Schuldgefühle Univ.-Doz. Dr. Gernot Brauchle Wissenschaft und Weiterbildung 3. Internationale Fachtagung PSNV
SCHULDGEFÜHLE, SCHAM UND SCHULD
Schuld und Schuldgefühle Schuldhaftes Handeln oder Unterlassen liegt vor, wenn durch das eigene Handeln oder Unterlassen Anderen ein Schaden zugefügt wird (Schuld). Angehörige und Opfer empfinden aber häufig Schuldgefühle, ohne dass schuldhaftes Handeln oder Unterlassen vorliegt (unangemessene Schuldgefühle). Schuldgefühle werden weitgehend übereinstimmend als moralische Emotionen bezeichnet. Moralische Emotionen sind die motivationale Triebfeder Gutes zu tun und Schlechtes zu vermeiden. => angemessene :: unangemessene Schuldgefühle 3
Fallbeispiel 1 Eine Mutter, deren beide Kinder bei einer Lawinenkatastrophe ums Leben kommen, entwickelt Schuldgefühle. In der Folge entwickelt die Frau starke Schuldgefühle, Suizidgedanken sowie Wut gegenüber der Lawinenkommission.und ihrem Ehemann, der den Urlaub geplant hat. 4
Fallbeispiel 2 Ein Großvater, dessen zweijähriger Enkel in einem kurzen unbeobachteten Moment in den Swimmingpool des Nachbarn gefallen ist.. Er sagt immer wieder er wäre ein Versager und äußert klare Suizidabsichten. Dies obwohl der Großvater den Enkel, nachdem er ihn leblos gefunden hatte, selbst reanimiert hatte. Vor Ort verhält sich der Großvater aggressiv gegenüber allen Personen, die nicht zum Notarztteam gehört, vor allem gegenüber der Polizei, die ihn befragt. Der Großvater äußert die Absicht sich umzubringen, da er dies nicht seinem Sohn, der ihm das Kind anvertraut hat, erklären kann. 5
Handlungs- vs. personenbezogene Schuldzuschreibungen Man unterscheidet zwei Arten von Schuldzuschreibungen auf die eigene Person (self-blame): Handlungsbezogene Schuldzuschreibungen: Ich habe etwas falsch gemacht? Personenbezogene Schuldzuschreibungen: korreliert mit Depressionen und Suizidalität. Ich mache immer alles falsch. Ich bin ein Versager! 6
Scham Scham ist das Gefühl nach fehlerhaftem Verhalten in einer wichtigen sozialen Rolle als Person sichtbar mangelhaft zu sein und beinhaltet die Angst durch Andere entwertet zu werden. Scham ist verknüpft mit einer gesteigerten Selbstaufmerksamkeit. 7
Scham Ich kann nicht glauben, dass Ich das getan habe. Schamgefühle entstehen, wenn ein Ereignis als selbstverantwortet (internal) eingeschätzt und auf dauerhafte (stabile) und globale Merkmale des Selbst zurückgeführt wird. Scham erzeugt ein defizitäres Subjekt Angst vor einer Ablehnung durch die Anderen. den Wunsch des Unsichtbar-Werdens, des Versinkens-im-Boden oder des auf-der-stelle-sterbens. Im Zusammenhang mit Neutralisierungsstrategien führt Scham zu Feindseligkeit und Ablehnung gegenüber der (vermuteten) Quelle der Abwertung. 8
Scham Schamgefühle führen dazu, dass zentrale Aspekte des Selbstbildes in Frage gestellt werden und Selbstzweifel die Folge sind. Dies begünstigt Verhaltenstendenzen wie sozialen Rückzug oder die Flucht aus der Situation. Die Erfahrung, in den Augen anderer herabgesetzt oder entwertet zu sein, kann in Ärger und Feindseligkeit gegenüber der Quelle dieser Abwertung umschlagen (shame-rage-spirale oder die Verdammung der Verdammenden). Starke (!) Schamgefühle führen zu risikoreichen Verhaltensweisen und erhöhter Delinquenz Scham führt zu sozialem Rückzug ( man glaubt von den wichtigen Anderen entwertet zu werden ) und damit zu sozialer Entfremdung. Mit der sozialen Entfremdung ist gleichzeitig eine geringere Normorientierung verbunden ("Man muss sich nicht mehr an die Regeln der Anderen halten"). => Risikoverhalten und Delinquenz. 9
