticus. Okulomotoriusparese Okulomotoriusparesen werden kompressiv oder ischämisch verursacht Pupillenbeteiligung ist bei der Okulomotoriusparese Anlass zur stationären Aufnahme in die Neurochirurgie Da die parasympathischen Bahnen zur Pupille im N. oculomotorius verlaufen, muss man bei der Okulomotoriusparese mit einer Störung der Pupillenlichtreaktion rechnen. Es gibt 2 wesentliche Ursachengruppen: kompressiv und ischämisch. Etwa 20 25 % der Okulomotoriusparesen sind kompressiv verursacht, und dabei spielen Aneurysmen die Hauptrolle. Ein typischer Läsionsort ist die Gefäßgabel A. cerebelli superior und A. cerebri posterior. Das ist eine Prädilektionsstelle für Aneurysmen, und genau durch diese Gabel verläuft der N. oculomotorius. Da die parasympathischen Fasern an der Oberfläche des Nervs verlaufen, sind sie bei Kompression fast immer betroffen. Andererseits können sie beim mikrovaskulären Insult durch Versorgung aus der Nervenhülle am Leben gehalten werden. Eine Pupillenbeteiligung, auch gering, ist bei der Okulomotoriusparese immer als sehr ernstes Zeichen und als Anlass zu einer stationären Aufnahme in eine Klinik mit Neurochirurgie zu sehen. Bildgebung mit guter Gefäßdarstellung ist unbedingt notwendig. Beim älteren Patienten mit vaskulären Risikofaktoren darf man nur bei einer völligen Pupillenaussparung von einer ischämischen Okulomotoriusparese ausgehen und auf Bildgebung verzichten. Man sollte aber kurzfristig kontrollieren, ob sich nicht doch eine Pupillenbeteiligung einstellt. Bei der Okulomotoriusparese mit Pupillenbeteiligung, kompressiv oder traumatisch, sieht man nicht selten eine Fehlregeneration. Die Pupille kontrahiert sich dann nicht auf Licht, sondern bei Bewegung des Bulbus nach nasal (nicht nur bei Konvergenz, sondern auch bei Duktion) oder bei Abblick. Dies ist im Zweifelsfall ein sicheres Zeichen einer kompressiven Ursache. Sie kann sich auch primär, d. h. ohne vorausgehende Parese entwickeln. Dann ist die Ursache ein langsam wachsender Tumor, fast immer ein Meningeom. Pupillotonie Je länger eine Pupillotonie besteht, desto enger wird die Pupille Kommt es zu einem Schaden im Ziliarganglion entsteht eine sehr charakteristische Störung, die Pupillotonie [12]. Typischerweise fehlt die Lichtreaktion bei oberflächlicher makroskopischer Inspektion vollständig, die Nahreaktion lässt sich hingegen auslösen, aber sie ist langsam, tonisch. An der Spaltlampe zeigt sich, dass die Pupille auch ohne Nahreaktion nicht unbeweglich ist. Typisch ist, dass sich Teile des Sphinkters bewegen, während andere gelähmt erscheinen. So entsteht ein Bild, das einem Regenwurm ähnelt. Man kann in aller Regel nicht genau sagen, ob diese Bewegungen spontan erfolgen oder durch Licht ausgelöst werden. Die Pupille ist selten sehr weit, meistens mittelweit und gar nicht so selten recht eng. Je länger eine Pupillotonie besteht, desto enger wird die Pupille. Meistens ist sie auch nicht perfekt rund, sondern oval. Die Nahreaktion erfolgt im Gegensatz zum dorsalen Mittelhirnsyndrom sehr langsam, sie kann aber ausgiebig sein, auch dann, wenn die Pupille schon eng ist. Die Wiedererweiterung nach Naheinstellung erfolgt meistens noch langsamer. 86 Der Ophthalmologe 1 2017

