Von Ökosystemfunktionen zu Landschaftsdienstleistungen: eine Rahmenmethodik Olaf Bastian, Karsten Grunewald, Ralf-Uwe Syrbe, Wolfgang Wende 5. Dresdener Landschaftskolloquium Wert und Potenziale sächsischer Landschaften, 19.11.2010
Hintergrund Wachsende Belastungen des Naturhaushalts, u.a. Verlust biologischer Vielfalt (BMU 2009, CBD Nagoya 2010), Energie- und Klimaproblematik (z.b. Rat für nachhaltige Entwicklung 2009) vielfältige und zunehmende Ansprüche an die begrenzten Ressourcen steuern + nachhaltige Landnutzung gewährleisten Konzept der Ökosystemdienstleistungen (ÖSD)
Gliederung Entwicklung des ÖSD-Konzeptes 3-Säulen-Rahmenmethodik (Eigenschaften- Potenziale-Funktionen/Services) Landschaftsdienstleistungen (LDL) Bewertungsansätze Weiterer Forschungsbedarf Fazit
ÖSD - Geschichte Ecosystem services (ÖSD): in 1990er Jahren in internat. Umweltdiskussion etabliert; Schnittstelle zwischen Ökosystemen und menschlichem Wohlbefinden; Weiterentwicklung der CBD durch Einbeziehung aller ÖSD (Neßhöver et al. 2007) Müller & Burkhard (2007): Attraktivität von ÖSD durch integrativen, inter- und transdisziplinären Charakter, Verbindung von Umwelt- und sozioökonom. Konzepten
Wichtige Meilensteine Millennium Ecosystem Assessment (2005) TEEB-Studie The Economics of Ecosystems and Biodiversity (2009) RUBICODE-Projekt Rationalising Biodiversity Conservation in Dynamic Ecosystems (2009) EASAC policy report Ecosystem Services and Biodiversity in Europe (2009) CBD CoP10 Nagoya (18.-29.10.2010): Strategic Plan 2011-2020: ca. 200 x Begriff ecosystem services genannt
Millennium Ecosystem Assessment 2005: ÖSD und menschliches Wohlbefinden
Begriffssystem in TEEB (2009)
Probleme Mangelnde Klarheit und Einhelligkeit in den Begriffssystemen (z.b. Funktion / Service, Klassifikation der ÖSD) Unvollständige Kenntnis wichtiger ökologischer Zusammenhänge Datenmangel, Fehlen geeigneter Analyse- und Bewertungsverfahren (als Indikatoren vielfach nur Landnutzung CORINE land cover) Ungenügender Raumbezug
Anliegen Schaffung einer differenzierten, logischen und anwendungsorientierten theoretisch-methodologischen Basis der Analyse und Bewertung von ÖSD Anforderungen: Wissenschaftliche Exaktheit und Plausibilität Anknüpfung an bereits vorhandene Ansätze (z.b. Millennium Ecosystem Assessment, Leipzig-Dresdener Schule der Landschaftsökologie) Entwicklung einer spezifischen theoret.-methodolog. Sicht- und Herangehensweise (unter besonderer Betonung der Landschaftsperspektive)
3-Säulen-Rahmenmethodik vgl. Grunewald & Bastian 2010, Bastian et al. 2011, Grunewald et al. 2011
Potenziale Räumliche Anordnung naturgegebener Entwicklungsmöglichkeiten (Bobek & Schmithüsen 1949) Gebietswirtschaftliches Potenzial (Neef 1966) Partielle Naturraumpotenziale (Haase 1978, Mannsfeld 1979) = Vermögen von Naturräumen bzw. Landschaften, gesellschaftlich nutzbare Leistungen zu erbringen (s.a. Lüttig, 1974, van der Maarel & Lahaye 1978, Bierhals, 1987, Finke 1994, Durwen 1995, Marks et al. 1992) Potenzial im Zusammenhang mit ÖSD: Fähigkeit (von Ökosystemen und Landschaften) Dienstleistungen zu erbringen, ohne dass diese vom Menschen zum jeweiligen Zeitpunkt tatsächlich in Anspruch genommen werden (müssen). Hierbei spielen Nutzungseignung, Belastbarkeit, Risiken und Aspekte der Nachhaltigkeit eine Rolle. Mittels Potenzialvergleich lassen sich verschiedene Nutzungsoptionen fachlich beurteilen bzw. abwägen.
