Deutschland hat Zukunft Der Mensch in der digitalen Arbeitswelt Montag, 09.11.2015 um 11:00 Uhr hbw I Haus der Bayerischen Wirtschaft, Europasaal Max-Joseph-Straße 5, 80333 München Herausforderung Digitalisierung Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Es gilt das gesprochene Wort.
1 Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich zu unserem heutigen Deutschland hat Zukunft-Kongress. In den letzten Monaten wurde unser Tagungszentrum generalüberholt und ausgebaut. Ein Grund ist die Digitalisierung: Wir haben den Anspruch, technisch auf dem neuesten Stand zu sein so wie wir es im Ganzen auch vom Standort Bayern fordern. Herausforderung Digitalisierung: Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft Wir sind nicht nur auf dem Weg zur Industrie 4.0, sondern zur Gesellschaft 4.0, der Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche. Darin liegen große Chancen für Wertschöpfung und Innovation made in Bayern. Unser Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft, den unser Präsident Alfred Gaffal ins Leben gerufen hat, möchte einen Beitrag leisten, diese Potenziale zu heben.
2 Beim Zukunftsrat handelt es sich um ein hochrangiges Expertengremium aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik darunter auch unsere Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, die ich auch heute sehr herzlich begrüße! Wie die meisten von Ihnen wissen, haben wir bei einem großen Kongress konkrete Handlungsempfehlungen des Zukunftsrats vorgelegt, wie Technologieförderung im digitalisierten Zeitalter weiterentwickelt werden muss, wie wir die Brücke schlagen zwischen klassischen Unternehmen, Forschung und innovativen Start-ups, wie wir ein neues Gründerklima in Bayern schaffen können, und so unsere Technologieführerschaft im internationalen Wettbewerb behaupten und ausbauen. Grundlage für diese Handlungsempfehlungen ist die vbw Studie Bayerns Zukunftstechnologien mit klarem Befund: Die Digitalisierung ist Motor und Treiberin für Innovation. Sie durchdringt, verändert und prägt alle Technologebereiche.
3 Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Alles muss auf die Digitalisierung ausgereichtet sein. Das fängt schon bei Schule und Ausbildung an. Stichwort: Fachkräftesicherung. Um die Digitalisierung weiter voranzutreiben, nehmen wir uns als Verbände selbst in die Pflicht und haben deshalb ein Maßnahmenbündel aufgelegt: Dazu gehören Studien, Veranstaltungen und Services für Unternehmen. Das tragen wir breit in die Reihen unserer Mitglieder hinein. Arbeiten 4.0 Trends und Entwicklungen Doch es geht dabei nicht nur um technologische Innovation: Die technologische Innovation führt automatisch zu einer Neuorganisation von Arbeit sie wird vernetzt, digitaler und flexibler: Die Grenzen zwischen beruflichem und privatem Bereich verschwimmen. Viele Arbeitsaufgaben müssen nicht zwingend am Arbeitsplatz erledigt werden.
4 Wo und wann gearbeitet wird, verliert mehr und mehr an Bedeutung. Das Ergebnis zählt! Bisher liegt der Schwerpunkt noch zu sehr auf der Arbeitszeit das ist überholt! Klassische Organisationseinheiten lösen sich auf. Entscheidungsprozesse werden schlanker. Arbeit erfolgt immer mehr überbetrieblich. Und es fällt immer mehr Arbeit projektbezogen beziehungsweise auf Zeit an. Voraussetzungen dafür sind: Qualifizierte Mitarbeiter mit der Bereitschaft zum lebenslangen Lernen und ein modernes Arbeitsrecht für eine moderne Arbeitswelt. Im April hat Arbeitsministerin Nahles den Dialogprozess Arbeit 4.0 gestartet. Ich begrüße die Referenten der heutigen Veranstaltung Dr. Uwe Schirmer, Leiter Personal und Grundsatzfragen bei der Robert Bosch GmbH. Er wird genauer unter Lupe nehmen, welche
5 Auswirkung die Digitalisierung in den Unternehmen hat. Prof. Dr. Frank Maschmann vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht der Uni Regensburg wird sich mit den juristischen Knackpunkten einer Reform des Arbeitsrechts befassen. Danke für Ihr Kommen! Auf dem Podium diskutiert neben Staatsministerin Aigner und Herrn Schirmer der bayerische DGB- Vorsitzende Matthias Jena mit uns, den ich sehr herzlich begrüße. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der arbeitsrechtlichen Vorgaben unterschiedlicher Meinung sind. Und es liegt genau so in der Natur der Sache, dass wir gemeinsam um faire Lösungen für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber ringen. Ich sage klar: Arbeiten 4.0 heißt nicht: Mehr Druck, Kontrolle und Überwachung, wie oft suggeriert wird.
