Vertikale Vereinbarungen im Internet: Eine ökonomische



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CCR - Competition Competence Report Frühling 2014/1 Vertikale Vereinbarungen im Internet: Eine ökonomische Bewertung Warum ist es wichtig, einen Wettbewerbsökonomen zuerst zu fragen, welcher Denkschule er angehört? Weil die Angehörigkeit zu einer bestimmten Denkschule die Herangehensweise an die wettbewerbsökonomische Bewertung bestimmt. Hinsichtlich vertikaler Vereinbarungen werden die unterschiedlichen Denkschulen im Folgenden kurz erläutert. Vertikale Vereinbarungen in der Chigaco School In einer der vielen US amerikanischen Denkschulen, konkret der Chigaco School, ist die ökonomische Effizienz das Ziel der Wettbewerbspolitik. Da vertikale Vereinbarungen so die Chigaco School-Logik per se zu geringeren Preisen führen, sind Eingriffe der Kartellbehörden in vertikale Vereinbarungen überhaupt nicht notwendig. Die stärksten Marktteilnehmer werden überleben ( survival of the fittest ). Konkret besagt die Chicago School-Denke, dass sich vertikale Vereinbarungen von horizontalen Vereinbarungen unterscheiden. Das primäre Ziel vertikaler Vereinbarungen ist es, Beziehungen zwischen Unternehmen effizienter zu gestalten. Jedes Unternehmen ist dabei ein natürlicher Komplize des Konsumenten. Während bei horizontalen Vereinbarungen die Produkte Substitute darstellen, sind die Produkte bei vertikalen Vereinbarungen komplementär zueinander. Wenn Produkte oder Dienstleistungen komplementärer Natur sind, erhöht die Preisreduktion eines Unternehmens die Nachfrage nach den Produkten. Eine Unternehmensvereinbarung, deren Ziel es ist, den gemeinsamen Gewinn zu maximieren, wird aus diesem Grund preislichen Externalitäten internalisieren. In Summe sinken die Preise. Solche Preissenkungen liegen im Interesse des Verbrauchers. Das Resultat einer vertikalen Vereinbarung ist demnach per se entsprechend der Chicago School-Logik - eine Steigerung der Konsumentenwohlfahrt. Diese Interaktionen ergeben sich von selbst. Vertikale Vereinbarungen in der European School Im Gegensatz zum US Chicago School-Gedankengut, ist der Europäische Ansatz in Artikel 101 AEUV verankert. Bei vertikalen Beschränkungen ist im europäischen Kartellrecht ein sogenannter Balancing Test nach Artikel 101 (3) AEUV vorzunehmen: die ökonomischen Umstände jedes einzelnen Falles sind zu berücksichtigen. Insofern glauben Europäer nicht an die Selbstregulierung von Märkten. Sie 1

bevorzugen ein stabiles Rahmenwerk (in Form des EU-Vertrages) sowie individuelle Prüfungen. Diese Prüfungen entsprechen einer Europäischen Version der Rule of Reason. Da vertikale Beschränkungen, je nach Fallkonstellation und Produkt, sowohl einen wohlfahrtssteigernden als auch einen wohlfahrtsmindernden Effekt aufweisen können, ist eine individuelle Bewertung notwendig. Per se Legalität, wie sie in der Chicago School angewandt wird, ist in unserem Rechtsrahmen nicht darstellbar. Die systematische Analyse der Wohlfahrtseffekte einer vertikalen Vereinbarung ist aufwändig. Die Europäische Kommission hat aus diesem Grund vertikale Leitlinien veröffentlicht und eine 30%-Marktanteilsschwelle eingeführt: Vereinbarungen ohne Kernbeschränkungen unter dieser 30%-Schwelle profitieren von der vertikalen Gruppenfreistellung. Alle anderen vertikalen Vereinbarungen sind individuell zu bewerten. Bei dem unten genannten BSH-Fallbeispiel nannte das Bundeskartellamt eine Umsatzgröße ihv rd. 10 Mrd.. Bei diesen Größen rechnet sich eine sorgfältige Prüfung allemal. Im Folgenden werden vertikale Problematiken, wie Doppelpreissysteme und das Verbot der Nutzung von Online-Plattformen Dritter, entsprechend des europäischen Ansatzes diskutiert. Doppelpreissysteme Bei Doppelpreissystemen bezahlt der Händler