Potenziale Functionen/Services Wohlbefinden (Beispiel) Das Erholungspotenzial der Jurassic Coast in Südengland wird aktuell (!) durch viele Touristen genutzt (Realisierung der Erholungsfunktion = Service) und trägt zum Wohlbefinden der Besucher bei. ( K. Grunewald)
Forstlicher Ertrag versus Potential für Umweltbildung, Tourismus und Biodiversität Bizarre Kiefern im NSG Königsbrücker Heide: Jahrhundertelange Streunutzung hat die Böden degradiert und das biotische Ertragspotenzial vermindert. Solche Waldtypen sind sehr selten geworden, sie stellen nicht nur einen Lebensraum für bedrohte Pflanzenund Tierarten dar, sondern auch ein wertvolles kulturhistorisches Relikt mit einem Potenzial für Umweltbildung und Tourismus, das bislang kaum genutzt wird. ( O. Bastian)
Ökosystemdienstleistungen = Dienstleistungen, die von Ökosystemen bereitgestellt und vom Menschen genutzt werden
Klassifikation von Landschaftsfunktionen / ÖSD (Bastian 1991, OECD 2008) ökonomische (Produktions-), ökologische (Regulations-), soziokulturelle Funktionen/Leistungen kompatibel mit dem Konzept der Nachhaltigkeit, d.h. mit den etablierten ökolog., ökonom. und sozialen Entwicklungskategorien
Landschaftsdienstleistungen (LDL) Definition: Ökosystemdienstleistungen mit ausdrücklicher Berücksichtigung jener Leistungen, die von der Landschaft als Ganzes (über die Ökosysteme hinaus: insbesondere Kulturgüter, Ästhetik) bereitgestellt und vorzugsweise unter räumlichen Gesichtspunkten (Lagebeziehungen, Ökosystemkomplexe, Maßstabsbereich) betrachtet werden.
LDL Besonderheiten, Vorzüge 1. Indem er Landschaften als Bezugseinheiten zugrunde legt, erweitert er die Perspektive über die von Ökosystemdienstleistungen erbrachten Leistungen hinaus und betont stärker ästhetische, ethische und sozio-kulturelle Aspekte sowie anthropogene Überprägungen (z. B. Landnutzung).
2. Er bringt räumliche Aspekte stärker zum Ausdruck: Anordnung von Ökosystemen und Landnutzungseinheiten im Raum (für viele ÖSD entscheidend) Konkordanzen, Interferenzen struktur- und prozessbedingte Wechselwirkungen Ökologische Raumeinheiten LDL Besonderheiten, Vorzüge Bezug auf unterschiedliche Dimensionsstufen bzw. Maßstabsbereiche Räumliche Unterscheidung von Angebot und Nachfrage (sog. Service Providing Areas (SPA) = Räume, in denen bestimmte LDL bevorzugt bereit gestellt werden und Service Benefiting Areas (SBA) = Räume, aus denen die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen kommen kann). Wer erbringt LDL? Wer verbraucht sie? (Who sells? Who pays?)
Ökologische Bezugseinheiten Mikrogeochoren in Sachsen (SAW 2002) Benefit-Transfer: Methodik, die monetäre Werte für Umweltgüter in einer Region Y dadurch ermittelt, dass sie existierende Studien in einer Region X (study region) analysiert und die dort ermittelten Werte auf die aktuelle Bewertungssituation (entsprechende Ökosystemtypen) in der Region Y überträgt (z.b. Boyle & Bergstrom 1992, Plummer 2009, Matzdorf 2010)
LDL Besonderheiten, Vorzüge 3. Die Betonung des Landschaftsbezuges verbessert Zusammenwirken (Integration) verschiedener Fachdisziplinen erhöht Relevanz für praktische räumliche Planungen (u. a. Landschaftsplanung), für Landschaftsentwicklung und -management begünstigt partizipative Ansätze (Landschaft als identitätsstiftendes Element und als Handlungsraum).
