Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung

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Gliederung. 1. Einleitung 12

AUFBAU EINER STRATEGIE FÜR MEHR GESUNDHEITLICHE CHANCENGLEICHHEIT IN DEUTSCHLAND

Transkript:

Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung - Stärkung der Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe Prof. Dr. Karin Böllert cjd 21.05.2014 1

Gliederung Ausgangssituation I Ausgangssituation II Sortierungen Inhalte Perspektiven cjd 21.05.2014 2

Ausgangssituation I Wiedergewinnung kommunalpolitischer Handlungsfähigkeit zur Ausgestaltung von Jugendhilfeleistungen Koordinierungssitzung der A- Staatssekretäre 13.05.11 und Hilfen zur Erziehung Konzeptionelle Vorschläge zur Weiterentwicklung und Steuerung der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration in Hamburg vom 24.08.11 cjd 21.05.2014 3

A-Staatsekretäre Die Ausgestaltung des Hilfsangebotes als individueller Rechtsanspruch und die starke Stellung freier Träger bei der Ausgestaltung des Hilfsangebotes macht dieses System immer teurer. (.) Zugleich gibt es zahlreiche fachliche Hinweise, dass die Angebotsform, die im Regelfall dazu führt, dass Familien zu Hause durch sozialpädagogische Fachkräfte eines freien Trägers aufgesucht werden, um deren Erziehungsfähigkeit zu stärken, in sehr vielen Fällen ins Leere läuft (Koordinierungssitzung der A-Staatsekretäre 13.05.2011). cjd 21.05.2014 4

Hamburg Vorgaben für das Eingangs- und Fallmanagement sowie die Hilfeplanung - Hilfebedarfe werden vom ASD selbst ermittelt und nicht im Rahmen von Klärungshilfen durch HzE-Träger festgestellt. Besteht Hilfebedarf bei den Sorgeberechtigten, ist dieser grundsätzlich und vorrangig durch Verweisung in sozialräumliche Hilfeangebote oder Angebote der Familienförderung und der Elternbildung zu erbringen. Förmliche Hilfen zur Erziehung werden danach nur genehmigt, wenn im Einzelfall absehbar ist, dass sozialräumliche Hilfen keinen Erfolg versprechen oder bereits gescheitert sind. cjd 21.05.2014 5

Die Hilfen sollen grundsätzlich nicht als Einzelmaßnahmen innerhalb der Familienwohnung stattfinden. Wenn Einzelmaßnahmen notwendig sind, dann mit dem Ziel auf ein Gruppenangebot hin zu wirken bzw. die Voraussetzungen hierfür zu schaffen und in die Regelsystem zu integrieren. cjd 21.05.2014 6

Intentionen Angesichts der einer zunehmend dramatisch empfundenen Bildungsbenachteiligung und Armutsentwicklung eines wachsenden Teils von Kindern und Jugendlichen tritt nicht allein in Hamburg, sondern in vielen Kommunen zunehmend schärfer die Frage nach der richtigen und vor allem gerechten Allokation von Mitteln im Handlungsfeld und in der Organisation der Kinder- und Jugendhilfe hervor. Damit wird deutlich, dass es in den Kommunen um Anderes geht als um eine rechtstheoretische Frage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes: cjd 21.05.2014 7

Es geht um die Frage, ob sich die Erziehungshilfen auf der Grundlage des Rechtanspruchs noch aktiv steuern lassen, und es geht um die substantielle Frage der gerechten Ausgestaltung der Organisation des Sozialen vor Ort. Die aktuelle Debatte über den Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung und seiner Folgen für die gegenwärtige Kinderund Jugendhilfelandschaft gerät zu einer Schlüsselfrage kommunaler Gestaltungskraft und Verantwortung, da sich hier die Spannung zwischen individueller Hilfe und einer für die Allgemeinheit sorgenden Verteilung der Mittel auffaltet (Kurz-Adam, neue praxis Heft 6/11). cjd 21.05.2014 8

Aufweichung der Rechtgrundlagen des SGB VIII Gewährleistungsverpflichtung des öffentlichen Trägers statt individueller Rechtsansprüche Abschluss von sozialräumlichen Versorgungsverträgen Umgestaltung des Jugendhilfeangebotes in Verbindung mit Regelangeboten der Frühen Hilfen, der Kindertagesbetreuung und der Schulen cjd 21.05.2014 9

