Kindesmisshandlung - Erkennen und Intervention aus rechtsmedizinischer Sicht

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Transkript:

PD Dr. Anette Solveig Debertin Institut für Rechtsmedizin OE 5500 Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover, Germany Tel.: 0049/511/532-4570 Fax: 0049/511/532-5635 E-mail: debertin.anette@mh-hannover.de Kindesmisshandlung - Erkennen und Intervention aus rechtsmedizinischer Sicht Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Das ist seit November 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch 1631 Abs. 2 verankert. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig. Ein elterliches Züchtigungsrecht gibt es nicht mehr. Umfassende empirische Kenntnisse über die Gewalt gegen Kinder gibt es in Deutschland nicht. Weil hierzulande keine Meldepflicht besteht und viele Verletzungen medizinisch nicht relevant sind, ist eine hohe Dunkelziffer anzunehmen. Sichere Angaben zur Häufigkeit von Kindesmisshandlungen und sexuellem Missbrauch sind kaum möglich. Die Zahl der gemeldeten Kindesmisshandlungen ist nach statistischen Berechnungen des Bundeskriminalamtes seit 1996 um ca. 50% gestiegen. Für das Jahr 2005 registrierte die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2905 Anzeigen von Kindsmisshandlungen ( 225 StGB) und 13 962 Anzeigen von sexuellen Missbrauch an Kindern ( 176 StGB). Die PKS führt aber lediglich die angezeigten Fälle, d.h. das sogenannte Hellfeld auf. Nach Schätzungen des Kindeshilfswerk UNICEF leben in Deutschland rund 200 000 Kinder in verwahrlosten Zustand oder werden misshandelt und zwei Kinder pro Woche sterben an den Folgen von Misshandlung oder Vernachlässigung. Andere Hochrechnungen im Zusammenhang mit Dunkelfeldstudien des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen und Zahlen des Statistischen Bundesamtes gehen von einer geschätzten Zahl von sogar 1,42 Millionen

Kindern in Deutschland aus, die von schweren Züchtigungen und Misshandlungen betroffen sind. Für Verletzungen als Folgen elterlicher Gewalteinwirkungen prägte Henry Kempe (1962) den Begriff Battered Child Syndrome. Der deutsche Bundestag definierte Kindesmisshandlung als eine nicht zufällige, bewusste oder unbewusste, gewaltsame, psychische oder physische Schädigung, die in Familien oder Institutionen (beispielsweise Kindergärten, Schulen, Heimen) geschieht, die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar zum Tod führt und die das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht. Formen des kindlichen Missbrauchs umfassen die körperlichen Misshandlungen, die Vernachlässigung, die seelische und emotionale Vernachlässigung und den sexuellen Missbrauch. Um dem breiten Spektrum misshandlungsbedingter Befunde gerecht zu werden, sollte der Begriff Battered Child zugunsten von nicht-akzidenteller Verletzung verlassen werden (Herrmann 2005). Kindesmisshandlungen erkennen fordert erhöhte Sorgfalt. Doch schon bei der Anamneseerhebung finden sich häufig einige typische Auffälligkeiten. So sollte der Untersucher skeptisch werden, wenn es eine zeitliche Verzögerung zwischen Verletzungsalter und Aufsuchen medizinischer Hilfe gibt. Auch unklare, widersprüchliche, unzureichende und wechselnde Angaben zur Entstehungsursache der Verletzungen sollten skeptisch machen. Teilweise wird berichtet, das (misshandelte) Kind neige zu autoaggressivem Verhalten oder es sei tollpatschig und leide an erhöhter Hämatomneigung. Dabei findet sich ein für den Entwicklungsstand unerklärliches Verletzungsmuster. Auch sollte es einen in Alarmbereitschaft bringen, wenn Geschwister als Verursacher angegeben werden oder Hinweise für eine gewaltsame Misshandlung vom Kind selbst kommen. Insbesondere beim Vorliegen von Kopfverletzungen werden häufig Unfälle, wie z.b. ein Sturz vom Wickeltisch als Ursache angegeben. Solche sogenannten akzidentelle Verletzungen stellen eine wichtige Differentialdiagnose dar. Bei der Abgrenzung von Sturzverletzungen zu