6 Statt nur die Risiken ins Feld zu führen, sollten wir die Chancen der digitalen Arbeitswelt sehen für Unternehmen wie Mitarbeiter. Für Viele stellt die Entkopplung von Arbeitszeit und -entgelt eine Chance dar, Beruf und Privatleben besser in Einklang zu bringen. Dieser Aspekt wird noch viel zu wenig beachtet! Hier muss gelten: Wer als Arbeitnehmer mehr Zeitsouveränität hat, der kann und muss mehr Eigenverantwortung tragen. Insgesamt muss es uns doch darum gehen, dass wir gute Rahmenbedingungen für die digitale Arbeitswelt schaffen, und gleichzeitig unsere Position auf dem digitalen Markt verbessern und ausbauen können. Forderungen der vbw Was aus unserer Sicht arbeitsrechtlich notwendig ist, haben wir in unserem vbw Positionspapier Der Mensch in der digitalen Arbeitswelt dargelegt.
7 Ich möchte stichpunktartig sieben wichtige Punkte aufgreifen: Erstens. Arbeitszeitregelung globalen Erfordernissen anpassen. Die wachsende wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Wertschöpfungsketten macht ein operatives Zusammenarbeiten über Zeitzonen hinweg erforderlich. Dies kann dazu führen, dass dringende Abstimmungsprozesse beispielsweise frühmorgens mit Standorten in Fernost und spätabends mit Partnern in Nordamerika durchgeführt werden müssen. Das hat das geltende Arbeitszeitgesetz mit starren Arbeits- und Ruhezeitregelungen nicht im Blick. Mittelfristig brauchen wir neue Lösungen. Maßstab dafür kann die europäische Arbeitszeitrichtlinie sein: Hier gibt es keine Vorgaben mehr, was die Länge der täglichen Arbeitszeit betrifft.
8 Sie verlangt aber eine elfstündige Ruhezeit innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums. Hinzu kommt, dass die Arbeitszeit in einem 6-Monats- Zeitraum 48 Stunden im Schnitt pro Woche nicht übersteigen darf. Dieser Gestaltungsspielraum durch die europäische Arbeitszeitrichtlinie sollte genutzt werden. Die durch Tarif- oder Arbeitsvertrag geregelte Wochenarbeitszeit bleibt dabei unverändert. Die Ruhezeitregelung von elf Stunden am Tag muss zudem so ausgelegt werden, dass kurze Unterbrechungen möglich sind, ohne dass der Beginn der Ruhephase sofort wieder auf null gesetzt wird. Die Feierabend-Uhr darf beispielsweise nicht erneut zu laufen beginnen, wenn ein Mitarbeiter abends von zuhause kurz in einer wichtigen Angelegenheit mit einem Geschäftspartner in den USA telefonieret. Zweitens. Erreichbarkeit von Arbeitnehmern nicht zwangsweise ausschließen.