Rund um ein angeblich beschlossenes Staatsrätepapier flammte in den letzten Tagen und Wochen eine Diskussion wieder auf, die im Sommer eigentlich schon erledigt schien. Niemand hat oder hatte vor, den individuellen Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung (HzE) abzuschaffen oder auszuhöhlen. Aber das Internet ist hartnäckig und eine einmal losgetretene Lawine lässt sich virtuell noch schlechter wieder anhalten als im wahren Leben (Pörksen, Forum Jugendhilfe 4/2011). cjd 21.05.2014 10

Ausgangssituation II Die Inanspruchnahme der Hilfen zur Erziehung ist in den letzten 15 Jahren um rund 60 Prozent gestiegen. Hilfen werden von über einer Millionen junger Menschen genutzt (Anfang der 90er Jahre 218.000), was einem Anteil von 6,3 % entspricht. 2012 begann für 517.000 junge Menschen eine Hilfe zur Erziehung (-0,5 %). In einem wachsenden Umfang sind Familien selbst die Initiatoren der Hilfen. Alleinerziehende sind überproportional vertreten (52 % SPFH, 57 % Vollzeitpflege). 60 % der Familien der HzE sind im Transfergeldbezug (Alleinerziehende 72 %). cjd 21.05.2014 11

Fachlich begründete Reaktionen und konzeptionelle Weiterentwicklungen Ausdifferenzierungen der Leistungen Ambulantisierung und Familialisierung: Niedrigschwelligkeit Flexibilisierung und Lebensweltorientierung: integrierte flexible Hilfen Sozialraumorientierung und Vernetzung: Schnittstellen zu anderen Regeleinrichtungen Intensivierung und Verkürzung der Hilfen: familienbezogene Kriseninterventionsprogramme Partizipation und Beteiligung: Kinderrechte, Wirkungsorientierung Stärkung der Elternarbeit: Integration von Eltern Stärkere Betonung des Wächteramtes: Aufwertung von Kontroll- und Interventionselementen cjd 21.05.2014 12

Aber Regionale Disparitäten der Hilfegewährung: nicht hinnehmbarer Flickenteppich bei den ambulanten und stationären Hilfen Es fehlt eine bundesweit vergleichbare und verlässliche Hilfeinfrastruktur und entsprechende landesspezifische Rahmenkonzeptionen Es fehlt eine bundesweite Verständigung über konzeptionelle Grundlagen, Formen der Qualitätsentwicklung und Überprüfung der Wirksamkeit cjd 21.05.2014 13

Ausgabenanstieg weiterhin ungebrochen: 2012 neues Allzeithoch rund 32,4 Mrd. (Zuwachs von 2010 zu 2011 um 5,7 %) Anstieg West preisbereinigt von 2005-2011: 41 %, Anstieg Ost: 24 % Anstieg HzE: 2,3 % auf 5,2 Mrd., insgesamt 23,3 % aller Ausgaben Verlangsamung des Kostenanstiegs cjd 21.05.2014 14

Anstieg des kommunalen Anteils mittlerweile auf 15,2 %. 68 % der Ausgaben sind kommunale Ausgaben (Länder 28,4 %). Kein anderer kommunaler Leistungsbereich hat auch nur annähernd vergleichbare Steigerungsraten. Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe werden immer mehr zum Gegenstand kommunaler Verteilungskämpfe. cjd 21.05.2014 15

Sortierungen Wichtige Ansätze bei der Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung sind unseres Erachtens die Schaffung verbindlicher Kooperationen mit den Angeboten der Regelsysteme und der übrigen relevanten Partner, die ihrerseits auch ihre Leistungen mit Blick auf eine optimierte Förder- und Unterstützungsstruktur weiterentwickeln müssen. Die Qualitätsentwicklung, die Stärkung der Steuerungskompetenzen der Jugendämter, die Partizipation und Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern und die Anforderungen der Inklusion sind weitere Meilensteine bei der Weiterentwicklung. cjd 21.05.2014 16