Misshandlungen verfügen Rechtsmediziner über große Erfahrung. Neben der Klärung von Todesfällen bereitet auch die klinische Rechtsmedizin, also die Untersuchungen an Lebenden, ein großes Arbeitsfeld der Rechtsmedizin. Meist wird die Rechtsmedizin erst nach der Anzeige bei der Polizei gerufen, um für die Staatsanwaltschaft ein gerichtsverwertbares Sachverständigengutachten zu erstellen. Wegen der weitreichenden Konsequenzen eines Verdachts auf oder einer gesicherten Diagnose einer Kindesmisshandlung kann die Rechtsmedizin im Verdachtsfall auch schon vorher konsiliarisch herbeigezogen werden. Nach einer kompletten körperlichen Untersuchung und unter Einbeziehung der Krankenunterlagen wird von der Rechtsmedizin dann der Verdacht bestätigt oder ausgeschlossen und gemeinsam mit den klinischen Kollegen das weitere Verfahren besprochen und auch über Hilfsangebote beraten. Das Hauptsymptom der Kindesmisshandlung sind Zeichen wiederholter Gewalteinwirkungen, die sich nicht einer bestimmten Fremdeinwirkung zuordnen lassen. Alle Verletzungen sollten zunächst auf ihre Plausibilität geprüft und die Begleitumstände, wie z.b. die exakte Fallhöhe, die Beschaffenheit des Untergrundes und die Art der Bekleidung erfragt werden. Verschiedene Verletzungen unterschiedlichen Alters (Mehrzeitigkeit) an mehreren typischen Stellen des Körpers (Mehrortigkeit), insbesondere auch beidseitige oder sogar symmetrische Ausbildungen von Verletzungen sind ein deutlich hinweisendes Muster für eine Misshandlung. Die größte Schwierigkeit bei der Befunderhebung besteht darin, dass jeder Einzelbefund (Hämatom, Rötung, Schürfung) auch als Folge eines kindlichen Sturzes oder Spielens entstanden sein kann. Für eine bessere Abgrenzung von Verletzungen durch zufälligen Sturz oder Spiel im Gegensatz zur gezielten Gewalt helfen die beigefügten Lokalisationsschemata (siehe Graphiken). Typische Lokalisationen für Sturz- oder Spielverletzungen stellen die Ellenbogen, die Knie und die Schienbeine dar. Am Kopf finden sich Sturzverletzungen eher unterhalb einer gedachten Hutkrempe über knöchernen Vorsprüngen wie den Jochbeinen, dem Kinn, der Stirn

und dem Hinterkopf. Lokalisationen am Gesäß, Rücken, Brust und Bauch deuten eher auf misshandlungsbedingte Verletzungen hin. Typisch für Misshandlungen als Folge der Gewalt auf die schützend vor den Körper gehaltenen Arme sind Verletzungen im Bereich der Streckund Parierseiten der Unterarme. Als Folge von Faustschlägen oder kräftig geführten Schlägen mit der flachen Hand in das Gesicht können Monokel- und/oder Brillenhämatome, Schleimhautdefekte in den Mundumschlagsfalten und Einblutungen im Bereich der Ohren und retroaurikulär bis hin zu Abscherungen resultieren. Charakteristisch ausgeformte Hämatome (Negativabdrücke), wie doppeltkonturierte Hämatome als Folge eines stockähnlichen Werkzeuges oder Gürtels, Schuhabdruckmuster, Bissspuren, Handabdrücke und Würgemale stellen misshandlungs-beweisende Befunde dar. Auch können innere Verletzungen als Folge stumpfer Gewalt gegen den Körper vorliegen. Bei äußerlicher Unversehrtheit muss dabei auch an Verletzungen, Perforationen und Einblutungen innerer Bauch- und Brustorgane sowie an Gekröseeinrisse gedacht werden. Misshandlungsbedingte Verbrennungen bzw. Verbrühungen durch Eintauchen in zu heißes Wasser (Immersion) zeichnen sich durch scharf begrenzte Areale mit Ausbildung von handschuh- und strumpfartigen Verbrühungen im Gegensatz zu unregelmäßigen Spritz- und Tropfmuster bei einem Unfall aus. Nicht selten resultieren gewalttätige Misshandlungen auch in Knochenbrüchen. Nahezu jede zweite Fraktur im ersten Lebensjahr ist misshandlungsbedingt. Bei der Beurteilung gibt die Lokalisation und der Frakturtyp die entscheidenden Hinweise (Übersicht bei Herrmann 2005). Zu einer verlässlichen Diagnostik gehört die Verwendung eines Körperschemas, auf dem die Befunde detailgetreu unter Angabe der genauen Größe und Farbe skizziert werden. Eine zusätzliche Fotodokumentation unter Verwendung eines Maßstabs und einer Farbskala wäre wünschenswert. Jedoch kann die naturgetreue Farbwiedergabe durch Fotolichtbilder verändert sein und somit nicht zwangsläufig die Realität abbilden. Um verborgene oder auch mehrzeitige Verletzungen festzustellen, ist eine Ganzkörperuntersuchung möglichst unter

