14. Teil: Vertragsänderung



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Transkript:

180 14. Teil: Vertragsänderung 1. Abschnitt: Vertragsänderung im Allgemeinen 2. Abschnitt: Prämienanpassungsklausel 3. Abschnitt: Gefahrserhöhung

181 1. Abschnitt: Vertragsänderung im Allgemeinen I. Abgrenzung von Vertragsänderung und Neuabschluss A. Unterscheidung aufgrund objektiver Kriterien 1. Vertragsänderung Änderungen von untergeordneter Bedeutung. Versichertes Objekt und versichertes Risiko bleiben im Kerngehalt bestehen. Beispiele Herabsetzung der Versicherungssumme oder Einschränkung der versicherten Risiken. Wechsel von Voll- zur Teilkaskoversicherung (BGE 120 II 133; BGer 5C.252/2006). Fahrzeugwechsel in der Motorfahrzeugversicherung durch Lösen eines Wechselschildes (BGer 5C.252/2006). 2. Neuabschluss Grundsätzliche Änderungen des Vertragsinhaltes. Ausdehnung der versicherten Risiken, Änderung der Vertragslaufzeit, Wechsel des Vertragsgegenstandes. Beispiele Wechsel von einer Teil- zur Vollkaskoversicherung (BGer 5C.252/2006). Neueinschluss der Privathaftpflichtversicherung in eine kombinierte Haushaltversicherung zusätzlich zur bereits bestehenden Sachversicherung. Erhöhung der Versicherungssumme (explizit: Art. 2 Abs. 3 VVG). B. Unterscheidung aufgrund des Verhaltens der Parteien Neue Gefahrsdeklaration. Police, die den bisherigen Versicherungsvertrag (nicht: die bisherige Versicherungspolice) ersetzen soll.

182 II. Änderungsantrag A. Grundsatz: Ablehnungspflicht des Versicherers Änderungsantrag des Versicherungsnehmers gilt als angenommen, wenn der Versicherer diesen nicht innerhalb von 14 Tagen seit Empfang ablehnt. Schützt berechtigtes Vertrauen des Versicherungsnehmers, dass der Versicherer den schon bestehenden Vertrag weiter gelten lässt und Stillschweigen die Weiterführung des Vertrages bedeutet. B. Ausnahmen Anträge auf Erhöhung der Versicherungssumme sind gemäss Art. 2 Abs. 3 VVG vom Anwendungsbereich von Art. 2 VVG ausgeschlossen. Führt die Änderung nur indirekt zu einer grösseren Leistungspflicht des Versicherers, liegt keine Erhöhung der Versicherungssumme i.s.v. Art. 2 Abs. 3 VVG vor. Beispiel Erhöhung der Versicherungssumme, wenn die Bezugsdauer des Taggeldes oder die Laufzeit einer Rente verlängert wird. C. Rechtsfolgen Widerspricht der Versicherer dem Antrag des Versicherungsnehmers nicht innerhalb der Ablehnungsfrist, kommt Vertragsänderung zustande. Antrag gilt kraft Fiktion als angenommen. Wirkungen der Vertragsänderung: Zeitpunkt, in welchem der Versicherer den Änderungsantrag erhalten hat.

183 D. Ablehnung Formfrei. Ausdrücklich oder durch konkludentes Handeln. Beispiel Stellen einer Gegenofferte. 2. Abschnitt: Prämienanpassungsklausel I. Im Allgemeinen Grosse Verbreitung. Keine gesetzliche Regelung. Art. 48 E-VVG soll diese Lücke schliessen. A. Positive Anpassungsklauseln Voraussetzungen (Anpassungstatbestand) und Rechtsfolgen (Gegenstand und Umfang der Anpassung) werden festgelegt. Typisches Beispiel: Indexklauseln (v.a. Hausrat- und Lebensversicherung). B. Negative Anpassungsklauseln Schliessen Vertragsanpassung für bestimmte Tatbestände aus. Typisch: Garantieklauseln (Tarif- oder Versicherbarkeitsgarantie) in der Personenversicherung. C. Generalklauseln Prämienanpassungsklauseln sind regelmässig als Generalklauseln abgefasst. Beispiel Bei Änderung des Prämientarifs kann die Versicherung entsprechend angepasst werden.