Die Erklärung für diese Licht-Nah-Dissoziation ist ein wenig kompliziert. Die Pupillotonie wird durch einen Schaden im Ganglion ciliare verursacht. Die überwiegende Mehrzahl der Neurone im Ganglion ciliare, über 95 %, ist für die Akkommodation und nicht für die Pupille zuständig. Deshalb ist bei einer Pupillotonie auch die Akkommodation beeinträchtigt. Ganz offensichtlich kommt es aber zu einer Regeneration eines Teils der betroffenen Zellen. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass für die Akkommodation zuständige Neurone regenerieren und wieder eine ausreichende Akkommodation etablieren. Zusätzlich kommt es zu Fehlregeneration, sodass Neurone, die eigentlich für den Ziliarmuskel gedacht waren, den M. sphincter pupillae innervieren. Das erklärt die Licht-Nah-Dissoziation und auch, dass die Nahreaktion nicht normal, sondern verlangsamt abläuft. Ein weiteres Merkmal der Pupillotonie ist die Überempfindlichkeit des Pupillensphinkters aufgrund der parasympathischen Denervation: 0,1%iges Pilokarpin, das normalerweise kaum etwas bewirkt, kann die Pupille deutlich verengen. In unklaren Fällen kann dies als Test benutzt werden, um die Diagnose zu stützen. Man kann sich diese Tropfen mittels einer kleinen Spritze und Kochsalzlösung aus z. B. 1%igen Pilocarpin-Tropfen selbst mischen. Wenn der Patient durch die weitere Pupille gestört ist, kann ihm 0,1%iges Pilokarpin symptomatisch helfen. Einige Beobachtungen bei der Pupillotonie sind sehr rätselhaft. Bei manchen Patienten verengt sich die Pupille, wenn das Auge gereizt wird, z. B. durch Berühren der Bindehaut mit einem Wattestäbchen, beim Zwiebelschneiden oder beim Weinen [13]. Unklar ist auch, warum sich die Pupille mit der Zeit verengt. In der Regel ist die Pupillotonie einseitig. In einer ganzen Reihe von Fällen wird sie aber nach einer gewissen Zeit doppelseitig. Das als Argyll-Robertson-Pupille bekannte Phänomen, enge Pupillen, die nicht auf Licht aber auf Naheinstellung reagieren, dürfte demnach eine lange bestehende beidseitige Pupillotonie darstellen [14]. Tatsächlich findet man in solchen Fällen mitunter auch serologische Zeichen einer Lues [15]. In den meisten Fällen ist die Ursache der Pupillotonie aber unbekannt. Es könnte sich um eine Autoimmunreaktion gegen das Ganglion ciliare handeln. Dafür spricht, dass sie auch paraneoplastisch vorkommt. Allerdings sollte dies kein Grund zur Panik sein. Uns ist kein Fall bekannt, bei dem die Pupillotonie erstes oder einziges Tumorzeichen war. In vielen Fällen, nach eigener Erfahrung mindestens in der Hälfte, findet man gestörte Sehnenreflexe [16]. Diese Kombination wird Adie-Syndrom genannt. Mitunter gibt es zusätzlich halbseitige Störungen der Temperaturregulation und Schweißsekretion. Dies wird als Ross-Syndrom bezeichnet. In keinem Fall ist die Ätiologie bekannt. Selten einmal findet man eine plausible Erklärung für die Entstehung der Pupillotonie, etwa eine Verletzung der Orbita oder eine Laser- oder Kryokoagulation mit hoher Energie (die kurzen Ziliarnerven verlaufen zwischen Aderhaut und Sklera, sodass es einer hoher Energie bedarf, um sie zu verletzen). Bei der Riesenzellarteriitis kann die Pupillotonie durch Ischämie des normalerweise gut durchbluteten