Raumplanerische Herausforderungen für die 9-Millionen-Schweiz

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Transkript:

Raumplanerische Herausforderungen für die 9-Millionen-Schweiz Herausforderung Siedlungsentwicklung Ist die Raumplanung gerüstet? Winterthur, 22. März 2012 Dr. Daniel Müller-Jentsch Projektleiter Avenir Suisse

Das Bevölkerungswachstum ist ungebrochen Bevölkerungsdichte der Schweiz (189 Ew./km 2 ) doppelt so hoch wie Österreich, im Mittelland (450 Ew./km 2 ) gar so hoch wie in Holland In den letzten 30 Jahren nahm die Bevölkerung um 1,5 Mio. zu Entspricht +50 000/Jahr (Trendwachstum aktuell gar 70 000/Jahr) Jedes Jahr muss eine Stadt der Grösse Luganos neu gebaut werden Gleichzeitig steigt Flächenverbrauch pro Person Trend: 9-Millionen-Schweiz bis 2030 wahrscheinlich Kanalisierung des Siedlungswachstums als zentrale Herausforderung der Schweizer Raumplanung Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

Bevölkerungswachstum: Wie die Schweiz eine ganze «DDR» integrierte (allerdings ohne Ausdehnung des Territoriums) 170 160 Bevölkerungswachstum (1950=100) Österreich Deutschland Schweiz 150 140 130 120 110 100 Quelle: avenir suisse Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

Siedlungsflächenwachstum hat sich verdoppelt Siedlungswachstum: Seit 1935 Verdopplung der Fläche auf 2 500 km2 1980-2002: 13 km2/jahr 2002-2008: 27 km2/jahr (= Grösse des Walensees) Quelle: Die Geographen schwick + spichtig 2010, avenir suisse Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

In 23 Kantonen wächst die Siedlungsfläche schneller als die Bevölkerung (2002-2008, kumulativ) Quelle: Die Geographen schwick + spichtig 2010, avenir suisse

Herausforderung 1: Siedlungswachstum kanalisieren Avenir Suisse Kantonsmonitoring Raumplanung (2010): Daten zur Siedlungsentwicklung in den 26 Kantonen Vergleich von 32 Instrumenten zur Siedlungssteuerung Best Practice-Analyse und Ranking der Kantone Ergebnisse des Kantonsmonitorings: Grosse Varianz zwischen den Kantonen (von GL:8 bis ZH:61) Einige Kantone ohne effektive Siedlungssteuerung Vollzugsdefizite (z.b. Bauzonenpolitik, Siedlungsbegrenzung) Verbindlichere Mindeststandards auf Bundesebene nötig Bisherige Instrumente des RPG von 1980 unzulänglich

RPG-Revision: Eckpunkte der Vorlage des Ständerats Präzisere Regeln zur Siedlungssteuerung: Kompakt halten, gezielt nach innen verdichten, Ausdehnung begrenzen Verbindlichere Regeln für Bauzonendimensionierung: Massnahmen zur Baulandmobilisierung ergreifen, bevor neu eingezont wird Verpflichtung zur Rückzonung überdimensionierter Bauzonen Bauzonen sollen über Gemeindegrenzen abgestimmt werden Mehrwertabgabe bei Neueinzonung: Mindestabschöpfung von 20% des Planungsmehrwerts (zuvor 25%) Kantonale Richtpläne: Verbindlichere Regeln zu Inhalt und Form (bisher zu grosse Varianz) Aussagen zu Gesamtgrösse, Verteilung und Erweiterung des Siedlungsgebietes Schlüssiges Gesamtpaket für eine effektivere Siedlungssteuerung

Die Zweitwohnungsinitiative und ihre Folgen Geringerer Flächenverbrauch pro Kopf: Wichtiger Treiber von mehr Siedlungsfläche/Kopf war Zweitwohnungsbau Kaum mehr Siedlungswachstum in weiten Teilen des Berggebiets: GR, VS, TI, Berner Oberland: Der Haupttreiber des Siedlungswachstums in den letzten Jahren war der Zweitwohnungsbaus In diesen Gebieten liegt der Zweitwohnungsbestand meist schon >20% und folglich wird künftig kaum mehr Neubau von Zweitwohnungen möglich sein Erleichterter Rückzonung überdimensionierter Bauzonen: Überdimensioniert Bauzonen liegen vielfach im Berggebiet Durch Stopp des Zweitwohnungsbaus werden Grundstücke entwertet Dies senkt die Kosten für Entschädigungen bei Rückzonungen Zweitwohnungsinitiative verstärkt Wirkung der RPG-Revision