Schuld bzw. Schuldgefühl Schuld: Ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe. Schuldgefühle entstehen, wenn eine Person ein Ereignis auf internale, unstabile Faktoren und spezifische Selbstanteile zurückführt. Schuld erzeugt einen innerpsychischen Konflikt. Angst vor der Strafe der Anderen. Verlangt ein Geständnis und Wiedergutmachungshandlungen (Ritual). Schuldgefühle sind positiv korreliert mit empathischen Interesse für Andere und der Fähigkeit Lösungen für zwischenmenschliche Probleme zu finden. 10
Schuld bzw. Schuldgefühl das Schuldgefühl motiviert Personen dazu, Fehler einzugestehen, ihren Kummer darüber auszudrücken, Vergebung oder zumindest Entlastung zu suchen sowie den Versuch zu unternehmen, den Schaden wieder gut zu machen. 11
Scham Schuldgefühle Reaktionen und Verhaltensweisen Rechtfertigungen Distanzierung oder Verleugnung Flucht aus der Situation Wiedergutmachungshandlungen (symbolisch oder faktisch) Problemlösefähigkeit und Erwartungshaltung Geringe Problemlösefähigkeit Geringe Erwartungshaltung an die eigenen Fähigkeit Lösungen umzusetzen Aktives Problemlöseverhalten Hohe Erwartungshaltung an die eigenen Fähigkeit Lösungen umzusetzen Empathie verminderte Empathie erhöhte empathische Zuwendung Wut Neigung zu Wut Feindseligkeit Konstruktive Herangehensweisen Psychische Symptome Vermindertes Selbstwertgefühl Depressivität Zwanghaftes Denken Paranoides Denken Gestörtes Essverhalten Physiologische Reaktionen Immunreaktionen 12
Scham und Schuldgefühle Unangemessene Schuldgefühle können dysfunktional werden, wenn sie mit Schamgefühlen verschmelzen. Unangemessene Schuld- und Schamgefühle sind in der Krisenintervention von hoher Relevanz. Sie sind eine mögliche Ursache für soziale Ängstlichkeit und ablehnender Haltung gegenüber Helfern sowie dem Zurückweisen von Hilfsangeboten Selbstentwertung und Depressionen und stehen im Zusammenhang mit erhöhter Suizidalität. 13
UNANGEMESSENE SCHULDGEFÜHLE FUNKTION
Funktion Schuldgefühle ermöglichen den Betroffenen, sich die Welt als kontrollierbar vorzustellen. Ohne die Illusion von Kontrolle müssten sich Betroffenen eingestehen, dass man weder sich selbst noch Andere beschützen kann. Schuldgefühle helfen somit die Illusion der Kontrolle über das eigene Lebensumfeld aufrecht zu erhalten. Bedrohliche Gefühle der Hilflosigkeit abzuwehren. Erschütterte Grundannahmen wieder herzustellen. 15
UNANGEMESSENE SCHULDGEFÜHLE UMGANG
Umgang mit Scham, Schuld und Schuldgefühlen 1. Wertschätzende Grundhaltung 2. Unangemessene Schuldgefühle ernst nehmen weder vorschnell entlasten noch bagatellisieren! 3. Zuhören - die Personen erzählen lassen, um eine erste konsistente Geschichte zu entwickeln! Rekonstruktion der tatsächlichen Situation vor dem tragischen Ereignis (Anzeichen, Kenntnisstand und Erfassung der Informationen die fehlten, Erwartbarkeit der Ereignisse, Abgleich mit ähnlichen Situationen ), um neu einzuschätzen, inwieweit damals das Vorgehen normal oder vernünftig war bzw. die Folgen vorhersehbar waren. 4. Unangemessene Schuldgefühle und Schuld differenzieren. 17
Umgang mit Scham, Schuld und Schuldgefühlen 5. mögliche Schuld anerkennen (angemessene Schuldgefühle) und dennoch Wertschätzung zeigen. die Person hat nicht absichtlich gehandelt. die Schuldfrage und Strafe bzw. die Kompensationsleistung wird vom Gericht festgestellt. 6. Schamgefühle ansprechen 7. Reframing - Herausarbeiten und betonen richtiger Verhaltensweisen und sinnvoller Handlungen im Ereignis oder nach dem Ereignis. 8. Schuldgefühlkreis 18
Anschrift: Univ.-Doz. Dr. Gernot Brauchle Gesundheits- und Notfallpsychologe Email: G.Brauchle@gmail.com 19