Standardisierung medizinischer Begriffe

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Transkript:

Positionspapier zur Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms (SNOMED CT) in Deutschland Projektgruppe Standardisierte Terminologien in der Medizin" (STM) der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) In diesem Positionspapier werden einige Aspekte zur potentiellen Einführung der Terminologie SNOMED CT in Deutschland skizziert. Eine wesentlich ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Thema und konkret eine Machbarkeits-, Kosten- und Nutzen- sowie Akzeptanzanalyse in einer konzertierten Aktion aller Beteiligten halten wir für dringend erforderlich. Standardisierung medizinischer Begriffe Die elektronische Datenverarbeitung in der Medizin ist auf standardisierte Begriffssysteme angewiesen, da die medizinische Fachsprache mit ihrem komplexen Fachwortschatz bis heute für Rechner nicht befriedigend verarbeitbar ist. Für den Austausch und die Weiterverarbeitung von Gesundheitsinformationen ist es notwendig, Patientendaten und Medizinwissen zuverlässig zu repräsentieren. Die bis heute verwendeten Klassifikationen fassen ähnliche Objekte (z.b. Diagnosen, Prozeduren oder Arzneimittel) in Klassen zusammen. Sie sind nur begrenzt erweiterbar. Beispiel: In der Internationalen Klassifikation für Krankheiten (ICD-10) werden einerseits unterschiedlichste Sachverhalte wie Penicillinallergien oder Ovulationshemmerunverträglichkeiten über einen einzigen Kode abgebildet, nämlich T88.7 (Nicht näher bezeichnete unerwünschte Nebenwirkung eines Arzneimittels oder einer Droge). Andererseits werden bakterielle Infektionen eines Erregers (z.b. Staphylokokken) mit verschiedenen Kodes kodiert, die je nach anatomischer Manifestation und Art der Erkrankung über die gesamte Klassifikation verstreut sind, z.b. A04 (Darminfektion), A05 (Lebensmittelvergiftung), A41 (Sepsis), G00 (Meningitis) bis zur M00 (eitrige Arthritis). Im Gegensatz dazu beschreiben Nomenklaturen oder Terminologien ein Krankheitsbild möglichst vollständig und detailliert. Sie können daher vereinfacht grobe Klassifikationen verfeinern und interessierende Begriffe durch Verwendung von Relationen verknüpfen. Mit der Systematized Nomenclature of Medicine Clinical Terms (SNOMED CT) liegt eine solche umfassende Terminologie vor. Mit SNOMED CT lassen sich Begriffe kombinieren, z.b. Allergien gegen Substanzen oder Infektionen an Lokalisationen aufgrund von Erregern. Für Substanzen (z.b. Antibiotika), Lokalisationen (z.b. Organsysteme) und Infektionserreger (z.b. Bakterien) stehen unabhängige Hierarchien zur Verfügung. Damit lassen sich eine Penicillinallergie oder eine Staphylokokkenenteritis wesentlich detaillierter kodieren. Anwendungen wie Arzneimittel-Unverträglichkeitsprüfungen, etwa im Zusammenhang mit der elektronischen Gesundheitskarte, sind auf ausdrucksstarke Terminologien angewiesen. Im Unterschied zu den etablierten Klassifikationen wie ICD-10 oder OPS ergeben sich allerdings mit einem potentiellen Einsatz von SNOMED CT im deutschen Gesundheitswesen völlig neue Herausforderungen, auf die in diesem Papier hingewiesen wird.

