Geschichtsmesse Suhl 2017

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Transkript:

Geschichtsmesse Suhl 2017

Sektion: Gelebte Geschichte Zeitzeugen in der Bildungsarbeit Zeitzeugen in der Schule. Erfahrungen Kritik Perspektiven Mit dem Zusammenbruch der DDR und den Ergebnissen der Enquete-Kommission werden von vielen Schulen und Institutionen auch immer mehr Zeitzeugen zur DDR- und MfS- Geschichte angefragt und eingeladen. Die Zahlen der Zeitzeugenbörsen geben ein beredtes Beispiel dafür. Die Frage ist nun, wie laufen Zeitzeugengespräche v.a. in Schulen ab, wie werden sie organisiert und bewertet? Welche Überlegungen müssen in den Schulen im Vorfeld angestellt werden und dann in die Praxis umgesetzt werden? Welche Anforderungen werden an den Zeitzeugen gestellt und welche Rolle ist man selbst bereit, dabei zu spielen? Andererseits ist auch jeder Zeitzeugen- Auftritt ein Novum; kein Zeitzeugengespräch verläuft wie das andere. Was bedeutet dies für den Zeitzeugen? Wie muss er sich vorbereiten und welche organisatorischen Rahmen gibt es dabei? Was können und sollen Schulorganisationen dabei leisten? Grundsätzlich geht es auch um die Funktion von Zeitzeugen, zumal es bis heute immer noch weitgehend Betroffene sind, die Zeugnis ablegen. Wie ist ihr Verhältnis zu Historikern, zu Schulbüchern, wie bewerten sie die Lehrpläne und den darin vorgegebenen Unterrichtsstoff zum Thema DDR/MfS? Wolfgang Welsch war mit seinen Vorträgen an Hunderten von Schulen und besitzt deshalb einen reichen Erfahrungsschatz. Er fasst in seinem Suhler Vortrag die Gesamtproblematik des Zeitzeugens als Berufung zusammen und stellt sich den Fragen und der Diskussion.

Übersicht: Geschichtsmesse Suhl 2017 Zeitzeugenarbeit 1. Bedeutung und Methodik von Zeitzeugengesprächen 2. Selbstverständnis und Motivation 3. Oral History: Vor- und Nachteile 4. Meine Rolle als Zeitzeuge 5. Erfahrungen 6. Dos und don ts 7. Bibliographie

Oral History: Oral History ist mittlerweile eine Methode, bei der es um die wissenschaftliche Befragung von Zeitzeugen geht. Dies wird in Schulen nur selten geleistet. Die kleine Variante findet in Zeitzeugengesprächen statt, in denen es zu Fragen und Antworten kommt. Die Einladenden sollten im Vorfeld definieren, was sie sich von einem ZZ versprechen.

Vorteile bei der Arbeit mit Zeitzeugen: Geschichte bekommt mit dem Zeitzeugen einen Namen und ein Gesicht. Sie wird authentisch und faszinierend. Ein realer Lebensweg oder Lebensabschnitt wird in seiner Unumkehrbarkeit gezeigt. Identifikation, Betroffenheit und Empathievermögen können entstehen. Schüler erlernen Sozialkompetenz. Schüler erkennen, dass auch sie mit ihrer Alltagswelt Teil von geschichtlichen Entwicklungen sind. Schüler erkennen die Problematik von Darstellungen in Büchern oder Dokumentationen, die niemals umfassend sein können und durch die subjektiven Erinnerungen von Zeitzeugen ergänzt oder auch revidiert werden müssen. Sie erlangen Urteilskompetenz.

Probleme bei der Arbeit mit Zeitzeugen: Zeitzeugenberichte sind individuell und tragen mitunter selektiven Charakter. Sich objektiv an Ereignisse zu erinnern ist ebenso unmöglich, wie sine ira et studio des Historikers, der ebenfalls in seiner Zeit lebt. Erinnerungen verändern sich im Laufe der Zeit und werden anders gedeutet. Sichtweisen werden u. U. an gesellschaftliche Erwartungen angepasst und dezidiert abgegrenzt. Der Zeitzeuge muss seine Erzählung einer Ordnung unterwerfen, was mitunter schwer fällt. Der Zeitzeuge bewegt sich zwischen Selbstdarstellung, Rationalität, Rechtfertigung, Verdrängung und Erwartungen der Teilnehmer. Gleichwohl gibt es Fixpunkte einer politischen Vergangenheit, die unverrückbar bleiben.