9 Hier sollte gelten: Wer nimmt, muss auch geben! Wer also innerhalb der Arbeitszeit Privates erledigen darf, muss auch außerhalb der Arbeitszeit kurze Arbeiten erledigen können. Es ist deshalb nicht einzusehen, dass zum Beispiel die Erreichbarkeit der Mitarbeiter via Smartphone durch den Gesetzgeber beschränkt wird. Auch werden Kunden kein Verständnis für abgestellte Server haben, wie es ja sogar überlegt wird! Drittens. Rahmenbedingungen für Telearbeit modernisieren. Als die geltenden Bestimmungen zur Telearbeit geschaffen wurden, gab es Smartphones und internetfähige Laptops noch gar nicht. Deshalb müssen die Bestimmungen angepasst werden. Das gilt gerade auch hinsichtlich der Arbeitsschutzvorschriften. Sie sollten ausdrücklich auf den Bereich beschränkt werden, der dem Einflussbereich des Arbeitgebers
10 unterliegt. Ansonsten ist der mobile Mitarbeitereinsatz nahezu unmöglich. Aber man muss auch sagen: Der Gesetzgeber kann zwar den Rahmen setzen, aber nicht alles bis in Detail regeln ebenso wenig können dies die Tarifparteien. Die Unternehmen oder, noch besser, die einzelnen Arbeitsgruppen brauchen auf Betriebsebene mehr Entscheidungsfreiheit. Diese können sich ergebnisorientiert selbst organisieren und dabei die privaten Belange des Einzelnen berücksichtigen. Viertens. Kollektive Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung schaffen. Arbeitszeit und Freizeit: Die Übergänge sind im digitalen Zeitalter fließend. Aus diesem Grund sollten die Tarifpartner Arbeitszeiten außerhalb der festgelegten wöchentlichen Arbeitszeit zum Beispiel für Home- Office-Tätigkeiten ermöglichen.
11 Maßstab für die Bezahlung kann hier nur die tatsächlich geleistete Arbeitszeit sein. Darüber müssen wir reden. Fünftens. Beschäftigtendatenschutz nicht verschärfen Die Digitalisierung führt dazu, dass immer häufiger immer größere Datenmengen transferiert werden. Der Datenschutz muss deshalb verlässlich und mit Augenmaß geregelt werden national und EU-weit. Es muss weiterhin möglich sein, per Betriebsvereinbarung oder durch Einwilligung von Mitarbeitern die Datenverarbeitung zu regeln. Kollektive Vorschriften machen s hier nur komplizierter! Zudem brauchen wir einen besseren internationalen Datentransfer, insbesondere innerhalb von verbundenen Unternehmen. Hier muss Brüssel nach dem Safe-Harbor-Urteil zügig handeln.
12 Sechstens. Mitbestimmung effizient gestalten Die betriebliche Mitbestimmung ist und bleibt ein wichtiger Faktor bei der partnerschaftlichen Ausgestaltung der Arbeitswelt. Das Mitbestimmungsverfahren muss allerding schneller und effizienter ausgestaltet werden auch auf elektronischem Wege. Was ureigenste Unternehmensentscheidung sein muss, ist die Einführung neuer Software die keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Mitarbeiter zum Ziel hat. Die momentane Gesetzesauslegung zieht die Einführung dringend benötigter innovativer technischer Lösungen in die Länge. Das ist Digitalisierung mit der Handbremse. Siebtens und das ist die Klammer um alle Einzelforderungen: Unternehmerische Flexibilität erhalten. Digital vernetzte Produktionsprozesse werden arbeitsteiliger denn je.
13 Deshalb, das muss man ganz klar sagen, wird es künftig in der Wirtschaft 4.0 auch weiterhin Werkverträge geben, voraussichtlich sogar noch in einem verstärkten Umfang. Das hat gar nichts mit den Löhnen zu tun. Sondern es hat in erster Linie damit zu tun, dass die Anbieter solcher Leistungen hoch spezialisiert sind und für verschiedenste Kunden tätig sein wollen. Zudem haben Unternehmen nicht immer den betrieblichen Bedarf, um einen eigenen Mitarbeiter im ausreichenden Umfang zu beschäftigen. Oftmals entwickeln sich gerade im IT-Bereich neuartige Geschäftsideen aus dem Unternehmergeist Einzelner. Nicht selten entstehen bei diesen Unternehmungen innerhalb kurzer Zeit weitere Arbeitsplätze. Deshalb sind weitere Einschränkungen bei Werkund Dienstverträgen, wie sie Berlin auf der Agenda hat, kontraproduktiv und verhindern gerade digitale Innovationen.
14 Das sollte man sich in der Debatte auch bewusst machen! Schluss Meine Damen und Herren, ich denke damit ist der Rahmen abgesteckt für eine spannende Diskussion. Gemeinsam haben wir es in der Hand, die Digitalisierung zum Motor für Innovation zu machen nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen. Gehen wir es an. Ich wünsche uns eine informative Veranstaltung.