1) Ausgangssituation Die amtlichen Klassifikationen wie die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10- GM 1 ) und der Operationenschlüssel (OPS 2 ) werden über ihren ursprünglichen Zweck hinaus für immer neue Aufgaben eingesetzt: a) für ökonomisch motivierte Anwendungen: Anwendungen wie das G-DRG-System (German Diagnosis Related Groups) als pauschaliertes Entgeltsystem für stationäre Leistungen und der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich zwischen den Krankenkassen berücksichtigen zunehmend die Krankheitshäufigkeit (Morbidität). Ein über viele Jahre gewachsenes Softwareangebot sowie gut ausgebildete Fachleute sichern eine ausreichende Qualität der Kodierung nach ICD-10-GM und OPS. Deren Pflege ist gesetzlich geregelt und in ein Geflecht von Abhängigkeiten eingebettet (z.b. Deutsche Kodierrichtlinien). Die Abrechnungs- und Auswertungszwecke bezeichnen Experten häufig als Sekundärverwendungen klinischer Primärdaten. b) für den Austausch und die Wiederverwendung medizinischer Daten: Die Verwendung standardisierter Nachrichten- und Dokumentenstrukturen zusammen mit standardisierten Terminologien soll die Verarbeitbarkeit durch einen Rechner sicherstellen. Dies bezeichnen Fachleute als Semantische Interoperabilität. Diese ist Voraussetzung für Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte (egk) wie z.b. Arztbriefe und elektronisches Rezept. Für diesen Aufgabentyp b) sind Klassifikationen wie ICD und OPS mit einer vorab festgelegten Anzahl von Kodes (wenige 10.000) und ihrer einfachen hierarchischen Struktur nicht ausdrucksstark genug. Deshalb wird unter Fachleuten vor allem für diesen Zweck der Einsatz von SNOMED CT in Deutschland diskutiert. Die nächsten beiden Kapitel untergliedern sich in folgende Unterkapitel: i. Einsatz von SNOMED CT ii. Aufbau und Inhalt von SNOMED CT iii. Wechselwirkungen mit anderen Standards: Klassifikationen wie ICD-10-GM und OPS für ökonomisch motivierte Anwendungen. Weitere Standards wie ICD-O 3, LOINC 4, ICPC 5, ICNP 6, MedDRA 7 für UAW 8 oder ATC 9 (Medikamente) zur Unterstützung der semantischen Interoperabilität. Daten- bzw. Informationsmodelle (z.b. HL7-CDA 10 Dokumente) benutzen Objektklassen mit Attributen, die sich semantisch mit der SNOMED- Begriffssprache überschneiden. Das Verhältnis von Datenmodell und Kodiersystem wird wesentlich komplizierter. Übersetzung, Versionspflege und Aktualisierung der Nomenklatur unter Beachtung der nationalen Besonderheiten. iv. Rahmenbedingungen für den Einsatz von SNOMED CT in Deutschland, u.a. rechtliche und finanzielle Fragen, Zuständigkeiten oder Kompetenzen. 2) SNOMED CT: eine Bestandsaufnahme i) In den nationalen Healthcare-IT-Projekten einiger Länder hat man sich für SNOMED CT als geeigneten terminologischen Standard entschieden, z.b. in den USA (http://www.hhs.gov/ healthit/), in Großbritannien (siehe http://www.connectingforhealth.nhs.uk/) und jüngst in Australien (siehe http://www.nehta.gov.au/). Die Projekte sind in verschiedenen Entwicklungsstadien; zwischen Planung und Implementierung. Sie erfahren enorme staatliche Unterstützung. 1 Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision German Modification 2 Operationen- und Prozedurenschlüssel 3 Internationale Klassifikation der Krankheiten für die Onkologie 4 Logical Observation Identifiers, Names and Codes Begriffssystem zur Verschlüsselung von Laborwerten und klinischen Untersuchungen 5 International Classification of Primary Care 6 International Classification of Nursing Practice Beachte: Weitere international relevante Pflegeklassifikationen und -terminologien wurden in SNOMED CT integriert. 7 Medical Dictionary for Regulatory Activities 8 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen 9 Anatomisch-Therapeutisch-Chemische Klassifikation 10 Health Level Seven Clinical Document Architecture Ein XML-basierter Standard für elektronische Dokumente 2