Ganglion ciliare ein frühes Warnzeichen sein. Wie bereits erwähnt, kann auch die Lues eine meist beidseitige Pupillotonie bedingen. Ein der Pupillotonie sehr ähnliches Bild findet sich bei Botulinusintoxikation, nur dass dabei obligat eine Akkommodationslähmung besteht und keine Nahreaktion auszulösen ist. Auch bei Systemerkrankungen des Vegetativums (Pandysautonomie) und beim Miller-Fischer-Syndrom (Sonderform des Guillain-Barré-Syndroms, das bevorzugt den Hirnstamm betrifft) findet man ein ähnliches Bild. Allerdings stehen da andere Symptome im Vordergrund. Eine Pupillotonie kann in jedem Alter auftreten. Bei Kindern ist sie aber sehr selten. Der typische Patient ist weiblich, um 40 Jahre alt und abgesehen von seiner Pupillenstörung beschwerdefrei. Er hat die Störung gar nicht bemerkt, sondern wurde darauf hingewiesen. In diesen Fällen ist keine weitere Abklärung erforderlich. Bei neu aufgetretener Pupillotonie beim älteren Patienten sollte man BSG und CRP bestimmen, bei beidseitiger neu entdeckter Pupillotonie auch eine Luesserologie. Bildgebung ist nicht erforderlich. Nach Allgemeinerkrankungen wird man ohnehin in der Routine fragen. Gefährlich ist lediglich eine akute beidseitige Pupillotonie, bei der man sorgfältig nach weiteren Zeichen des Botulismus oder Miller-Fischer-Syndroms fahnden muss. Ein weiteres Merkmal der Pupillotonie ist die Überempfindlichkeit des Pupillensphinkters Eine Pupillotonie kann in jedem Alter auftreten Der Ophthalmologe 1 2017 87

Tab. 4 Maßnahmen bei gestörter Pupillenlichtreaktion Untersuchung Fragestellung Mögliches Ergebnis Nahreaktion Licht-Nah-Dissoziation Pupillotonie Dorsales Mittelhirnsyndrom Motilitätsprüfung Okulomotoriusparese Okulomotoriusparese Aufblickparese Dorsales Mittelhirnsyndrom Spaltlampe Sphinkterrisse, Synechien Irispathologie Segmentale Paresen Pupillotonie Pilokarpin 0,1% Überempfindlichkeit Pupillotonie Pilokarpin 1,0% Ausbleibende Reaktion Irisblockade Mechanische und muskuläre Pupillenstörungen Man darf nicht vergessen, dass die Ursache einer weiten Pupille mit gestörter Lichtreaktion ganz einfach an der Iris liegen kann. Synechien sind leicht zu erkennen, ein Winkelblockglaukom hat fast immer typische Symptome, bei feinen Sphinkterrissen muss man mitunter sehr genau hinschauen, bei Einwirkung von Parasympatholytika erkennt man mit der Spaltlampe die Ursache der Pupillenerweiterung nicht. In diesem Fall sollte man zunächst nach Kontakt mit Parasympatholytika fragen. In unseren Breiten sind das fast immer Engelstrompeten (Brugmansia,. Abb. 4;[17]). Ein einfacher Test kann beweisen, dass eine Pupille weitgestellt ist: 0,5 oder 1,0 % Pilokarpin verengt jede unbeeinflusste Pupille deutlich. Ist dies nicht der Fall, kann man von einer pharmakologischen Blockade des Sphinkters ausgehen. Eine weitere Ursache kann ein vorangegangener intraokularer Eingriff sein. Dabei kann sich das Bild einer atonischen Pupille ergeben [18]. Diese verhält sich so, als sei sie mit einem Parasympatholytikum weitgestellt worden. Sie reagiert also auch nicht auf Pilokarpin 1 %. Diese Komplikation ist auch als Urrets-Zavalia-Syndrom bekannt. Fazit für die Praxis 4 Findet man eine Anisokorie, so sollte zunächst die Lichtreaktion geprüft werden. Ist diese normal, erfolgt die Beurteilung der Lidspaltenweite und der Dilatation. 