Bedeutung und Methodik ZZ dienen beispielhaft der Unterscheidung zwischen Demokratie und Diktatur und tragen somit zur Ausbildung der Wertekompetenz der Zuhörer bei. ZZ sind keine Historiker, fungieren aber als Ergänzung und Korrektur von bestehenden Quellen. Die Verbindung von Authentizität und Einbettung in den historischen Kontext dient dem tieferen Geschichtsverständnis. DDR-ZZ sind meist Betroffene. Täter verweigern sich bis heute weitgehend der öffentlichen Auseinandersetzung.

Selbstverständnis und Motivation Die DDR gilt heute als Randnotiz, als blinder Fleck in der Geschichte und wird in der öffentlichen Wahrnehmung überlagert von der aktuellen Weltlage. Erschreckende Ergebnisse der Untersuchungen von Klaus Schroeder (SED- Forschungsverbund). Ein Blick in die Lehrpläne ist ernüchternd: geringe Stundenzuweisung und punktuelle Thematiken führen im besten Fall zu oberflächlichen Kenntnissen der Schüler. Die Ausbildung von Geschichtslehrern zum Thema DDR ist rudimentär.

Umfang und Charakteristika meiner Zeitzeugengespräche: Opfer (Betroffener: 7 Jahre Stasi-Haft; 3 Mordanschläge durch die Stasi) Wissenschaftler (Promotion über das MfS 1977) Akteur: erfolgreicher Fluchthelfer Seit 20 Jahren als ZZ unterwegs; in den letzten 5 Jahren in 100 Schulen und Institutionen im In- und Ausland (ca. 10 000 Zuhörer erreicht). Arbeit mit ppt, Film, Workshops, thematische Vorträge, Diskussionsveranstaltungen

Was wünschenswert ist: Klären Sie im Vorfeld alle Modalitäten des Zeitzeugengesprächs: Termin, Dauer, Equipment, Anreise, Unterbringung etc. Machen Sie die Kommunikationswege transparent: E-Mail und Telefonnummern aller Ansprechpartner. Betreuen Sie Ihren Zeitzeugen, d.h. sorgen Sie für die Abholung am Bahnhof bzw. am Hotel und sorgen Sie für die notwendigen Transfers. ZZ sind politische Referenten, die ihre persönliche Geschichte offenbaren und oft Einblick in ihr Innerstes geben ein respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Laden Sie, nach Absprache, die örtliche Presse ein.

Bei Schulen: Nach der Ankunft sollte der Schulleiter den Referenten begrüßen und, wenn möglich, bei der Veranstaltung einführende Worte sprechen. Damit es zu keinen zeitlichen Verzögerungen kommt, sollte die Funktionsfähigkeit der Medien gewährleistet sein (Schüler als Medienbetreuer). Selbstverständlich sollte es so sein, dass die Zuhörer (Schüler) inhaltlich vorbereitet sind und dass die Verhaltensregeln (essen, trinken, aufstehen) klar sind, sodass der Vortrag nicht durch Ermahnungen unterbrochen werden muss. Nach dem Ende der Veranstaltung soll für eine angemessene Verabschiedung gesorgt werden; nicht der Schulgong, sondern das Schlusswort des Referenten beendet die Veranstaltung!

Was gar nicht geht: Unzuverlässigkeit bei der Terminabsprache, zeitnahe Planungssicherheit! ZZ anfragen aber keine Bestätigung schicken Respektloser Umgang: Warten lassen bei der Ankunft im Sekretariat; Einbau in den Schulalltag ohne Berücksichtigung der besonderen Situation; respektloses Verhalten der Schüler; Unterbrechung des Vortrags durch falsche Organisation Abfertigen des ZZ, d.h. nahtloser Übergang zum Schulbetrieb ohne Verabschiedung bzw. ohne weitere Absprachen.

Zur Organisation von Zeitzeugengesprächen: Erfahrungen Kritik Perspektiven Negative Erfahrungen: Organisationsdefizite, spärliche Kommunikation, fehlende inhaltliche Vorbereitung; ZZ als Lehrer- Ersatz; mangelnde Wertschätzung; defizitäre Kenntnisse der Lehrer Positive Erfahrungen überwiegen: Freundlicher Empfang, vorbereitete SchülerInnen, Vortragsabende für Eltern und Öffentlichkeit, perfekte Organisation im Vorfeld Fazit: ZZ haben ein Alleinstellungsmerkmal und wünschen sich auch so behandelt zu werden.

Je besser wir die Diktatur begreifen, umso eher können wir die Demokratie gestalten (Roland Jahn).

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! wolfgang-welsch.com