ii) SNOMED CT enthält nahezu 400.000 Begriffe in mehreren Kategorien (z.b. Anatomien, morphologische Veränderungen, Krankheiten, Organismen, Prozeduren), die über zahlreiche Relationen verknüpft sind. Jedem Begriff sind synonyme Bezeichnungen zugeordnet. Ein Begriff Durchfall, ausgelöst durch Staphylokokken (398570005) wird mit Bezug auf vorhandene Begriffe definiert, z.b. als eine Krankheit (64572001), verknüpft mit der Lokalisation Darm (113276009), der Manifestation Diarrhoe (62315008) sowie der Ursache Staphylococcus (65119002). Bemerkung: Die Identifikationsnummern (z.b. 398570005) sind künstlich, d.h. deren möglichst permanente Bedeutung entstammt der Definition. Dieses erhöht die Flexibilität bei Versionswechseln, im Vergleich zu den positionsabhängigen Kodes der ICD-10 (z.b. T88.7) oder alter SNOMED-Versionen (z.b. DE-B0202). Mit einer solchen Terminologie lassen sich Befunde, Diagnosen oder Therapien sehr detailliert beschreiben. Dabei müssen zwei Vorgehensweisen unterschieden werden. Einerseits werden Begriffe vorab definiert und im System bereitgestellt. Dieses in SNOMED CT vorherrschende Prinzip der Vorab-Kombination von Begriffen (Präkoordination) führt zu der sehr großen Zahl von Begriffen. Die alternative Vorgehensweise der Kombination von Begriffen zum Verwendungszeitpunkt (Postkoordination) wird möglichst beschränkt auf ergänzende Angaben (Qualifier) wie Seitigkeit (rechts, links) und Verlauf (akut, chronisch). SNOMED CT kann im Gegensatz etwa zur ICD nicht mehr in Buchform benutzt werden. Sie kann nur in Kombination mit einer Zugangssoftware verwendet werden. Wegen der Komplexität der gesamten Terminologie werden in der Praxis spezialisierte Teilmengen (Subsets) von SNO- MED-Kodes gebildet. Dieses kann man sich analog zu den mittels LOINC-Kodes definierten Dokumenttypen vorstellen, die bei HL7-CDA verwendet werden. Bei der Auswertung SNOMEDkodierter Patientendaten ist jedoch die Bereitstellung der gesamten SNOMED CT erforderlich. iii) Klassifikationen wie die ICD-9-CM (USA), ICD-10-AM (Australien) oder die ICD-10 / OPCS 4.2 (UK) werden nach wie vor für pauschalierte Entgeltsysteme (DRG) verwendet. Der mögliche Einsatz von SNOMED CT führt zur kontrovers diskutierten Frage der Koexistenz von Terminologien und Klassifikationen. Ein wichtiger Punkt ist dabei, die vielen, fein verästelten Begriffe von SNOMED CT mit der geringeren Zahl von Kodes in Übereinstimmung zu bringen; das so genannte Mapping auf Klassifikationen. Es wird häufig keine hundertprozentigen Zuordnungen (1:1-Mappings) geben, da z.b. ICD-10-Kodes nicht alleine durch singuläre Kodes aus SNOMED CT festgelegt werden können. Die aufwändige Erstellung der Mappings wird durch Versionswechsel auf beiden Seiten verkompliziert. Einige Experten streben mittelfristig an, auf Diagnosen- und Prozedurenklassifikationen ganz zu verzichten. Statt eines Mappings sollen statistische Auswertungen und Abrechnungen nach dem DRG-System direkt mit SNOMED-Kodes erfolgen. Diese Einschätzung bewerten die Autoren dieses Positionspapiers als unrealistisch und auch nicht erstrebenswert. Ähnliche Wechselwirkungen ergeben sich mit Terminologien wie LOINC, Arzneimittelterminologien wie die ATC, MedDRA, ICPC für den niedergelassenen Bereich oder ICNP für die Pflege. In allen Fällen werden valide Mappings ausgehend von SNOMED-Begriffen angestrebt. Auch hier stellen sich berechtigte Fragen: Soll mittelfristig die Vielzahl alternativer Standards reduziert, d.h. LOINC, MedDRA oder ICNP gänzlich durch SNOMED CT ersetzt werden? Oder soll vielmehr die Anwendung dieser Standards erleichtert werden? Sehr wichtige Wechselwirkungen ergeben sich zwischen SNOMED CT und Informationssystemen. Ein Sachverhalt lässt sich nicht nur innerhalb von SNOMED CT, sondern vor allem in Kombination mit Datenmodellen auf mehrere Arten ausdrücken. Dieser Variantenreichtum beeinträchtigt die anvisierte Interoperabilität. Aus diesem Grund arbeiten internationale Experten weltweit in Kooperation mit dem HL7-V3 11 -Standard an Lösungen für eine Ko-Existenz. Die Anbieter klinischer Anwendungssysteme werden ihre Datenmodelle für SNOMED-Kodierungen anpassen müssen. Für die Auswertung SNOMED-kodierter Patientendaten wird ein Terminologieserver erforderlich sein. 11 Health Level Seven, Version 3 seit über 10 Jahren konzipierter Kommunikationsstandard, der die aktuell eingesetz e Version 2 ersetzen soll t 3