184 II. Voraussetzungen der Vertragsanpassung A. Änderung der Verhältnisse nach Vertragsschluss Die für die Prämienberechnung massgeblichen Verhältnisse haben sich nach Vertragsschluss verändert. B. Fehlende Vorhersehbarkeit Nicht vorhersehbare Änderung der Berechnungsgrundlagen. Teuerung gilt als vorhersehbare Verhältnisänderung. C. Gravierende Äquivalenzstörung Veränderung hat zu einer gravierenden Äquivalenzstörung geführt. Offensichtliches Missverhältnis zwischen Prämienleistung und Versicherungsschutz. Beispiel Dauernde erhebliche Erhöhung des Schadenbedarfs. D. Fehlende Selbstverursachung Der Versicherer, der sich auf eine Verhältnisänderung berufen will, darf diese nicht selber verursacht oder verschuldet haben. III. Problematik in der Praxis Generalklauseln: Versicherer wird Gestaltungsrecht eingeräumt Kriterien des Vertragsanpassungsrechts werden ausser Kraft gesetzt (AGB-rechtliche Ungewöhnlichkeit). Praxis gewährt dem Versicherungsnehmer Kündigungsrecht vermag Mängel der Prämienanpassungsklauseln nicht zu beseitigen, bringt aber gewisse Entschärfung.

185 3. Abschnitt: Gefahrserhöhung I. Im Allgemeinen Art. 28-32 VVG. Vier Gefahrserhöhungstatbestände: 1. Angezeigte Gefahrserhöhung mit Zutun des Versicherungsnehmers. 2. Nicht angezeigte Gefahrserhöhung mit Zutun des Versicherungsnehmers. 3. Angezeigte Gefahrserhöhung ohne Zutun des Versicherungsnehmers. 4. Nicht angezeigte Gefahrserhöhung ohne Zutun des Versicherungsnehmers. II. Normzweck Wahrung der Leistungsäquivalenz. Beispiel Unfallversicherung: Wechsel in einen Beruf, mit dem eine deutlich höhere Unfallgefahr verbunden ist. III. Voraussetzungen Wesentliche Gefahrserhöhung während der Vertragslaufzeit. A. Gefahrserhöhung Dauerhafte Änderung der bei Vertragsschluss bestehenden Ausprägung von Gefahrstatsachen, die zu einer Verschärfung des Gefahrszustandes führt. 1. Änderung von Gefahrstatsachen Sachverhalte, die einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes des Versicherungsfalles (Schadeneintrittsgefahr) oder auf dessen Umfang (Schadenumfangsgefahr) haben. Nur wandelbare Gefahrstatsachen.

186 Veränderung bloss einer einzigen Gefahrstatsache genügt. 2. Erhöhung des Risikos 2.1 Im Allgemeinen Erhöhung Eintrittswahrscheinlichkeit des Versicherungsfalles. Erhöhung potentieller Schadenumfang. 2.2 Abgrenzungen a. Gefahrsänderung Veränderungen von Gefahrstatsachen, die weder zu einer Erhöhung noch zu einer Verminderung des Risikos führen. Beispiel Zwischenlagerung von Gemüse in einem Kühlhaus während eines versicherten Transports. b. Gefahrswechsel (selten) Versichertes Interesse wird (qualitativ) völlig anderer Gefahr ausgesetzt. Soweit Deckung der neuen Gefahr nicht vereinbart ist, besteht keine Leistungspflicht des Versicherers. Beispiel Umbau eines versicherten Wohnhauses in ein Einkaufszentrum. c. Gefahrskompensation Veränderung mehrerer Gefahrstatsachen, wobei sich Risikoerhöhung und Risikoverminderung gegenseitig kompensieren.