Einbeziehung der Anogenitalregion unerlässlich. In der schriftlichen Dokumentation sollten die Befunde exakt beschrieben werden, d.h. die genaue Größe, Form, Farbe und Lokalisation. Formulierungen wie multiple Hämatome am gesamten Körper sind unpräzise und müssen unbedingt vermieden werden. Vor einer nur scheinbar genauen Alterseinschätzung (ohne Hilfe durch die Rechtsmedizin) allein anhand der Hämatomfarbe ist zu warnen. Als weitere apparative Untersuchungen empfiehlt sich in Abhängigkeit von den Verletzungen und individuellen Umständen ein Knochenscreening (nicht Babygramm!) mit Röntgenuntersuchungen des Schädels, der Wirbelsäule, des Brustkorbs und der Arme und Beine. Eine Skelettszinitigrafie ist als alleinige Methode nicht ausreichend und allenfalls ergänzend bei unklaren Rippenfrakturen anzuwenden. Bei Kopfverletzungen empfiehlt sich akut eine cerebrale Computertomografie (CCT) und nach Stabilisierung und zur Kontrolle eine Kernspintomografie (MRT). Beim Vorliegen eines Schütteltraumas sind Augenhintergrunduntersuchungen zum Nachweis von retinalen Blutungen oder Glaskörpereinblutungen zwingend geboten. Ultraschalluntersuchungen können Verletzungen innerer Organe aufdecken. Zum Nachweis oder Ausschluss differentialdiagnostischer Erkrankungen sind Laboruntersuchungen insbesondere zur Überprüfung von Gerinnungsstörungen und zur Untersuchung von seltenen Stoffwechseldefekten, wie z.b. der Glutarazidurie Typ I, als Abgrenzung zum Schütteltrauma empfehlenswert. Auch angeborene Knochenerkrankungen, wie z.b. die Glasknochenkrankheit mit Hinweisen auf blaue Skleren, Schwerhörigkeit und gelben Zähnen oder besondere Hautpigmentierungen aufgrund ethnischer Zugehörigkeiten (Mongolenfleck) müssen ausgeschlossen werden. Nach Ausschluss aller Differentialdiagnosen und Unfallmechanismen ist die Diagnose Kindesmisshandlung zu stellen. Dabei besteht zunächst oft Rechtsunsicherheit. Eine gesetzliche Meldepflicht oder eine Verpflichtung zur Anzeige bei Verdacht auf oder nachgewiesener Kindesmisshandlung besteht nicht. Das Rechtsgebot der ärztlichen Schweigepflicht ( 203 StGB) erlaubt jedoch die gründliche und gewissenhafte

Rechtsgüterabwägung ( 34 StGB). Wenn die Abwendung der Gefahr des Kindes schwerer wiegt als die Einhaltung der Schweigepflicht, kann zu Gunsten des höherwertigen Rechtsgutes Kindeswohl offenbart werden. Dem sollte ein Gespräch mit den Eltern vorausgehen und erst dann zur Interventionsplanung Kontakt zu weiteren Berufsgruppen folgen. Meist wird das Jugendamt eingeschaltet, sofern vorhanden auch Kliniksozialarbeiter, Psychologen oder klinikinterne Helferkonferenzen. Bei aggressivem Täter und schwerster Misshandlung kann auch (siehe Rechtsgüterabwägung) die Polizei verständigt werden. Die Angst vor Offenbarung eines falschen Verdachtes sollte dabei die aktuellen Misshandlungsfälle einbeziehen, bei denen derzeit seitens der Staatsanwaltschaft überprüft wird, ob einzelnen Ärzten oder dem Jugendamt ein Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung oder der fahrlässigen Körperverletzung gemacht werden kann. Neben der exakten ärztlichen Dokumentation und Diagnose erfordert effizienter Kindesschutz ein angemessenes multiprofessionelles Handeln. Die aktuellen erschreckenden Fälle von Kindesmisshandlungen und vernachlässigungen zeigen noch erhebliche Defizite bei der frühzeitigen Erkennung und Sicherstellung des Kindeswohls im Zusammenwirken von Hilfesystemen. Autos müssen alle zwei Jahre zum TÜV Kinder brauchen nicht beim Arzt vorgestellt zu werden. Die U-Untersuchungen zwischen dem ersten Lebenstag und sechsten Lebensjahr sind bisher freiwillig. Deswegen wird zur Zeit u.a. in politischen Kreisen beraten, ob und inwieweit Pflichtuntersuchungen sinnvoll sind, weitere Untersuchungen hinzukommen und neue Untersuchungsrichtlinien eingeführt werden sollten. Besonders wichtig ist auch eine Verstärkung und bessere Vernetzung sogenannter aufsuchender Hilfen als frühe Hilfen im Frühwarnsystem eines angestrebten qualifizierten Netzwerkes zur Vorbeugung gegen Kindesmissbrauch.

Literatur: Polizeiliche Kriminalstatistik 2005, http://www.bka.de/pks/pks2005/index2.html Herrmann B (2005) Medizinische Diagnostik bei körperlicher Kindesmisshandlung. Kinderund Jugendarzt 2: 96-107 Kempe CH, Silverman FN, Stelle BF, Droegemueller W, Silver HK (1962) The battered-child syndrome. JAMA 181: 17-24

Abbildung 1: Akzidentelle Verletzungen (Sturz- und Spielverletzungen) Abbildung 2: Nicht- akzidentelle Verletzungen (Misshandlungsverletzungen)