iv) Vor kurzem gründeten das CAP 12 und das NHS 13 die internationale SNOMED Standards Development Organization (SNOMED SDO). Die Initiative ist angesichts der bisher unbefriedigenden lizenzrechtlichen Situation zu begrüßen. Interessierten Nationen wird eine Mitgliedschaft mit Pflichten und Rechten bezüglich der zukünftigen Weiterentwicklung und Pflege von SNOMED CT angeboten, die sich an der jeweiligen Finanzkraft orientiert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Inhaberin der Rechte internationaler Klassifikationen und neutrale Institution sollte darin eine führende Rolle erhalten. So können auch die Belange nicht englischsprachiger oder weniger finanzkräftiger Länder berücksichtigt und das reibungslose Zusammenspiel von Terminologie und Klassifikation sichergestellt werden. 3) SNOMED CT: Beurteilung aus nationaler Sicht i) Auch in Deutschland wird SNOMED CT primär im Zusammenhang mit der Gesundheitstelematik-Infrastruktur diskutiert. Dieses gilt vor allem für Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft von Fachverbänden und Industrie zur Standardisierung der Befunddokumentation (SCIPHOX), den Verband der Hersteller von IT-Lösungen für das Gesundheitswesen (VHitG) oder die Gesellschaft für ein vernetztes Gesundheitswesen (TeVeGe), die an inhaltlichen Standards arbeiten, d.h. an elektronischem Arztbrief und elektronischem Rezept. Da hier jeweils auf HL7-CDA Bezug genommen wird, liegt es nahe, die international favorisierte Kombination mit SNOMED CT zu berücksichtigen. Allerdings setzt die Betreibergesellschaft für die elektronische Gesundheitskarte (gematik) als zuständige Institution zunächst andere Prioritäten. Es wird entscheidend sein, ob die hinter der gematik stehende Selbstverwaltung zu überzeugen ist, dass ohne eine ausreichende semantische Interoperabilität viele Potentiale der Gesundheitskarte nicht realisiert werden können. Umgekehrt lohnt sich die immense Investition in SNOMED CT nur dann, wenn auch die freiwilligen Anwendungen der Gesundheitskarte flächendeckend genutzt werden; d.h. es ergibt sich ein Henne-Ei-Problem. ii) Es existiert eine deutsche Roh-Übersetzung einer früheren Version (2004) von SNOMED CT. Für die Akzeptanz durch Kliniker wird eine aufwändige Überarbeitung und Evaluierung dieser Übersetzung erforderlich sein. Dieses sollte über die Fachgesellschaften (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, AWMF) geschehen. iii) Weiterhin ergeben sich über die in Kapitel 2iii) genannten Aspekte hinaus eine Reihe von Konsequenzen bei einem potentiellen Einsatz von SNOMED. Insbesondere Prozeduren und Arzneimittel müssen mit Blick auf das deutsche Gesundheitswesen ergänzt und laufend aktualisiert werden. Mapping-Tabellen für die national gültigen Klassifikationen müssen bereitgestellt und mit jedem Versionswechsel angepasst werden, d.h. für ICD-10-GM, OPS und ATC, und auch für Alpha-ID 14. Ohne amtlich abgesicherte Mappings auf die ICD-10-GM und den OPS wird keine Klinik die Verwendung von SNOMED CT ernsthaft erwägen. Die durch Mapping- Tabellen bereitgestellten Kodes können bei der konkreten Kodierung immer nur Vorschläge sein. Einzelne SNOMED-Kodes reichen zur Ableitung gültiger ICD-10-GM- oder OPS-Kodes oft nicht aus. Vielmehr müssen im Zusammenhang mit dem DRG-System die Deutschen Kodierrichtlinien sowie nicht selten der gesamte Behandlungskontext berücksichtigt werden. Die im Kap. 2ii) definierte Diagnose Durchfall, ausgelöst durch Staphylokokken wird in ICD-10-GM auf den Kode A04.8 (Sonstige näher bezeichnete bakterielle Darminfektionen) abgebildet. Gleichzeitig ist es jedoch möglich, mit Hilfe der Alpha-ID wesentlich differenzierter zu kommunizieren, z.b. mit I69693 (Diarrhoe durch Staphylokokken). Die Alpha-ID stellt eine Art Kompromiss oder Übergangslösung dar. Sie kann später mit SNOMED CT oder alternativen terminologischen Ansätzen für anspruchsvollere Anwendungen semantisch strukturiert werden. 12 College of American Pathologists 13 National Health Service, UK 14 Alphabetisches Verzeichnis der ICD-10-GM mit Identifikationsnummern es enthält ca. 70.000 individuelle klinische Praxistexte, die den ca. 13.000 Klassen der ICD-10-GM zugeordnet sind. 4