Eine stärkere Verzahnung und Kooperation mit Angeboten der Regelsysteme kann z.b. durch den Ausbau sozialräumlicher Präventionsketten gelingen. Wichtig ist dabei die Einbindung aller im Sozialraum tätigen Akteure (Familienhebammen, Kita, Schulen, Beratungsstellen, Eltern-Kind-Zentren, Familienbildungsstätten, freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Jugend- und Sozialamt, Gesundheitsamt, Kinderärzte, Jobcenter und Agentur für Arbeit etc.). Damit ein solches Netzwerk erfolgreich genutzt werden kann, bedarf es konkreter Zielsetzungen, verbindlicher Strukturen sowie einer zentralen Netzwerkkoordination. Insbesondere bei den Übergängen zwischen einzelnen Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen, z.b. von der Kita in die Schule oder von der Schule in den Beruf können Präventionsketten zum Gelingen dieser Übergänge beitragen. cjd 21.05.2014 17

Caritas Die Kommunen brauchen eine verlässliche Neuregelung zur Finanzierung des präventiven und fachlich anerkannten Leistungsgesetzes SGB VIII. Der Deutsche Caritasverband geht davon aus, dass es zeitweise dazu kommen kann, dass die Parallelität von Präventionsaufbau und der Notwendigkeit der Hilfen zur Erziehung zu einem Mehr an Ausgaben führen kann. Die dabei intendierten Effekte einer Reduzierung der Steigerung von Fallzahlen werden nur mittelfristig erreichbar sein, wenn die Angebotsentwicklung präventiver, sozialräumlicher Ansätze konsequent betrieben und umgesetzt wird und einhergeht mit der systematischen Vernetzung der Hilfen zur Erziehung mit anderen Regelsystemen. Erforderlich hierfür ist eine auskömmliche finanzielle Ausstattung der Kommunen, damit sie als Träger der öffentlichen Jugendhilfe ihrer Gesamtverantwortung Rechnung tragen kann. cjd 21.05.2014 18

Die Debatte über die Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung ist gegenwärtig zumindest teilweise durch Annahmen geprägt, die in ihren sich ausschließenden Gegenüberstellungen nicht immer sachgerecht sind. Der Ausbau der sozialen Infrastruktur als Vorrang von Prävention und mit dem Ziel der Ausgabenbegrenzung wird tendenziell mit einer Nachrangigkeit individueller Rechtsansprüche in Verbindung gebracht. Dies könnte die Verringerung der Pluralität des Angebotes (Subsidiaritätsprinzip) und damit des Wunsch- und Wahlrechtes der Adressatinnen und Adressaten zur Folge haben sowie zu Einschränkungen im sozialstaatlichen Dreiecksverhältnis der Dienstleistungserbringung führen. cjd 21.05.2014 19

Statt dessen gilt es die Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung als Chance zu begreifen, durch frühzeitig ansetzende und mit anderen Regelsystemen vernetzte Angebote im Sozialraum bedarfsgerechte und passgenaue Unterstützungsleistungen so zu ermöglichen, dass die Entwicklung infrastruktureller Angebote nicht im Widerspruch zu den einzelfallorientierten Hilfen zur Erziehung steht und umgekehrt. Im Kontext der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe sind beide Zugänge notwendig und sinnvoll, um sowohl eine bedarfsgerechte Angebotspalette an Jugendhilfeleistungen sicherzustellen als auch präventive Wirkungen zu ermöglichen. cjd 21.05.2014 20

In welcher Weise und mit welcher Zielperspektive individuelle Leistungen erbracht oder Regelangebote zur Verfügung gestellt werden, richtet sich nach den Bedarfen der Adressatinnen und Adressaten im Einzelfall. Hierbei sind eine aktivierende, adressatenorientierte Beteiligung bei der Bedarfsfeststellung und die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts sowie eine gemeinsame partnerschaftliche Verantwortungsübernahme durch öffentliche und freie Träger im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis von besonderer Bedeutung. cjd 21.05.2014 21