187 3. Schaffung eines neuen Gefahrszustandes Bisheriger Gefahrszustand wird dauerhaft in einen neuen Zustand geändert und Gefahrenlage steigt auf höheres Niveau. Beispiele Motorfahrzeughaftpflichtversicherung: Ein Fahrzeug wird nicht mehr nur privat, sondern zur gewerbsmässigen Personenbeförderung genutzt. B. Wesentlichkeit 1. Materielle Wesentlichkeit Änderung einer erheblichen Gefahrstatsache (Art. 28 Abs. 2 i.v.m. Art. 4 VVG). Beispiele Diebstahlgefahr: Gebrauchsunfähigkeit eines Rollgitters vor einem Laden erhöht die Einbruchsgefahr. 2. Formelle Wesentlichkeit Gefahrstatsachen, die bei Vertragsschluss abgefragt wurden (Art. 28 Abs. 2 VVG). 3. Unausweichbarkeit Unwesentlich sind alle Gefahrserhöhungen, die aufgrund einer nach dem Vertrauensprinzip erfolgenden Vertragsauslegung als mitversichert anzusehen sind. Betrifft Änderungen von Gefahrstatsachen, die ihrem Wesen nach einer Gefahr inhärent (z.b. Altern) oder erfahrungsgemäss mit dem versicherten Risiko verbunden sind. Unausweichbarkeit muss bei Vertragsschluss feststehen und erkennbar sein. C. Während der Vertragslaufzeit Damit die Gefahrserhöhung Rechtsfolgen zeitigt, muss sie während der Vertragslaufzeit eintreten.

188 IV. Rechtsfolgen Keine gesetzliche Verpflichtung zur Vermeidung von Gefahrserhöhungen. Art. 29 Abs. 1 VVG: vertragliche Obliegenheit zur Vermeidung von Gefahrserhöhungen zulässig. A. Gefahrserhöhung mit Zutun Versicherungsnehmer hat adäquat kausale Ursache für Eintritt der Gefahrserhöhung gesetzt. Handlungs- oder Urteilsfähigkeit ist nicht vorausgesetzt (Tathandlung). 1. Anzeigerecht Gefahrserhöhung mit Zutun begründet Anzeigerecht. Anzeige löst 14-tägige Verwirkungsfrist für Vertragsauflösung seitens des Versicherers aus (Art. 32 Ziff. 4 VVG). Ohne Anzeige hat der Versicherer ein unbefristetes Kündigungsrecht. Gemäss Art. 28 Abs. 3 VVG kann eine Anzeigepflicht auch für Gefahrserhöhungen mit Zutun vorgesehen werden. 2. Kündigung Versicherer kann den Vertrag (fristlos) kündigen (Art. 28 Abs. 1 VVG). Versicherungsvertrag erlischt mit Zugang der Kündigung beim Versicherungsnehmer. 3. Beschränkung der Leistungspflicht Das Gesetz befreit den Versicherer von der Leistungspflicht für Versicherungsfälle, auf deren Eintritt oder Umfang die Gefahrserhöhung einen Einfluss hatte (Art. 32 Ziff. 1 VVG).

189 B. Gefahrserhöhung ohne Zutun 1. Anzeigepflicht Anzeigepflicht (Art. 30 Abs. 1 VVG). Voraussetzungen: VN: Kenntnis von oder Kennenmüssen der Gefahrserhöhung; VR: Keine Kenntnis der Gefahrserhöhung. Verschuldenserfordernis ist umstritten: Mögliche Grundlagen sind Art. 45 Abs. 1 VVG, Art. 97 OR oder Art. 45 Abs. 3 VVG. Kommt Versicherungsnehmer der Anzeigepflicht (gesetzliche Obliegenheit) nach, bleibt Gefahrserhöhung ohne Rechtsfolgen Vertrag wird mit erhöhter Gefahr und unveränderter Prämie fortgesetzt. 2. Kündigung Kündigungsrecht des Versicherers bei Verletzung der Anzeigepflicht (Art. 30 Abs. 1 i.v.m. Art. 28 Abs. 1 VVG). Art. 30 Abs. 2 VVG: Vertraglicher Vorbehalt des Kündigungsrechts auch bei angezeigter Gefahrserhöhung zulässig (zwingend: 14-tägige Kündigungsfrist). 3. Beschränkung der Leistungspflicht Befreiung des Versicherers von der Leistungspflicht für Versicherungsfälle, auf deren Eintritt oder Umfang die Gefahrserhöhung einen Einfluss hatte (Art. 32 Ziff. 1 VVG). C. Abweichende Regelungen Art. 28 32 VVG sind relativ zwingend. Abweichende vertragliche Regelungen stellen in der Praxis den Regelfall dar. Typische Abweichungen: Anzeigepflicht für Gefahrserhöhungen mit Zutun des Versicherungsnehmers;

