Geschichte: Beim Herbstfest des Partnerschaftsvereins wird gekocht und gegessen wie im Mittelalter / Ungewöhnliche Bräuche, Zubereitungen und Rezepte Ravioli kochen zwei Vaterunser lang Von unserer Mitarbeiterin Jeanette Spielmann Experte Dr. Hermann Schefers spricht nicht nur über Tischgedecke aus dem Mittelalter, er zeigt sie beim Herbstfest des Partnerschaftsvereins auch. Lorsch. Nicht nur die Menschen, auch die Zeitalter rückten am Wochenende im Paul-Schnitzer-Saal zusammen. Der Partnerschaftsverein Lorsch hatte zu seinem traditionellen Herbstfest eingeladen - und diesmal waren so viele gekommen wie nie. 79 Anmeldungen waren es und mehr hätten die Organisatoren im Saal auch nicht untergebracht, stellte Vorsitzende Annette Moll in ihrer Begrüßung fest. "Wir rücken zusammen", sprach Annette Moll vom Stichwort der Zeit, das an diesem Abend auch inhaltlich passte. Denn mit Hilfe von Dr. Hermann Schefers, Leiter der Welterbestätte Kloster Lorsch, bot der Abend unter dem Motto "Festessen in mittelalterlichen Klöstern" eine kulinarische Symbiose vom frühen Mittelalter und der Neuzeit. Die entsprechenden und äußerst interessanten Informationen dazu bot der Experte jeweils vor den Gängen des Menüs. Das Besteck Das fing schon mit dem Geschirr und Besteck an, das früher aus Keramik und Holz bestand. Die mitgebrachten Nachbildungen aus Original-Funden aus der Region veranschaulichten das. Besteck bestand damals fast ausschließlich aus dem Messer. Den Löffel, der "immer am Mann ist", so Schefers, brachte der Gast mit. Wer den Löffel abgegeben hat, lebt schließlich nicht mehr. Die Tischsitten Gabeln gab es damals nicht, vieles wurde mit der Hand gegessen. Es war also wichtig, vorher die Hände zu waschen - und das war laut Schefers fast eine liturgische Angelegenheit. Meistens war es der Gastgeber, der dem Gast das Wasser zum Reinigen der Hände reichte. Auf jeden Fall war es jemand des gleichen Ranges oder auch höheren Rangs. Üblich war auch das Teilen des Geschirrs. Der
Trinkbecher wurde von Hand zu Hand gereicht - heutzutage möchte man gar nicht an die schlechte Mundhygiene von damals denken. Anders als beim Herbstfest des Partnerschaftsvereins mit acht großen Tischen bestand die Tafel im Mittelalter aus zwei großen Tischreihen an der Seite und einer am Kopfende, an der der Gastgeber saß. Das Menü Anders als in der Neuzeit wurde im Mittelalter auch nicht in mehreren Gängen gespeist. Vielmehr kam alles, was in der Küche zubereitet worden war, auf einmal auf den Tisch. Beim Herbstfest hatte Familie Helmling nach den von Dr. Schefers ausgewählten Rezepten gekocht. Das war zwar von den benötigten Lebensmitteln vermutlich einfacher als im Mittelalter, aber nicht bezüglich der Mengenangaben und Garzeit. Denn diese Angaben fehlten in den überlieferten Rezepten komplett. Bei der Zubereitung von Ravioli, ein Gericht zur Resteverwertung, war beispielsweise von "zwei Vaterunser lang kochen" die Rede. Die Vorspeise Die Festgesellschaft der Neuzeit wurde am Samstag mit Brot und Brotaufstrichen begrüßt. Neben dem heute beliebten Bauernbrot gab es auch Ringel sowie dünnes und trockenes Fladenbrot aus Roggen und Weizen, das früher auch als Teller genutzt wurde und nach Gebrauch nicht selten unter dem Tisch landete. Als Aufstrich gab es Schmalz und eine Art Pesto, die Schefers mit einer Verbeugung vor Hildegard von Bingen verband. Sie hatte in ihrer Zeit diese Kräuterwürze bei Appetitlosigkeit empfohlen. Das