Grundsätzliche Bewertungsansätze Expertenurteile (Punktwertverfahren, Nutzwertanalyse, ökologische Verflechtungsmatrizen usw.) - z.b. ökologische Integrität Ökonomische (monetäre) Verfahren (z.b. Marktpreise, Schattenpreise) Partizipative Ansätze/ Akteursbeteiligung: z.b. Befragungen/Interviews, Bewertungs- und Szenario-Workshops, Bürgerjury, abwägende Visionen, partizipative multikriterielle Bewertungen
Beispiel für den Einkommensfaktor-Ansatz: Aufwand für Biotoppflege (kalkuliert anhand der Managementpläne für 14 FFH-Gebiete des Erzgebirges) Lebensraumtyp (Nr.) Bezeichnung des LRT Kosten ( ) 6520 Bergwiesen ca. 223.000 7120 Hochmoore ca. 284.000 9110 Bodensaure Buchenwälder 9410 Montane Fichtenwälder ca. 120-180.000 203.000
Weiteres Beispiel: Birkhuhnschutz SPA-Gebiet Erzgebirgskamm bei Deutscheinsiedel : Umwandlung von Waldflächen in Vorwaldbestände aus Eberesche, Birke und Berg-Kiefern
Birkhuhnschutz: Akzeptanz (Kontingente Verfahren), (negativer) Einkommensfaktor Grundsätzliche Bedenken des Staatsbetriebs Sachsenforst (Werthaltungen, Akzeptanz) Einkommensverluste Einschlag, Rückung und Verwertung des vorhandenen Bestandes: 1000-2500 /ha Anlage lichten Ebereschen-Vorwaldes mit Zaunschutz: 1500-3000 /ha Verlust der bisher durchgeführten Waldumbauinvestition: Fichte 5000 /ha, Rotbuche 8500 /ha Opportunitätskosten durch Zuwachsverlust und zukünftigen Nutzungsentgang; anfallendes Ebereschenholz wirtschaftlich nicht verwertbar Moorrenaturierung nur bei Anerkennung als Kompensationsmaßnahme
Nachteile monetärer Bewertungsverfahren Daily et al. (2009): In certain cases, however, service values may best be conveyed in other ways (e.g. the cultural importance of natural places), because assigning credible monetary values is difficult or less meaningful. Kelemen & Gómez-Baggethun (2008): ökonom. Bewertung nur bei einfachen Gütern, die auf Markt gehandelt werden und sich in Privateigentum befinden. Spangenberg & Settele (2010): ökonom. Ansätze nur bei Aufwandskalkulation für Pflege und Wiederherstellung, ansonsten partizipative Verfahren vorteilhafter Saarikoski (2010): eine ausgehandelte Lösung ist ein wirksameres Politikinstrument als der Appell an den ökonom. Wert von ÖSD Vatn (2010): Märkte für ÖSD (Käufer/Verkäufer und ihre Wechselbeziehungen) zu konstruieren, kann kostspielig sein. Behörden können bei ÖSD mit geringeren Transaktionskosten agieren.
Weiterer Forschungsbedarf Zusammenhänge Ökosysteme Biodiversität ÖSD Erfassung und Bewertung: Indikatoren, Quantifizierung/Monetarisierung, nicht-monetäre Verfahren, Schwellenwerte Landschaftsdienstleistungen: Überführung von ÖSD in LDL Raumaspekte: Maßstabsebenen, räumliche Differenzierung Zeitaspekte: Veränderungen, Triebkräfte, Szenarien Planung: Einbeziehung von ÖSD/LDL, Vorteile gegenüber Schutzgütern/Potenzialen? Management: Steuerung von ÖSD/LDL, Instrumente, Ersatz durch technogene Systeme Akteursbezug: Bewertung von ÖSD/LDL durch unterschiedliche Bevölkerungsgruppen
Fazit Eine eindeutige Terminologie im Bereich der Ökosystemdienstleistungen ist sehr wichtig Das 3-Säulen-Modell ermöglicht eine schrittweise Analyse und Bewertung von ökologischen Strukturen und Prozessen über Potenziale zu (tatsächlich in Anspruch genommenen) Dienstleistungen (Services) Der Bezug auf Landschaftsdienstleistungen ist in vielen Fällen vorteilhaft
Danke für die Aufmerksamkeit!