unterschiedliche Herstellerabgabepreise, je nachdem, ob das betroffene Produkt über das Internet oder im Laden verkauft wird. Doppelpreissysteme beschränken den Wettbewerb, wenn der Hersteller höhere Preise (oder niedrigere Rabatte) für im Internet vertriebene Produkte verlangt. Gemäß dem Balancing Test nach Artikel 101 (3) AEUV könnte ein solches Doppelpreissystem aber auch die Konsumentenwohlfahrt erhöhen, wenn Konsumenten beispielsweise eine Offline-Beratung wichtiger ist als günstigere Online-Preise. Dies ist entsprechend der europäischen Vorgaben empirisch zu untersuchen. Das Wettbewerbsproblem Besteht ein Doppelpreissystem, bezahlt der Händler für im Internet vertriebene Produkte einen höheren Herstellerabgabepreis. Seine variablen Kosten sind dadurch höher. Diese höheren Kosten gibt der Händler an seine Internetkunden weiter. Da die Preiselastizität der Internetkäufer höher ist, sinkt die Verkaufsmenge ab. Der ökonomische Anreiz des Händlers, durch Online-Verkäufe mehr Kunden zu erreichen, sinkt. Durch diese Art der Preisdiskriminierung kann der Hersteller die Verteilung des Produktabsatzes auf die beiden Distributionskanäle Internet und Ladengeschäft beeinflussen. Die Entscheidungsfreiheit des Händlers wird beeinträchtigt. Langfristig können höhere Preise und eine Mengenreduktion im Online-Handel zu einer Dämpfung des allgemeinen Preisdrucks führen. Des Weiteren können die Anreize für bislang rein stationäre Händler verringert werden, im Online-Vertrieb aktiv zu werden. 2

Die Vertikal-Leitlinien der Europäischen Kommission werten Doppelpreissysteme als Kernbeschränkung (vgl. Rn 52). Nichtsdestotrotz bleibt der Weg über eine substanzierte Einzelfreistellung nach Artikel 101 (3) AEUV offen. Fallbeispiel: Rabattsystem Bosch Siemens Hausgeräte (BSH) BSH hatte ein Rabattsystem mit Fachhändlern eingeführt, die BSH-Geräte sowohl über ein stationäres Ladengeschäft als auch über das Internet absetzen (sog. Hybridhändler). Die Leistungsrabatte setzten am Herstellerabgabepreis an und fielen umso niedriger aus, je mehr Umsatz ein Hybridhändler über das Internet erzielte. Das differenzierende Rabattsystem sollte dazu dienen, die höherwertige Handelsleistungen des stationären Vertriebs zu honorieren. Es sah im Einzelnen bestimmte Präsentations- und Beratungsrabatte vor. Durch die Rabatte zu Lasten des Online- Vertriebs sollten höhere Kosten des Stationärhandels ausgeglichen werden. BSH hat seine Rabattpolitik wegen der kritischen Äußerung des Bundeskartellamtes angepasst. Das Bundeskartellamt hat zwei weitere Doppelpreissysteme angemahnt: GARDENA und Dornbracht. EE&MC-Ansatz Ein allgemeiner Chicago School -Vortrag wirkt an dieser Stelle aus den eingangs erläuterten Gründen nicht. Vielmehr ist es aus ökonomischer Sicht notwendig, eine Prüfung der Freistellung im Einzelfall nach Artikel 101 (3) AEUV durchzuführen. Die mit dem BSH-Rabattsystem verbundene Beschränkung des Preiswettbewerbs zu Lasten des Online-Handels könnte beispielsweise durch eine Verbesserung des Qualitätswettbewerbs ausbalanciert werden. Diese Frage ist empirisch zu klären. Die Beweislast für Einzelfreistellungen liegt beim Unternehmen. Es spricht an sich nichts dagegen, dass höhere Kosten im stationären Vertrieb - die auf Grund der Beratung oder für Imageaufbau und pflege anfallen - technologieneutral auf alle Distributionskanäle umgelegt werden. Diese Rechtfertigung ist entsprechend der europäischen Vorgaben dann gegeben, wenn Konsumenten beispielsweise Beratung, Imageaufbau und pflege höher bewerten als billige Preise. Dies ist bei vielen Produkten der Fall. Diesen Überlegungen liegt die einfache Tatsache zugrunde, dass sich Konsumenten nicht stets als rationell denkende und überlegende Handelsteilnehmer verhalten, die in vollkommen transparenten