Inhalte Prävention ja, aber: Prävention gilt als Synonym für eine erhöhte Problemadäquanz und für eine gesteigerte Effektivität von Angeboten und Maßnahmen. Zuständigkeits- und Maßnahmenerweiterung von Prävention auf nahezu alle Lebensbereiche und das gesamte Gemeinwesen. Überprüfung der Angemessenheit von präventiven versus reaktiver Strategien wird erschwert. Unkritische Ausdehnung des Präventionsverständnisses leistet technokratischer Rekonstruktion potentieller Risikogruppen Vorschub. Entgrenzung von Prävention führt dazu, immer mehr Bevölkerungsgruppen einem generellen Gefährdungsverdacht auszusetzen. Von daher gilt es genauer zu klären, bezogen auf welche Risiken mit welchen Zielperspektiven präventiv gehandelt werden soll und dabei auch die Grenzen von Prävention zu definieren. cjd 21.05.2014 22

Wirkungsorientierung Entscheidend ist in diesem Kontext der zentrale Hinweis darauf, dass für viele Handlungsfelder anspruchsvolle Kriterien der Leistungsmessung fehlen. Gerade angesichts des Wachstums der Kinder- und Jugendhilfe müssen solche Kriterien verlässlich Auskunft darüber erteilen können, mit welchen positiven (oder auch negativen) Wirkungen Angebote der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch genommen werden. Solche Wirkfaktoren einer örtlichen Gestaltung der Kinderund Jugendhilfe gewinnen insbesondere vor dem Hintergrund deutlicher Finanzierungsprobleme der Kommunen ein erhebliches Gewicht. cjd 21.05.2014 23

Wirkungsorientierung im Interesse der Adressat_innen Ausmaß, in dem Kinder, Jugendliche und Eltern sich beteiligt fühlen Qualität der Arbeitsbeziehungen zwischen Fachkraft und jungen Menschen Verbindlichkeit gemeinsamer Verfahrensregeln im Hilfeprozess Qualität der Kooperation zwischen freien und öffentlichen Trägern Qualifizierung der sozialpädagogischen Praxis und ihre Steuerung über weiche Faktoren cjd 21.05.2014 24

Sozialraumorientierung Sozialraumorientierung ist in der Kinder- und Jugendhilfe kein neuer Ansatz, sondern ein Konzept, das begleitet von kontinuierlichen Veränderungsprozessen schon immer Bestandteil der Qualitätsentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe war. Sozialräumliche Ansätze spielen aktuell bspw. bei der Ausgestaltung regionaler Bildungslandschaften, den Netzwerken Früher Hilfen, den Kooperationsbeziehungen an Schnittstellen mit anderen Leistungsträgern und in der Übergangsgestaltung eine bedeutsame Rolle. cjd 21.05.2014 25

Zunächst muss präzise beschrieben werden, was genau unter einem Sozialraum ein auch wissenschaftlich nicht eindeutig geklärter Begriff - verstanden werden soll. Politische und administrative Verwaltungseinheiten sind nicht in jedem Fall deckungsgleich mit historisch gewachsenen, identitätsstiftenden sozialräumlichen Strukturen. Der Sozialraum junger Menschen stimmt mit zunehmendem Alter immer weniger mit dem über die Wohnungsanschrift geregelten Sozialraum überein. Sozialräume in großstädtischen Ballungszentren lassen andere territoriale Untergliederungen zu als dies für ländlich strukturierte Regionen der Fall ist. cjd 21.05.2014 26

Bislang fehlen empirische Befunde, die den Zusammenhang von Sozialraumorientierung und Kostenersparnissen eindeutig nachgewiesen hätten. Entsprechende Studien einer solchen Wirkungsorientierung müssen erst noch umgesetzt werden. Ausgeblendet bleiben häufig sozialräumliche Disparitäten. Gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen spiegeln sich in ungleichen Qualitäten der sozialräumlichen Infrastruktur wieder, und diese ist nicht in jedem Fall in der Lage, Benachteiligungen auszugleichen. cjd 21.05.2014 27

Perspektiven Die Förderung von Infrastrukturleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe stärken Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe AGJ (November 2013) Definition Infrastruktur In der Kinder- und Jugendhilfe wird der Begriff für verlässlich angelegte Einrichtungen und Dienste verwendet, auf die Kinder, Jugendliche und/oder Familien zugreifen können. In der Regel handelt es sich um Angebote, die den Adressaten und Adressatinnen im Sozialraum zur Verfügung stehen und niedrigschwellig, also ohne vorherige Einbeziehung des Jugendamts und dessen Entscheidung über die Leistungsgewährung, direkt in Anspruch genommen werden können. cjd 21.05.2014 28