190 Kündigungsrecht des Versicherers auch bei Gefahrserhöhung ohne Zutun des Versicherungsnehmers; Verzicht des Versicherers auf die begrenzte Leistungsfreiheit; Prämienanpassungsrecht des Versicherers, das mit einem nachfolgenden Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers verbunden ist, falls dieser mit der Prämienerhöhung nicht einverstanden ist; Verlängerung der Kündigungsfrist auf vier Wochen statt einer fristlosen Kündigungsmöglichkeit bei Gefahrserhöhung mit Zutun und 14-tägiger Kündigungsfrist bei vorbehaltener Kündigung im Fall der Gefahrserhöhung ohne Zutun; Verzicht auf die Rechtsfolgen der Gefahrserhöhung in der Lebens- und Krankenversicherung.

191 1. Abschnitt: Zeitablauf 2. Abschnitt: Kündigung 15. Teil: Vertragsbeendigung 3. Abschnitt: Wegfall des Vertragszwecks 4. Abschnitt: Konkurs des Versicherers 5. Abschnitt: Konkurs des Versicherungsnehmers in der Sachversicherung

192 1. Abschnitt: Zeitablauf I. Befristete Verträge Befristete Verträge erlöschen am Tag des vereinbarten Vertragsablaufs. Prolongationsklausel (Art. 47 VVG): Vertrag wird am Ende der Laufzeit stillschweigend um ein Jahr verlängert, wenn keine fristgerechte Kündigung erfolgt; Verlängerungsdauer von einem Jahr ist absolut zwingend. II. Unbefristete Verträge Meist periodisches Kündigungsrecht, welches in der Regel jährlich ausgeübt werden kann. Maximal zulässige Höchstdauer der Mindestlaufzeit: Art. 20 OR i.v.m. Art. 27 ZGB. 2. Abschnitt: Kündigung I. Abschnitt: Ordentliche Kündigung VVG: kein allgemeines Kündigungsrecht. Ausnahmen: Art. 89 f. VVG. Vertragliche Kündigungsrechte sind meist mit dreimonatiger Kündigungsfrist auf das Ende einer Versicherungsperiode verbunden.

193 II. Abschnitt: Ausserordentliche Kündigung A. Im Allgemeinen Anzeigepflichtverletzung (Art. 6 VVG). Absichtliche Herbeiführung des Versicherungsfalles (Art. 14 Abs. 1 VVG) umstritten. Prämienzahlungsverzug (Art. 21 VVG). Gefahrserhöhung mit Zutun des Versicherungsnehmers (Art. 28 VVG). Verletzung von Obliegenheiten. Gefahrserhöhung ohne Zutun des Versicherungsnehmers bei Verletzung der Anzeigepflicht (Art. 30 VVG). Bewilligungsentzug (Art. 36 VVG). Versicherungsbetrug (Art. 40 VVG). Kündigung im Teilschadenfall (Art. 42 VVG). B. Kündigung im Teilschadenfall 1. Voraussetzungen Art. 42 VVG: Kündigungsrecht beider Parteien, wenn ein Teilschaden eingetreten ist und dafür die Versicherungsleistung beansprucht wird. 2. Rechtsfolgen Wird der Vertrag gekündigt, endet er gemäss Art. 42 Abs. 2 VVG 14 Tage nach dem Zugang der Kündigungserklärung beim Empfänger. C. Bewilligungsentzug 1. Voraussetzungen Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers, wenn dem Versicherer die Bewilligung zum Geschäftsbetrieb entzogen wird.