Märkten über alle Preisdatenpunkte umfassend informiert sind. Konsumenten sind vielmehr menschlich: sie tätigen Impulskäufe und schätzen eine persönliche Ansprache im Laden. Die empirische Wissenschaft hat Instrumente entwickelt, ein solches Konsumentenverhalten zu messen. EE&MC verfügt über solide Erfahrungen, diese modernen Instrumente für Einzelfreistellungen anzuwenden. Verbot der Nutzung von Online-Plattformen Dritter In normalen Vertriebssystemen verstoßen Plattformverbote von Herstellern gegen das Kartellverbot. Die Frage ist jedoch, ob ein Hersteller, der seine Waren an Händler verkauft, die bestimmte Kriterien erfüllen (Selektivvertrieb), vertraglich 3

festlegen kann, welche Art von Plattformen für den Verkauf seiner Produkte infrage kommen und welche nicht. Dürfen Hersteller verbieten, dass autorisierte Händler unabhängige Online- Plattformen, wie Amazon oder ebay, für den selektiven Vertrieb nutzen? In selektiven Vertriebssystemen ist anerkannt, dass neben dem Preis auch andere Wettbewerbsparameter, wie Produkt- und Servicequalität, bestehen, die in einem vergleichbaren Ausmaß die Konsumentenwohlfahrt fördern können. Konsumenten erwarten beispielsweise beim Kauf von Markenprodukten ein besonderes Einkaufserlebnis oder ein intensives Beratungsangebot. Der Vertrieb auf Online-Plattformen, wie ebay, kann hingegen aus Konsumentensicht mit Beliebigkeit und Verramschung verbunden sein. Aus diesen Gründen können Hersteller zugunsten ihres Markenimages Kriterien festlegen, die eine Online-Plattform zu erfüllen hat. Vertriebsbeschränkungen in selektiven Vertriebssystemen sind demnach möglich, wenn der Vertrieb über Online-Plattformen die Qualitätsanforderungen des Herstellers nicht erfüllt. Der Hersteller hat seine Gründe gut darzulegen und muss ihre Notwendigkeit belegen. Für eine Freistellung nach Artikel 101 (3) AEUV ist insbesondere der empirische Nachweis unabdingbar, dass die Vertriebsbeschränkung die Konsumentenwohlfahrt steigert. Von einer willkürlichen, zu weit gehenden Einschränkung wäre möglicherweise dann auszugehen, wenn der Hersteller seine Waren beispielsweise in Discountern anbietet und gleichzeitig den Verkauf über Amazon und ebay verbietet. Das Wettbewerbsproblem Vorteile von Plattformangeboten Auf Seiten der Händler führten Plattformangebote zu einer Vergrößerung ihrer Reichweite, da sie durch Nutzung der Plattform leichter Endverbraucher ansprechen können: Händler erreichen mehr und andere Kunden. Insbesondere der Zugang zu Kunden, die ihre Internetkäufe in erster Linie über die ihnen vertrauten Plattformen und Marktplätze aus Gründen des Einkaufskomforts tätigen, wird erleichtert. Plattformen können auch Marktzutrittskosten der Händler senken, etwa wenn bestimmte Fixkosten für den Aufbau eines eigenen Internetgeschäfts und zugehöriger Werbung nicht anfallen, sondern nur Provisionszahlungen. Der Wettbewerb zwischen Händlern auf Internetauktionsplattformen und -marktplätzen wird intensiviert. Für Konsumenten senken Plattformen Transaktionskosten durch den leichteren Vergleich unterschiedlicher Angebote. Die Suchkosten der Verbraucher werden minimiert. Diesen Effekten stehen die mit einem Plattformverbot verbundenen Vorteile gegenüber. Vorteile einer Vertriebsbeschränkung Wichtig ist, dass nicht per se davon ausgegangen werden kann, dass ein Verbot der Plattform-Vermarktung zu einer Reduktion der Konsumentenwohlfahrt führt, indem niedrigere Preise quasi verhindert werden. Preis ist ein Element in der Bewertung 4