Auf einer solchen Grundlage wenden sich sozialräumliche Ansätze tendenziell gegen Versäulung, indem sie an ungleiche Lebensumstände der Menschen in einem Sozialraum anknüpfen und nicht nur spezifische Angebote unterbreiten, die von Bürgerinnen und Bürgern nur im Einzelfall beim Sozialleistungsträger abgerufen werden können. Die soziale Infrastruktur eines Sozialraums ist mitentscheidend für dessen Lebensqualität und ist als Teil einer bedarfs- gerechten Angebotsstruktur in der Lage, regionale Disparitäten auszugleichen. cjd 21.05.2014 29

Die derzeitigen Finanzierungslogiken sind in mancher Hinsicht hinderlich für das Entstehen von Infrastruktur. So kann sich der kommunale Kostendruck in der Weise auswirken, dass die Beteiligten eher in den Bereich der Leistungsgewährung aufgrund von Einzelfallentscheidungen des Jugendamts drängen. Bei diesen ist das jugendhilferechtliche Dreiecksverhältnis aktiviert, das anders als bei förderfinanzierten Infrastrukturangeboten ( 74 Abs. 3 SGB VIII) eine Vollfinanzierung der Leistungserbringung sichert. cjd 21.05.2014 30

Jugendhilfeplanung ist Grundvoraussetzung für die Entwicklung einer bedarfsgerechten Angebotspalette im Sozialraum. Infrastruktur entwickelt sich in der Aushandlung von Konzepten zwischen Jugendamt und Trägern der freien Jugendhilfe, der partnerschaftlichen Auswertung der Ergebnisse sowie der Fortschreibung der Konzepte. Um die Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe zielgruppenbezogen und bedarfsgerecht zu entwickeln, ist ihre Wirksamkeit und Funktionalität ständig zu überprüfen und ggf. anzupassen. ( ) Grundlage dafür ist eine kommunale Kinder- und Jugendberichterstattung, ( ). cjd 21.05.2014 31

Chancen für Veränderung 1. Kein gegenseitiges Ausspielen von Infrastruktur und Einzelfallleistung Erwartet wird, dass ein Ausbau von infrastrukturellen Angeboten im Sozialraum Auswirkungen auf das Aufkommen von Einzelfällen hat. Dabei geht es nicht um ein lineares finanzielles Einsparen von Kosten, sondern aus der Perspektive der Adressatinnen und Adressaten vielmehr darum, durch neue Angebote im Sozialraum weiteren Adressatinnen und Adressaten den Zugang zu den benötigten Hilfen zu eröffnen und neue Zugänge zu bisher nicht befriedigten Bedarfen zu schaffen, Probleme bereits im Sozialraum aufzugreifen und mindestens perspektivisch an Stelle von Einzelfallhilfen zu bearbeiten. cjd 21.05.2014 32

2. Regelsysteme nicht ersetzen, sondern stärken und ergänzen Baut die Kinder- und Jugendhilfe ihre infrastrukturellen Angebote aus, kann nicht Ziel sein, die bereits vorhandenen Regelsysteme im Sozialraum aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Vielmehr sollten sie gestärkt und in ihrer Verantwortungsübernahme befördert werden. ( ) Eine kooperative Erweiterung durch Angebote der Kinder- und Jugendhilfe kann erleichtern, dass Tageseinrichtungen und Schule ihre Möglichkeiten (besser) ausschöpfen und Hilfen für die weitergehenden Bedarfe dort anbieten, wo die Adressatinnen und Adressaten im Sozialraum ohnehin ankommen. cjd 21.05.2014 33

3. Rechtsanspruch auf Infrastruktur? Da Rechtsansprüche auf individuelle Leistungen allein die Schaffung von Infrastruktur nicht sichern, könnte an die Figur eines Rechtsanspruches auf Infrastruktur gedacht werden. Das Begriffspaar beinhaltet aus juristischer Sicht jedoch einen Widerspruch in sich. Rechtsansprüche sind individuell und richten sich auf konkrete Leistungen für den Einzelnen, etwa auf einen Ganztagesplatz in einer Tageseinrichtung. Infrastruktur hingegen adressiert die Gemeinschaft allgemein, bspw. in einem Sozialraum. Mit einem Rechtsanspruch auf Infrastruktur würde der Einzelne also nicht nur etwas für sich selbst einfordern können, sondern für eine mehr oder weniger näher bestimmbare Gemeinschaft. cjd 21.05.2014 34