194 Weiterführung des Vertrages mit einem unsicheren Vertragspartner ist für Versicherungsnehmer unzumutbar. 2. Rechtsfolgen Versicherungsvertrag endet mit Zugang der Kündigung. Versicherungsprämien sind bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung geschuldet (Art. 36 Abs. 2 VVG). Lebensversicherungsvertrag: Anspruch des Versicherungsnehmers auf Ausbezahlung des Deckungskapitals (Art. 36 Abs. 3 VVG). III. Handänderung Art. 54 VVG 1 Wechselt der Gegenstand des Vertrages den Eigentümer, so gehen die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag auf den neuen Eigentümer über. 2 Der neue Eigentümer kann den Übergang des Vertrages durch eine schriftliche Erklärung bis spätestens 30 Tage nach der Handänderung ablehnen. 3 Das Versicherungsunternehmen kann den Vertrag innert 14 Tagen nach Kenntnis des neuen Eigentümers kündigen. Der Vertrag endet frühstens 30 Tage nach der Kündigung. 4 Ist mit der Handänderung eine Gefahrserhöhung verbunden, so gelten die Artikel 28 32 sinngemäss. A. Anwendungsbereich Sachversicherung. Vermögensversicherung, die eng an das Eigentum an einer Sache anknüpft: Betriebs- und Gebäudehaftpflichtversicherung; Betriebs- und Gebäuderechtsschutzversicherung; Vertrauensschadenversicherung; Betriebsunterbruchsversicherung.

195 B. Voraussetzungen 1. Handänderung Kauf. Vermögensübertragung nach Fusionsgesetz. Gesellschaftsrechtliche Vorgänge (Einbringung einer Sache in eine juristische Person). Erbgang. Tausch/Schenkung. Enteignung/Konfiskation. 2. Keine Handänderung Blosser Besitzübergang (Miete/Pacht). Nutzniessung. Pfändung. Gesellschaftsrechtliche Vorgänge (Verkauf von Aktien; Änderung der Rechtsform). C. Rechtsfolgen 1. Vertragsübergang Gemäss Art. 54 Abs. 1 VVG geht der Versicherungsvertrag auf den Erwerber über. 2. Beiderseitiges Kündigungsrecht 2.1 Versicherungsnehmer Der neue Versicherungsnehmer hat ein Kündigungsrecht. Kündigungsfrist beträgt 30 Tage und beginnt mit dem Eigentumsübergang. Vertrag erlischt rückwirkend auf den Zeitpunkt des Eigentumsübergangs.

196 2.2 Versicherer Kündigungsrecht. Kündigungsfrist beträgt 14 Tage und beginnt mit Kenntnis des neuen Eigentümers. Vertrag endet frühestens 30 Tage nach Zugang der Kündigung. 3. Sonderregel Art. 67 SVG 1 Beim Halterwechsel gehen die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag auf den neuen Halter über. Wird der neue Fahrzeugausweis auf Grund einer andern Haftpflichtversicherung ausgestellt, so erlischt der alte Vertrag. 2 Der bisherige Versicherer ist berechtigt, innert 14 Tagen, seitdem er vom Halterwechsel Kenntnis erhalten hat, vom Vertrag zurückzutreten. 3. Abschnitt: Wegfall des Vertragszweckes I. Im Allgemeinen Untergang des versicherten Interesses oder Wegfall der versicherten Gefahr. Keine Versicherungsfälle mehr denkbar und demgemäss weitere Versicherungsleistungen unmöglich. Zweck des Versicherungsvertrages kann nicht mehr erreicht werden. Unmöglichkeit i.s.v. Art. 119 OR. Beispiele Totalschaden: Das versicherte Haus brennt nieder oder wird durch eine Lawine zerstört. Definitive Aufgabe der Berufstätigkeit.

197 II. Totalschaden Eintritt eines versicherten Totalschadens. Versicherer hat Versicherungsleistung erbracht. Prämie ist für die ganze laufende Versicherungsperiode geschuldet. Beispiel Das gegen Feuer versicherte Haus brennt ab gedeckter Totalschaden Anwendung von Art. 24 Abs. 2 VVG. Das gegen Feuer versicherte Haus wird bei einem Erdbeben zerstört nicht gedeckter Totalschaden keine Anwendung von Art. 24 Abs. 2 VVG. 4. Abschnitt: Konkurs des Versicherers Gemäss Art. 37 VVG führt Konkurseröffnung von Gesetzes wegen zum Erlöschen des Versicherungsvertrages (Ausnahme Lebensversicherung: gemäss Art. 55 VAG zweite Rettungsrunde). Konkurseröffnung folgt nicht Regeln des SchKG, sondern Art. 53 ff. VAG. Art. 53 VAG: Bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung oder ernsthafter Liquiditätsprobleme ohne Aussicht auf Sanierung/bei Scheitern der Sanierung entzieht die FINMA dem Versicherungsunternehmen die Bewilligung, eröffnet den Konkurs und macht diesen öffentlich bekannt. 5. Abschnitt: Konkurs des Versicherungsnehmers in der Sachversicherung Konkurs des Versicherungsnehmers führt gemäss Art. 55 VVG zum Erlöschen der Sachversicherungsverträge.