der Konsumentenwohlfahrt. Dem Preis gegenüber stehen bei Markenprodukten Image und angenommene Werthaltigkeit. Markenhersteller, die ihr Markenimage pflegen und teilweise auch kostenintensiv aufgebaut haben, können unter einer Feilbietung ihrer Produkte auf Online- Plattformen leiden. Für ein Markenprodukt ist beispielsweise eine ausschließliche Präsentation in einem bestimmten Sortiment bedeutsam. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Markenimage Teil des Produktes ist und der Konsument auch die Zahlungsbereitschaft aufweist, für das Markenimage des Produktes zu bezahlen. Die Wertschätzung durch den Verbraucher für die Marke ist vorhanden. Sie variiert jedoch produktspezifisch und ist im Einzelfall zu eruieren. Ein Plattformverbot ist auch geeignet, das Trittbrettfahren auf Service- und Beratungsleistungen der Händlerläden und Webseiten zu verhindern. Dadurch kann der Hersteller seine Produktqualität sowie sein Markenimage langfristig sichern, was wiederum im Sinne des Konsumenten ist. Nicht um sonst erkennt das europäische Kartellrecht Qualitätskriterien in selektiven Vertriebskanälen für Markenprodukte explizit als wettbewerbsfördernd an. Markenhersteller dürfen die Vermarktung ihrer Marken schützen. Fallbeispiel: Plattformverbot Sennheiser Audioprodukte Das deutsche Bundeskartellamt führt aktuell Verfahren gegen Sportartikelhersteller, wie Adidas, etc. durch, um die Zulässigkeit von Online-Plattformverboten zu überprüfen. In einem anderen Verfahren, Sennheiser Audioprodukte, hat das Bundeskartellamt ein Plattformverbot bereits gekippt. Das selektive Vertriebssystem von Sennheiser enthielt eine Klausel, die es Vertragshändlern verbot, die Produkte über Plattformen Dritter, wie ebay oder Amazon Marketplace zu verkaufen, wenn diese nicht bestimmten Kriterien entsprechen. Das Bundeskartellamt befand, dass ein Hersteller im Bereich standardisierter Elektronikprodukte für Endverbraucher einem zum Vertrieb zugelassenen Händler den Online-Vertrieb über eine Plattform nicht untersagen kann, wenn die Plattform voll integriert ist in den elektronischen Vertrieb eines anderen, vom Hersteller ebenfalls autorisierten Händlers. Das Bundeskartellamt hat keine effizienzsteigernde Wirkung des Plattformverbotes erkannt. Auswirkungen auf Produktpräsentation und Servicequalität schieden als Begründung für ein Verbot - so das Bundeskartellamt - ebenfalls aus. Das Bundeskartellamt vertrat daher die Auffassung, dass Sennheiser, die im Rahmen ihres selektiven Vertriebssystems Amazon als Händler autorisiert hat, den Vertrieb ihrer sonstigen autorisierten Vertragshändler über die Plattform Amazon Marketplace nicht untersagen darf. EE&MC-Ansatz Die Analyse von vertikalen Vertriebsbeschränkungen erfordert gemäß der Europäischen Schule ein genaues Abwägen der wettbewerbsbeschränkenden und wettbewerbsfördernden Wirkung des Drittplattformverbots im Einzelfall. Hierzu wird 5

dessen Wirkung auf alle Wettbewerbsparameter, d.h. Preis, Qualität, Service und Produktimage, hin beurteilt. Im Rahmen der Einzelfreistellung ist der Zusammenhang zwischen Preis und Image empirisch offenzulegen und entsprechend der kartellrechtlichen Vorgaben zu modellieren. Geprüft wird, ob ein ökonomischer Zusammenhang zwischen der Drittplattform als Vertriebskanal, der hierdurch entstehenden möglichen Preissenkung und der von Konsumenten wahrgenommenen Qualitätskriterien, wie Beratung, Marke, Image etc., besteht. Resultat dieser Modellierung ist der Vergleich der Konsumentenwohlfahrt in zwei Situationen: Vertrieb mit Plattformverbot bzw. ohne Plattformverbot. Insofern erfordert die Frage, ob Hersteller verbieten dürfen, dass autorisierte Händler unabhängige Online-Plattformen, wie Amazon oder ebay, für den selektiven Vertrieb nutzen dürfen, eine empirisch fundierte Antwort. Dies ist der Europäische Ansatz. Von einem Chicago School-Ökonomen können Sie ohne aufwändige Berechnungen die direkte Antwort erwarten: der Markt wird es schon richten. Diese Antwort entspricht jedoch nicht den Vorgaben unter Artikel 101 AEUV. 6