Fehlplatzierte Bauzonenreserven

Herausforderung 2: Stadtlandschaft Schweiz gestalten Dank guter Infrastruktur und geographischer Kompaktheit wuchs die Schweiz in den letzten Jahrzehnten zum «Stadtland» zusammen 75 % der Schweizer Bevölkerung leben in Agglomerationen (d.h. städtische Strukturen, die politische Grenzen überschreiten) Die über 50 Agglomerationen der Schweiz sind inzwischen zu 4-5 grossen Metropolräumen zusammengewachsen Politische Karte der Schweiz hingegen stammt aus dem 19. Jahrhundert: In 160 Jahren keine Kantonsfusion, nur 20% weniger Gemeinden Stadtlandschaft Schweiz entwickelt sich in funktionalen Räumen Historische Gemeinde- und Kantonsgrenzen reflektieren nicht mehr die Realitäten der 9-Millionen-Schweiz

Erreichbarkeitsgebirge: Bessere Verkehrerschliessung macht die Schweiz zum Stadtland Erreichbarkeitsgebirge: Je höher ein Punkt, desto besser erreichbar ist er im Verhältnis zu anderen Punkten in der Fläche. Quelle: IRL, ETH Zürich Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

Stadtland Schweiz Metropolitanregionen: Einzugsgebiete der grossen Städte dargestellt auf Basis von Pendlerdaten Quelle: Avenir Suisse, Baustelle Föderalismus Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

Entwicklung der Stadtlandschaft Schweiz über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg koordinieren Mittelland und angrenzende Bergtäler wachsen zu einer durchgehenden Agglomeration zusammen Ausdifferenzierte Stadtlandschaft geht verloren (d.h. kleinteiliges Mosaik urbaner Kerne, traditioneller Kulturlandschaft, intakter Naturräume) «Kirchturmpolitik» (2500 Gemeinden) und «Kantönligeist» (26 Kantone) erschwert koordinierte räumliche Entwicklung der Stadtlandschaft Steuerungsinstrumente für funktionale Räume (z.b. Aggloprogramme, Metropolitankonferenzen) sind noch schwach entwickelt Raumkonzept Schweiz 2011: Gemeinsame räumliche Vision für die Stadtlandschaft von Bund, Kantonen und Gemeinden Bisher fehlen aber noch die Instrumente zur Umsetzung Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

Raumkonzept Schweiz 2011 Raumkonzept Schweiz: übergeordnete Strategie zur räumlichen Entwicklung. Gemeinsame Leitlinien von Bund, Kantonen, Gemeinden, Städten.

Die 9-Millionen-Schweiz planen: Sind wir gerüstet? Zwei Megatrends der räumlichen Entwicklung: 1. Starkes Siedlungswachstum (Zersiedelung) 2. Entstehung einer Stadtlandschaft Schweiz (funktionale Räume) Die Entwicklung zur 9-Millionen-Schweiz ist in vollem Gange Steuerungsinstrumente für diese Entwicklung bisher schwach Instrumentarium der Raumplanung wird derzeit neu geordnet: 1. RPG-Revision: Grösste Reform der Siedlungssteuerung seit 1980 2. Zweitwohnungsinitiative: Verstärkt Wirkung der RPG-Revision 3. Raumkonzept Schweiz: konzeptionell gut, operationell noch schwach 2012 als Zeitenwende in der Schweizer Raumplanung! Umsetzung des Reformpakets Herausforderung der nächsten Jahre

Zusatzfolien

Genug Bauzone, aber am falschen Ort Schweiz hat noch Bauzonenreserven für 1-2 Mio. zusätzliche Einwohner Massiv überdimensionierte Bauzonen in peripheren Lagen (z.b. im Wallis über 30% der Bauzone noch nicht überbaut) Dort jedoch keine Rückzonungen, weil voll entschädigungspflichtig In Zentren (Bauland knapp) hingegen Neueinzonungen: 600 ha/jahr! Mehrwertabgabe als möglicher Lösungsmechanismus: Teil des Mehrwerts bei Neueinzonungen abschöpfen Mit diesen Mitteln Rückzonungen in peripheren Lagen finanzieren Mehrwertabgabe zum Instrument für räumliche Verschiebung vorhandener Bauzonenreserven weiterentwickeln!

Siedlungsflächenwachstum: Beispiel Region Zürichsee Quelle: Die Geographen schwick + spichtig 2010 Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012

Kantonale Instrumente zur Siedlungssteuerung Quelle: Avenir Suisse, Kantonsmonitoring Raumplanung

Kantonsranking zur Effektivität der Siedlungssteuerung Quelle: avenir suisse, Kantonsmonitoring Raumplanung (2010)

Wirtschaftliche Schwergewichte Die Metropolitanregionen relativ zu ihrem Anteil an der nationalen Wertschöpfung (BIP): Auf 10% der Landesfläche werden 60% des BIPs erwirtschaftet. Quelle: Avenir Suisse, BAKBASEL Raumplanung 9-Millionen-Schweiz 22.03.2012