iv) Offen sind weiterhin folgende Fragen: Wer verantwortet die Finanzierung, Herausgabe, nationale Anpassung und Fortentwicklung von SNOMED CT? Wie eng wird SNOMED CT mit HL7-V3 in Informationssystemen gekoppelt sein? Welche Folgekosten sind neben den eigentlichen Lizenzkosten einzukalkulieren, z.b. für Anpassungen von Anwendungssoftware (KIS, PVS, Apothekensysteme,...) und Softwareschnittstellen, Erstellen und Aktualisieren von Mappings oder für Schulungen? Welche haftungsrechtlichen Konsequenzen ergeben sich bei unsachgemäßer Nutzung von SNOMED CT durch die Überlappung von Terminologien mit Leitlinien, Evidenzbasierter Medizin, Methodenspezifikation und der Definition von Qualitätsindikatoren? Wer darf oder muss für welche Zwecke SNOMED-kodierte Patientendaten verwenden? Die mögliche Auswertung etwa von abrechnungsrelevanten ICD-10-Diagnosen wie F65 Störung der Sexualpräferenz durch Krankenkassen führte zu kontroversen Diskussionen. Datenschützer oder Betroffene werden solche Vorbehalte erneut artikulieren. 4) Machbarkeits-, Kosten-Nutzen- und Akzeptanzanalyse SNOMED CT steht seit fünf Jahren, die deutsche Übersetzung steht seit etwa drei Jahren zur Verfügung. Die bisherigen Aktivitäten in Deutschland dazu laufen sehr unkoordiniert. Die meisten Erfahrungen resultieren aus einigen stichprobenartigen Recherchen im komplexen Begriffssystem. Entscheidend werden jedoch echte Nutzungen für klinische Anwendungen sein, die sich z.b. bei einer automatisierten Überprüfung der Arzneimitteltherapie vollziehen. Hier wird man auch SNOMED CT mit Alternativen vergleichen müssen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: SNOMED CT ist ein international herausragendes Begriffssystem mit starken Lösungsansätzen und Potentialen für die Probleme im deutschen Gesundheitswesen. Unabhängig von der Tatsache, welche Entscheidungen in anderen überwiegend englischsprachigen Ländern getroffen werden, sollte die deutsche Gesundheitspolitik und die Selbstverwaltung zunächst festlegen, welche Ziele und Anforderungen sie hat, damit das geeignete Werkzeug ausgewählt werden kann. Vor dem Hintergrund des überwiegend nicht-englischsprachigen Aus- und Umlandes sollten diese Überlegungen und Entscheidungen auf europäischer Ebene koordiniert werden. Die in diesem Papier geschilderten Wechselwirkungen mit den bereits etablierten Einsatzgebieten vorhandener Klassifikationen und Terminologien sind erheblich. Die Konsequenzen für Softwareanbieter von Informationssystemen sind noch gar nicht abzusehen. Die Abschätzung der Machbarkeit, der Akzeptanz sowie von Aufwand und Nutzen eines Einsatzes von SNOMED CT ist unter anderem deshalb schwierig, weil zwar Beachtliches für Konzeption und Implementierung geleistet wurde und wird, aber sich bis heute noch kein auf HL7-CDA und SNOMED CT basierendes System im Routineeinsatz befindet; insbesondere ein Einsatz hinweg über die Sektoren eines Gesundheitssystems. Es wäre wünschenswert, wenn auch in Deutschland die bereits geleistete Arbeit der aktiven Gruppen im Bereich HL7-CDA und SNOMED CT dadurch gewürdigt würde, dass man sich diesem Thema anforderungsorientierter und ernsthafter widmet. Als Konsequenz aus der geschilderten Situation empfiehlt die Projektgruppe der GMDS eine Machbarkeits-, Kosten- und Nutzen- sowie Akzeptanzanalyse von SNOMED CT für das deutsche Gesundheitswesen. Hierfür schlagen wir eine konzertierte Aktion aller Terminologie- und Kodierungsfachleute vor. Lübeck und Köln, 16. Mai 2006 Dr. Josef Ingenerf (Universität zu Lübeck), Leiter der GMDS-PG STM Dr. Michael Schopen (DIMDI, Köln), stellv. Leiter der GMDS-PG STM 5