198 16. Teil: Verjährung 1. Abschnitt: Im Allgemeinen 2. Abschnitt: Dauer und Beginn der Verjährungsfrist 3. Abschnitt: Verjährungsverzicht 4. Abschnitt: Gesamtforderung und Einzelforderung 5. Abschnitt: Totalrevision

199 1. Abschnitt: Im Allgemeinen Art. 46 VVG. Anwendungsbereich: Versicherungsleistungen und Prämien. Verjährung bezieht sich grundsätzlich immer auf einzelne Forderung, auch wenn ein Versicherungsfall mehrere Versicherungsansprüche auslöst. Abweichungen vom OR bezüglich: Beginn der Verjährungsfrist; Dauer der Verjährungsfrist; Abänderbarkeit der Verjährungsbestimmung. Im Übrigen gilt OR via Art. 100 Abs. 1 VVG. 2. Abschnitt: Dauer und Beginn der Verjährungsfrist I. Dauer Forderungen aus Versicherungsvertrag verjähren zwei Jahre nach Begründung der Leistungspflicht. Verjährungsfrist von Art. 46 VVG kann vertraglich verlängert, aber nicht verkürzt werden (Art. 46 Abs. 2 VVG). II. Beginn Begründung der Leistungspflicht des Versicherers. Zeitpunkt, in welchem die die Leistungspflicht des Versicherers begründenden Tatbestandselemente feststehen (BGE 127 III 268. 271). Verjährungsbeginn setzt somit Eintritt des Versicherungsfalles voraus. A. Sachversicherung Versicherter Gegenstand wird beschädigt, zerstört oder gestohlen.

200 B. Unfallversicherung Eintritt der Tatsachen, welche die Ansprüche der einzelnen Leistungskategorien entstehen lassen: Heilungskosten, Invaliditäts- oder Todesfallkapital. C. Haftpflichtversicherung Verjährung des Entschädigungsanspruches mit Feststellung der Haftung des Versicherten durch Urteil oder Vergleich (BGE 127 III 268, 271). D. Rechtsschutzversicherung Bedarf nach Rechtsschutz. I.d.R. wenn sich der Rechtsstreit zwischen dem Versicherten und dem Dritten konkret abzeichnet (BGE 127 III 268, 271). E. Krankentaggeldversicherung In der Krankentaggeldversicherung beginnt die Verjährung, wenn eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vorliegt und die vertraglich vereinbarte Wartefrist abgelaufen ist. F. Lebensversicherung Todestag (Risikoversicherung). Ablauftag (Sparversicherung). 3. Abschnitt: Verjährungsverzicht Absolut übliche und weit verbreiteten Praxis. Wirkt wie Unterbrechungshandlung. Bereits eingetretene Verjährung wird vom Verjährungsverzicht i.d.r. nicht erfasst.

201 4. Abschnitt: Gesamtforderung und Einzelforderung Gemäss Art. 131 OR beginnt bei periodischen Leistungen die Verjährung für die Gesamtforderung (Stammrecht) mit dem Zeitpunkt, in dem die erste rückständige Leistung fällig war. Ist das Stammrecht verjährt, sind es auch die einzelnen Leistungen. Stammrechte verjähren gemäss Art. 127 OR nach 10 Jahren (Art. 100 Abs. 1 VVG i.v.m. Art. 131 und Art. 127 OR). Die Praxis des Bundesgerichts zu dieser Frage ist widersprüchlich (BGer 5C.168/2004 vom 9.11.2004: 10 Jahre; BGer 4A_532/2009 vom 5.3.2010, 5C.250/2000 vom 23.1.2000 und BGE 127 III 268: 2 Jahre).