Getränk Auch der Honigwein Met, besorgt von einem Imker aus Bickenbach, fehlte nicht auf der Tafel. Die Suppe Bei der Suppe - eine Kohlsuppe mit Salbei - erfuhren die Gäste, dass auch damals gesundes Essen geschätzt wurde. "Wer einen guten Koch hat, braucht keinen Arzt", zitierte Schefers aus mittelalterlichen Schriften. Wie heute in der traditionellen chinesischen Medizin oder in der ayurverdischen Küche wurden Lebensmitteln und Menschen verschiedene Eigenschaften wie kalt oder warm, trocken oder feucht zugeschrieben. Diese Eigenschaften sollten ausgeglichen vorhanden sein. Aus diesem Grund werden dem kalten und feuchten Kohl trockene und warme Gewürze wie Kümmel und Salbei beigefügt. Damit erklärt sich auch der Kümmel im Kochkäse oder warum zur Melone Schinken gereicht wird. Der Hauptgang Als Hauptgang wurden beim Herbstessen Wildschwein mit Semmelknödel, drei Soßen - Zwiebel, Sauerkirsch und Feigen - sowie Salat serviert. Im Mittelalter war es ein Ausdruck von höchstem Luxus, das Fleisch auf einen Grill zu werfen. Normal war die Zubereitung in verschiedenen Stationen. Zuerst wurde es lange gekocht, um daraus eine Brühe zu gewinnen. Mitgekocht wurden all die Reste, die heute im Bioabfall landen. Das verkochte Fleisch wurde dann scharf in Schmalz angebraten und für den Geschmack gab es verschiedene Würzsoßen. Semmelknödel sind als Verwertung von übrig gebliebenem Brot entstanden und ein Rezept aus dem 14. Jahrhundert sieht dafür auch die Verwendung von Ei (kalt) und Petersilie (warm) vor. Die Nachspeise Abgerundet wurde das herbstliche Festessen des Partnerschaftsvereins mit dem Bratapfel, einem Klassiker der Desserts, von denen nicht viele überliefert wurden. Dazu gab es den Lorscher Klosterlikör, ein Spezialprodukt für Lauresham, und Kaffee, ein Produkt, das eindeutig nicht dem Mittelalter zuzuordnen ist. Bergsträßer Anzeiger, Dienstag, 27.10.2015
Weitere Bilder vom Herbstfest:
Ausblick: Vorsitzende Annette Moll berichtet von Veranstaltungen im kommenden Jahr Picknick wird 2016 wiederholt Lorsch. Üblicherweise wählt der Partnerschaftsverein bei seinem Herbstfest Speisen aus der Region aus, die Ziel der Vereinsfahrt war. Die hatte allerdings diesmal in das Ruhrgebiet geführt (der BA hat berichtet) und das war kulinarisch nicht passend für das Herbstfest. Mehrere Ehrengäste Der Ausflug in mittelalterliche Klöster war dagegen nicht nur wohlschmeckend, sondern vor allem auch interessant und aufschlussreich. Bürgermeister Christian Schönung, der wegen eines anderen Termins verhindert war, wird vermutlich von den drei anwesenden Stadträtinnen erfahren, was er verpasst hat. Unter den von der Vorsitzenden Annette Moll begrüßten Ehrengästen waren neben der Lorscher Kreisbeigeordneten Brigitte Sander und Vertretern des Stadtparlaments auch die Zweite Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Einhausen, Barbara Schumacher, und die Dolmetscherin des ökumenischen Helferkreises für Flüchtlinge, den der Verein kürzlich mit 500 Euro unterstützt hatte. Annette Moll gab den Anwesenden zudem einen kurzen Ausblick auf das Programm des Vereins im kommenden Jahr. Ziel der Mehrtagesfahrt wird im September Tschechien sein, schon am 5. März gibt es in Kooperation mit den französischen Freundeskreisen in Bensheim und Heppenheim einen französischen Chansonabend und das erfolgreiche Picknick vom vergangenen Jahr wird es auch 2016 wieder geben. js Bergsträßer Anzeiger, Dienstag, 27.10.2015