Mögliche Anreize für eine stärkere Förderung infrastruktureller Angebote Würden Angebote der Kinder- und Jugendhilfe in einer sozialräumlichen Infrastruktur gezielt von Bund oder Land gefördert, könnte dies den Kommunen einen starken Anreiz bieten, diese Mittel abzurufen und ihre Praxis entsprechend darauf einzustellen, ohne dass damit die dauerhafte Finanzierung gewährleistet wäre. Die Ermöglichung einer vollen Kostenübernahme auch für infrastrukturelle Angebote würde die Präferenz der Träger der freien Jugendhilfe für eine Vollfinanzierung im jugendhilferechtlichen Dreieck bei Leistungsgewährung durch das Jugendamt im Einzelfall reduzieren können. cjd 21.05.2014 35

Mittel- und langfristige Planung sowie Verträge unterstützen, dass sich Träger der freien Jugendhilfe verstärkt dem Angebot von Infrastrukturleistungen zuwenden und nicht vorrangig auf die gesicherte Vollfinanzierung von Leistungen angewiesen bleiben, die auf Basis von Einzelfallentscheidung des Jugendamts gewährt wird. Eine ( ) bevorzugte Förderung könnte bspw. im Gesetz vorgesehen werden mit Kriterien wie Sozialraumbezug, Adressat/inn/en-gerechtigkeit, Fachlichkeit, Kooperation oder Bereitschaft zur partizipativen Wirkungskontrolle. Allerdings ist darauf zu achten, dass die individuellen Rechtsansprüche auf Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen unangetastet bleiben und dass das Wunsch- und Wahlrecht der Adressatinnen und Adressaten bei der Inanspruchnahme individueller Leistungsansprüche gewahrt bleibt. cjd 21.05.2014 36

Gedacht werden kann an eine Verbindlichkeit zur Schaffung direkt zugänglicher Angebote über die in 36a Abs. 2 SGB VIII ausdrücklich hervorgehobene Erziehungsberatung hinaus. Andere Bereiche kennen auch das gesetzliche Festschreiben eines Mindestangebots, wie bspw. im Schwangerschaftskonfliktgesetz ( 4 Abs. 1 SchKG), Adoptionsvermittlungsgesetz ( 3 Abs. 2 AdVermiG) oder bei den Amtsvormundschaften ( 55 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII). Eine stärkere Förderung von infrastrukturellen Angeboten erfordert auch die Bereitschaft zur Veränderung der jugendamtlichen Steuerungslogiken. Die Hilfesteuerung durch Einzelfallsteuerung in den Sozialen Diensten müsste bei einem vermehrten Zulassen direkter Inanspruchnahme von Leistungen in einer sozialräumlichen Infrastruktur stärker ergänzt werden durch die konzeptionell-planerische Steuerung der Angebote in qualifizierter partnerschaftlicher Jugendhilfeplanung. cjd 21.05.2014 37

Beibehaltung des individuellen Rechtsanspruches Beibehaltung des Wunsch- und Wahlrechtes Wiederbelebung der Wirkungsorientierung Verbindliche Gestaltung von Schnittstellen und Übergängen Finanzierung von Infrastrukturleistungen und der Vernetzung mit Regelsystemen? Novellierung des SGB VIII cjd 21.05.2014 38

15. Deutscher Kinder- und Jugendhilfetag 2014 24/7 Kinder- und Jugendhilfe viel wert. gerecht. wirkungsvoll. Ein halbes Jahrhundert Deutsche Kinder- und Jugendhilfetage (DJHT) in Deutschland Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe AGJ freut sich ganz besonders, dass Europas größter Fachgipfel der Kinderund Jugendhilfe 2014 in Berlin stattfinden wird. Nach 50 Jahren kehrt der DJHT damit an genau den Ort zurück, an dem 1964 alles begann. Vom 3. bis 5. Juni 2014 wird der Deutsche Kinder- und Jugendhilfetag auf dem Messegelände Berlin stattfinden. cjd 21.05.2014 39