4 Beim Verdacht auf ein Horner-Syndrom ist der Apraclonidin-Test (bei Säuglingen Kokain-Test) angezeigt. 4 Im Fall einer Störung der Lichtreaktion müssen Nahreaktion und Okulomotorik untersucht werden. 4 Spaltlampenbefund und Tests mit 0,1 und 0,5 1,0 % Pilokarpin vervollständigen die Diagnostik (. Tab. 4). Korrespondenzadresse Prof. Dr. H. Wilhelm Department für Ophthalmologie, Universitäts-Augenklinik Elfriede-Aulhorn-Str. 7, 72076 Tübingen, Deutschland helmut.wilhelm@med.uni-tuebingen.de Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. H. Wilhelm und C. Kelbsch geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. 88 Der Ophthalmologe 1 2017

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.SpringerMedizin.de CME-Fragebogen Teilnahme am zertifizierten Kurs auf CME.SpringerMedizin.de - Der Teilnahmezeitraum beträgt 12 Monate, den Teilnahmeschluss finden Sie online beim CME-Kurs. - Fragen und Antworten werden in zufälliger Reihenfolge zusammengestellt. - Pro Frage ist jeweils nur eine Antwort zutreffend. - Für eine erfolgreiche Teilnahme müssen 70% der Fragen richtig beantwortet werden.? Was ist beim Horner-Syndrom normal? Pupillenlichtreaktion Dilatation Reaktion auf Kokain-Augentropfen Reaktion auf Apraclonidin-Augentropfen Lidspalte? Wie heißt der wichtigste Kern des zentralen Sympathikus? Nucleus suprachiasmaticus Nucleus ruber Ganglion cervicale superius Locus coeruleus Nucleus praepositus hypoglossi? Welcher Befund würde nicht zu einer Pupillotonie passen? Ausgefallene Pupillenlichtreaktion Langsame Wiedererweiterung nach Naheinstellung Ausgefallener Patellarsehnenreflex Ovale Pupillenform Prompte und schnelle Nahreaktion? Was versteht man unter einer tadpole-shaped pupil? Ein Iriskolobom ohne Pupillenlichtreaktion Ein segmentaler Spasmus des Pupillendilatators Ein Spasmus des Pupillensphinkters Eine Fibrose der Iris nach lange bestehender Pupillotonie Eine angeborene Anomalie des M. dilatator pupillae? Bei einem akuten Horner-Syndrom mit ipsilateralen Schmerzen muss folgende Erkrankung ohne Zeitverzögerung ausgeschlossen werden: Basilaris-Aneurysma Karotis-cavernosus-Fistel Karotisdissektion Pancoast-Tumor Wallenberg-Syndrom? Welcher Test ist sinnvoll, wenn sich bei einem 6 Monate alten Säugling die Pupille nach Gabe von Kokain-Augentropfen nicht erweitert? Phenylephrin 5 % Atropin 0,5 % Pilokarpin 0,1 % Pilokarpin 1 % Apraclonidin 0,5 %? WomitkönnenSieIhrenVerdachtbestätigen, wenn Sie vermuten, dass ein Auge Kontakt mit einer Engelstrompete hatte? Phenylephrin 5 % Atropin 0,5 % Pilokarpin 0,1 % Pilokarpin 1 % Apraclonidin 0,5 %? Von welcher Ursache sollten Sie ausgehen, wenn sich ein erwachsener Patient mit einer Okulomotoriusparese mit Pupillenbeteiligung vorstellt? Diabetes mellitus Ophthalmoplegische Migräne Pinealom Aneurysma Hypophysenadenom? Wo ist die Läsion bei der Pupillotonie zu suchen? Mittelhirn Pons Sinus cavernosus Okulomotoriuskern Ganglion ciliare? Wie viel Prozent der Menschen haben bei einer Querschnittuntersuchung eine Anisokorie von mindestens 0,5 mm Seitenunterschied? 2% 5% 10 % 15 % 30 % 90 Der Ophthalmologe 1 2017